Islam und Geschichte Israels
I. – Das neue Paradigma für die Enstehung des Islam
(Die Fußnoten sind erst teilweise verlinkt; dies wird nachgeholt)
Prophetische Rückwendung zum Höhenkult, aber Vertagung und Verschleierung dieser Rückwendung im nachprophetischen Islam? 1Die hier unter I. gemachten Ausführungen sind eine Darstellung des wesentlichsten Ergebnisses meiner koranwissenschaftlichen und historisch-kritischen Abhandlungen “Über den Ur-Qur’an” (Erlangen 1974) und “Die Wiederentdeckung des Propheten Muhammad” (Erlangen 1981). Anmerkungen werden nur zu neu angesprochenen Problemen gegeben.
In den Traditionen der Religionen Judentum, Christentum und Islam klafft jeweils in der Zeit der Ausbildung ihrer Kanons heiliger Schriften eine Überlieferungslücke von 200 bis 250 Jahren. Hinter dieser Überlieferungslücke haben seit eh und je kritische Geister zu Recht sehr grundsätzliche Deformationen der ursprünglichen Intentionen und Glaubensgrundlagen der jeweiligen Religionsgemeinschaften und des jeweiligen Religionsstifters vermutet. Doch gelang es bislang nicht, das inhaltlich Wesentliche, den dogmatischen Kern dieser Deformationsepochen einleuchtend zu ergründen. Und so war auch die Überlieferungslücke in der Tradition über die Entstehung des Islam bislang ein ungelöstes Rätsel.
Doch sind viele historische Fakten der Vor- und Frühgeschichte des Islam seit der Mitte des 19. Jahrhunderts von den verschiedensten islamwissenschaftlichen Forschern je punktuell für sich allein erörtert worden, weil sie dem traditionellen Gesamtbild von der Entstehungsgeschichte des Islam widersprachen. Und es hat auch zahlreiche komplexe Teilbereiche der Geschichte des Vor- und Frühislam gegeben, die als solche Komplexe schwerwiegend gegen das islamisch-dogmatische Bild dieser Entstehungsgeschichte sprachen. Es sei erinnert an die im wesentlichen authentisch überlieferte vorislamisch-arabische Poesie mit ihren reichlichen, eindeutig koranischen Gedanken und Redewendungen lange vor der Offenbarung des Koran, oder an das generelle Problem der vor- und frühislamischen Sprachsituation in Zentralarabien: Carlo de Landberg und Karl Vollers hatten schon im 19. Jahrhundert mit sehr guten Gründen die islamische Lehrmeinung bestritten, es habe allein die klassisch-arabische Hochsprache alle Bereiche des vor- und frühislamischen Lebens beherrscht, und sie haben gefordert, dagegen die überaus weite (ca. 90%), selbstverständliche Herrschaft von volks- oder umgangssprachlichen Dialekten und einer umgangssprachlichen Schriftsprache (Koine) anzuerkennen. Auf dieser Grundlage suchte dann Karl Vollers, einen volkssprachlichen Urkoran nachzuweisen, der erst in nachprophetischer Zeit durch eine redaktionelle Umarbeitung in die Hochsprache des klassischen Arabisch verdrängt worden sei.
Alle diese unzähligen widersprechenden Einzelfakten und Sachkomplexe haben nicht genügt, das seit dem 3. Jahrhundert d. H. sich verfestigende, aber wegen der Überlieferungslücke fragwürdige orthodox-islamische Paradigma der Entstehung des Islam aufzubrechen, um es aufzulösen und durch ein schlüssigeres Paradigma zu ersetzen. Erst die Einführung von Ergebnissen paradigmazerstörender Forschung benachbarter Wissenschaften in die Islamwissenschaft brachte den nötigen tiefen Einbruch in das traditionelle Paradigma für die Entstehung des Islam.
Zum einen sind dies die paradigmazerstörenden Arbeiten der “Leben-Jesu-Forschung” der protestantischen Theologie, deren Kern die Theologen Albert Schweitzer und Martin Werner bilden. In England wurde diese Schule von S. G. F. Brandon bekannt gemacht (s. seine Übersetzung von: Martin Werner, The Formation of Christian Dogma, London 1957).
Zum anderen sind von großer Bedeutung die wissenschaftlichen Arbeiten für ein tieferes Verständnis der vorstaatlichen, nach Familien, Sippen und Stämmen mit Blutrache und Asylwesen (Gastrecht) geordneten Gesellschaften. Diese für das Verständnis des Vor- und Frühislam wichtigen Erkenntnisse wurden in zwei verschiedenen Bereichen der wissenschaftlichen Forschung erarbeitet: einerseits in der Wissenschaft vom Alten Testament (W. F. Albright, Otto Eißfeldt u.a.) und zum anderen in der jüngsten Sozialanthropologie und Ethnologie (Claude Levi-Strauss, Arnold Gehlen, A. E. Jensen u.a.).
Für den Durchbruch durch die Oberfläche der Geschichtsdogmen des orthodox-islamischen Paradigmas des Islam spielen sicher die sprach- und literaturwissenschaftlichen Ergebnisse der Koranforschung eine zentrale Rolle. Aber die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts unternommenen Versuche (D. H. Müller, Rudolf Geyer, Karl Vollers), die Redaktionsgeschichte des Koran über die Rekonstruktion von strophischen Strukturen und koine-arabischen Textformen aufzuklären, konnten schließlich erst dadurch zum Durchbruch gelangen, daß paradigmazerstörende christlich-theologische Argumente zu den sprach- und literaturwissenschaftlichen Argumenten hinzugefügt wurden, so daß sich Argumente zweier grundverschiedener Sachbereiche, nämlich sprachliche und dogmatische, gegenseitig stützen konnten. Ergab z.B. die formale Rekonstruktion eines von der nachprophetischen Koranredaktion verdrängten Reims auch eine inhaltliche Abwandlung des Textes, die zugleich, einen theologiegeschichtlich besseren Sinnzusammenhang hervorbrachte, dann war diese Textrekonstruktion zum ersten Male wirklich gesichert, weil sie nunmehr aus zwei voneinander unabhängigen sachlichen Perspektiven für richtiger als die traditionelle Lesung erwiesen war. Auch der umgekehrte Weg zum Ziel ergab sich nun: wenn eine theologiegeschichtlich fragwürdige Aussage aufgrund neuer dogmengeschichtlicher Erkenntnisse korrigiert werden konnte, war diese dogmatische Korrektur eindeutig bestätigt, wenn sie zugleich zufällig auch eine formal besser passende Textform, im Idealfall gar einen Reim eines unkenntlich gewordenen strophischen Urtextes zum Vorschein brachte.
Diese also nun doppelte Argumentation für die Verifizierung der Existenz von Strophenliedern und Volkssprache im Koran wird schließlich noch bestärkt durch zahlreiche, von der islamischen Koranwissenschaft überlieferte alte Varianten der Koranlesung, die bislang keine tiefere Bedeutung zu haben schienen, die sich aber nunmehr wirklich erstaunlicherweise als ein drittes, unabhängiges Argument eigener Art für die schon um die Jahrhundertwende aufgestellten Thesen erweisen.
Doch haben sich neue sprach- und literaturwissenschaftliche Erkenntnisse aus der endgültigen Bestätigung der koranwissenschaftlichen Thesen der Jahrhundertwende nicht ergeben. Das einzige Neue ist, daß das, was wir als frühislamische und mittelalterliche arabische Strophendichtung und Volkssprache schon kannten, nun klar bestätigt schon im Koran vorhanden ist, und zwar zweifelsfrei als ein christlich-arabisches literarisches Erzeugnis der vorislamischen Zeit, spätestens des 6. Jahrhunderts n.Chr. Mit diesem Ergebnis sind alle bisherigen Überlegungen über Abhängigkeit oder Originalität des Propheten ebenso wie alle bisherigen Aufstellungen über die Chronologie der Entstehung der einzelnen Suren des Koran auf eine völlig neue Grundlage gestellt.
Aber viel wichtiger noch als diese nun notwendig gewordene chronologische Neuordnung des Bildes von der Entstehungs- und Redaktionsgeschichte des Koran aufgrund der bestätigten revolutionären Thesen der Jahrhundertwende sind die neuen theologisch-dogmatischen Aspekte, die sich aus dem Durchbruch durch die Front des nachprophetischen orthodox-islamischen Paradigmas ergeben. Keineswegs nebensächlich-unbedeutend, aber für Islamwissenschaftler vielleicht uninteressant, ist die Tatsache, daß die positiven koranwissenschaftlichen Ergebnisse, die die Einführung der schweitzer- und wernerschen Dogmenkritik in die Koranforschung erbracht hat, diese längst jenseits der kleinlichen Konfessionstheologien stehende (und daher an den Universitäten nicht die kleinste Basis besitzende!) Kritik der christlichen Dogmen beträchtlich aufwerten werden.
Aber auch dieses Thema, die neuen spezifisch dogmenkritischen und theologiegescbichtlichen Aspekte der Frühgeschichte des Christentums und des Islam, soll uns hier nicht weiter beschäftigen, da es von untergeordneter Bedeutung ist, obgleich diese Aspekte an und für sich sehr interessant sind. Um nur ein interessantes Beispiel herauszugreifen, möchte ich auf die offenbar gewordene Tatsache hinweisen, daß der Prophet Muhammad sich als Archangelos, als “Engel des Hohen Rats (Gottes)” verstand (LXX Jes. 9,5f : “angelos täs megaläs bouläs”) und als solcher stillschweigend auch von seinen Anhängern verstanden sein wollte. Diese Zurückhaltung des Propheten in seiner Selbstbezeichnung als Erzengel ist dogmatisch-systematisch bedingt und entspricht genau dem “Messiasgeheimnis Jesu” 2s. dazu Albert Schweitzer, Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis. Eine Skizze des Lebens Jesu, 3.Aufl. Tübingen 1956 (1.Aufl. 1901). , nämlich daß Jesus von Nazareth sich zwar als Messias verstand und von seinen Anhängern verstanden sein wollte, es aber ablehnte und untersagte, noch zu seinen Lebzeiten expressis verbis und öffentlich als Messias verkündigt zu werden. Diese so offenbare Erzengelqualität des Propheten Muhammad in seinem eigenen Selbstverständnis hat die logische Konsequenz, daß der Prophet keinesfalls auf den Erzengel Gabriel als Offenbarungsmittler angewiesen gewesen sein konnte, wie das die nachprophetisch-islamische Tradition behauptet. Zu diesem logischen Schluß passt nicht nur das allenthalben legendäre Vorkommen Gabriels in der islamischen Prophetenbiographie, sondern auch das so offenbar akzidenzielle additive Vorkommen des Erzengels Gabriel im Koran (2,97f; 66,4). So ist die ursemitisch-urchristliche Engelprophetologie des Propheten Muhammad ein sehr starkes Argument dafür, daß diese Gabriel-Erwähnungen des Korantextes einem nachprophetischen Koranschreiber zuzuschreiben sind.
Für die Auflösung der verkrusteten Paradigmen und den Aufbau eines neuen Paradigmas viel interessanter und aufschlussreicher als der Nachweis vorislamisch-christlicher Texte unter der von Redaktorenhand geglätteten Oberfläche des kanonisch gewordenen Korantextes sind die aus der Opposition von vorislamisch-christlichen und urislamischen Korantexten sichtbar gewordenen urislamischen Positionen, die sich mit den Dogmen von Christentum und Judentum nicht in Einklang bringen lassen, also die Punkte, in denen der Vor- und Frühislam gegenüber Judentum und Christentum eine klare und zielsichere oppositionelle Haltung zeigt. Das traditionelle Paradigma des Islam, das ihn als eine Evolution von paganen Heidentum zum “staatstragenden” Monotheismus sieht, war immer schon höchst fragwürdig, indem es nicht erklären konnte, wie ein Muhammad, der angeblich sehr spät erste und dann langsam wachsende vage Kunde von den Glaubensvorstellungen der traditionsreichen Religion Judentum und Christientum bekam, alsbald so entschieden gegen diese mächtigen Traditionen Stellung nehmen konnte!
Die zentrale Erkenntnis aus dem inhaltlichen Widerspruch zwischen den rekonstruierten vorislamisch-christlichen Strophenliedern des Koran und den zu diesen christlichen Texten später hinzugefügten genuin islamischen Texten des Koran ist die, daß die Bewegung des Propheten Muhammad nicht, wie das traditionelle Paradigma vorgibt, eine Bewegung vom paganen Heidentum Zentralarabiens zu den (vorgeblich in Mekka nur vage bekannten) monotheistischen Religionen Judentum und (hellenistisches) Christentum gewesen ist, sondern umgekehrt eine Bewegung weg von diesen beiden Religionen und zurück zu den religiösen und moralischen Prinzipien des zentralarabischen paganen Heidentums, in Sonderheit ein Zurück zum Höhenkult, zum Kult der gannat al-gibali kama hiya, wie es in einem Gedicht des Waraqa b’ Naufal voll ablehnenden Schauderns heißt! Diese Rückwendung bedeutet eine Rückwendung zu dem, was in der Tradition des Judentums wie auch in der Tradition des nachjesuanischen Christentums als das non plus ultra allen abgöttischen Wesens betrachtet wird.
