Die Altertumsgeschichte von hinten aufgerollt
Rezension des Buches von Uwe Topper „Fälschungen der Geschichte. Von Persephone bis Newtons Zeitrechnung“ · München 2001 (287 S.)
Anstelle einer direkten kritischen Auseinandersetzung oder anstelle einer humorlosen Fehde (wie Francesco Carotta sie trotz meiner Nachbesserungen auf seiner Website noch immer betreibt), hat Uwe Topper dem Rezensenten sein neuestes Buch zur Besprechung übersandt. Darin wird die zwischen uns verhandelte Gesamtproblematik der orientalischen Altertumsgeschichte und ihrer fraglichen Quellen, Denkmäler oder Bibelhandschriften in einer durchaus amüsanten Weise von hinten d.h. vom neuzeitlichen Quellenbefund her aufgerollt. Einen doktrinären wissenschaftlichen Anspruch will der Autor mit seiner Besichtigung von typischen „Fälschungen“ in diesem Buch kaum erheben – viele Andeutungen und grundlegende Thesen werden nur mit Querverweisen auf eigene und fremde Standardwerke bzw. die Pionierleistungen der „neuen“ Historikergilde seit Kammeier und Velikovsky (von Marx, Heinsohn, Illig bis Gabowitsch) belegt. Von einem die Wissenschaft nur vortäuschenden Anmerkungsapparat wird daher (nicht immer wohltuend) Abstand genommen, statt dessen soll an ausgesuchten Einzelbeispielen die fatale Wissenschaftsgläubigkeit der Moderne dem Gelächter preisgegeben werden. Topper möchte den Fälschern selber auf die Schliche kommen, indem er einen Blick in ihre heutigen Werkstätten (vorzüglich des 19/20. Jhs.) tut.
Angefangen mit einem Rundgang im Pergamon-Museum Berlin, dessen berühmteste Monumente dem prüfenden Kennerblick nicht standhalten können (wie die Persephone von Tarent, Kapitel I), wird in weiteren Rundgängen durch griechische Fundstätten (Pergamon, Troja, Kapitel II), frühzeitliche Höhlenfunde Frankreichs (inkl. Glozel, Kapitel III) und frühchristliche Katakomben oder angebliche Kirchen der „ersten Christen von Köln“ (Kapitel IV) die These verteidigt, dass (fast) die gesamte klassische griechisch-römische Antike ein spätes Produkt des Humanismus und der Renaissance sei und dass also auch das von dieser Antike affizierte (katholische) Christentum frühestens in Europa ab 1000 n. Ztr. oder in den Kreuzzügen entstanden sein könne. Der jüdisch, salomonisch und katharisch beeinflusste Templerorden (in Palästina 1119 gegründet), gehört beispielsweise noch in die arabisch und persisch beeinflusste vorchristliche Zeit [126]. Der „gotische“ Kult (5/6. Jh.) und seine polytheistisch-heidnische Kirchenkultur (11.-13. Jh.) ist fälschlich als „arianisches“ Frühchristentum vereinnahmt worden [128]. Die Gesamtkonstruktion des „christlichen Frühmittelalters“ ab der Völkerwanderung (410-970) erweist sich als ein Phantom, das – stratigrafisch durch eine katastrophale Unterbrechung getrennt – an das Alte Rom und die hebräisch-aramäische Besiedlung Europas in der Bronzezeit anschliesst, d.h. an jene Vorzeit Abrahams, die im biblischen Orient um 2000 Jahre vordatiert wurde (ante -1200/600).
