siebenschläfer

Die Siebenschläfer von Ephesos

Die Siebenschläfer von Ephesos: Eine Legende und ihre Auswirkungen

Bei der Beschäftigung mit der von H. Illig und Anderen vorgeschlagenen verkürzten Chronologie des Mittelalters und der zwischen Christentum und Islam zu beachtenden Querverbindung stieß ich auf eine ‘Legende’, die von Christen wie Moslems als Faktum aufgefaßt wird, obgleich sie nach modernem Realitätsverständnis abgelehnt werden müßte. Es handelt sich um die Legende von den Siebenschläfern.

Diese war im Mittelalter neben den Grunddogmen —Leiden Jesu, Gottesmutter Maria, Zwölf Apostel— jahrhundertelang die wichtigste Mythe der Christenheit, wie ich an Hand der zahlreichen Kommentare zu dieser Legende gerade mit Staunen zur Kenntnis nahm [Koch; Huber]. Die wunderbare Tatsache, daß die sieben Jünglinge nach einem viele Jahre währenden Schlaf wieder erwachten, wurde schlichtweg als ‘Beweis’ für das Dogma der Auferstehung des Leibes angesehen, und dieses Dogma war von zentraler Bedeutung im Glaubensbekenntnis der Christen.

Im folgenden werde ich zunächst die christliche, dann die islamische Gestalt der Legende sowie die dazugehörige Kritik der Quellen und der Textüberlieferung darstellen, sodann die antiken und vorgeschichtlichen Hintergründe kurz erwähnen, schließlich den geistigen Rahmen skizzieren, in den die Legende eingebettet ist. Dabei ergibt sich —sozusagen als Nebenprodukt—, daß die Verwendung der Legende an so prominenter Stelle (im Dogmenstreit der Christen und im Heiligen Buch der Moslems) einen Zusammenhang mit wichtigen historiographischen Vorgängen aufzeigt, die mit Motiven der Zeitstreckung erklärbar werden.

Die Stadt Ephesos (heute Efes, südlich von Smyrna/Izmir) an der Westküste Kleinasiens ist das Zentrum des Siebenschläferkultes. Vermutlich war die Stadt schon seit der ionischen Besiedlung (und davor) ein religiöses Kultzentrum für die Ägäis und Anatolien. Im 4. Jh. wurde sie Hauptstadt der christlichen Asia (etwa Kleinasien) und galt im Mittelalter neben Jerusalem, Rom und Santiago in Galizien als eine der vier wichtigsten Städte der Christenheit, weil sie wie die anderen drei Städte das Grab eines Apostels in ihren Mauern vorweisen konnte: das des Johannes. Verstärkt wurde dieser Anspruch durch den Siebenschläferkult, der in einer Prunkkirche mit ‘Grotte’ und Gräbern vis-à-vis der Johannes-Kathedrale ausgeübt wurde. Außer der Prunkkirche in der Stadt selbst existierte eine Kirche am Höhleneingang etwa zwei Meilen östlich der Stadt an einem Berghang mit Blick nach Osten. Doch in diesem Punkt sind die Angaben widersprüchlich. Die Kirche an der Grotte spielt im islamischen Kontext eine wichtige Rolle.

Die Wallfahrt zu den Siebenschläfem zog im Mittelalter alljährlich Hunderttausende (1) von Pilgern an und brachte der Stadt Reichtum und Macht, auch in dogmatischer Hinsicht. Von Ägypten und Äthiopien sowie Arabien bis Frankreich und England reicht das Verbreitungsgebiet des christlichen Siebenschläferkultes. Es ist allerdings sicher, daß vorchristliche Faktoren zu dieser großen Beliebtheit der Legende beigetragen haben, wie noch erwähnt werden soll.

Die christliche Legende

Zur Zeit des heidnischen römischen Kaisers Decius (Dekios), der von 249 bis 251 regierte, soll eine Christenverfolgung in Kleinasien stattgefunden haben (für die aber bisher keine Belege gefunden wurden), während der einige (sieben) Jünglinge aus notablen Familien der Stadt Ephesos sich in eine Höhle zurückgezogen hätten, um der Verfolgung zu entgehen. Als sie erwachten, glaubten sie, nur eine Nacht geschlafen zu haben, doch einer von ihnen, den sie mit einer Münze zum Brotholen in die Stadt schickten, wurde wegen eben dieser Münze ergriffen und von den christlichen Autoritäten der Stadt verhört, da die Münze aus einer Jahrhunderte zurückliegenden Zeit stammte. Der Jüngling führte die Leute —in einigen Versionen gar den Bischof oder den Kaiser Theodosios II. selbst— zur Höhle, wo seine Kameraden auf ihn warteten. Nachdem das Volk das Wunder ausgiebig bestaunt hatte, zerfielen die Jünglinge zu Staub. Danach errichtete man eine Kirche vor dem Höhleneingang.

Soweit das Gerüst der Legende, die Ausschmückungen füllen ein Buch von vielen Seiten, denn – wie Michael Huber bissig anmerkt – je weniger Material über ein Ereignis vorliegt, desto ausführlicher wird die Heiligenlegende später erzählt.