Diese prophetische Rückwendung zur Lebensordnung des zentralarabischen paganen Stämmewesens (in zeitbedingter Modifikation, die hier außer acht bleiben kann) ist auch erkennbar aus dem, was R.B. Serjeant schon 1962 in seinem Aufsatz “Haram and Hawtah, the Sacred Enclave in Arabia” (Mélanges Taha Husain, ed. A. Badawi, Cairo; s. dazu auch Gerd R. Puin, The Yemeni Hijrah Concept of Tribal Protection, in: Land Tenure and Social Transformation in the Middle East, ed. T. Khalidi, Beirut 1984) an völlig anderen als koranexegetischen Umständen aufgezeigt hat, nämlich daß der Prophet sein muslimisches Gemeinwesen nach den religiösen und sozialen Prinzipien des Jahrtausende alten Asylwesens um Heiligtümer konstruierte, die ziemlich klar als den altsemitisch-altisraelitischen Höhenheiligtümern entsprechend zu erkennen sind. Zugleich zeigt Serjeant, daß diese urislamischen religiös-sozialen Verhältnisse ab der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts d.H. beseitigt und aus dem Geschichtsbewusstsein des Islam verdrängt worden sind.
Diese von R. B. Serjeant konstatierte Verdrängung dieser urislamischen pagan-arabischen Orientierung durch die in nachprophetischer Zeit sich ausbildende Orthodoxie des Islam entspricht also der Verschleierung der Rückwendung des Propheten zur Paganität Zentralarabiens im Koran, wie sie aus der entdeckten Koranredaktion wiedererkennbar geworden ist. Auch Tryggve Kronholm ist jüngst zu dem Schluß gekommen:
“We are bound to search in another direction than those of Jewish, Christian, Gnostie, Manichaean, Zoroastrian or whatever impulses, when looking for the milieu in which the natural dependence of Muhammad is rooted, viz. that of the traditional culture of pre-Islamic Arabia, as we know it from the literary remnants of the Jahilya”.3Tryggve. Kronholm, Dependence and Prophetic Originality in the Koran, Orientalia Sueccana 31/32 (1982/83), 64. Sehr ähnlich E. B. Serjeant, a.a.O., 57.
Andererseits macht auch der Koran selbst wiederholt die zentrale Aussage, daß “der Islam die Religion Abrahams und Ismaels” sei. Wenn man die symbolische Bedeutung Ismaels, – gemäß der biblischen Tradition, der der Prophet in diesem Punkte sicher folgte – , als des Stammvaters des zentralarabischen Heidentums gebührend in Rechnung stellt, dann bedeutet diese urislamische zentrale Aussage eben nichts anderes, als was mit den soeben genannten Forschungsergebnissen von R. B. Serjeant und T. Kronholm und den zuvor erörterten Ergebnissen aus der wiederentdeckten Koranredaktion neuerdings immer deutlicher zum Vorschein gekommen ist: daß die Entstehung des Islam die nach den Bedingungen des 7. Jahrhunderts n. Chr. modifizierte entschiedene Rückwendung zu der Religion und Lebensordnung des zentralarabischen Heidentums darstellt, und daß diese Rückwendung alsbald nach dem Tode des Propheten von seinen verantwortlichen Nachfolgern vertagt und verschleiert worden ist.
Auf die Gründe dieser Vertagung können wir hier nicht näher eingehen. Sie liegen offenbar in der machtpolitischen Unterlegenheit des alten dezentral-demokratischen Stämmewesens gegenüber der zentralistisch geordneten Macht des (jüdisch-christlichen) religiös-doktrinären Großstaatswesens mit Weltherrschaftsanspruch. Die nachprophetische Verschleierung der Tatsache, daß die im Vor- und Frühislam emphatisch bekämpften Hauptfeinde des Islam die hellenistischen Christen waren, die man wegen ihrer Trinitätslehre und ihrer Bilderverehrung polemisch als Polytheisten und Götzendiener klassifizierte (musrikuna wa ‘abadat al-autan), diese Verschleierung hatte ihren Grund in der zweifellos notwendigen Vermeidung einer dogmen- und theologiegeschichtlichen Auseinandersetzung des jungen ungefestigten Islam mit der traditionsreichen jüdischen und christlichen theologischen Wissenschaft. Denn das zentralarabische ismaelitische Arabertum hätte eine überwältigende Fülle fragwürdiger Schriftbeweise und noch fragwürdigerer historischer Dokumente gegen sich gehabt, ohne in jener Frühzeit auch nur im entferntesten etwas Entsprechendes gegensetzen zu können. Man hätte am grünen Tisch verloren, was man auf dem Schlachtfeld gewonnen hatte.
Auch diese Tatsache, daß in der Zeit der politischen und theologisch-dogmatischen Konsolidierung des jungen Islam die verantwortlichen Muslime gegenüber einer theologisch-dogmatischen Auseinandersetzung mit den Vertretern des Judentums und insbesondere des Christentums große Furcht und daher eine Verweigerungshaltung zeigten, ist ein schon in der Islamwissenschaft der Jahrhundertwende hervorgehobenes 4s. C. H. Becker, Christliche Polemik und islamische Dogmenbildung, in: Islamstudien, 1.Bd., Leipzig 1924, 433, 435, 442-445. Thema, das aber im Rahmen des damals noch unerschüttert herrschenden traditionellen Paradigmas des Islam noch keine angemessene sinnvolle Bedeutung finden konnte. Als das Motiv bestimmter dogmatischer Tendenzen der nachprophetischen Koranredaktion ist diese Furcht vor der Auseinandersetzung mit der biblischen Theologie der Juden und Christen heute von großer Bedeutung. Denn offenbar ist eine wichtige Absicht der Beseitiger und Verschleierer der prophetischen Rückwendung zum zentralarabischen Heidentum die, mit einer Appeasement-Politik und -Theologie den ursprünglich radikalen Gegensatz des Propheten zu Judentum und Christentum in ein “erträgliches Miteinander Auskommen” abzuschwächen. Das erreichte man mit der Einführung einer neuen, die ursprüngliche Tendenz auf den Kopf stellenden Darstellung der Entstehung des Islam: daß der Islam eine Bewegung sei, die sich vom Heidentum abgewendet habe, um einem dem Judentum und Christentum ähnlichen “staatstragenden” Monotheismus anzuhängen.
Das einzige durch die Entdeckung der dogmatischen Inhalte der Koranredaktion neu aufgeworfene, nicht schon seit längerem diskutierte und deshalb im Rahmen des heutigen Forschungsstandes noch kaum verstehbare problematische Sachthema ist die wiederentdeckte Rückwendung des Propheten zu dem im Judentum und Christentum verhassten Höhenkult und also die Frage, wie diese Gegnerschaft eines höhenkultischen Urislam gegen die höhenkultfeindlichen Religionen Judentum und Christentum zu verstehen ist. Denn sicher ist die Erklärung nicht mehr glaubwürdig, die man im christlichen Abendland des 19. Jahrhunderts aus naiver Selbstgerechtigkeit noch zu geben gewohnt war: daß der Prophet Muhammad mit der Rückwendung zum Höhenkult in Satans Dienst getreten sei. Auch konservative Vertreter der abendländischen Islamwissenschaft sind längst bereit anzuerkennen, daß das Wirken des Propheten Muhammad nur aus einem durch und durch wahrhaftigen Bemühen verstanden werden kann.
So ist gewissermaßen die Notwendigkeit der Ehrenrettung des wieder zum Höhenkult zurückgekehrten Propheten Muhammad die treibende Kraft, das Wesen des Höhenkults zu ergründen: Der Prophet muss etwas Positives damit erstrebt haben! – Was?
II. – Das neue Verständnis von “Höhenkult”
Das neue Verständnis von “Höhenkult” im Rahmen des archaischen wissenschaftlichen Weltbildes
Es sollte klar sein, daß wir im gegebenen Rahmen zu diesem Thema keine Beweisführungen antreten können. Die hier folgenden Ausführungen können nur als Thesen mit Kommentaren und beiläufigen Hinweisen auf bisherige Forschungen geschehen.
These 1:
Der Höhenkult ist nicht wesentlich Sexual- und Fruchtbarkeitskult, wie denunzierend in der jüdisch-christlichen Tradition dargestellt, sondern Grabeskult. Denn die Höhe ist prinzipiell, das geht aus ihrem althebräiscben Namen bama hervor, eine als Tierleib verstandene Grabanlage, 5s. die etymologischen Ausführungen von W. F. Albright, The High Place…. a.a.O., 247-253; dazu G. Lüling, Archaische Wörter und Sachen im Wallfahrtswesen am Zionsberg, Dielheimer Blätter z. AT (DBAT) 20 (1984), 52-59. in der die Grabkammer symbolisch als Uterus dieses Tieres verstanden ist. Mit dieser totemistischen Uterus-Symbolik ist ein Wiederauferstehungs- oder Wiedergeburtsglaube angezeigt, dem auch die Sitte der auch im Alten Orient verbreitet gewesenen Hockerbestattung (Bestattung in der Körperhaltung des Embryos) zuzuordnen ist.
Kommentar:
Den ersten Anstoß zu dieser Erkenntnis gab W.F. Albright in seinem Aufsatz “The High Place in Ancient Palestine ll” (Suppl. to VT, Congress Strasbourg 1956, Leiden 1957, 242-258). Eine ähnlich sachliche Stellung zum Höhenkult Altisraels nahm Otto Eißfeldt ein. 6Otto Eissfeldt, Der Gott des Tabor und seine Verbreitung, ARW 31 (1934), 40f. Die Einwände der kirchlich-konservativen Theologie gegen Albrights These sind unbegründet, wie ich in verschiedenen Arbeiten gezeigt habe. 7 G. Lüling, Archaische Wörter und Sachen… a.a.O.(hier A.5), 52ff mit A. 5.
These 2:
Höhenkult ist als Grabeskult in erster Linie Heroenkult. Dieser Heroenkult ist Wiederauferstehungs- und/oder Wiedergeburtsglaube. Als solcher entspricht der höhenkultische Heroenkult dem altsemitisch / altisraelitischen Messiaskult.
Kommentar:
Die wichtigsten Argumente für diese Gleichung “Höhenkult = Messiaskult” ergeben sich hier unter These 3. Hier sei aber flüchtig darauf hingewiesen, daß die dem Wort Messias zugrunde liegende Bedeutung “Salbung” auch im Totenkult / Ahnenkult eine Rolle spielt. Das zeigt z.B. auch das in der katholischen Kirche noch übliche “Sakrament der (vor dem Tode) letzten Ölung”.
These 3:
Da Ahnen- und Heroenkult mit dem Blutrechtsglauben eine Einheit bilden, ist die Höhe das Zentrum des Blutrechtswesens (Blutrache und Asylwesen / Gastrecht). Insofern das Blutrecht die alle Bereiche des archaischen gesellschaftlichen Lebens ununterbrochen durchdringende Kraft ist, ist das Blutrechtswesen / Asylwesen das wichtigste und umfassendste an der Höhe beheimatete Thema.
Kommentar:
Weil das Blutrechtswesen in unüberbrückbarer Opposition zum Recht des Stadtstaates und Großstaates und damit zu den religiösen Weltreichsdoktrinen des Judentums und hellenistischen Christentums steht, ist das Blutrechtswesen in ganz besonderer Weise der Bekämpfung und Denunziation durch “fortschrittliche” Staatsorgane und Staatstheologen ausgesetzt gewesen. Wie sehr diese Denunziation Erfolg hatte, mag durch die schockierende These betont sein, daß die Moral der Bergpredigt (“Höhenpredigt”!), die Feindesliebe des Neuen Testaments (NT), ursprünglich die Moral der Blutrechtsordnung ist, ein Gedanke, der heute infolge der durch Jahrtausende geübten Denunziation der Blutrechtsordnung schlechthin unglaublich scheint. Es steht heute die sich aufdrängende, weil erfolgversprechende Aufgabe an, aus dem System des archaischen systematischen Weltverständnisses (Untersuchung des archaischen Verständnisses von Tod, Leben, Schuld, Schicksal, Strafe, Vergeltung / Wiedergutmachung, Adoption, Asyl etc. etc.) den Nachweis zu führen, daß die Feindesliebe eine, wenn nicht die zentrale Kategorie der Blutrechtsordnung gewesen ist.