Diese christliche Konstruktion der Weltgeschichte ist ein neuzeitliches Phantom (ab 1580), seit Skaliger/Petavius ihren Widerspruch gegen die Gregorianische Kalenderreform anmeldeten. Isaak Newton hatte den astronomischen Schwindel dieser Reformen im Prinzip erkannt (Kapitel V). Da aber auch Netwon am stabilen ptolemäisch-kopernikanischen Weltbild festhielt, suchte er die im Frühmittelalter astronomisch überzähligen 534 (bzw. 532) Kalenderjahre des abendländischen Osterzyklus lieber den alten Griechen „wegzunehmen“ [134]. Auf das Füllmaterial der slawischen Chroniken (Kapitel VI) und arabisch-fernöstliche Reiseberichte (Kapitel VII) ist ebensowenig Verlass. Der „Alexanderroman“ (handschriftlich ab dem 10. Jh.) bringt auch alle jene antiken Autoren in Misskredit, die sich auf Alexander d. Gr. oder die berühmte, zur Zeit Caesars „verbrannte“ Bibliothek von Alexandria berufen [175-189] Nur das mythische Buch Cuzary der Chasaren erinnert noch daran, dass die ersten „Schreibenden“ (von qara = lesen, schreiben) der Qumranrollen und des Quran (Koran) aus dem Osten kamen [202]. Das bereits christlich beeinflusste talmudische Judentum muss von daher ins Hochmittelalter gesetzt werden.
Diese Epoche endete im Jahrhundert der Pest in einer Hitzewelle einer vor 700 Lichtjahren erloschene Supernova, die alle alten Handschriften vergilben liess (um 1350) [271]. Mit Hilfe dieses „grossen Ruckes“ oder frühneuzeitlichen „Konzeptionsschauers“ (Egon Friedell, Christoph Marx) möchte Topper die Grosse Aktion der nachfolgenden Fälschungen motivieren und die grosse Aporie Kammeiers lösen, warum in keinem Kloster oder Geheimarchiv – ausser den Qumranhöhlen ? – alte Biblio-theksbestände der Alten Welt überlebt haben. Auf alle Weise obsiegte das kulturelle und religiöse Bedürfnis Europas, sich eine kontinuierliche und unversehrte Vergangenheit der Antike zu verschaffen und so die Katastrophe aus dem Gedächtnis zu tilgen (dies die Quintessenz im Schlusskapitel IX). Damit meldet Topper auch seinen Anspruch auf die von Velikovsky/Heinsohn entwickelte (in „Zeitensprünge“ verblassende) diagnostisch-therapeutische Erklärung der Judentumsverdrängung und des Holocaust an.
Auf diesem Hintergrund ist Heribert Illigs Zeitlücke von 297 Phantomjahren natürlich nur eine sehr ungenügende Anzahlung auf die zu leistende Gesamtrevision, im irrigen Versuch, eine welthistorische Kontinuität von Julius Caesar, Spätrom und christlichem Mittelalter zu retten. Denn diese Differenz wäre in der Neuzeit überhaupt erst dadurch entstanden, dass Skaliger/Petavius das Erste allgemeine Konzil von Nicäa (325 A.D.), das ursprünglich ins „Jahr des Antichristen“ der Hedschra gesetzt worden war (666 ERA der spanischen Goten), so mit der Kalenderreform des Julius Caesar (-44) zusammenführten, dass die Hedschra ins Jahr 622 A.D. gesetzt werden musste [149]. Skaliger machte sich persönlich um die Emenda-tion des arianischen Kirchenvaters Eusebius verdient, mit dem die Zeitrechnung des Julius Africanus entsprechend „ausgebessert“ werden konnte [140f]. Heutige Museumsgängerinnen, die aber so gerne aus den Hallen der Spätantike ins „christliche Mittelalter“ voranschreiten möchten (statt ins Walhalla der Kelten einzukehren), werden von verzweifelten Museumsdirektoren meist wider besseres Wissen zum Narren gehalten, denn diese lassen die je schon entlarvten Objekte rasch im Keller des Heidentums (oder der eigenen Fälscherwerkstatt) verschwinden oder sie mit noch haarsträubenderen karolingischen Legenden versehen.
