Hinweise zur Neuordnung der Chronologie Indiens

Uwe Topper, Berlin · 1994

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In seine Betrachtung über die Ursprünge und das Wachsen der indischen Religiosität hat Aravamuthan [1955], ein hervorragender Kenner des Hinduismus, auch die Siegel der Industal-Zivilisation, speziell die von Harappa [ebd 122ff], einbezogen und ohne zu zögern erklärt, daß die dargestellten Tiere und selteneren Menschengestalten in direktem Zusammenhang mit der vedischen Religion, noch genauer mit dem Rig-Veda, zu verstehen sind [1955, 122ff]. Ohne auf die damals noch nicht lesbaren Schriftzeichen einzugehen, stellt er Verse des Rig-Veda und Siegelbilder nebeneinander und erkennt, daß es sich um dieselbe Form religiösen Ausdrucks handelt. Er beruft sich dabei auch auf seine sechs Jahre zurückliegende Veröffentlichung, deren Hauptthema war, zu zeigen, “daß die Harappa-Kultur nach-Rg-vedisch ist und einen frühen Schritt in der langen Entwicklung von Rg-vedischer Kuluturstufe zum mittelalterlichen und modernen Hinduismus” darstellt [1949, 77].

Da sich Aravamuthan nirgends in seiner Schrift auf chronologische Spekulationen einläßt, wohl aber wie die meisten Hindugelehrten annimmt, daß die vedische Dichtung nicht vor Mitte des -1. Jtsds. entstanden sein kann, können wir mit ihm annehmen, daß die Harappa-Siegel nur wenig älter als zwei Jahrtausende sein dürften. Zusammenfassend sagt er wörtlich: “Siegelzeichen und Figuren von Harappa sind deutlich Verkörperungen der Einbildungskraft der Rg-Veda Dichter. Rg-vedische und harappische Ideen arbeiten nach denselben Grundzügen, sowohl in der natürlichen Auffassung von Tieren, Vögeln und menschlichen Wesen als auch in ihrer Verbindung zu Fabeltieren. Seher-Dichter und Bildhauer haben sie sich gleicherweise vorgestellt und geformt. Ein Vergleich altägyptischer und mesopotamischer Behandlung von Lebewesen ergibt nicht nur, daß der Unterschied zwischen ägyptischer und mesopotamischer Auffassung auf der einen Seite und der von Harappa und dem Rg-Veda auf der anderen grundlegend ist, sondern stellt auch die Ähnlichkeit und Nähe der Auffassung von Harappa und Rg-Veda unmißverständlich heraus” [Aravamuthan 1955, 130].

Verschiedene Ären:

-3137 Kaliyuga, Indien
-321 Seleukidenära, griechischer Kulturkreis
-269 Ära des Aschoka, Indien
-57 Vikrama-Ära, Indien
–—— Christliche Zeitrechnung
78 Saken-Ära, Indien
343 Sri-Harscha-Ära, Pandschab/Nepal, Startpunkt 1
607 Sri-Harscha-Ära, Pandschab/Nepal, Startpunkt 2
622 Hidschra-Zeitrechnung, islamisch
622 Baidurya-Karpo, Tibet
1026 Brihaspati-Zeitrechnung, Indien

Die angebliche Tempellosigkeit der vedischen Religion ist ihm nur eine scharfe Bemerkung wert. Mit detaillierten Hinweisen ordnet er kultische Figuren der vedischen Religion zu, und zwar nicht nur den gehörnten Gott in Yogastellung auf einem der Siegel aus Harappa (der inzwischen für Vieles herhalten muß), den er als Pasupati identifiziert, “Herrn der Rinderherden und der Yogis”, sondern auch Rundplastiken wie etwa eine vierköpfige Gestalt Vischnus. Die auch heute noch vielfach vertretene Einordnung der Harappa-Zivilisation als “dravidisch” kommt diesem Kenner seines Heimatlandes absurd vor [Aravamuthan 1955, 125]. Mit seinen beiden Schriften hat Aravamuthan die gängige Meinung nicht umstürzen können, obgleich man das Fehlen archäologischer Zeugnisse für die hochentwickelte vedische Kultur durchaus als problematisch empfand.