Hier genügt es darauf hinzuweisen, daß auch in der biblischen Tradition der zurecht messianisch verstandene “Erlöser” (z.B. Hiob 19,25: “Ich weiß, daß mein Erlöser lebt”) dem eigentlichen hebräischen Wortsinn nach der blutrechtliche “Einlöser” (go’ el) einer blutrechtlichen Schuld ist, in letzter Konsequenz also der Bluträcher im wahrsten Sinn: Leben um Leben. Tatsächlich ist der ntl. Messias “der Hirte, der sein Leben gibt für die Schafe” (Job. 10,12), seiner ideengeschichtlichen Herkunft nach der blutrechtliche Stammesfürst, der der Blutrechtsordnung gemäß sein Leben bedingungslos einzusetzen hat für das Recht der Seinen. Und er ist der schuldlos leidende Knecht seiner Angehörigen, weil er nicht selten auch, selbst schuldlos, die Schuld ihm untergeordneter Stammesmitglieder gegen Stammesfremde mit seinem Leben einlösen muss “wie ein Lamm, daß zur Schlachtbank geführt wird” (Jes.53,7). Ihm steht gegenüber “der Mietling, der kein Hirte ist” (Joh. 10-12), d.h. der gegen Lohn angestellte Richter und Staatsmann der Hochkultur.
Ein weiteres wichtiges Argument für die Herkunft der Messiasidee aus dem Blutracheglauben ist, wie ich andernorts ausführlich nachgewiesen habe, 8G. Lüling, Das Passahlamm und die Altarabische Mutter der Blutrache, die Hyäne, ZRGG 34 (1982), 130-147. das altisraelitische Passahopfer: Passah bedeutet “Hinken”, und dieses Hinken des Opfertiers, das durch Zerschneiden der Beinsehnen hervorgerufen wird, ist die Andeutung des bevorstehenden Zerstückelungstodes, nach welchem die einzelnen Stücke gemäß der Wiederbelebungsszene in Ezechiel 37 wieder zusammengefügt und mit neuem Leben versehen werden. Diesem altisraelitischen Hinkeopfer entspricht genauestens das ta’arqib-Opfer der zentralarabischen Beduinen. Auch bei den Beduinen steht dieses “Hinkeopfer” deutlich im systematischen Zusammenhang mit dem Blutrechtsglauben und der Blutrechtspraxis.
Ein anderer ideengeschichtlicher Zusammenhang macht auf andere Weise deutlich, daß der atl. und ntl. Messias seine ursprüngliche geistige Heimat im Blutrecht des Höhenkultes hat: Die archaische Metallurgie arbeitete mit dem gleichen Zerstückelungsmythus mit Wiedergeburtsidee, der auch die Basis, “das Syndrom”, des Passahopfers ist. 9G. Lüling, Archaische Metallgewinnung und die Idee der Wiedergeburt, ZRGG 37 (1985) 22-37 Und da auch in diesem metallurgischen Bereich die Lähmung durch Sehnenzerschneiden wie beim Passah- und ta’arqib-Opfer die symbolische Andeutung des Zerstückelungstodes gewesen ist, haben sich die alten Schmiede, auf daß ihr Werk gelinge, dem Sühneritus der Selbstlähmung unterzogen. Nur aus diesen Zusammenhängen erklärt sich schlüssig, warum in der zentralarabisch-islamischen Tradition der Messiaskönig David als der mythische Waffenschmied geschildert ist. 10Eine der jüngsten Stellungnahmen zu diesem Thema: Ralph Stehly, David dans la Tradition Islamique à la lumière des Manuscrits de Qumran, R.H.P.R. 1979, 357-367 Dieser altisraelitische Schmied / Messias wird zwar nicht als gelähmt geschildert, wie das die archaischen Schmiede Agni in Indien, Hephaistos in Griechenland und der alt-nordische Wieland waren. Daß aber zum Bild des biblischen Messias auch die mythische Selbstlähmung gehört, zeigt die starke frühchristliche Tradition, daß Jesus Christus auf dem rechten Fuß lahmte, eine Tradition, auf die mit höchster Wahrscheinlichkeit auch die merkwürdige Form des orthodoxen (oder des “russischen”) Kreuzes mit der schräggestellten Fußstütze (suppedaneum) zurückgeht. 11s. dazu R.W. Hynek, Golgotha im Zeugnis des Turiner Grabtuchs, 2.Aufl. Karlsruhe 1950, 44ff; Zur jüdischen Tradition eines lahmen Jesus-Bileam s. R.T. Herford, Christianity in Talmud and Midrash, Neudruck New Jersey 1966, 64-78
Wir haben also verschiedene voneinander unabhängige Gründe dafür, 12Wichtig wäre auch das Argument der höhenkultisch-totemistischen Symbolik der jüdischen Tradition; s. dazu z.B. Joseph Gutmann, Leviathan, Behemoth and Ziz: Jewish Messianic Symbols in Art, HUGA 39 (1968), 219-230 die Feststellung zu treffen, daß dieser atl. und ntl. Messias seinem Ursprung nach den hinkenden höhenkultischen Baalspriestern Isebels, der tyrischen Königstochter und Frau des nordisraelitischen Königs Ahab (8??-852 v.Chr.), näher steht als den alttestamentlich “orthodoxen” Gegnern des Baals- und Höhenkults. Dabei ist zu berücksichtigen, daß dieser nordisraelitische Baalskult der Zeit Ahabs wegen der durch seine Verstaatlichung gegebenen Entfernung vom urtümlichen Blutrecht des Stammes schon erhebliche Deformationen erlitten haben muss. Es ist also davon auszugehen, daß die ntl. Messiasgestalt keine Ableitung vom genannten tyrischen Baalskult ist, sondern einer Tradition angehört, die die urtümliche, an das Stammesleben gebundene Blutrechtsidee vom “Hirten, der sein Leben lässt für die Schafe” verhältnismäßig unversehrt von fortschrittlich-staatsdoktrinären Deformationen bis in die atl. Zeit erhalten hat.
Um am Stichwort “Deformationen” anzuknüpfen: Es gibt noch ein weiteres Argument für die Herkunft des Christus-Messias-Glaubens aus dem Blutrechtsglauben: die Eschatologie der spätjüdischen Sekten, unter die das Christentum zu zählen ist. Diese Eschatologie ist zweifellos, wie schon Friedrich Schwally 1892 nachzuweisen unternahm (was ihn damals – zum Glück für die Koranwissenschaft – seine geplante Laufbahn als atl. Theologe kostete!), aus der Religion des semitischen Heidentums (also aus dem Blutrechtsglauben) abzuleiten. Die Eschatologie dieser Epoche ist, wie ich andernorts ausführlich dargelegt habe, 13G. Lüling, Archaische Wörter und Sachen… a.a.o. (hier A.5), 94-98 der zur historischen Strecke (mit Anfang und Ende) aufgebrochene und damit total deformierte zyklische Jenseitsglaube des Blutrechtsdenkens.
These 4:
Das Blutrechtsdenken ist ein dem modernen systematischen Denken außerordentlich fremdartiges, aber ein ebenso (wenn auch in anderer Weise) systematisches Denken, indem nämlich alle Dinge in einem uns fremd gewordenen Bezugssystem zueinander in eine klare Ordnung gesetzt sind. Ich möchte hier nur ein andeutendes Beispiel für diesen Sachverhalt geben: die Bundeslade des AT, die als archaisches “Kriegspaladium” in den Zusammenhang des “Heiligen Krieges” und damit des Blutrechts gehört. Diese Bundeslade ist schon von Walther Reimpell 1916 und von W. B. Kristensen 1933 als transportables Symbol des “Höhe” erörtert worden, und ich habe jüngst ihre Argumentation für diese zutreffende Deutung um einige weitere Argumente erweitern können. Durch diese weiteren Argumente ist übrigens deutlich geworden, daß das altisraelitische Institut “Bundeslade” zahlreiche klare Entsprechungen in anderen archaischen Kulturen hat. So entspricht z.B. auch der indogermanische Kult- oder Kesselwagen in seinen Funktionen genau der altisraelitischen Bundeslade. 14)
Wie merkwürdig systematisch dieses archaische Denken ist, zeigt sich an dem Umstand, daß ich aus den verschiedensten sprachlichen und archäologischen Zusammenhängen den merkwürdigen Umstand deduzieren konnte, daß dem koordinationssystematischen Sinn der Bundeslade und des “internationalen” Kultwagens der koordinationssystematische Sinn jeden Schwertgriffs entspricht. 15) Erst nach der Publikation dieser Untersuchungen stieß ich zufällig auf die in der schi’itischen Tradition erhaltene Bestätigung dieser merkwürdigen Gleichung “Bundeslade = Schwertgriff”, nämlich auf die Gruppe der Hadithe zum Thema matalu silahi rasuli llah matalu t-tabuti fi bani ‘isra’i1, “das Schwert des Propheten Gottes entspricht der Bundeslade bei den Israeliten”. 16) Diese Hadithe bestätigen nicht nur diese aus sprachlichen, ornamentalen und anderen Zusammenhängen deduzierte interessante Gleichung “Bundeslade / Kultwagen = Schwertgriff,” sondern sie zeigen auch, daß diese systematische Vorstellungswelt des Blutrechtsglaubens im Bereich des zentralarabischen Blutrechtswesens bis hin zum Propheten Muhammad lebendig geblieben war.
These 5:
Die hier unter These 3 und 4 mit beiläufigen Beispielen angedeutete Systematik der archaischen Weltdeutung und Weltbewältigung gehört in das wissenschaftlich-systematische Gesamtweltbild des “Menschen des Neolithikums oder der Urgeschichte”, von dem Claude Lévi-Strauss zu Recht sagt, daß er “der Erbe einer langen wissenschaftlichen Tradition” gewesen ist. 17) In diesem wissenschaftlichen System der Steinzeit ist das Verhaltensmuster (“das Syndrom”) des sterbenden und wiederauferstehenden Heroen (des “in den Tod Gesalbten”, des Blutrechtsfürsten) das Grundrezept oder Grundverhaltensmuster, nach dem alle Dinge der Welt “sich vollziehen”, so wie auch der Mond, Osiris gleich, in 14 Phasen zu Tode zerstückelt, um in 14 Phasen wieder aus 14 Teilen zu vollem Leben zusammengesetzt zu werden. A.E. Jensen nennt deswegen seinen Grundriss das archaischen Weltbildes “Die getötete Gottheit. Weltbild einer frühen Kultur”, wobei er seine Systemuntersuchungen an polynesischem Material vornimmt, jedoch betont, daß dieses gleiche Konzept des Weltverständnisses auch im zirkummediterranen Bereich die Vorgeschichte beherrscht hat. 18)
Das Wichtigste ist jedoch, daß dieses System archaischer Weltdeutung, wie Lévi-Strauss betont, ein wissenschaftliches Koordinatensystem ist, das dem seitgriechischen naturwissenschaftlichen Koordinatensystem des Weltverständnisses parallel zu setzen ist. Der Unterschied dieser beiden wissenschaftlichen Systeme liegt nicht in einem Unterschied der Intelligenz oder der Logik (die lévy-bruhlsche These vom “prälogischen” Denken dürfte endgültig erledigt sein!), sondern im unterschiedlichen Objekt: Das archaische System der Weltdeutung ist gerichtet auf die sichtbaren vordergründigen Erscheinungen aller Objekte und auf das “personale” Subjekt hinter dem Erscheinungsbild dieser Dinge. Die von ihm zu erfassen gesuchte Wirklichkeit ist also um die Dimension des “Jenseits der äußeren materiellen Form” erweitert, um die Dimensionen des “Wesens” und des “Geistes”, die hinter allen Lebewesen wie auch hinter allen sachlichen Dingen stehen.
Diese Art des Weltverständnisses wird daher auch mit dem tatsächlich gut passenden Begriff “sympathetisches Denken” bezeichnet. 19) Es ist tatsächlich ein wesentlicher Charakterzug dieser steinzeitlichen Wissenschaft, daß sie in einer Identifikation (oder: gegenseitigen Interpretation) aller Lebewesen und Dinge der Welt untereinander und des Betrachters mit ihnen besteht. Es ist das Denksystem der Kultur eben des Menschen, der sich der ihn umgebenden Natur als ein Teil von ihr bewusst mitleidend integriert. Es ist das Denksystem einer menschlichen Kultur, deren Hauptcharakterzug die immer gleichbleibende Wiederholung des schon immer sich gleich vollziehenden Lebens des Kosmos und des Lebens im Kosmos ist.
Wir müssen auf weitere Ausführungen verzichten und den Charakter des gegenüberstehenden modernen, seitgriechischen Systems des Denkens noch kürzer skizzieren, indem wir auf seine letzte Konsequenz abheben: daß es das Denksystem einer menschlichen Kultur ist, die die umgebende Natur differenziert und vom Menschen distanziert hat, eine Kultur, die die nicht mehr gleichgeachtete umgebende Natur mit ihrem Jahrmillionenrhythmus nicht mehr als das den Menschen relativierende Maß akzeptiert, sondern die der Natur die kurzsichtigen Maße des Menschen aufzuzwingen unternimmt, ja tatsächlich in der Lage ist, die Natur nach diesen kurzsichtigen Maßen des Menschen grundsätzlich zu verändern, sie aber dadurch grundsätzlich zu schädigen und zu zerstören. In unserer Gegenwart erwacht langsam die Erkenntnis, daß die sehr reale Gefahr droht, daß die geschilderte menschliche Hochschätzung der menschlichen Möglichkeiten, die Natur nach seinem Geschmack zu verändern, zur Zerstörung der menschlichen Kultur überhaupt führt.