Zugebilligt: Als Denkmodell ist dieser Ansatz konsequent und ohne stratigrafische Einzelnachprüfungen ist ihm nicht leicht zu widersprechen. Es scheint nur, dass Topper das Kind des Christentums mit dem Bade ausschüttet, wenn er die Kontinuität von Spätantike (des verschütteten matriarchalen Severischen Herrscherhauses) und Frühchristentum verneint. Jüngere Beiträge in „Zeitensprünge“ haben die Illigsche Zeitlücke in erstaunlichem Ausmasse erhärtet, so dass die überzähligen 140 Kalenderjahre des abendländischen Osterzyklus auf dem Konto des klassischen Rom abgebucht werden müssen [s. Winzeler, Beth-Schean – eine Antwort ZS 2/2001]. Der judaisierende und alexandrinisch universalisierende Origines, der noch die Spärlichkeit des Christentums bezeugt (A.von Harnack), hat nie in das Dogma des Mittelalters gepasst. Wer sollte seine Hexapla gefälscht haben? und wozu? Ganz ohne namentliche Blutzeugen lässt sich auch die Konstantinische Wende nicht verstehen, wiewohl Topper den Blutzoll der „Christenverfolgung“ allgemein auf jüdische und heidnische Katastrophenopfer abwälzen möchte, die vom römischen Katholizismus schamlos in seine fingierten Märtyrerlisten aufgenommen wurden. Was Topper nicht zu Ende denkt, sind die Tücken der rabiaten Zeitverkürzung, die das geschichtliche Erinnerbare in die grösste Nähe der ersten Schreibenden bringt, die also nicht mehr frei erdichtet haben können. Ganz unerfindlich ist, warum er auch die „angeblich“ verbrannten Bibliotheken der Antike für frei erfunden hält [266], wenn deren julianisches Datum (zB. in Alexandria -46) nun faktisch ins 10. Jh. der Qumranbibliothek wandern sollte.
Tatsächlich nimmt Topper weniger die hochmittelalterlichen, als vielmehr die neuzeitlichen retrospektivischen Fälschungen der Weltgeschichte aufs Korn, die real mit den Eigentumswirtschaften begann [vgl. dazu: Eric E.Weil, Die Völker ohne Geschichte. Europa und die andere Welt seit 1400, Frankfurt/M, New York, Studienausgabe 1991]. Nehmen wir also einmal an, es wären mehrere gedächtnistilgende Katastrophen vorangegangen, die an die sieben Siegel der Johannesoffenbarung (= sieben Kreuzzüge?) erinnern. Woran liesse sich das neuzeitliche Machwerk erkennen? Bei sichtlich gefälschten antiken Statuen und Denkmälern, sei es dass sie original oder als Gipsabguss dargeboten werden, fällt auch dem Laien eine seltsame Stilmischung verschiedener Epochen ins Auge (zB. griech. Vorklassik, Gotik und Jugendstil), die erst ein moderner Pfuscher so vermengt haben kann. Weggebrochene Köpfe, Arme oder Beine, die das hohe Alter des klassischen Kunstwerkes beweisen, hätten im Original nie in dessen Rahmen gepasst oder sie geben den Blick auf romantische Landschaften frei, die jeden Kom-mentar überflüssig machen. Manche sinnenfreudige Bildhauer waren so „prüde wie ein Viktorianer“ [47]. Also wurde das Original a priori als flüchtige Auftragsarbeit gefertigt, die erst dadurch die wissenschaftliche Weihe erhielt, dass eine karrieresüchtige Autorität sie als antikes Unikat anerkannte. Nimmt ein neu entdeckter antiker Autor auf dieses Unikat Bezug, gibt er sich selber der Lächerlichkeit preis. Wird das Prunkstück aber zum Leitfossil einer wissenschaftlich anerkannten antiken Kultur, werden alle weiteren Entdecker, Imitatoren, Ausgräber und Doktoranden darauf neue Luftschlösser gründen.