Eine wichtige Ausschmückung ist folgende: Bei der Verfolgung der sieben Jünglinge, die Pagen des Kaisers Dekios waren, kam man bis zur Höhle, konnte aber nicht eindringen, weshalb der Kaiser die Höhle zumauern und eine oder zwei Bleitafel/n mit der Jahreszahl anbringen ließ. (Die Verdopplung rührt daher, daß Zeugen immer zweifach auftraten.) Dies wurde dann bei der Wiederauffindung der Jünglinge als Beweis für den jahrhundertelangen Schlaf gewertet, womit der durch die Münze zunächst nur erregte Verdacht Bestätigung fand. (Nachträglich mußte dann in die Legende ein ganzes Szenario eingebaut werden, in dem die Mauer vor dem Erwachen der Jünglinge wieder beseitigt wurde.)

Die durch die Bleitafeln ‘dokumentierte’ Zeitspanne des Schlafs wird leider uneinheitlich überliefert. Am häufigsten taucht die Zahl von 372 Jahren auf, daneben gibt es eine persistente mündliche Überlieferung von 296 Jahren, die allerdings Huber nicht erwähnt. Da aber zwischen den beiden Kaisern Dekios und Theodosios II. (408-450) keine 200 Jahre vergangen sein können, haben die mehr auf Historizität bedachten Legendentexte niedrigere Zeitangaben, z.B. 184, auch 170 und – bei Jacobus a Voragine und seiner Legenda aurea – 196 Jahre, was als gezielte Herunterschraubung von 296 angesehen werden kann.

Wie schon zu Anfang betont, hatte die Überlieferung der Legende den Zweck, das Dogma von der Auferstehung des Leibes zu beweisen (dies gilt auch für die Koran-Fassung). In einigen Legendentexten heißt es ausdrücklich, daß Gott dieses Wunder eigens geschehen ließ, um den zweifelnden Kaiser Theodosios davon zu überzeugen, daß Auferstehung keine Allegorie, sondern Tatsache sei. Allerdings ist die Behauptung der Legende, es hätten damals, im 5. Jh. Streitgespräche über dieses Thema stattgefunden und diese seien nur durch das Wunder der Siebenschläfer entschieden worden, durch Huber (und schon vorher durch die Bollandisten im 16. Jh.) als fromme Erfindung erkannt worden. Eine Diskussion in dieser zugespitzten Form erfolgte erst nach dem Jahre 1000. Allenfalls könnte man in der Zeit Justinians I., um 544, Erörterungen des Wiedergeburtsglaubens nachweisen, und in diese Zeit fallen die kirchlichen Datierungen der ältesten Quellen der Legende. Der Zeitabstand, der verschlafen wurde, wäre dann etwa 300 Jahre.

Die Verquickung von Auferstehungs- und Wiedergeburtsbegriffen ist jedoch ein deutliches Zeichen für eine Kontamination des überlieferten Textes, indem nämlich mittelalterliche und antike Vorstellungen unkritisch vermengt werden. Inhaltlich betrachtet könnte man die Legendentexte somit ins 11. Jh. verweisen. Wenden wir uns darum der Quellenforschung zu.

Quellen der christlichen Legende

Die ältesten Quellen unserer Legende werden ins 6. Jh. datiert, also fast ein Jahrhundert nach dem Geschehnis der Auferweckung, was die Kommentatoren leicht irritiert. Aber die frühesten Vorlagen halten auch wohlwollender Kritik nicht stand. So hat man den Syrer Jakob von Sarug (gest. 522), Bischof von Batnae, als Urheber der ältesten Textfassung angesehen. Wie aus dem Barhebraeus (d.i. Gregor Abulfaradsch, 1226-1286) geschlossen werden kann, ist dieser syrische Jakob eine eponyme Berühmtheit, der Hunderte (!) von Texten untergeschoben wurden. Als Urheber der griechischen Fassung wird vor allem Zacharias Rhetor, ab 536 Bischof von Mitylene, genannt. Allerdings stammen die frühesten erhaltenen Abschriften aus dem 11. und 12. Jh., etwa von Michael Syrus (gest. 1199), der einen ‘syrischen Doppelgänger” des Zacharias Rhetor abgeschrieben habe (wie sich M. Huber ausdrückt). Als weitere Quellen werden ein Pseudo-Zacharias (vor 550) und ein Johannes von Ephesos (571) genannt, der allerdings von Zotenberg ins 12./13. Jh. datiert wird (Huber). Einzig der Codex Tellmaharensis ist näherer Betrachtung wert. Sein Autor, ein gewisser Syrer namens Dionysios, habe im 9. Jh. gelebt, aber Fakten fehlen auch hier. Dieser Text jedoch wurde dem Gregor von Tours (540-594) zugeschrieben, der damit zum ältesten Überlieferer der Legende in der westlichen Kirche wurde. In seiner Passio martiri sterben die Jünglinge in Marseille, und ihre Gebeine werden zweckdienlich auch dortselbst verehrt.

Michael Huber, selbst ein Ordensmann, hält eine syrische Abschrift, die auf ein Original aus dem Jahre 585 zurückgehen soll, für das älteste Dokument, gibt allerdings zu bedenken, daß die Legende dort nur als Bruchstück und überhaupt nur als Anhängsel an die Handschrift erhalten sei (Huber 478). Bemerkenswert finde ich auch, daß ein maronitisches Festoffizium von 1425, das die Legende enthielt, bei der Katalogisierung in Rom 1657 nicht mehr als ‚echt‘ anerkannt wurde; vielleicht wich die Fassung der Legende zu stark von der durch die Bollandisten erstellten ab. Deren endgültige Version wurde erst durch Wilhelm Cuper 1729 im Band VI der Acta Sanctorum veröffentlich und gilt seitdem als Grundlage für die katholische Kirche. Der Bollandist Delehaye nennt die Siebenschläfer treffend “literarische Heilige”.