These 6:
Die moderne Ethnologie beurteilt Magie als eine Dekadenzerscheinung, und zwar als “gruppenegoistische oder gar egozentrische” Verwertung von Teilerkenntnissen des vorgegebenen (nicht von den Magiern erfundenen) wissenschaftlichen Systems des Weltverständnisses: Magie “benutzt alle von ihr vorgefundenen (nicht erzeugten) Spirits und Wesenheiten als Hebel und verlängerte Arme, um eine ebenso artifizielle wie egozentrische (oder gruppenegozentrische) Stabilisierung der Welt mit der Lenkung des notwendigen Zusammenhangs zu erreichen”. 20) Diese Einsicht haben die Ethnologen an den Problemen der archaischen und antiken Religions- und Geistesgeschichte gewonnen, besonders angesichts des Phänomens der stetigen Zunahme, des Wucherns der Magie im Laufe des Zerfalls des archaischen Koordinatensystems der Weltdeutung.
Diese plausible Beurteilung der Altmagie erlaubt aber, das heutige moderne Wachstum der Industriegesellschaft, das angesichts eines unaufhaltsam scheinenden, akzelerierenden Fortwirkens als Wuchern bezeichnet werden kann, als von “Neumagie” bewirkt zu verstehen. Auch der modernen Wirtschaftswachstumspropaganda liegt eine kurzsichtige “gruppenegoistische” Verwertung von Teilerkenntnissen eines vorgegebenen wissenschaftlichen Weltbildes zugrunde, nur eben eines anderen als des einstigen: des seitgriechischen Weltbildes.
Kommentar:
Es ist angebracht, auf der Grundlage dieser ethnologischen Magiebewertung die Herrschaftssysteme der Geschichte samt den sie stützenden religiösen Hierarchien zu analysieren, denn es spielt, wie Arnold Gehlen sich ausdrückt, “eine bewusste Konservierung der Magie aus den Interessen der Herrschaft heraus” eine eminent wichtige Rolle in der Staaten- und Religionsgeschichte. 21) Andererseits kommt in diesem Zusammenhang die Hierarchie- und Sakramentsfeindlichkeit des frühen Islam als eine urdemokratisch-blutrechtliche Gegenposition positiv zur Geltung.
Wir fassen diese 6 Thesen dahingehend zusammen, daß aufgrund der angedeuteten Zusammenhänge und der Opposition zweier Koordinatensysteme des Weltverständnisses bei unserem Gebrauch des Begriffes “Höhenkult” der Gesamtkomplex des archaischen wissenschaftlichen Systems des Weltverständnisses mitgedacht werden muss, daß also der Begriff “Höhenkult” immer als eine “pars-pro-toto Bezeichnung” verstanden werden muss.
Das mit dieser Amplitude verstandene Stichwort “Höhenkult” hat seine schockierende Wirkung weitgehendst verloren, wenn wir nun, im umrissenen heutigen Horizont des fragwürdig gewordenen abendländisch-wissenschaftlichen Weltverständnisses, wiederholend konstatieren: das wesentlichste Ereignis der Vor- und Frühgeschichte des Islam besteht darin, daß sein Prophet sich vom Judentum und Christentum ab und dem “Höhenkult” wieder zugewandt hat.
III. – Zur israelitischen Vorgeschichte des “höhenkultischen” Islam
Julius Wellhausen beurteilte in seiner Abhandlung über die altarabische Blutrechtsgesellschaft “Ein Gemeinwesen ohne Obrigkeit” (Rede zur Feier des Geburtstags S.M. des Kaisers, Göttingen 1900) dieses Gemeinwesen als auf “sehr primitiver Stufe” stehend und hob hervor, “daß es nicht besonders leistungsfähig” sei. 22) Man wird ihm diese Fehlurteile angesichts des Erkenntnisstandes der Ethnologie seiner Zeit nachsehen müssen und auch zu seinen Gunsten in Rechnung stellen, daß zu seiner Zeit die möglicherweise unaufhaltsamen Konsequenzen immer größerer großstaatlich-hochkultureller Leistungsfähigkeit noch nicht zu erkennen waren. Es ist diese Fragwürdigkeit der abendländischen Leistungsfähigkeit, die es geraten sein lässt, die, was Wachstum materialistischen Wohlstands der Kultur betrifft, sicher “nicht besonders leistungsfähige”, höhenkultische Blutrechtsgesellschaft mit neuen und völlig anderen Augen zu sehen, als Wellhausen und seine Zeitgenossen sie sahen. Wellhausens zeitbedingte Parteinahme für die staatliche Hochkultur gegen das “Gemeinwesen ohne Obrigkeit” ist letztlich auch der Grund dafür, daß er auf arabistisch-islamwissenschaftlichen Gebiet seinerzeitige Fehlurteile über die vorislamische Religion bestätigt und mit dem Gewicht seines Ansehens über ein Jahrhundert hin festgeschrieben hat. 23)
Der Stand der Forschung der Jahrhundertwende ist auch durch das heute unglaublich scheinende Urteil eines der berühmten Häupter der religionsgeschichtlichen Schule der Jahrhundertwende bezeichnet: Hugo Greßmann kam zu dem Schluß, daß der Messiasgedanke den alten Israeliten der Zeit vor der Aufrichtung ihres Königtums nicht bekannt gewesen sein könne. Er hatte sich die falsche Vorstellung erarbeitet, der Messiasgedanke sei allein mit dem Königtum verbunden. Greßmann war auch der Auffassung, daß “nie ein Israelit oder Jude an einen leidenden und sterbenden Messias geglaubt” haben könne, denn “diesen Glauben” hielt er für “spezifisch christlich.” 24) Nach Hugo Greßmann sind im Bereich der christlichen Theologie keine vergleichbar umfassenden Studien mehr über den Ursprung der Messiasidee unternommen worden.
Doch ist in unserer Gegenwart auch in der atl. Wissenschaft ein Aufbruch zu neuen Ufern, nämlich zu einem neuen Paradigma für die Entwicklungsgeschichte Israels und seiner Glaubensurkunde, des AT , im Gange, und zwar ähnlich wie in der Islamwissenschaft und Arabistik aufgrund der Erkenntnis, daß die kirchlich-konservative Forschung der Zeit nach dem 1. Weltkrieg bis heute “ein Rückschritt gegenüber der kritischer Forschung um die Jahrhundertwende war”, und man sieht viele Anzeichen dafür, “daß man heute in vieler Einsicht auf dem Wege ist, sich ‘zurückzuwenden’ zu den damaligen Ergebnissen”. 25)
Aber es würde sicher einen erneuten Weg in eine Sackgasse bedeuten, wollte man etwa von den Ergebnissen Wellhausens und Greßmanns her versuchen, das als im Kommen gespürte neue Paradigma der atl. Forschung zu begründen. Wir werden daher auch nicht zufällig an den Arbeiten solcher Vertreter der vorbildlichen kritischen Forschung der Jahrhundertwende anknüpfen, die entweder erklärte Gegner der wellhausenschen AT-Kritik waren (Eugo Winckler 1863-1913 und Fritz Hommel 1854-1936), oder deren Forschungsergebnisse von Wellhausen sehr leichtfertig zurückgewiesen worden sind (Reinhart Dozy 1820-1883). Dieses Wellhausen ablehnende Urteil sollte jedoch nicht als eine absolute Ablehnung missverstanden werden, denn wir verdanken ihm neben vielen Irrtümern natürlich auch unzählige meisterhafte positive Forschungsergebnisse, aber es sind Forschungsergebnisse, die im Rahmen alter Vorstellungen blieben und daher das traditionelle Paradigma der Geschichte Israels nicht sprengen konnten.
Unsere grundsätzlich neue Position gegenüber Wellhausen und Greßmann ist die, daß wir in der offenkundigen Vertretung des Höhenkultes durch den Propheten Muhammad keine Primitivität sehen, sondern eine dem Urmessianismus Altisraels und dem Messianismus des Urchristentums nächstverwandte, intellektuell und moralisch sehr hochstehende Religion, und daß wir aufgrund der modernen Erkenntnisse der Ethnologie und Sozialanthropologie für diesen zentralarabischen Blutrechtsglauben und Höhenkult eine Vorgeschichte zurück bis mindestens in den Beginn des Neolithikums voraussetzen.
Hinsichtlich des Islam bedeutet diese neue Perspektive, daß wir die Frage stellen müssen, ob nicht die ausdrückliche koranische Identifikation der neuen Religion Islam mit der “Religion Abrahams und Ismaels” und die in der islamischen Überlieferung behauptete Bindung Hagars und Ismaels an die graue Vorzeit der Kaaba in Mekka nicht doch einen tatsächlich echten traditionsgeschichtlichen Kern besitzt, daß also der für das Altisrael der Patriarchenzeit mit Sicherheit als herrschend anzusetzende messianisch-höhenkultische Blutrechtsglaube doch – trotz der weiten zeitlichen Distanz – eine direkte Traditionsgeschichte bis hin in das Urchristentum und in den höhenkultischen Blutrechtsglauben des Vor- und Frühislam hat.
Hinsichtlich des Verständnisses der Religionsgeschichte des Volkes Israel und der Traditionsgeschichte des AT bedeutet diese neue Perspektive ein im Prinzip völlig neues Grundkonzept: Weil auch der mit seiner Kritik wirkungsvollste ATler Wellhausen im “Gemeinwesen ohne Obrigkeit” eine sehr primitive Vorstufe sah, ist die Entwicklungsgeschichte Israels bislang als eine stufenweise Veränderung vom geistig und religiös Primitiven und vom kulturell Leistungsschwachen hin zu vergeblich hochmoralischer Religion und zur von ihr gestützten “leistungsfähigen” Hochkultur gesehen und verstanden worden.
Mit der Identifikation der Moral des Höhenkults mit der Moral der Bergpredigt (der “Höhenpredigt”) ergibt sich ein völlig anderes Konzept für das Verständnis der Entwicklungsgeschichte von Altisrael über das Christentum bis zum Islam: Es kann keine stufenweise moralische Entwicklung von primitiv zu hochstehend gesucht und erforscht werden, weil es sie nicht gab. Es ist im AT vielmehr der im Wechsel von Siegen und Niederlagen nach beiden Seiten hin und her wogende Kampf zwischen zwei grundverschiedenen Systemen des Weltverständnisses zu beobachten, für deren moralische Qualität wir ab- oder aufwertende Zensuren weder geben wollen noch (vorerst) geben können. Es genügt, sich im klaren darüber zu sein, daß das neue, seitgriechische System sich in der Euphorie seines “Forschrittserfolges” im Vermehren und Zufriedenstellen von Menschenmassen und in der Verwertung der umgebenden Natur für die Ruhigstellung der Menschenmassen bislang selbst die höchsten Noten erteilte, daß aber die heutige Selbstbedrohung der Menschheit durch ihren eigengesetzlich gewordenen Fortschritt nahelegt, dieses Selbstlob des neuen Systems angemessen zu relativieren, um mit möglichst großer Objektivität das bislang denunzierte alte System der Weltdeutung und Weltbewältigung kennen zu lernen.
Die Existenz der kraftvollen kontinuierlichen Traditionslinie eines messianisch-höhenkultischen Blutrechtsglaubens von weit vor der Patriarchenzeit bis in das Urchristentum und den Urislam läßt erstmals die Kontinuität der parallel laufenden Traditionslinie der großstaatlichen Theologie und Herrschaftsdoktrin wichtiger erscheinen als die Entwicklungsstufen innerhalb dieser Kontinuität. Der text- und literarkritische Streit von Julius Wellhausen bis Moshe Weinfeld, 26) ob ein priesterlicher Text aus vorstaatlicher, aus staatlicher oder aus nachexilisch-theokratischer Zeit an einem chronologisch richtigen oder falschen Platz in der Geschichtsdarstellung des AT seinen Platz gefunden hat, verliert seine bisherige Bedeutung. Denn es ist ja unstrittig, daß es über diese verschiedenen Epochen hinweg auf welcher Entwicklungsstufe der Kultordnung auch immer zentralistisch-hierarchisches Priestertum in Israel gegeben hat. Wichtiger ist nun geworden, daß seit der Patriarchenzeit neben dieser von den Hochkulturen inspizierten hierarchisch-zentralistischen israelitischen Priestertradition, die schließlich in die Orthodoxie des Judentums mündet, eine oppositionelle dezentralistische-antipriesterliche Traditionslinie aus dem altisraelitischen Blutrechtsglauben des Stammeslebens verläuft, die zumindest nicht weniger als die vom Großstaatsdenken inspirierte Priestertradition den Anspruch aufrechterhalten durfte und aufrechterhalten hat, die von Abraham her wahre Tradition des wahren Israel zu sein, und die bis in das Urchristentum und in den Urislam hineinreicht. (Das hellenistische Christentum und der nachprophetische Islam sind hingegen Assimilationen -—die erste aggressiv, die zweite defensiv— an die im Judentum zwar gescheiterte, aber über die hellenistisch-römische Kultur fortlaufende Traditionslinie des “leistungsfähigen” hochkulturellen “Fortschritts”).