Ein zweites Kriterium ist daher die Auffindungslegende. Sowohl bei Schliemanns „Beweis für Troja“ [60-65] wie bei Konstantin Tischendorffs Codex Sinaiticus (Kapitel VIII [221-239]) gibt es schwer erklärbare Ungereimtheiten und es bestanden sowohl die Gelegenheit, wie der finanzielle Anreiz und ein wissenschaftliches Motiv, um sichtlichen Fälschungen zur öffentlichen Anerkennung zu verhelfen. Hatte Schliemann, um sein missglücktes Lebenswerk zu retten, vermutlich selber den Schatz des Priamos durch einen (venezianischen?) Goldschmied fertigen lassen, konnte Tischendorff auch ungewollt den geldgierigen Mönchen vom Sinai erlegen sein (sie kannten die Entdeckungsbegier des Gelehrten, hatten ausreichend Vorlagen, Fähigkeit und Zeit) und es wäre dem tragischen Gelehrten nur anzulasten, dass er das als mangelhaft erkannte Machwerk nicht entlarvte, wie in anderen Fällen, sondern es in Kairo eigenhändig redigierte und (anhand des Codex Vaticanus von 1498) neuen Kanonsbedürfnissen anpasste, bevor er die Abschrift dem Zaren übergab. Dass er hingegen den Palympsest des Syrers Ephraemi gar nie habe lesen können oder dass der unleserliche Grundtext stets nur in der Einbildung der Theologen bestanden habe (wie auch die Vorstellung, dass Theodor Beza den für den Lukastext gewichtigen „Codex Bezae“ erschaffen habe), das sind suggestive Schlussfolgerungen, die Topper dem Leser zu ziehen überlässt. In dieser Variationsbreite stellt er in Rechnung, dass die grössten Fälschungen, die unser verkehrtes Geschichtsbild bestimmen, nicht in jedem Fall bewusste (originale) Schöpfungen sind, sondern durch mehrere Stadien gingen, bis sie den Eitelkeitsbedürfnissen der „kritischen“ Zünfte standhielten.
Bei vielen Renaissancefälschungen existierte nie das entschwundene Original (etwa der Reden Ciceros), bei andern (wie Caesar?) könnte eine ins Lateinische übersetzte orientalische Vorlage konfisziert worden sein. Oder es wurden religiöse Hymnen und romanhafte Dichtungen (aus Edda oder Thora) zu wissenschaftlichen Historien ausgearbeitet und mit neuesten archäologischen Beweisen zu unbezweifelbaren Geschichtstatsachen des (skythisch beeinflussten) „Frankenreiches“ erhoben [71]. Dass Topper sich in diesem Dschungel oft nicht entscheiden mag, was denn nun ursprünglich europäisch, heidnisch und echt, was nur christlich imitiert oder was dogmatisch mutwillig verfälscht worden sei, kann man als Vorzug dieses Buches ansehen. Es wirft grundsätzlich die Frage auf, was noch an stratigrafischen Leitfossilien überhaupt übrig bleibt, die als harte Kriterien einer antiken Epoche dienen können [275].
Über eines lässt uns Topper im Ungewissen: warum das in den Kreuzzügen abkünftige west-europäische Christentum so verzweifelt seinen biblischen Ursprung aus der untergangenen östlichen Welt des verlorenen 12-Stämme-Volkes der Hebräer zu fingieren suchte. Der bizarre Kult eines jüdisch-arabischen oder christlichen Gottes, der „gnädig“, statt schicksalshaft, und „gerecht“, statt willkürlich, in das biologische Erdgeschick des taumelnden Planeten und seiner extraterrestrisch terrorisierten Bewohner eingreife, sei doch „eine völlig wahnwitzige, absolut unwissenschaftliche und gegen jede Erfahrung gerichtete Schutzerfindung“, mit der die abendländische Kirche ihre katastrophentherapeutische Herrschaft habe beglaubigen wollen [272].
Mir scheint, diese Behauptung habe auch nach dem 11. September 2001 nichts an Plausibilität hinzugewonnen. Was hilft es, dass Topper den „grossen Seelenarzt“ Hans Blüher bemüht, wonach das Christentum niemals historisch und kolonisatorisch aus Galiläa nach Europa kam, sondern wie eine (astralmythische) „Epidemie“ der Menschheit gleichzeitig in Gallia und Hyspania ausbrach [114]? Gab es im Vorfeld des Faschismus keine besseren Seeelenärzte? Ist das westeuropäische Heidentum des zum ewigen kosmologischen Naturgesetz erhobenen chaotischen Marktgesetzes so viel gesünder als die östliche Skepsis gegen die Krisen der privaten Eigentumsgesellschaft? Man möchte lieber hoffen, dass alle biblisch gegründeten Religionsgemeinschaften soviel Mut zur Entschleierung (= Apokalypse) und soviel kühle Ratio bewahren, dass sie den Vergeltungsschlägen (oder bewussten geopolitischen Vorwärtsstrategien?) der Verteidiger der sogenannten „Grundlagen der europäischen Zivilisation“ eine Absage und ethisch sublimierte Abfuhr erteilen.