Der gehenkte Baumgott

(aus: Kalendersprung 2006, S. 238-240) Die Burg von Bentheim im westlichen Niedersachsen liegt auf einem Felsbuckel, der weit das flache Land überragt. Es ist der nördlichste Felsen der Tiefebene, ein echter Vorposten vor dem flachen Nordmeer. Das Steinkreuz im Burghof, genannt >Herrgott von Bentheim< , gilt als das älteste figurale Zeugnis für Christentum in Norddeutschland,  monumental und formvollendet. Es muß einer vorkatholischen Zeit angehören, denn der Mann trägt einen Mantel (wie ein König) und steht in der Haltung eines Anbetenden oder Segnenden vor einem Kreuz (siehe: Gert Meier 1991). Es ist der Herr des Jahres, der Sonnengott selbst.

Der >Herrgott von Bentheim<. (Foto Gert Meier 1999) Der gekreuzigte Halladsch in einerpersischen Miniatur. (Nachzeichnung U. Topper)

Wie schon erwähnt, wird der gekreuzigte Sufi el-Halladsch genauso dargestellt; und Bosch zeigte die Heilige Julia, die Jahresgöttin, als Gekreuzigte. Die sogenannte Chorschranke der Sachsenkirche bei Halle zeigt einen Reiter mit Speer und Schild über der Midgardschlange. Was könnte daran christlich sein? Und der Kampf des Urmenschenpaars mit dem Drachen auf den Externsteinen ist alles andere als hebräisch zu verstehen.
Eine Grundlage des Christentums hat sich in Mitteleuropa entwickelt: Hier gab es zuerst den Heliand und den Krist, die Jahreskreuze von Irland und Schweden, die Mythen von Odin und Esus, den gehenkten Baumgöttern, den Heiligen Mantel und die Holde Göttin. In Byzanz wurde der Gekreuzigte sehr spät eingeführt; im gesamten östlichen Bereich ist er noch heute nicht volkstümlich. Die Verbindung von Kreuzform und gehenktem Mann – zunächst am gegabelten Lebensbaum (Irminsul), dann am T-Kreuz, schließlich am >Wahren Kreuz< – ist eine Synthese, deren Werdegang noch ablesbar ist. Aus verschiedenen Motiven, zu denen auch der speerdurchbohrte Kriegsgott gehört (Offb. Joh.), entstand die synkretistische Glaubensform, die wir im ganzen Abendland nach der Katastrophe aufblühen sehen. Durch die Mönchsorden und die Gestalt eines Bernhard von Clairvaux (die »Reform von Cluny«) entstand das Christentum in ursprünglichster Form. Die Kirche in Avignon und die Schulen von Paris schufen den Machtapparat und die Lehre dazu.  In der Johannes-Offenbarung wird Alpha-Omega als Sinnbild für die religiöse Zeit verwendet, wie es schon lange auf Felsbildern vorkam; dort ist es kaum als solches erkennbar, denn eigentlich ist es ein A und ein W. Das W, ein uraltes Symbol (siehe Pichler, in: Almogaren 32, S. 151-164), wird als kursives Omega aufgefaßt. Häufig ist die Reihenfolge umgekehrt (also von rechts nach links gelesen), auch wenn es an den beiden Kreuzenden hängt. Dieses wie viele andere Symbole signalisieren ein vorchristliches Heidentum, in dem das Kreuz noch kein Marterwerkzeug ist. Die Hakenkreuze, Rosetten, Eidechsen usw., die man in Kirchen von Asturien (in Spanien) bis Norditalien und Österreich sieht, werden fälschlich als >arianisch< bezeichnet, haben aber mit einer Ketzersekte, die man theologisch so beschreibt, nichts zu tun. Für die jugoslawischen Grabsteine der Bogomilen gilt dasselbe: Alle möglichen heidnischen Symbole kommen vor, nur keine christlichen Kreuze. Der Anschluß dieser Kultform an die gnostische Religion von Anatolien ist leicht erkennbar, wird auch theologischerseits anerkannt. Diese Fachleute präsentieren uns wieder einen markanten Zeitsprung: Die Gnosis Anatoliens wird ins 4.-5. Jahrhundert datiert, »ausgehende Antike« (nur so kann man dort noch >Inseln< heidnischen Glaubens rechtfertigen), und die Bogomilen des Balkan setzen mit dem 9. Jahrhundert ein, wahrscheinlich sogar erst ein Jahrhundert später; man springt über ein halbes Jahrtausend, als wäre das eine Angelegenheit auf dem Papier (statt eine Arbeit der Steinmetze). Von diesen Bogomilen oder Paulinikern ist dann ein kleiner Weg zu den Katharern und Albigensern, den Waldensern und Begharden und Beghinen, im 13. und 14. Jahrhundert grausamst verfolgt, aber in der Reformationszeit noch sehr lebendig. Wieder ein Sprung von einem halben Jahrtausend. Kein Problem? O doch!