Wie für das neue Paradigma der Entstehung des Islam die wesentlichsten richtungweisenden Arbeiten schon um die Jahrhundertwende zustande gekommen waren, so auch für das Paradigma der biblischen Geschichte seit der Patriarchenzeit als der Geschichte zweier nebeneinander herlaufender Traditionslinien. Wir reihen die wichtigsten Aspekte dieser Forschungsarbeiten aneinander und beschränken uns in Anbetracht unseres speziellen Interesses am Islam auf die Zeit seit der Begründung des Königtums in Israel.
Reinhart Dozy hat 1864 in deutscher Fassung ein Buch veröffentlicht (eine niederländische Fassung ging voraus), in dem er ausführlich seine im Titel dieses Buches genannte These mit einer Fülle von Argumenten, – einige wenige sind heute nicht mehr haltbar – , zu untermauern unternahm: “Die Israeliten zu Mekka von Davids Zeit bis ins fünfte Jahrhundert unserer Zeitrechnung”. Wellhausen hat Dozys Unternehmen, ohne auch nur, ein einziges Gegenargument zu nennen, mit einem einzigen sehr leichtfertigen Satz abgetan: Dozy habe es versäumt, “dafür irgendwelche stichhaltigen Beweise vorzubringen” (Reste Arab. Heidentums, 93 f).
Diese Reaktion Wellhausens und seiner Zeitgenossen 27) ist typisch für ihre Befangenheit in das traditionelle Paradigma: Dozy brachte recht plausible Erklärungen für Probleme, für die es bis dato wie auch bis heute keine anderen Erklärungen gab. Aber man lehnte die Erklärungen ab, weil sie dem geltenden Paradigma widersprachen, und verzichtete lieber völlig auf Erklärungen, als daß man das geltende Paradigma in so grundsätzlicher Weise hätte in Zweifel ziehen lassen wollen.
Dozy gab eine sehr ausführliche plausible Erklärung für die große Merkwürdigkeit, daß bei allen antiken Schriftstellern von vorchristlicher Zeit bis ins 3. Jahrhundert n.Chr. Mekka den längeren Namen Macoraba trug. Dozy erklärt diesen längeren Namen als das hebräische makka rabba, “das große Schlachtfeld”, welcher Begriff im AT mehrfach vorkommt (NU 26,21; Dt 25,3; 2.Chz. 13,17), noch häufiger, nämlich ein gutes Dutzend mal, jedoch als makkä gedolä (ebenfalls”großer Kampf(platz)”) begegnet. Nur bei dieser Deutung wird plausibel, warum der längere Name in Makka verkürzt werden konnte: man ließ das Akjektiv “groß” weg und begnügte sich mit “Kampfplatz”! 28)
Dozy erklärt diese Bezeichnung “Großer Kampfplatz” mit den ebenfalls von ihm ausführlich und plausibel kommentierten Nachrichten des AT und der islamisch-arabischen Tradition über den Austritt des Stammes Simeon aus dem altisraelitischen Stämmebund zur Zeit Sauls und Davids, um sich im Higaz niederzulassen, wo man die Amaleqiter schlug. 29) Israel hat später, wie Dozy zu Recht erläutert, diese offenbare, aber peinliche Angelegenheit, daß ein ganzer Stamm sich geschlossen von der Gemeinschaft lossagte, natürlich zu verschweigen und zu verschleiern gesucht. Dozy dürfte auch Recht haben mit seinem weitergehenden Schluss, “daß zwischen den Simeoniten und Ismaeliten nur ein Unterschied im Namen liegt”, “daß die AT-Redaktoren in nachexilischer Zeit die Simeoniten als Ismaeliten beschreiben, um sie somit als schon vom Anfang, von der Patriarchenzeit an, nicht zum Zwölferbund der Stämme gehörend zu beurteilen, als nahverwandte Fremde: Hagar und Ismael mit ihrer zentralarabischen Nachkommenschaft”. 30) Denn auch die heutige atl. Wissenschaft nähert sich mehr und mehr der Auffassung, daß die Patriarchengeschichten, und damit auch die Erzählung von Ismael und Hagar, erst ziemlich spät, nämlich wahrscheinlich erst in nachexilischer Zeit komponiert worden sind.31)
Ein für die Islamwissenschaft entsprechend ratloses, weil nicht in das traditionelle Paradigma passendes Thema ist das Thema der “Götzen” Isaf und Na’ila an der vorislamischen Kaaba, das als Beispiel hier noch flüchtig berührt werden mag:
Was die islamische Tradition über vorislamische “Götzen” an der Kaaba zu berichten weiß, teilt sich in zwei Abteilungen: entweder die Nachrichten sind einigermaßen konkret und glaubhaft, dann handelt es sich offenbar immer um christliche Heiligenbilder. Oder aber die Nachrichten sind fantastisch und unglaubhaft, dann beziehen sie sich auf angeblich zentralarabisch-heidnische Götzen. Der Schluss liegt nahe, daß alle “Götzen” an der vorislamischen Kaaba christliche Heiligenbilder gewesen sind, und daß die phantasievolle Erfindung “heidnischer” Götzen mit der auf allen Gebieten der islamischen Überlieferung deutlich spürbaren Verschleierung der tatsächlichen, überwiegend jüdischen und christlichen Lebensverhältnisse des vorislamischen Mekka im Einklang steht.
Da nun die von der islamischen Überlieferung überkommenen Nachrichten so merkwürdig sind, daß sie schon Gustav Freytag (1788-1861) als legendär und unglaubhaft zurückwies, hielt ich noch 1980 dafür, daß diese beiden Götzen am besten noch als zu christlichen Heiligen gewordene Märtyrer aus dem Kampf um die Vorherrschaft des Christentums in Mekka zu erklären sind. Doch Dozy gab schon 1864 seine mir seinerzeit noch nicht unter die Augen gekommene sehr schlüssige Erklärung: 32) Er führte den Nachweis, daß in der islamischen Überlieferung das Wortpaar al-fart wa d-dam, das im Talmud “Kot und Blut (der Opfertiere)”, bezeichnet, als Synonyme für das Wortpaar “Isaf wa Na’ila” begegnet, und er zeigt dann überzeugend, daß das Wortpaar “Isaf und Na’ila” eine Verballhornung der hebräischen Wörter asof (“Sammelplatz”, nämlich für Abfälle des Schlachtens) und nwali (“Misthaufen”) ist. Dozy zeigt mit verschiedenen weiteren Nachrichten der islamischen Überlieferung, daß hier in diesem Wortpaar tatsächlich Relikte einer alten israelitisch-kultischen Tradition an der Kaaba deutlich wiederzuerkennen sind, die die islamische Tradition später selbst nicht mehr richtig zu deuten wußte. Die “Götzen” Isaf und Na’ila sind also aus den aramäisch/hebräischen Bezeichnungen für die Kot- und Blutsammelstelle an der Kaaba entstanden, und wahrscheinlich nicht einmal aus zwei Steinen, die, wie Dozy meinte, diese Örtlichkeiten gekennzeichnet haben müßten, sondern allein aus der phantasievollen Interpretation nicht mehr verstandener schriftlicher Überlieferung über die vorislamische Kaaba.
Daß die Islamwissenschaft diese schlüssige Erklärung Dozys trotz der schon seit Gustav Freytag unbestrittenen Unerklärlichkeit der “Götzen” Isaf und Na’ila nicht akzeptiert hat, ist also ein weiteres Beispiel für die blind machende Wirkung des traditionellen Paradigmas.
Verlassen wir nun Dozy und wenden wir uns der ihm folgenden Diskussion zu:
Dozy hatte die zwar verstreuten, aber insgesamt schlüssigen Nachrichten über die Auswanderung des Stammes Simeon nach dem Higaz u.a. gestützt mit der plausiblen Beziehung des Orakels Jes. 21,11 auf die von Israel um 1000 v.Chr. abgefallenen Simeoniten / Ismaeliten (Übersetzung von Gesenius. “Wenn ihr fragen wollt, fragt: Bekehret euchi kommt dann wieder” 33) Es sprechen heute viele Gründe dafür, daß Jesajas König Hiskia (715-696 v.Chr.) im Zuge seiner antiassyrischen Bündnispolitik auch mit den ehemals israelitischen simeonitischen Bewohnern Nordwestarabiens zu konspirieren versucht hat. Nach dem Tode Dozys ist diese Interpretation massiv unterbaut worden durch die Arbeiten von Hugo Winckler und Fritz Hommel. Sie weisen über den Text Jes. 21,11f hinaus für zahlreiche Texte des AT nach, daß diese Texte sich nicht, – wie die spätere Tradition und manchmal schon die atl. Kompilatoren dieser alten Texte unterstellen – , auf Ägypten beziehen, sondern auf Nordwestarabien mit seiner simeonitisch-ismaelitischen Bevölkerung. 34) Ihre Argumentation steht ziemlich fest auf der Basis, daß nach eindeutigen keilschriftlichen Nachrichten die nordwestliche Region Arabiens südöstlich des Golfs von Aqaba bis in das 7. vorchristliche Jahrhundert hinein mit dem Namen Musri (Musur, Musr, Misr) bezeichnet wurde, und daß Israel von Palästina aus zu diesem Musri (mit simeonitisch-ismaelitischer Bevölkerung) intensive Beziehungen gepflegt hat. Wo heute noch Ägypten auf Arabisch Misr genannt und im hebräischen AT seit eh und je mit dem Wort Misrayim (Dual: Zwei Misr) bezeichnet wird, liegt es nahe, daß hier eine Verwechslung von Musri / Nordwestarabien und Misrayim / Ägypten stattfinden konnte.
Besonders Hugo Winckler hat mit guten Gründen die These vertreten, daß mit der wissentlichen oder unwissentlichen Identifikation des in alten hebräischen Texten begegnenden Musri / Nordwestarabien mit Misrayim / Ägypten erst in nachexilischer Zeit (als der keilschriftliche Name Musri für Nordwestarabien aus der Mode gekommen war) die “Sage vom Aufenthalt des Volkes Israel in Ägypten” entwickelt worden ist. 35) In der heutigen atl. Wissenschaft regen sich neue Kräfte, die die gleiche These von der nachexilischen Entstehung der “Auszug-aus-Ägypten-Erzählung” mit völlig anderen Argumenten vertreten, 36) ohne dieses wichtige Argument Hugo Wincklers, die Gleichung “Musri = Midian/Nordwestarabien”, als bedeutsam ins Feld zu führen. Dieses Argument scheint aus dem Blickfeld gänzlich verdrängt worden zu sein. Die letzte Betonung dieses Faktums “Musri = Nordwestarabien” finde ich bei Trude Weiß-Rosmarin, die im Jahre 1932 schreibt:
“Ich möchte mich, obwohl die Mehrheit der Forscher heute die Ansicht vertritt, daß Musri durchweg Ägypten bedeutet, mit Winckler und Hommel auf ein arabisches Land Musri berufen, welches im nördlichen Teile der arabischen Halbinsel gelegen haben muss.” 37)
Doch scheint die Wiederauferstehung auch dieses Arguments gekommen: Dozy hatte in seinem zitierten Buch schon mit guten Gründen die These vertreten, daß die in der islamischen Tradition als zwei aufeinander folgende Bevölkerungswellen geschilderten Gurhum, 38) – sie werden dort in “die ersten und zweiten Gurhum” unterteilt – 39), die zwei Auswanderungswellen der Israeliten darstellen, die sich nach den beiden großen Katastrophen Israels, nämlich nach der Zerstörung des ersten Tempels im 6. Jahrundert v.Chr. und der Zerstörung des zweiten Tempels im 1.-2 Jahrhundert n.Chr., nach Zentralarabien ergießen, weil dort schon die bereits zur Jahrtausendwende v.Chr. emigrierten simeonitisch-ismaelitischen Israeliten saßen, zu denen natürlich seit ihrer Emigration immer verwandtschaftliche, insbesondere aber wichtige Handelsbeziehungen unterhalten worden waren.