Als erstes wies C. Baronius 1589 darauf hin, daß kein einziges Dokument des 5. Jhs. von dem Geschehnis berichtet. Er stellt auch sachlich fest, daß die Siebenschläferlegende unlogisch und ungeeignet sei, die Auferstehung zu beweisen, da ja die Jünglinge nicht starben, sondern nur schliefen, nach ihrer Erweckung jedoch bald zu Staub zerfielen. Das tatsächliche Motiv für die Tradition müssen wir vermutlich woanders suchen.

Der älteste verläßliche Text der Siebenschläferlegende taucht in einer Homilie des Abtes Aelfric (990-994) in England auf, und es weist vieles darauf hin, daß dieser Text die Vorlage für viele Abschriften des 11. und 12. Jhs. gewesen ist. Im 13. Jh. beschäftigen sich mehrere westeuropäische Dichter mit dem Stoff, so der Engländer Chardry, der Däne Unger und besonders der Genuese Jacobus a Voragine (gest. 1298). Damals verbreiten sich auch einige Züge der Legende, die sonst nur in der islamischen Version nachweisbar sind. So bringt etwa Ralph Hygden (1363) eine Anekdote nach Wilhelm von Malmesbury aus dessen Historiae novellae (1143), derzufolge König Edward der Heilige von England im Jahre 1065 bei Tisch einmal fürchterlich lachen mußte und auf die erstaunten Fragen seiner Tischgenossen geantwortet habe, er hätte gerade gesehen, wie sich die Siebenschläfer im Berge Celion von der rechten Seite, auf der sie lange Zeit gelegen, auf die linke Seite gewendet hätten. “Man prüfte es (in Ephesos) nach”, fährt der Chronist fort, “und fand, daß es seine Richtigkeit hätte. Dies wurde als Hinweis auf große Veränderungen in der Zeit angesehen” (Bächtold-Stäubli Bd. 7; desgl. Koch, Huber). Die Siebenschläfer kündigten dem Glauben nach die normannische Eroberung Englands (1066) an.

Auch die in Paul Warnefrieds Langobardengeschichte (Bd. 1, 4) erwähnten 300 Jahre als Zeitintervall des Schlafes gehen auf den Korantext zurück. Wie Illig schon zeigte [1993], dürfte die Datierung des Diaconus” (angeblich gest. 797 oder 799), um einige Jahrhunderte rückprojiziert sein. Damit erweist sich eine kritische Untersuchung des Korantextes als unumgänglich.

Islamische Version

Die Interpretation der islamischen Überlieferung der Siebenschläferlegende ist dadurch erschwert, daß es sich hier nicht um eine Legenda aurea handelt, sondern um einen Bestandteil der Heiligen Schrift, nämlich um den ersten Teil der Sure 18 im Koran, al-Kahf, “Die Höhle” genannt. Zur Bereinigung der Märtyrerlegenden durch die Bollandisten gibt es auf islamischer Seite keine Parallele, und eine kritische Sichtung der im Koran enthaltenen Texte hat nie stattgefunden, sie wird auch von nicht-muslimischen Wissenschaftlern nur vereinzelt vorgenommen (Lüling 1974; Rezension Illig 1992).

Um die Rezeptionsmöglichkeit des Siebenschläferwunders im Islam zu erläutern, skizziere ich zunächst das Geschichtsverständnis der islamischen Philosophie. Für einen traditionell gebildeten Moslem beginnt Geschichte nicht wie bei uns mit den ersten Schiftdokumenten, sondern erst mit dem Auftreten des Propheten Mohammed; alles Vorherige gilt als Vorgeschichte, Dschahiliya, d.h. Wildheit, Unwissenheit, Anarchie. Zwar wird diese lichtlose Vorzeit von den Namen verehrter Prophetengestalten wie Moses, David, Hiob durchbrochen, aber deren zeitliche Stellung, selbst die relative Chronologie ist unbekannt. Es gibt nur einige genealogische Anhaltspunkte, z.B. die Reihenfolge Ibrahim, Ishaq, Ja’qub.

Wie es für die Vorzeit keinen fortlaufenden Zeitstrahl gibt, so ist dieser auch für die historische Zeit nicht unbedingt konstant. Sprünge werden durchaus akzeptiert. Außerdem kennt die islamische Geschichte nicht nur einen genau definierten Beginn, die Hidschra, sondern auch einen festliegenden Schluß, die “Stunde”, Sa’a. Zeit wird damit zur vorübergehenden Dimension, die noch obendrein durch Gott manipuliert werden kann. Als Beispiel für das zuletzt genannte Phänomen sei an die Himmelsreise des Propheten Mohammed erinnert, der auf dem Wunderpferd Al-Buraq zum „fernen Heiligtum“ in Jerusalem und durch die Himmelssphären bis zum Thron des Allmächtigen reiste, und diese ganze Reise soll —einem Hadith sahih zufolge— nur so kurz gedauert haben, wie die Türschwelle brauchte, um auszuschwingen, nachdem der Fuß des Propheten sie beim Hinausgehen berührt hatte: Bruchteile von Sekunden.

Vor diesem Hintergrund ist auch die islamische Erfassung der Siebenschläferlegende mit ihrem subjektiven Zeitsprung von 300 Jahren verständlicher.

Es folgt zunächst der koranische Text von Sure 18, Verse 10-28, in der wortgetreuesten Übersetzung, die in Deutschland zu bekommen ist, nämlich in der von Hazrat Mirza Tahir Ahmad autorisierten und nur wenig veränderten deutschen Wiedergabe der englischen Koranübersetzung von Maulana Muhammad Ali, Lahore (gedruckt in Qadian 1954ff), die leider auch nicht völlig fehlerfrei ist.