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Schon 1940 hatte Friedrich Hrozny in Prag aus seinen ersten Versuchen, die “proto-indische” (d.h. Indus-Tal-)Schrift zu entziffern, die Schlußfolgerung gezogen, daß diese – wie auch die kretische Linearschrift – eng mit der “hethitischen” Hieroglyphenschrift verwandt ist und in der Grundlage indoeuropäisch sein müßte. Hrozny fügt hinzu: “Gemäß den Eigennamen waren diese proto-indischen Indoeuropäer stark mit churritischen und vielleicht teilweise auch elamitischen Elementen vermischt” [Hrozny 1940, 54]. Seine versuchsweise Lesung, noch fälschlich von rechts nach links, hat schon gewisse Laute als grundsätzlich richtig erkannt, etwa wenn er das Zeichen für Hund KU liest [ebd, 54], während es nach Schildmanns neuesten Erkenntnissen $u klingen muß, genauer $u-n, also sanskritisch für (lat.) can(is)=Hund[ebd 54]. Die Reihe KU – su(-n) – Hun(d) ist lautgesetzlich.

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Die epochale Entzifferung der Industalschrift durch den Altphilologen und Sumerspezialisten Kurt Schildmann, Bonn, vor zwei Jahren ist beinahe unbeachtet durch die Zeitschriften und Kongresse gegangen. Schildmann gibt ja nicht eine neue Theorie wieder, sondern liest die Zeichen auf den Siegeln im Klartext, wobei er Wörter und Begriffsgruppen aus dem Sanskrit findet. Zugleich stellt er auch fest, daß diese Begriffe in “Sumerisch”, eigentlich Hochlandiranisch, fast gleich lauten, was er an vielen Beispielen belegen kann. Die phonetische Verschiebung, zumeist von Konsonanten und nach strenger Regel, ist eher als eine Mißdeutung der Umschrift denn als Änderung der Aussprache anzusehen. Im Grunde haben wir es hier mit einer von den Wissenschaftlern selbst verschuldeten Komplizierung zu tun. Vermutlich konnten sich “Sumerer” und Industal-Leute in ihrer Schriftsprache noch vollkommen verstehen. Daß auch die Schriftsprache der Maya aus dieser selben Wurzel stammt und eigentlich eine ‘Koine’ der mittelmeerischen Seehändler für ihre Kontore in Mittelamerika war, hat Schildmann ja schon 1990 dargestellt.

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G. Heinsohns Schrift “Wer herrschte im Industal?” schuf dann auch mit stratigraphischen Überlegungen Klarheit: Die Zivilisation von Harappa und Mohendjo-Daro im Industal beginnt ungefähr um -600 und leitet die sogenannte altvedische Zeit ein. Sie entwickelt sich als Ableger oder Kolonie der Herrscher des Iran zwischen -550 und -325 [Heinsohn 1993, 90]. So kann wieder eins der archäologisch-historiographischen Doppelprobleme in Heinsohnscher Manier gelöst werden: Die hochentwickelten metallverarbeitenden Arier erhalten endlich die Städte, die sie benötigen, und die Harappa-Leute erhalten ihre Gesetze und Epen, die durch die Siegel suggeriert werden und in derartigen Städten nicht fehlen dürfen. Damit ist auch geopolitisch die Einheit der sumerisch (richtiger chaldäisch)-iranisch-indischen Zivilisation gewahrt, die Schildmann auf linguistischem Gebiet festgestellt hat.

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Nun hat allerdings die bodenständige indische Zeitrechnung ähnlich hohe Zahlen angesetzt wie etwa die jüdische oder – ihr folgend – byzantinische, nämlich die Kaliyuga-Ära, bis heute in Indien in Gebrauch, deren Epoche 3137 Jahre v.u.Z. liegt. Zwar wird dieser Zeitpunkt nicht als Erschaffung der Welt angesehen, aber doch ‘historisch’ fixiert, nämlich als Beginn des Großen Krieges ums Heimatland, Mahabharata. Dieses Datum ist angesichts der Erwähnung von Metallwaffen und Streitwagen oder der Nennung der Jonier [= Yauna; Mahabharata XII, 207, 43] ohnehin illusorisch. Dennoch hält man in europäischen Universitäten weiter an einem hohen Datum für die “Einwanderung der vedischen Arier in Nordindien” fest. Basham [1954] nimmt dafür das -9. Jh. an, ‘üblicherweise’ wird die Zeit zwischen -1000 und -1500 angesetzt, van Lohuizne-Leeuw [1970, 35] geht sogar von -1500 bis -1800 aus. Belege für diese hohen Datierungen gibt es keine. Nach allem vorhin Gesagten müßte man den Großen Krieg – oder genauer die davon berichtende Heldendichtung – ins gleiche Zeitalter wie Homers Ilias einstufen, also frühestens um -600. Die darin vorkommenden hochgeistigen Passagen könnten noch gute hundert Jahre später entstandensein. Die von Englisch schreibenden indischen Wissenschaftlern selbst erstellte Chronologie [Mitra 1937, I, 136f] sieht als Beginn der von Panini geschaffenen Sanskrit-Sprache einen Zeitraum um -400 vor, wobei dem sehr ähnlichen Avestisch und Altpersisch ein Vorsprung von etwas mehrals einem Jahrhundert gelassen wird. Dies würde sich in Heinsohns Scenario einfügen.