Weil aus der islamischen Überlieferung hervorgeht, daß die Gurhum israelitische Kulttraditionen pflegten (sie besaßen auch den Psalter) 40) und weil die Gurhum offenbar aus der Gegend von Bahrain stammen, wo die für ganz Arabien als Handelszentrum wichtige Stadt Gerrha lag, und weil in der antiken Historiographie diese Stadt Gerrha als von dorthin gekommenen Flüchtlingen gegründet geschildert wird, kam Dozy schon dazu, die Gleichung “Gurhum = gegrim (d.h. “jüdische Emigranten”) aus Gerrha” aufzustellen. 41)
Diese Gleichung “Gurhum = die Emigranten von Gerrha” ist nun jüngst (1981) von Toufy Fahd in modifizierter Form erneut vertreten worden, allem Anschein nach, – Fahd nennt Reinhart Dozy überhaupt nicht – ohne jede Kenntnis der diesbezüglichen Argumente Dozys. Der wesentliche Fortschritt Fahds über Dozy hinaus ist, daß er erstmalig die Lage des antiken Gerrha überzeugend lokalisiert und nachweist, daß es nicht, wie fälschlicherweise seit eh und je, zu identifizieren ist mit dem Ort al-Gar’an bei al-Qatif. Fahd legt dem griechischen Namen Gerrha die arabische Ortsnamenform g·r·h zugrunde 42) Dadurch bekommt die schon von Dozy angestellte Spekulation über den Zusammenhang des Volksnamens Gurhum mit dem Stadtnamen Gerrha eine bessere Grundlage: Ich möchte meinen, daß gurhum eine arabische retrograde Singularbildung von einem Wort gerahim ist, das als eine hebräisch-aramäisch-griechisch beeinflußte Pluralbildung für die Bewohner der Stadt Gerrha aufzufassen ist, also zu gerahi, “ein Gerrhäer”. T. Fahd geht nicht soweit, daß er diese Genese behauptete, wie er auch überhaupt, in Unkenntnis der gut begründeten Thesen Dozys, die Gleichung “Gerrhäer = jüdische Exulanten” nicht aufstellt. Er begnügt sich mit dem Hinweis, die Gerrhäer seien “arabes arabisés,” “emigrés araméens”. 43)
Jetzt gehen wir noch einen Schritt weiter über Dozy und Fahd hinaus, indem wir noch einen weiteren Aspekt hinzufügen. Dieser weitere Aspekt, der das Bild dieses häretisch-israelitisch überfluteten Zentralarabien noch präziser, historischer, macht, ist das Thema “Leviten und Minäer”.
Auch hier hat eine neuere Untersuchung von Roland de Vaux (“Lévites, Minéens et Lévites Israélites” in Lex tua veritas, Festschrift für Hubert Junker, Trier 1961, 265-273) die Arbeiten der Jahrhundertwende, darunter die des oben schon zitierten Fritz Hommel, weitergeführt, indem er insbesondere anknüpft an der Arbeit von Hubert Grimme “Der süd-arabische Levitismus und sein Verhältnis zum Levitismus in Israel” (Le muséon 37/1924, 169-199). Wir können hier de Vaux nicht referieren, können hier nur das Problem nennen, das um die Jahrhundertwende diskutiert wurde, und das jetzt offenbar wieder aktuell wird, um dann unsere sehr kurzgefasste, auf R. B. Serjeant gestützte Problemlösung vorzutragen.
Bei den Minäern, jenem Volk, das in der wichtigsten Weihrauchhandelsstadt Ma´in am nördlichsten Rande des Jemen sein Zentrum und in Ma’in Musran (d.h. das Ma’in in Musri = Dedan) eine bedeutende Handelskolonie unterhielt, gab es nach epigraphischem Zeugnis “Leviten”, auch “Levitinnen” (die merkwürdigerweise viel mit Kapitalien und Immolilien und der Sicherheit / Garantie dieser Werte zu tun hatten. Daran erinnere man sich später! 44)
Die alttestamentliche Wissenschaft ist immer noch ziemlich ratlos, warum widersprüchlicherweise die Leviten in Israel einerseits nicht als eigener Stamm zählten, sondern als eine Sondergruppe verstreut unter den 12 Stämmen Israels lebten, andererseits aber (offenbar in späterer Zeit) plötzlich doch als 12. Stamm gezählt wurden, wobei man die Zwölferzahl dadurch rettete, daß für Ephraim und Manasse der Name Joseph (als Vater von B. und M. unterstellt) gesetzt wurde. Rätselhaft ist auch, warum die Leviten in so außerordentlicher Beziehung zu Mose stehen und dieser zu ihnen. 45) Diese Unsicherheit der atl. Wissenschaft steht in Verbindung damit, daß sie heute noch nicht weiß, – nachdem die Amphiktyonie-These von Martin Noth nicht mehr akzeptiert wird – 46), wie das vorstaatliche Altisrael als einstiger Stämmebund ganz eigentlich “funktionierte”. Wenn wir von der von Dozy schon gut begründeten These ausgehen, daß seit 1000 v.Chr. aus Palästina remigrierende Israeliten 47) eine wichtige Rolle in Zentralarabien spielten, fällt auch von den Leviten und Minäern Zentralarabiens ein helles Licht wieder zurück auf Altisrael.
Für die Tatsache von Levitentum bei den Minäern läßt sich als Erklärung anführen, daß die Kultreform des judäischen Königs Josia (640-609 v.Chr.: Verbot aller Kultstätten im Lande und Zentralisation allen Kults in den Tempel von Jerusalem) für die Leviten, die bisherigen “Priester” an den im Lande verstreuten israelitischen Heiligtümern mit “Höhen”-Tradition, eine Degradierung bedeutete. Mit dieser generellen Missachtung der Leviten durch und seit dieser Kultzentralisation hängt es sicher zusammen, daß nach dem Ende der Babylonischen Gefangenschaft auffälligerweise wenige, ja fast keine Leviten aus dem Exil nach Jerusalem zurückkehren (vgl. Esra 8,15-19: kein Levit findet sich unter den Ausreisewilligen, erst durch eine besondere Gesandtschaft werden schließlich zwei Levitenfamilien bewogen, sich den Rückwanderern anzuschließen!). Es kann unter diesen Umständen nicht verwundern, daß sich im Talmud die Nachricht findet, daß zur Armee Nebukadnezars (605-562 v.Chr.) 80.000 junge Juden aus priesterlichem Geschlecht gehörten, die sich später in Arabien niederließen. 48) Nur die irrige “landläufige” Vorstellung, daß das Volk Israel durch seine Geschichte hin eine unbeirrte geschlossene Gemeinschaft – ohne erschütternde Rebellionen und dauernden Abfall aus verständlichen, wenn nicht gar berechtigten Gründen – gewesen sei, hat diese und ähnliche Nachrichten in vermeintlicher Bedeutungslosigkeit ruhen lassen.
Jüdische Verdrängung dieser Schattenseite dauernder Rebellion und Emigration im Lauf der jüdischen Geschichte ist nur auch der Hauptgrund für die bis heute währende Unsicherheit in der Bewertung des Minäer-Problems:
Bernhard Kellermann hat in seinem Buch “Kritische Beiträge zur Entstehungsgeschichte des Christentums” (Berlin 1906) ein Kapitel “Das Minäer-Problem”. Er meint damit nicht die südarabischen und midianitisch-dedanitischen Minäer, sondern die Minim, die israelitischen Ketzer in allen Weltgegenden, in Sonderheit aber des Ostens. Denn, der Kirchenhistoriker Hieronymus schreibt: “Usque hodie per totas Orientis synagogas inter Judaeos haeresis est, quae dicitur Minaearum.” 49) Diesen Minim/Minäern ist im Achtzehngebet der Synagoge in der 12. Bitte die Verwünschung gewidmet. “Und die Noserim und die Minim mögen gar plötzlich zugrunde gehen, und sie mögen ausgelöscht werden aus dem Buch der Lebendigen und mit den Gerechten nicht aufgeschrieben werden” (vgl. Ps. 69, 29).
Jüdische Wissenschaftler waren verständlicherweise immer geneigt, 50) die Minim als Judenchristen zu erklären. Von christlicher Seite ist diese Erklärung nie so recht akzeptiert worden, 51) nicht nur weil im Achtzehngebet die Noserim (Judenchristen) gesondert neben den Minim (Ketzern) genannt sind. Die Minim sind selbst nach rabbinischer Überlieferung Leute, die ursprünglich und eigentlich zum Israelitentum gehören, die aber von der Orthodoxie in Jerusalem wegen Irrlehren als aus der Gemeinschaft ausgeschlossen gelten. Und diese Irrlehren sind hauptsächlich die, daß die Minim den Monotheismus ablehnen und an mehrere schöpferische Mächte glauben 52) (was sich von keinem Judenchristen behaupten ließe, was aber zum vorexilischen, allgemein polytheistischen Glauben in Israel passt!) 53) und daß sie ziemlich diesseitsorientierte Freigeister sind, weshalb sie auch mit dem Synonym “Epikuräer” bezeichnet werden (ebenfalls kein auf Judenchristen beziehbares Charakteristikum). 54) Auch sind sie insbesondere dem Berufsstande der (Fernhandels-?)Kaufleute zuzurechnen. 55) Am wenigsten aber passt zu der Gleichung “Minim = Judenchristen”, daß, auch wieder gemäß rabbinischer Tradition, die Minim ein Problem sind, das schon in vorexilischer Zeit akut gewesen ist und auch zur Zeit Alexanders des Großen das orthodoxe Judentum gepeinigt hat. 56) Diese Zeit aber, vom Beginn des Babylonischen Exils bis zur Zeitenwende, ist die Blütezeit der Minäer, der Weihrauchhandelsminäer in Zentralarabien (Ma`In und Ma`in Musran).
So sind wir auf dieser Grundlage der Tatsachenbeschreibung schon berechtigt, die Minim (jüdische Ketzer) mit den Minäern (den Weihrauchkaufleuten Süd- und Zentralarabiens) und diese mit den Gurhum der arabischen Tradition gleichzusetzen. (Die spätere Ketzerei Christentum können wir hier kurzerhand als besondere Variante der minäischen Ketzerei unberücksichtigt lassen.)
Nun wollen wir unsere “Minim=Minäer”-Gleichung stützen mit der näheren Untersuchung der Tatsache, daß bei den Weihrauch-Minäern in Ma’in und Ma’in Musran das Levitentum eine Rolle spielte:
Zuerst ist es wichtig festzuhalten, daß diese Minäer seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. eine hervorragende wenn nicht gar beherrschende Rolle im Weihrauchhandel kreuz und quer durch Zentralarabien gespielt haben. Für diese minäische Rolle ist nun aber die Geschichte des Weibrauchhandels in den vorausgegangenen Jahrhunderten von Bedeutung. Und siehe da, dieser Weihrauchhandel hat in dieser Vorzeit offenbar in der Hand der um 1000 v.Chr. von Israel ketzerisch abgefallenen und emigrierten Simeoniten / Ismaeliten gelegen. Denn sie haben ja die Amaleqiter beerbt, nachdem sie diese besiegt hatten, und diese Amaleqiter sind, wie schon Hubert Grimme 1904 an ihrem Namen entdeckt hat 57), nichts anderes als “die Weihrauchleute”, denn das in den Keilschriften übliche Wort Melukhkha für die Bezeichnung des Weihrauchlandes ist von dem gleichen Wortstamm, von dem auch das Wort “Amaleqiter” gebildet ist. Der Weihrauch selbst wird, wie Eduard Glaser registrieren konnte, in Südarabien mit dem Wort lamlokh bezeichnet 58) (Ich füge meine These hinzu, daß dem Wort im klassischen Arabisch m·l·q “angenehm sein”, entstanden aus ma la`iq, entspricht. Das bedeutet, daß eine semasiologische Parallele zu Aithiop, aus semit. , “gut, angenehm”, vorliegt.)
Wenn also die Simeoniten / Ismaeliten nach ihrem Sieg über die Amaleqiter “die Weihrauchleute” wurden, indem sie das Metier der Besiegten übernahmen, und wenn, was naheliegt, die Emigranten der insbesondere levitischen israelitischen Emigrationswelle (= “die ersten Gurhum”) nach Kultzentralitation und Zerstörung des ersten Tempels sich als Lebenshilfe für ihre neue Existenz in der Fremde an ihre einstigen Stammesgenossen, an die Simeoniten, anlehnten, dann folgt daraus, daß diese ersten Gurhum auch zu “Weihrauchleuten” wurden. 59) Und dies betätigt unsere These, daß Minäer und Gurhum im wesentlichen identisch sind – die einen nach ihrem religiösen Status als Ketzer, die anderen nach ihrer Flüchtlingsstadt Gerah bezeichnet.
[Die Gleicbsetzung von Minim und Ma’inim ist offenbar eine Kontamination, worauf wir hier nicht eingehen können! 60) Die Minäer saßen als “die Weihrauchleute” nicht nur in Ma`in, sondern nahezu überall, jedenfalls außer in Dedan auch in Hadramaut und Kataban. Es dürfte sicher sein, daß auch die Gerrhäer / Gurhum als Ketzer, also als Minim / Minäer, bezeichnet werden konnten und worden sind. Es handelt sich hier um reine Synonyme!]
Der Weihrauchhandel quer durch die Wüsten Arabiens hatte zwei große Probleme zu bewältigen: Das eine Problem war das des Schutzes gegen räuberische Beduinenstämme. Das andere Problem war, eine handelspolische Monopolstellung aufzubauen und aufrechtzuerhalten, um der einzelnen hochkulturellen Supermacht der verschiedenen Abnehmer (Ägypten, Rom, Griechenland, Mesopotamien) möglichst profitliche Preise und möglichst geringe Steuererhebung abhandeln zu können. Die außerordentlich hohen Steuern in den Machtzentren scheinen bewirkt zu haben, daß der Weihrauchhandel möglichst Routen durch machtleere Räume suchte, z.B. Mekka – Djidda – Elephantine – Ammons-Oase – Karthago, oder durch die Sinaihalbinsel zum liefen al-Arisch, oder über den Persischen Golf durch Ostiran nach Baktrien. 61) Die Monopolstellung war nur durch Konzentration des Weihrauchhandels im Dreieck Dedan – Ma’in – Gerrha in einer Hand oder in einem Komitee gewährleistet. 62) Dieses Komitee, das war vermutlich der Verwandtschaftsältestenrat der Minim/Minäer/Gurhum.