Sure 18

10. Meinst du wohl, die Gefährten der Höhle und der Inschrift seien ein Wunder unter Unseren Zeichen?
11. Als die Jünglinge in der Höhle Zuflucht nahmen und sprachen: “Unser Herr, gewähre uns Barmherzigkeit von Dir aus und bereite uns einen Weg in unserer Sache.”
12. Also versiegelten Wir ihre Ohren in der Höhle auf eine Anzahl von Jahren.
13. Dann erweckten Wir sie, auf daß Wir erführen, welche von den beiden Scharen die Zeit ihres Verweilens am besten berechnet hatte.
14. Wir wollen dir ihre Geschichte der Wahrheit gemäß berichten: Sie waren Jünglinge, die an ihren Herrn glaubten, und Wir liessen sie zunehmen an Führung.
15. Und Wir stärkten ihre Herzen, als sie aufstanden und sprachen. “Unser Herr ist der Herr der Himmel und der Erde. Nie werden wir einen Gott anrufen außer Ihm: sonst würden wir ja eine Ungeheuerlichkeit aussprechen.
16. Dieses unser Volk hat Götter statt Ihn angenommen. Warum bringen sie dann nicht einen klaren Beweis dafür? Und wer verübt größeren Frevel, als wer eine Lüge gegen Allah erdichtet?
17. Und wenn ihr euch nun von ihnen und dem, was sie statt Allah anbeten, zurückzieht, so suchet Zuflucht in der Höhle; euer Herr wird Seine Barmherzigkeit über euch breiten und euch einen tröstlichen Ausweg aus eurer Lage weisen.”
18. Und du hättest sehen können, wie die Sonne, da sie aufging, sich von ihrer Höhle rechtshin wegneigte, und da sie unterging, sich von ihnen linkshin abwandte; und sie waren in einem Hohlraum inmitten. Das gehört zu den Zeichen Allahs. Wen Allah leitet, der ist rechtgeleitet; doch wen Er irregehen läßt, für den wirst du auf keine Weise einen Helfer (und) Führer finden.
19. Du könntest sie für wach halten, indes sie schlafen; und Wir werden sie auf die rechte Seite und auf die linke sich urndrehen lassen, während ihr Hund seine Vorderpfoten auf der Schwelle ausstreckt. Hättest du sie so erblickt, du würdest dich gewiß vor ihnen zur Flucht gewandt haben und wärest mit Grausen vor ihnen erfüllt gewesen.
20. Und so erweckten Wir sie, damit sie einander befragen möchten. Ein Sprecher unter ihner, sprach: ‘Wie lange habt ihr verweilt?” Sie sprachen: “Wir verweilten einen Tag oder den Teil eines Tages.” (Andere) sprachen: “Euer Herr kennt am besten die (Zeit), die ihr verweilt habt. Nun entsendet einen von euch mit dieser eurer Silbermünze zur Stadt; und er soll sehen, wer von ihren (Bewohnern) die reinste Speise hat, und soll euch davon Vorrat bringen. Er muß aber geschmeidig sein und soll ja keinem über euch Kunde geben.
21. Denn wenn sie von euch erfahren sollten, sie werden euch steinigen oder euch zu ihrem Glauben zurückbringen, und ihr werdet dann nimmermehr glücklich sein.”
22. Und so entdeckten Wir sie (den Menschen), damit sie erkennen möchten, daß Allahs Verheißung wahr ist und daß über die “Stunde” kein Zweifel ist. (Und gedenke der Zeit) als die Leute untereinander stritten über sie und sprachen: “Bauet ein Gebäude über ihnen.” Ihr Herr wußte sie am besten. Jene, deren Ansicht obsiegte, sprachen: “Wir wollen unbedingt ein Bethaus über ihnen errichten.”
23. Manche sagen: “(Sie waren ihrer) drei, ihr vierter war ihr Hund”, und (andere) sagen: ‘(Sie waren) fünf, ihr sechster war ihr Hund”, indem sie herumraten im Dunkel, und (wieder andere) sagen: “(Sie waren) sieben, ihr achter war ihr Hund.” Sprich: “Mein Herr kennt am besten ihre Zahl. Niemand weiß sie, außer einigen wenigen.” So streite nicht über sie, es sei denn durch zwingendes Beweisen, und suche nicht Kunde über sie bei irgendeinem von ihnen.
24. Und sprich nie von einer Sache: “Ich werde es morgen tun.”
25. Es sei denn: “So Allah will”. Und gedenke deines Herrn, wenn du es vergessen hast, und sprich: “Ich hoffe, mein Herr wird mich noch näher als dies zum rechten Wege führen.’
26. Und sie blieben dreihundert Jahre lang in ihrer Höhle, noch neun hinzugefügt.
27. Sprich: “Allah weiß am besten, wie lange sie verweilten.” Sein sind die Geheimnisse der Himmel und der Erde. Wie sehend ist Er! und wie hörend! Sie haben keinen Helfer außer Ihm, und Er teilt Seine Befehlsgewalt mit keinem.
28. Und verlies, was dir von dem Buche deines Herrn offenbart ward. Da ist keiner, der Seine Worte verändern könnte, und du wirst außer Ihm keine Zuflucht finden.