Darum ist von Theologen geschrieben worden, daß es die Katharer schon ein ganzes Jahrtausend eher gab, nämlich als Novatianer, wie die kirchlichen Ketzerschriften sie nennen. Novatian hatte sich im Jahre 251 AD von der rechtgläubigen Kirche abgespalten, weil er nicht dulden wollte, daß die während der Christenverfolgung umgefallenen, abtrünnig gewordenen Christen nach dem Ende der Verfolgung wieder in die Kirche aufgenommen wurden. Er gründete eine neue Kirche, die der >Reinen< (griech. katharoi), im Gegensatz zu denen, die sich verunreinigt hatten. So haben wir Katharer tausend Jahre vor ihrer Vernichtung, die Chronologie ist gerettet. Nur diese Katharer sind tatsächlich Reine und Christen dazu. Absichtliches Verwirrspiel. In einem kritischen Zwischenruf an die Chronologierevisionisten (1999, S. 299 ff.) merkt der Schweizer Theologe Peter Winzeler zu diesem Thema an, daß für Jesus schon lange Vorbildgestalten gefunden wurden: »Die wiederholten Ermordungen eines Priesters Jesus (Jason) in der späten Perserzeit und in der Makkabäerzeit sind schon von Julius Wellhausen (1914, S. 178 f., 236 f.) als Doubletten erkannt worden.« Winzeler geht mehrere Schritte weiter, indem er erkennt, daß an einigen Stellen abendländischer Mittelaltergeschichtsschreibung »600 Jahre in Wegfall kämen.
Die Renaissance läßt vermuten, daß Plato kaum früher lebte als die christlichen Apologeten des 3. Jahrhunderts (wie Origenes). Aristoteles lebte wenig früher als seine arabischen Kopisten«. Und wann lebten Petrus Walden, Wiclif und Hus wirklich? Die Lollarden in England waren nicht Vorläufer, sondern wie die Taboriten in Böhmen zeitgleich mit der Reformation, während die Waldenser etwas früher anzusetzen wären, vermutlich als Auswirkung der Katastrophe von »1350«. Wiclifs Schriften (Gegen die Bettelmönche) und Thesen, sein Bilder- und Reliquiensturm, Ablehnung des Zölibats und Übersetzung der Bibel können nur in lebhaftem Austausch mit den Thesen von Luther und Hus verstanden werden.

Literatur

Meier, Gert (1991): Und das Wort ward Schrift (Haupt, Bern-Stuttgart)
(1999): Die deutsche Frühzeit war ganz anders, (Tübingen 1999
Pichler, Werner (2002) in: Almogaren 32, S. 151-164)
Topper, Uwe (2006): Kalendersprung (Tübingen)
Winzeler, Peter (1999): “Unbehagen an der Chronologierevision. Ein Zwischenruf” (Zeitensprünge 292-301, Gräfelfing)

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