Zum ersteren und wohl wichtigsten Problem schreibt Freya Stark: “Indeed the enormous length of the road and the passing from one people to another, must have entailed a great deal of very delicate diplomacy and many distant relationships … The whole of the trade was an immense machine, delicately adjusted”. 63)
Die “many distant relationships” waren garantiert durch den landsmannschaftlich-verwandtschaftlichen Zusammenhang der Minim, die der schon von den Simeoniten durch Jahrhunderte aufgebauten Distributionsorganisation folgend überall saßen, z.B. sicher auch schon im punischen Karthago. Und die häretisch-jüdische Kolonie von Elephantine dürfte wohl auch besser als eine von Westarabien her begründete Handelskolonie verstanden sein, wie überhaupt das bessere Bild von der Dispersion des orthodoxen Judentums über die Ökumene doch wahrscheinlich das ist, daß die Orthodoxie überall den Spuren dieser Weihrauch-Minim folgen konnte und gefolgt ist.
Wie aber sah die “immense delicately adjusted machine” aus, die die Sicherheit des Karawanenverkehrs kreuz und quer durch Arabien garantierte? Diese Konstruktion ist nur aus dem Blutrechtswesen zu verstehen, das zur Zeit sowohl der Simeoniten / Ismaeliten als der Minim / Minäer / Gurhum die religiöse, politische und soziale Struktur Zentralasiens durch und durch bestimmte. Es sind daher die oben schon zitierte Arbeiten über das Blutrechtswesen des Jemen von Serjeant und Puin, die uns zeigen, wie mit einem System blutrechtlichen Asyl-, Haram- (= Tabu-) und Bündniswesens, das zwischen zahlreichen Höhenheiligtümern (nämlich Stammesheroengräbern) als Relaisstationen über weite Distanzen konstruiert ist, die Sicherheit des Reisens in “finsterer Heidenzeit” garantiert werden konnte. Serjeant nimmt ausdrücklich Bezug auf die für den Karawanenhandel gewährte völlige Sicherheit (hurmah wafirah): “nay, if there be a small boy of them (den höhenkultisch-blutrechtlich Versicherten) in the caravan or one of their slaves, nobody will molest them.” 64)
Dieses höhenkultisch-blutrechtliche System hat, wie Serjeant ebenfalls hervorhebt, die Elastizität, auch “merchants, peasants and others” zu integrieren, ja er zeigt “that it is not impossible for a sacred enclave to protect those of other faiths.”
Diese Umstände erklären nicht nur die merkwürdige Dichotomie der Bevölkerung im minäischen Südarabien in Stimmesfürst und Stammesmitglieder einerseits und Kabir (=”Vorstand einer Handelskolonie” 65) und seine Gemeinde andererseits (was der Zweiteilung in “autochthone Südaraber” und “immigrierte minim/minäische Beisassen” entspricht). Diese Umstände werfen auch ein Licht zurück auf die vorstaatlichen, ja vormosaischen Verhältnisse im Stämmebund Altisraels, über die die atl. Wissenschaft nach der zurecht erfolgten Aufgabe der Noth’schen Amphiktyonie-These völlig ratlos geworden zu sein scheint. Diese Amphiktyonie-These war eine Retrospektive oder besser: Retrojektion der religiösen und kultischen Verhältnisse der monarchistisch-theokratischen Verfassung des Judentums in die Frühzeit Israels. Altisrael war aber höhenkultisch-blutrechtlich organisiert, und wo eine unglaublich stabile Kontinuität der höhenkultisch-blutrechtlichen Praktiken der Bündniskonstruktion, wie sie R. B. Serjeant und G. R. Puin aufgezeigt haben, offenbar von den Minäern (= Gurhum) bis in den Jemen der Gegenwart reicht, dürfen wir auch mit einer entsprechenden Kontinuität von der Zeit des Sieges der Simeoniten über die Amaleqiter (ca. 1000 v.Chr.) bis zu den Min-im/Minäern rechnen: In den mit Fahne (liwa) und Trommel ausgerüsteten Herolden der Stammesfürsten, wie sie R. B. Serjeant beschreibt, können wir die Leviten, die Diener des blutrechtlichen Höhenkultes und der blutrechtlichen Bündniskonstruktion in Altisrael wieder erkennen. 66)
Da diese altisraelitischen Leviten den Heiligtümern geweiht (= rituell geschenkt) waren, bedeutete diese Weihung gemäß Blutrechtsglauben, daß sie mit dieser Weihung vom Heiligen/Heroen und damit vom Stamm adoptiert waren. Und dieser Umstand erklärt nun auch, warum die altisraelitischen Leviten, nachdem sie durch “Mose aus Musri / Midian” überzeugt worden waren, an allen ihren Höhenheiligtümern Jahwe als intertribalen Gott einzuführen, zu einem 13. Stamm Israels werden mussten: Solange sie einem der Stammesheroen geweiht gewesen waren, waren sie Adoptierte dieser verschiedenen eponymen Stämme geworden. Wurden sie aber an allen Heiligtümern in allen Stämmen allein dem völlig neuartigen Gott Jahwe geweiht, wurden sie, und nur sie allein und nicht alle die regulären Stammesmitglieder, Adoptierte Jahwes und also ein neuer Stamm, ein spezieller Stamm von Jahwe-Dienern. 67)
Als der höhenkultische Blutrechtsglaube vom Judentum verdrängt und mit der Kultzentralisation endgültig abgeschafft wurde, haben diese Spezialisten der blutrechtlichen Gottesfrieden- und Bündniskonstruktionen, diese Leviten, offenbar nicht klein beigegeben und haben sich nicht als unfreundlich geduldete Fremdlinge und allerletztes Hilfspersonal in den einzigen zentralen Tempelkult in Jerusalem eingefügt, sondern sie sind dorthin ausgewandert (oder dort geblieben), wo ihr Metier noch verstanden und erwünscht war, im blutrechtlichen Zentralarabien.
Wenn uns somit alle diese bisher diskutierten Benennungen, – Simeoniten, Ismaeliten, Minim, Minäer, Gurhum, Gerrhäer, minäische Leviten, Amaleqiter zu Synonymen geworden sind, dann müssen wir hier als den fehlenden Punkt auf das I noch die beiden Benennungen Hagarener und Sarazenen hinzufügen, die schon um 200 v.Chr. im hellenistischen Westen als Bezeichnung für zentralarabische Stammesgruppen gebräuchlich waren. 68) Daß die Hagarener nach der biblischen Hagar, Ismaels Mutter, benannt sind, steht außer Frage. Aber der Name Sarazenen ist bis heute ein ziemliches Rätsel geblieben. Doch bringt Hieronymus wohl zurecht die Sarazenen unter dem Eponym Ismaels mit den Hagarenern unter einen Hut: “Ismaelitarum gentes, qui postea Agareni et ad postremum Saraceni dicti.” Er weiß auch, daß sich die Sarazenen nach Bars, der Konkurrentin Hagars als Frau Abrahams, benannten (“sibi assumpsere nomen Sarae”). 69) Er meint aber fälschlich, daß sie das zu Unrecht taten, weil er fälschlich glaubt, sie hätten damit ihre Abstammung von Sara angeben wollen. Jedoch Hieronymus kennt nur nicht mehr die Bedeutung der griechischen Silbe ken in dieser griechischen Bezeichnung der zentralarabischen Araber. Diese Silbe ken bedeutet, wie ich anderorts gezeigt habe, “bekämpfen.” 70) Sarakenoi bedeutet also “die Bekämpfer der Sara.” Tatsächlich sind also die Bezeichnungen Hagarener und Sarazenen Synonyme und die Seiten einer Medaille: Die für Hagar sind, sind natürlich gegen Sara.
Hiermit beschließen wir unsere flüchtige Skizze der kontinuierlichen, weitgehend am alten Weltbild festhaltenden Traditionslinie, die zu der “fortschrittlichen”, “materialistisch leistungsfähigen” und “erfolgreichen” Traditionslinie seit dem Beginn der biblischen Geschichte parallel lief, und die wir heute wohl erst deshalb wiedererkennen, weil die “erfolgreiche” Linie so fragwürdig geworden ist.
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© Günter Lüling (Erben) Erlangen · 1985
Deutschsprachiger Entwurf eines englischen Beitrages für das an der Universität Cambridge im September 1985 veranstaltete Colloqium “Koran and Hadith.” (Aus: Sprache und Archaisches Denken; Neun Aufsätze zur Geistes- und Religionsgeschichte, Erlangen: Verlagsbuchhandlung Hannelore Lüling, 1985, ISBN 3-922317-13-8)
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Fußnoten
14 Walter Beimpell, Der Ursprung der Lade Jahwes, OLZ 19 (1916), 326-331; W. B. Kristensen, De Ark van Jahve, Amsterdam 1933 (Meded. d. Kgl. Akad. v.W., Afd. Letterk., Deel 76 Ser. V, Nr.5, 136-171; G. Lüling, Archaische Wörter und Sachen… a.a.O (hier A.5), 51ff. Zurück zum Text
15 G. Lüling, a.a.O., 82ff Zurück zum Text
16 al-Kulini, Al-Usul min al-Kgfi, 3 Teheran 1388, Teil 1, 238 Zurück zum Text
17 Claude Lévi-Strauss, Das Wilde Denken, Frankfurt a.M. 1968, 27 Zurück zum Text
18 Urban-Bücher Nr. 90, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1966. Zurück zum Text
19 Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, Bonn 1956, 262; auch die Altorientalistin Margarete Riemschneider, Fragen zur vorgeschichtlichen Religion, 1. Augengott und Heilige Hochzeit, Leipzig 1953, verwendet sinnvollerweise diesen Begriff. Zurück zum Text
20 Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, 273f; s. auch Adolf Ellegard Jensen, Mythos und Kult bei Naturvölkern, Wiesbaden 1951, 249-323: Über die Magie. Zurück zum Text
21 Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, 278 Zurück zum Text
22 J. Wellhausen, a.a.O., 1 u. 6. Zurück zum Text
23 s. z.B. seine Fehlurteile bezüglich der im Urislam als Götzendienst verurteilten christlichen Bilderverehrung in Mekka; vgl. G. Lüling, Die Wiederentdeckung des Propheten Muhammad, über Namensindex: Wellhausen. Zurück zum Text
24 Hugo Greßmann, Der Messias, Göttingen 1929, 231, 276, 336. Zurück zum Text
25 Heike Friis, Ein neues Paradigma für die Erforschung der Vorgeschichte Israels? (aus dem Dänischen übersetzt von B.J. Diebner), Dielheimer Blätter z. AT 19 (1984), 11; s. auch Heike Friis, Das Exil und die Geschichte, DBAT 18 (1984). Zurück zum Text
26 Moshe Weinfeld, Getting at the Roots of Wellhausen’s Understanding of the Law of Israel, On the 100th Anniversary of the Prolegomena, Institute for Advanced Studies, The Hebrew University Jerusalem, Report No. 14, 1979 Zurück zum Text
27 J. W. Hirschberg, Jüdische und Christliche Lehren im vor- und frühislamischen Arabien, Krakow 1939, 38 spricht von “der längst widerlegten Theorie Dozy’s” ohne Hinweis auf irgendeinen Widerleger. Die sehr umfangreiche “Widerlegung” von K. H. Graf in ZDMG 19 (1865), 330-351 wirkt hilflos, ist insbesondere heute unhaltbar wegen seiner unkritischen Anerkennung des Pentateuch als historische Quelle. Das gleiche gilt von Th. Nöldekes Abhandlung “Die Amaleqiter” (Orient und Occident 2/1864, 614-655), der alle arabischen Nachrichten als aus AT-Texten herausgesponnen betrachtet (heute aufgrund der keilschriftlichen Forschungsergebnisse nicht mehr haltbar). Nöldeke nennt Name und These Dozys nicht, nimmt aber detailliert zu allen in Dozys These angesprochenen Themen Stellung, so daß sich der Verdacht aufdrängt, daß Nöldeke die Thesen Dozys bereits kennen gelernt hatte (vor Veröffentlichung als Manuskript oder aus der niederländischen Fassung) und ohne Nennung Dozys zu seinen Thesen Stellung genommen hat. Zurück zum Text