Die ersten neun Verse der Sure dienen der Bekräftigung des nachfolgenden Textes und wenden sich gegen die Christen (Vers 5 sagt dies explizit). Erst mit Vers 10 beginnt die Legende, darum wurde das darin genannte Wort “Höhle” als Überschrift für die Sure gewählt (möglicherweise setzt hier ein älteres koranisches Kernstück ein):
10) “Meinst du etwa, die Gefährten der Höhle und ar-Raqim gehören zu Unseren wunderbaren Zeichen?” (Auf das Schlüsselwort ar-Raqim, bei M. Ali mit “Inschrift” übersetzt, komme ich zurück.)
Vers 12 bringt das inhaltliche Problem: “… eine Anzahl von Jahren”, nämlich die Frage: Wie lange schliefen die Jünglinge? Nur zu diesem Zweck, sagt Vers 13, wurden die Jünglinge durch Gott wieder erweckt: um festzustellen, welche der beiden Parteien (unter den Christen von Ephesos oder Mekka) den übersprungenen Zeitraum besser berechnet habe.
Die Verse 14-22 bringen die bruchstückhafte Wiedergabe des Geschehnisses, wobei einige in der christlichen Version fehlende Merkmale auffallen. In Vers 17 spricht ein “Wächter”, d.h. ein Engel, zu den Jünglingen, denn entgegen der durch die traditionelle Interpunktion suggerierten Anschauung endet die Rede der Jünglinge schon mit Vers 16, wie aus dem Inhalt der Rede klar ersichtlich ist.
Vers 18 bringt ein weiteres “Zeichen Gottes”, nämlich den ungewöhnlichen Sonnenlauf. Der Höhleneingang müßte der Beschreibung nach, von außen gesehen, südwärts gerichtet gewesen sein; schaut man aus der Höhle hinaus, läge er nach Norden. Die Überlieferung sagt allerdings eindeutig, daß die Höhle nach Osten offen war, und nur so erklärt es sich, daß der Sonnenlauf, wie er im Koran beschrieben ist, als “Zeichen Gottes’, d.h. als Wunder verstanden wird. Eine Veränderung der räumlichen Beziehung Erde-Sonne, wie sie durch die Katastrophen (und vor allem durch die erwartete letzte) bewirkt werden soll, wird hier zum Verständnis vorausgesetzt. In der Volksfrömmigkeit spielt dieser Vers darum eine große Rolle, aber wie dieses Wunder aufzufassen wäre, geht aus dem Text nicht hervor; häufig denkt man an eine Umkehrung des Sonnenlaufs. (2)
Vers 19 bringt die seltsame Geste des nach rechts und links Umwendens der Siebenschläfer durch einen Engel, was mit dem veränderten Sonnenlauf in Zusammenhang gebracht wird. (Hierauf bezieht sich die Anekdote Edwards von England, die ja als Hinweis auf “große Veränderungen in der Zeit” aufgefaßt wurde.) Ferner heißt es, daß die Schläfer wie wach aussahen (mit offenen Augen), was einen zufälligen Betrachter mit Grausen erfüllt hätte (ein sehr archaischer Zug) und drittens wird, völlig unmotiviert, der Hund bis ins Detail der Körperhaltung beschrieben, als ginge es um eine bildliche Darstellung, etwa eine Skulptur. Dieser Hund hat in der islamischen Exegese groteske Züge angenommen: So erhielt er einen Eigennamen, Qitmir, gilt bis heute als Siegelschützer und als eines der ganz wenigen Tiere, die ins Paradies eingehen werden.

Der “Sprecher” in Vers 20 und die (anderen) “Sprecher” (Verse 20/ 21) sind wieder Engel. Aus ihrer Rede geht hervor, daß – im Gegensatz zur Darstellung in der christlichen Legende – die Zeit des Glaubens nach diesem langen Schlafintervall noch immer nicht angebrochen ist, sondern weiterhin Ungläubige an der Herrschaft sind. Vers 22 erinnert noch einmal an das Hauptthema: Das Geschehnis soll als Hinweis auf die “Stunde” der Auferstehung verstanden werden. Der Streit der ‘Parteien” kann sich darum auch auf den Zeitpunkt der zu erwartenden Katastrophe beziehen, nicht nur auf die Anzahl der Jahre, die im Schlaf verstrichen sind, wie aus dem gesamten Kontext zu erschließen wäre. (In Vers 23 wird der Streit auf die Anzahl der Schläfer bezogen, das muß aber als Textverderbnis abgetan werden.) In Vers 26 wird endlich die genaue Anzahl der Jahre verkündet: “300 Jahre, sie fügten noch neun (Jahre) hinzu”. Wer die 9 Jahre hinzufügte, bleibt ungesagt. Wie schon einer der ersten Koranübersetzer, Sale, in seiner englischen Ausgabe (London 1764) anmerkte, entsprechen 300 Sonnenjahre 309 Jahren des Mondkalenders, der später im Islam den lunisolaren Kalender ersetzte. Es scheint allerdings, daß Vers 26 eine sehr späte Einfügung ist, denn im folgenden Vers 27 ist impliziert, daß die Anzahl der Jahre unbekannt ist und bleiben wird.

Mit Vers 27 und 28, die noch einmal den Wahrheitsgehalt bekräftigen sollen, wird zu den weiteren fünf Versen übergeleitet, die wie die ersten neun Verse den erbaulichen Rahmen der Mitteilung bilden: Verkündung des nahen Endes der Zeit.