28 R. Dozy, a.a.O., 70ff Zurück zum Text
29 R. Dozy, a.a.O., 40ff Zurück zum Text
30 R. Dozy, a.a.O., 58ff Zurück zum Text
31 s. dazu Bernd Jörg Diebner, Erwägungen zum Thema Exodus, in: Festschrift Wolfgang Helck, Hamburg 1984 (= Studien zur Altägyptischen Kultur Bd. 11), 597f (III. u. IV); B. J. Diebner und Hermann Schult, Thesen zu nachexilischen Entwürfen der frühen Geschichte Israels, DBAT 10 (1975), 41 ff; B.J. Diebner und H. Schult, Argumente ex silentio. Das Grosse Schweigen als Folge der Frühdatierung der ‘alten Pentateuchquellen’, DBAT 11, SEFER Rendtorff, Dielheim 1975, 24-35. Zurück zum Text
32 R. Dozy, a.a.O., 180ff Zurück zum Text
33 R. Dozy, a.a.O., 58-65. Zurück zum Text
34 s. dazu Hugo Winckler, Alttestamentliche Untersuchungen, Leipzig l892, 120ff. 146-156, 168ff; Hugo Winckler, Musri, Melukhkha, Ma’in. Ein Beitrag zur Geschichte des ältesten Arabien und zur Bibelkritik, (Mitteilungen der Vorderasiatischen Gesellschaft 1) Berlin 1898, 32-37; Hugo Winckler, Altorientalische Forschungen I, Leipzig 1893, 24-41: Das nordarabische Land Musri in den Inschriften und der Bibel; Fritz Hommel, Vier neue arabische Landschaftsnamen im Alten Testament, München 1901. Wincklers und Hommels Arbeiten rechnen mit einer falschen, die Minäerherrschaft zu früh ansetzenden Chronologie. Ihre Ausführungen zum AT sind aber unter Ansetzung des heute allgemein anerkannten Spätansatzes des Minäertums noch bedeutsamer. Zurück zum Text
35 Hugo Winckler, Geschichte Israels in Einzeldarstellungen, Leipzig 1895, 55-59 Zurück zum Text
36 s. dazu die hier A.31 angegebene Literatur. Zurück zum Text
37 Trude Weiß-Rosmarin, Aribi und Arabien in den babylonisch-assyrischen Quellen, Journal of the Society of Oriental Research 16 (1932), 3 Zurück zum Text
38 R. Dozy, a.a.O., 134 ff, 186ff Zurück zum Text
39 Manfred Kropp, Die Geschichte der ‘reinen Araber’ vom Stamme Qahtan, Dias, Heidelberg 1975, Bd. 1, 76a sieht in der Einteilung “l. und 2. Gurhum” einen “Kunstgriff der Genealogen”, die “die alten Völker einfach verdoppeln”. So leicht sind die Probleme nicht zu lösen! Zurück zum Text
40 R. Dozy, a.a.O., 154. Zurück zum Text
41 R. Dozy, a.a.O., 94ff, 139ff Zurück zum Text
42 T. Fahd, Gerrhéens et Gurhumites, Festschrift Berthold Spuler, Leiden 1981, 67-78, spez. 71 A. 20 Zurück zum Text
43 T. Fahd, a.a.O., 74. Nach Fertigstellung dieser Abhandlung sehe ich, daß T. Fahd das Buch und also auch die These Dozy “Die Israeliten in Mekka seit der Zeit Davids” vor Abfassung seines hier zitierten Aufsatzes bereits kannte (siehe sein “Le Panthéon de l’Arabie Centrale à la Veille de l’Hégire”, Paris 1968, 264). Wie ist sein Schweigen zu Dozy zu erklären (siehe hier A. 27)? Zurück zum Text
44 Zur religiös-rituellen Sicherstellung von Vermögenswerten in den minäischen Levitentexten siehe H. Grimme, Der südarabische Levitismus, Le Muséen 37, 172 f, 178 f, 182, 186, 189 f, 193 f; ferner Martin Hartmann, Die Arabische Frage, Leipzig 1909, 35 ff; Alois Sprenger, Die Alte Geographie Arabiens, Bern 1875, 224 f; D. S. Margoliouth, The Relations between Arabs and israelites prior to the Rise of Islam, London 1924, 62; de Lacy O’Leary, Arabia before Muhammad, London 1927, 182; Adolf Grohmann, Arabien, München 1963, 136-138 Zurück zum Text
45 s. dazu A.H.J. Gunneweg, Leviten und Priester, Göttingen 1965, 38-44 Zurück zum Text
46 s. dazu Otto Bächli, Amphiktyonie im AT, Basel 1977 und Herbert Donner, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen, Göttingen 1984, 72ff u. 146ff. Zurück zum Text
47 Zur These einer ursprünglichen Herkunft der Hebräer (‘lbri = Wüstendurchquerer von Südarabien nach Midian und Mesopotamien) aus dem Weihrauchfernhandel des 3. und 2. Jahrtausends v.Chr. können wir hier nicht Stellung nehmen. Doch ist dieses Urteil von Carl Rathiens, Kulturelle Einflüsse in Südwestarabien von den ältesten Zeiten bis zum Islam, Jahrbuch f. Kleinasiatische Forschung 1 (1950), 13 sehr bedenkenswert. Zurück zum Text
48 s. dazu Roland de Vaux, a.a.O., 272 mit A 37 Zurück zum Text
49 zitiert nach R. T. Herford, a.a.o. (hier A.11), 378 Zurück zum Text
50 ich nenne hier nur R. T. Herford, Bernhard Kellermann, A. Buchler (Festschrift Hermann Coben, Berlin 1912) und meinen hochverehrten Lehrer Hans-Joachim Schoeps. Zurück zum Text
51 s. Z.B. Karl Georg Kuhn, Giljonim und Sifre Minim, Festschrift Joachim Jeremias, Beihefte zur ZNW, 26 (1960), 36ff, 55ff Zurück zum Text
52 R.T. Herford, a.a.O. (hier A.11), 29ff, 297ff Zurück zum Text
53 Zur Entstehungszeit des Monotheismus s. Othmar Reel (Hg.), Monotheismus im alten Israel und seiner Umwelt, (= Biblische Beiträge 14), Freiburg (CH) 1980 und Bernhard Lang (Hg.), Der Einzige Gott. Die Geburt des biblischen Monotheismus, München 1981 Zurück zum Text
54 R.T. Herford, a.a.O., 293ff Zurück zum Text
55 P.T. Herford, a.a.O., 177ff Zurück zum Text
56 R.T. Herford, a.a.O., 181 u. 331 Zurück zum Text
57 Hubert Grimme, Muhammad, München 1904, 11; ausführlicher Fritz Hommel, Grundriß der Geographie und Geschichte des Alten Orients, München 1904, 566ff Zurück zum Text
58 s. dazu de Lacy 0’Leary, Arabia before Muhammad, London 1927, 57. Zurück zum Text
59 Diese Verschmelzung der Simeoniten mit den 1. Gurhum drückt sich auch in der starken arabischen Tradition aus, daß Ismael, der Sohn der Hagar, sich mit einer Gurhumitin verheiratete. Im übrigen liegt in dieser Verschmelzung der Ismaeliten mit diesen 1. (hauptsächlich levitischen) Gurhum allen Umständen nach auch der Grund dafür, daß in Gen. 49,5-7 (im sogenannten “Jakobssegen”, der höchstwahrscheinlich erst in nachexilischer Zeit verfasst wurde) die Stämme Simsen und Levi zu zurücksichtslos-gewalttätigen Komplizen erklärt und verflucht werden. Zurück zum Text
60 Fritz Rommel, Nachträgliches zum Reich von Ma’in, Aufsätze und Abhandlungen arabistisch-semitologischen Inhalts, Erste Hälfte, München 1892, 128: “daß ich jetzt zu der Überzeugung; gelangt bin, daß Minaioi und Ma’in von Haus aus verschiedene Namen sind”; ähnlich auch schon Alois Sprenger, Die Alte Geographie, 231. Zurück zum Text
61 Zu dieser Tendenz s. Carl Rathjens, a.a.0. (hier A.47), 22f und de Lacy O’Leary, a.a.0. (hier A.58), 106. Zurück zum Text
62 Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den (gurhumitischen) Minäern in Dedan und Ma’in dürfen wir auch zwischen diesen Minäern und den autochthonen Gurhum in Gerrha voraussetzen (zumindest durch Heiratspolitik geknüpfte Verwandtschaftsbeziehungen). Zurück zum Text
63 Freya Stark, The Southern Gates of Arabia, London 1946 , 266 Zurück zum Text
64 R.B. Serjeant, a.a.0. , 55′ t 52 f. Zurück zum Text
65 s. dazu A. Grohmann, Arabien, München 1963, 124f , 130, 273f (Stellungnahme zu A. van Branden). Grohmann zeigt 127 seine grundsätzliche Fehleinschätzung der südarabischen “Verfassungssituation”, indem er sie als einen “ungeheuren Fortschritt” (!! ??) gegenüber dem Absolutismus in Ägypten und Babylon darstellt. Die Ratsversammlung unter dem Kabir heißt maswad, ein hebräisches Wort! Die Hebraismen der minäischen Kultur bilden ein eigenes umfangreiches Kapitel. Zurück zum Text
66 R.B. Serjeant, a.a.O., 53 f und W.H. Ingrams, Hadhramaut, Geographical Journal 88 (1936), das Foto gegenüber S. 542: “The Mansab of Meshed” mit seinem “Leviten’, 1). Zurück zum Text
67 A. H. J. Gunneweg, a.a.o. (hier A.45), 58 schreibt noch: “Ein ganzer Stamm oder gar ein ganzer Volksstamm von lauter Priestern ist – auch noch als Fiktion -, zumal in der für das ältere (G.L. : Stämme-)System von Eponymen vorauszusetzenden, früheren Zeit, schlechterdings” undenkbar. Zurück zum Text
68 “Sarazenen” finden sich etwas später als die Hagarener zum ersten Male bei Dioskuridee. Diese Datum des ersten Erscheinens in der Literatur kann natürlich nicht als das Datum des ersten Gebrauchs dieser Bezeichnung gelten. Zurück zum Text
69 Hieronymus in seinem Kommentar zu Ezechiel, zitiert nach EI (deutsche Ed.) s.v. “Sarazenen”; a. auch M.F. Nau, Un Colloque du Patriarche Jean avec l’Emir des Agaréens, Journal Asiatique, 11. Serie, Tome V, 238 note 3 Zurück zum Text
70 s. dazu G. Lüling, a.a.0. (hier A-5), S. 91 mit A. 94 : kn ist etymologisch-semasiologisch die “Maskierung, Kriegsbemalung”: lat. conari, griech. konein, kindyneuein, kinesis (in seiner archaischen Grundbedeutung: “Krieg beginnen”). Zurück zum Text
Fußnoten
- 1Die hier unter I. gemachten Ausführungen sind eine Darstellung des wesentlichsten Ergebnisses meiner koranwissenschaftlichen und historisch-kritischen Abhandlungen “Über den Ur-Qur’an” (Erlangen 1974) und “Die Wiederentdeckung des Propheten Muhammad” (Erlangen 1981). Anmerkungen werden nur zu neu angesprochenen Problemen gegeben.
- 2s. dazu Albert Schweitzer, Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis. Eine Skizze des Lebens Jesu, 3.Aufl. Tübingen 1956 (1.Aufl. 1901).
- 3Tryggve. Kronholm, Dependence and Prophetic Originality in the Koran, Orientalia Sueccana 31/32 (1982/83), 64. Sehr ähnlich E. B. Serjeant, a.a.O., 57.
- 4s. C. H. Becker, Christliche Polemik und islamische Dogmenbildung, in: Islamstudien, 1.Bd., Leipzig 1924, 433, 435, 442-445.
- 5s. die etymologischen Ausführungen von W. F. Albright, The High Place…. a.a.O., 247-253; dazu G. Lüling, Archaische Wörter und Sachen im Wallfahrtswesen am Zionsberg, Dielheimer Blätter z. AT (DBAT) 20 (1984), 52-59.
- 6Otto Eissfeldt, Der Gott des Tabor und seine Verbreitung, ARW 31 (1934), 40f.
- 7G. Lüling, Archaische Wörter und Sachen… a.a.O.(hier A.5), 52ff mit A. 5.
- 8G. Lüling, Das Passahlamm und die Altarabische Mutter der Blutrache, die Hyäne, ZRGG 34 (1982), 130-147.
- 9G. Lüling, Archaische Metallgewinnung und die Idee der Wiedergeburt, ZRGG 37 (1985) 22-37
- 10Eine der jüngsten Stellungnahmen zu diesem Thema: Ralph Stehly, David dans la Tradition Islamique à la lumière des Manuscrits de Qumran, R.H.P.R. 1979, 357-367
- 11s. dazu R.W. Hynek, Golgotha im Zeugnis des Turiner Grabtuchs, 2.Aufl. Karlsruhe 1950, 44ff; Zur jüdischen Tradition eines lahmen Jesus-Bileam s. R.T. Herford, Christianity in Talmud and Midrash, Neudruck New Jersey 1966, 64-78
- 12Wichtig wäre auch das Argument der höhenkultisch-totemistischen Symbolik der jüdischen Tradition; s. dazu z.B. Joseph Gutmann, Leviathan, Behemoth and Ziz: Jewish Messianic Symbols in Art, HUGA 39 (1968), 219-230
- 13G. Lüling, Archaische Wörter und Sachen… a.a.o. (hier A.5), 94-98