Die islamischen Kommentare

Zu diesen Koranversen, die als mekkanische Offenbarung (also vor 622 A.D.) angesehen werden, gehört folgende Entstehungsgeschichte: Mohammed disputiert mit Christen seiner Heimatstadt Mekka die Legende der Siebenschläfer (Vers 7) und verspricht, die strittige Zahl (des Zeitintervalls) am nächsten Morgen mitzuteilen, weil er hofft, in der Nacht eine entsprechende Offenbarung durch den Engel Gabriel zu erhalten. Offensichtlich mißlingt dies (Vers 24), weshalb der seitdem jedem Moslem zur Pflicht gemachte Satz ‘Inscha-Allah’ (“so Gott will”) offenbart wird (Vers 25). Anschließend erfolgt dann doch die Offenbarung der 300 Jahre (Vers 26), ein Geheimnis Gottes, das hier erstmals verkündet wird.

Zwar paßt diese anekdotenhafte Beschreibung des Offenbarungsvorganges ins gängige Mohammed-Bild gläubiger Moslems, doch scheint mir, daß sie den Prägestempel des 4. islamischen Jhs. (10. Jh. n. Chr.) trägt, und daß auch der so wichtige Vers 26 erst so spät eingefügt wurde. Zieht man die zahlreichen Tafsire, also die Korankommentare von Tabari (t 923), Mas’udi (gest. 956), Al Biruni, Kazwiri, Makrizi, Ihn al Athir, Idrissi, Ihn Hordadhbeh, Al Muqadassi und Zamachschari (1074-1143) zu Rate, so ergibt sich ebenfalls, daß die Exegese kaum vor dem 10. christl. Jh. begonnen haben wird, dann aber sehr in die Breite gegangen ist. Es handelt sich ja bei diesem Textabschnitt um das einzige Ereignis von religiöser Tragweite in der Zeit zwischen Jesus und Mohammed, das im Koran einen Niederschlag fand. In der ältesten Fassung des frühesten Kommentators, Tabari, sind die Jünglinge noch vorchristliche Monotheisten, (3) auf die Jesus in seinen Reden Bezug genommen habe, womit die eben erwähnte Ausnahme beseitigt ist. Bei Mas’udi gibt es drei verschiedene Textgestalten, woraus der Eindruck entsteht, daß die Interpretation der Koransure 18 oder sogar ihre Gestaltung gerade erst eingesetzt hat. Jedenfalls sind keine islamischen Texte zum Siebenschläfermythos bekannt, die vor das 10. Jh. datiert werden könnten. Es gibt allerdings einen anderen Koranvers (2, 260), der einige fast gleichlautende Ausdrücke zum selben Thema der Auferstehung bringt, bezogen auf Hesekiel 37. Hier beträgt der Zeitsprung nur 100 Jahre.

Im Korantext geht es vordergründig hauptsächlich um die Offenbarung des Zeitintervalls von 300 Jahren, und diese Zahl muß als exakt (nicht als runde Summe) aufgefaßt werden, denn sie ist ja expressis verbis an Mohammed erfolgt und sogar auf die Mondkalenderjahre umgerechnet, was bei einer “runden Zahl” nicht nötig wäre. In Vers 10, der wie eine Überschrift anzusehen ist, wird daher auch das Wort ar-Raqim genannt. Einige Tafsire beziehen den Begriff als Eigennamen auf den Hund (der aber sonst immer Qitmir heißt), andere auf den Namen des Berges oder der Höhle, die zuweilen nach Syrien oder Arabien verlegt wird; sinnvoller ist jedoch die auch von M. Ali gewählte Übersetzung ‘Inschrift” oder “Tafel”, womit an die christliche Ausschmückung der Legende angeknüpft wird, derzufolge am Eingang der Höhle eine oder zwei Tafeln mit Nennung der Jahreszahl gefunden worden seien. Man kommt jedoch auch ohne diesen Rückgriff aus, wenn man ar-Raqim auf r-q-m = ‘rechnen, zählen, berechnen” zurückleitet und als “Berechnung” auffaßt.

Bemerkenswert finde ich auch, daß die islamische Tradition zwar den Namen des ersten Kaisers mit Dakyus (= Decius) getreu bewahrt hat, den des zweiten, Theodosios II., jedoch verschweigt, wohl wissend, daß er nicht 300, sondern nur knapp 200 Jahre später gelebt hat. Das könnte bedeuten, daß den islamischen Kommentatoren die christliche Legendenbildung und die damit verbundene Problematik bekannt gewesen ist.

Insgesamt entsteht der Eindruck, daß die Formung der christlichen und islamischen Legende etwa zeitgleich ab dem 10. Jh. erfolgte und sich möglicherweise gegenseitig beeinflußte. Es ist aber hervorzuheben, daß in der Koranfassung mindestens vier archaische Züge erhalten sind, die in der christlichen Version nicht vorkommen:
1. der Zusammenhang mit dem als endgültige Katastrophe erwarteten “Ende der Zeit”;
2. die ungewöhnlich verlaufende Sonnenbahn, die möglicherweise Reminiszenz einer früheren Katastrophe ist;
3. das unerklärte Umwenden der schlafenden Jünglinge;
4. die unpassende Erwähnung des Hundes, der nach islamischer Auffassung ein unreines Tier ist.

Schließlich fällt auf, daß die in den christlichen Texten so verschieden angegebene Zahl für das Zeitintervall im Koran mit exakt 300 Jahren als Entscheidung des Streites angeboten wird.

Der heidnische Hintergrund der Legende

Die Sagen und quasi-mythischen Berichte von Helden, die einen größeren Zeitraum verschlafen haben, also in einer ‘anderen Zeit’ wieder erwachten, sind so häufig in der christlichen wie in der islamischen Überlieferung der mittelmeerischen und europäischen Völker enthalten, daß sie einen eigenen Topos bilden und hier summarisch einbezogen werden können. Exemplarisch erwähnt sei der schon Hesiod bekannte Endymion, der mit offenen Augen in einer Höhle schlief und als Genius des tiefen Schlafes oder Todes galt. Er wurde in mehreren verschiedenen Gestalten, auch als Geliebter der Mondgöttin Selene, verehrt; sein Kult war besonders in Elis und in Latmos (Kleinasien) beliebt. Nach Lewy bedeutet sein Name ‘Nicht-Vernichtung”, deutet also schon direkt auf das zentrale Thema der christlichen und islamischen Überlieferung hin [Lewy lt. Huber 383].
Nach Diogenes Laertios schlief der Grieche Epimenides auf Kreta 57 Jahre, lebte nach seinem Erwachen noch hundert Jahre oder länger, usw. Die Beispiele sind so zahlreich, daß auf eine weite Verbreitung —vor allem auch an den Küsten Nordwesteuropas— in der Bronzezeit zu schließen ist. Meist sind die Schlafintervalle ‘heilige’ Zahlen, also 7, 7 x 7 oder 40 Jahre.

Unser bekanntestes Beispiel ist Kaiser Friedrich, der im Kyffhäuser schläft, wobei die Raben schon deutlich genug den Zusammenhang mit Odin und ‘megalithischen’ Glaubensinhalten anzeigen.
John Koch bringt die Siebenschläfer mit den sieben Kabiren und der bei ihnen gepflegten medizinischen Therapieform der Inkubation (Heilschlaf) in Verbindung. Er weist auch darauf hin, daß Äskulap, der die Kabirentradition fortsetzte, einen Hund als Begleiter hat (z.B. auf dem Bildnis in Epidauros), und daß in der Kabirengrotte auf Samothrake Hundeopfer dargebracht wurden. Die bleiernen Täfelchen der Legende deutet er als die Votivtafeln der Inkubationsheiligtümer. Der im Koran so überraschende Hund könnte also hier seine Erklärung finden.

Der Zusammenhang mit dem Hund hat sich bei uns bis heute erhalten, denn wir gedenken der Siebenschläfer ja gerade am 27. Juni, also in den “Hundstagen”, d.h. dann, wenn nach alter Tradition das Sternbild Hund (Sirius) über den Horizont steigt. Die Siebenschläfer werden dabei für das Wetter der kommenden sieben Wochen verantwortlich gemacht: “Wenn es an Siebenschläfer regnet, dann regnet es sieben Wochen lang”, ist eine der bekanntesten Wetterregeln in Mitteleuropa. in Spanien verehrt man an diesem Tage die “Virgen del perpetuo socorro” (Jungfrau der beständigen Hilfe), denn ihre Fürsprache zur Erlangung von Regen ist äußerst wichtig und an diesem Tage günstig. Damit ist nicht nur ein direkter kalendarischer Zusammenhang zwischen den Siebenschläfern und dem Hundstag aufgezeigt, sondern eine konkrete Situation: die Hoffnung auf Regen. Im Altertum wurden darum die Hyaden (auch die Plejaden, jedenfalls “Siebengestirne”) mit den schlafenden Helden verbunden, d.h. die regenverkündenden Sternbilder wurden als Verkörperungen der schlafenden Jiinglinge aufgefaßt (weitere zwingende Beispiele für diesen Komplex bei Koch und Massignon).

Die für Bauern und Seefahrer gleichermaßen wichtige Beobachtung, daß der Beginn von Regen und Winden durch den Aufgang der Hyaden angezeigt wird —dies ist aus der Antike im gesamten Mittelmeerraum und auch in Mittelamerika überliefert— dürfte einen realistischen Hintergrund haben, der aber erst in der nördlicheren Tradition, also bei uns, durch seine Abhängigkeit —”wenn, dann…”— den wahren Grund erkennen läßt: Der kalenderisch bestimmbare Durchgang der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne durch einen mehr oder weniger breiten Meteorstaubgürtel löst je nach der Intensität des Durchgangs eine entsprechende Wetterperiode aus.

Der Zusammenhang zwischen Wetter und Meteorgürteln (daher der Begriff “Meteorologie”) sollte m.E. stärker in die Interpretation von Kalendermythen einbezogen werden. Ich denke, daß nach einem Polsprung und einer Bahnänderung der Erde ein neuer Kalendermythos gebildet werden mußte, und daß darum die Siebenschläfermythe in so auffälligem Zusammenhang mit der religiös erwarteten kosmischen Katastrophe aufgefaßt wird, was im Koran durch die knappen Bilder vom Jüngsten Gericht, dem “Umwenden’ der Schläfer und der Verschiebung des Sonnenlaufs ausgedrückt wird.

Wie schon Baronius im 16. Jh. überzeugend vorbrachte, ist die Einbettung der Siebenschläferlegende in die christliche theologische Diskussion um Auferstehung und Wiedergeburt unsinnig. Sie dürfte also irgendwann später, vielleicht im 11. Jh. geformt worden sein. Die Bilder der Legende gehören eher zum Kalenderverständnis und zur Katastrophenfurcht, wie die islamische Version und die Übernahme dieser Punkte in die europäische Tradition erkennen lassen.

Im Korantext bricht die Legende unvermittelt ab mit der Besprechung der beiden Parteien, die einen Kirchenbau (masgid = Moschee) vor der Grotte planen. Man dachte sie weiterhin schlafend, wie ja auch die an König Edward geknüpfte Anekdote vom “Umwenden der Siebenschläfer” erkennen läßt. Entsprechend schläft auch Kaiser Barbarossa im Kyffhäuser und wacht nur von Zeit zu Zeit auf. In ihrer Funktion als Helfer oder Fürsprecher und Kalenderheroen —hier Regenspender— können sie nur wirksam werden, wenn sie noch nicht zu Staub zerfallen sind. Dieser letzte Zug, der das Geschehnis aus dem mystischen in den geschichtlichen Bereich verlagert, dürfte erst durch die Arbeit der Bollandisten konkretisiert worden sein.

Mithin erscheint die Angabe des verschlafenen Zeitintervalls (besonders im Koran) wie eine nicht dazugehörige, aus einer anderen Konzeption eingebrachte Information. Ich denke, daß die Bilder “Wiederbelebung durch Regen” und “Neugestaltung kosmischer Gesetze (und des Kalenders)”, also der archaische Grundstock der Legende, etwa um das Jahr 1000 A.D. mit einem gerade historiographisch festgelegten Zeitsprung von 300 Jahren zu einer Märtyrerlegende verbunden worden sind.

Damit wird der Beweggrund durchsichtig: Die Bekehrung der Mittel- und Nordeuropäer zum Christentum im Jahre 1000 A.D. (schon das glatte Datum läßt aufmerken) erfolgte angeblich so einmütig —von Island über Mähren bis Ungarn (s. Illig 1991)—, daß es einen nüchternen Geschichtsforscher wundernimmt. Eher möchte ich den Zeitrahmen mehrerer Generationen und drastische Auseinandersetzungen für einen derartig schwerwiegenden Vorgang annehmen. Die Illusion eines friedlich bekehrten Europas ist vermutlich in den darauffolgenden Jahrhunderten schriftlich erzeugt worden, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Eine Hilfe bei diesem Gehirnwäsche-Prozeß war vermutlich auch, daß mit der Christianisierung erstmals eine klare Beschreibung geschichtlicher Vorgänge auf dem Zeitstrahl eingeführt wurde. Die Festlegung des Jahres 1000 A.D. “nach der Einkörperung unseres Herrn und Erlösers” ließ den Sprung von der heidnischen zur christlichen Zeit über mehrere Jahrhunderte gestreckt erscheinen und damit als seit langem abgeschlossene Tatsache akzeptabel werden. Die verschiedenen Jahresangaben für das eingeschobene Zeitintervall könnten mit den nicht korrelierten Zeittafeln unterschiedlicher Herkunft zusammenhängen:

372 Jahre für die Berechnung “seit Erschaffung der Welt’,
300 Jahre für die Hegira-Zählung,
296 Jahre für die auf der iberischen Halbinsel bis ins 15. Jh. gebräuchliche ERA-Zeitrechnung.
Ein Wunder wie das der Siebenschläfer muß als geeignet erachtet worden sein, da hier die mit Katastrophen plausibel gemachten Zeitsprünge als göttliche Zeit-Manipulation die Rezeption erleichterten.

Wenn meines Erachtens die hier an Koch und Huber orientierte Besprechung der Siebenschläferlegende noch viele Punkte offen und sogar neue Probleme ahnen läßt, glaube ich doch gezeigt zu haben, wie unsere gängigen Geschichtsschemata auf Fiktionen beruhen, die —ohne eine Verschwörung annehmen zu müssen— zu einem relativ gut erkennbaren Zeitpunkt und mit ‘ökumenischer’ Breite geschaffen wurden.

Anmerkungen:
1 So Huber, der die allgemeine Überlieferung wiedergibt, die jedoch schwer zu bestätigen ist und vielleicht ebenfalls zur Legende gehört.
2 So in einigen Berbermärchen, s. U. Topper (1993): Cuentos Populares de los Bereberes; Madrid
3 Nach Huber [1910]. In der Ausgabe von de Goeje, I, 775f. (=Tafsir Tabari XV 123f) sind die Jünglinge schon Christen.

Literatur

Bächtold-Stäubli (Hg. 1935-36): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens; Berlin – Leipzig
Huber, Michael 0.S.B. (1902-1908): “Beiträge zur Siebenschläferlegende des Mittelalters”; in Jahrbuch des Gymnasiums Metten Bd. I (1902/3), Bd. II (1 904/5) und Bd. III (1 907/8)
(1910):Die Wanderlegende von den Siebenschläfern; Leipzig (hierauf beziehen sich die Seitenangaben zu Huber)
Illig, Heribert (1991): “Väter einer neuen Zeitrechnung”; in VFG (3-4) 69
(1 992): “Wann lebte Mohammed? “; in VFG IV (2) 26
(1993): “Langobardische Notizen l”; in VFG V (2) 41
Koch, John (1883): Die Siebenschläferlegende und ihre Verbreitung; Leipzig
Lüling, Günter (1974): Über den Ur-Qur’an; Erlangen
Massignon, Louis (1955-63): [7 Aufsätze]; in Revue des Etudes islamiques

Von Uwe Topper, derzeit Berlin, sind u.a. folgende Titel erhältlich: Sufis und Heilige im Maghreb sowie Märchen der Berber, beide im Eugen Diederichs Verlag München, vergriffen ist Das Erbe der Giganten.

Foto Ilya U. Topper

Gedruckt in Vorzeit-Frühzeit-Gegenwart 1/94 (Hrg. Heribert Illig, Gräfelfing bei München)

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