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Als nächster umstrittener Zeitpunkt ist Buddhas Todesdatum diskutiert worden, das ja ebenfalls als Beginn einer Zeitrechnung angesetzt wird. Illig hat [1992, 7-10) die großen Schwankungen dargestellt und für einen Ansatz zwischen -400 und -350 plädiert. Dies dürfte innerhalb der akzeptierten Chronologie verwendbar sein, gibt uns aber noch keinen absoluten Zeitpunkt, denn die folgenden Jahrhunderte weisen mehrere Lücken und Neuansätze auf.

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Folglich bildet der Alexander-Feldzug das erste historische Ereignis, das eine Koppelung der indischen und abendländischen Geschichtsschreibung ermöglicht. Die Überwindung der griechischen Garnisonen vor dem Jahre -305 durch den Maurya-Herrscher Tschandragupta ist ein echter Fixpunkt [Mitra 1937, II 615]. Nach Plutarchs Alexandervita (62) läßt sich ein weiterer Berührungspunkt ermitteln: Androkottos (=Candragupta) war noch jung, als er Alexander begegnete, und wurde zum Herrscher am Indus, indem er 323-321 die griechischen Gouverneure vertrieb. Mit diesem Jahr beginnt die Seleukiden-Ära. Sie wurde in weiten Bereichen des Nahen Ostens lange beibehalten, in Indien selbst jedoch durch verschiedene neuere Ären abgelöst. Dort hatte man damals mit der Krönung des großen Aschoka, -269, bereits eine neue Ära begonnen, die ebenfalls der griechischen Zeitrechnung an die Seite gestellt werden kann, denn das Edikt aus dem 13. Jahr des Aschoka (das wäre -256) nennt fünf westliche Griechenkönige, die auch seitens der griechischen Geschichtsschreibung etwa in dasselbe Jahr datiert werden. Die Aschoka-Ara wurde noch zu Beginn von Puschya-Mitras Regierung, -185, benützt, dann verschwimmt sie, womit die auch in der römischen Zeitrechnung aufgefallene Lücke deutlich wird [Illig 1995; Martin 1995].

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Mit dem aus europäischer Sicht rückwärts errechneten Jahr -57 beginnt die Vikrama-Ära, die angeblich lückenlos bis heute durchgezählt wurde, was aber schon wegen der Überlappung mit der nächsten Ära, die mit dem Beginn der Sakenherrschaft angesetzt wird, nicht aufrecht zu erhalten ist. Die Dynastie der Saka-Pahlava, (d.h. Skythen-Parther) soll im Jahre +78 begonnen haben, also 135 Jahre nach Vikrama. Diese Zeitrechnung, die in Indien und besonders in Südost-Asien noch heute offiziell in Gebrauch ist – wir leben im Jahr 1917 seit Beginn des Sakenkönigtums – kann für mehr als 30 Könige in knapp 200 Jahren durch Münzen belegt werden. Für die Vikrama-Ära kennt Ginzel [I, 263f] mehr als 288 Datierungen (gekennzeichnet mit “V.”), wobei die ältesten Inschriften die Zahlen 428 V. und 794 V. bringen, die jüngste das Jahr 1877 V. (was 1820 AD entspräche). Dennoch sind hier Zweifel möglich, denn Ginzel [I, 387] zitiert den arabischen Schriftsteller Al Biruni, der berichtet, im Pandschab und in Nepal sei eine Sri-Harscha-Ära im Gebrauch, die 400 Jahre nach Vikrama eingeführt worden sei, aber in einem Kaschmiri-Kalender habe er gelesen, daß Sri-Harscha 664 Jahre später als Vikramaditya beginne, eine Abweichung, über die Al Biruni recht verunsichert wurde. Die Epoche für Sri Harscha wäre dann 607 AD gewesen, was durch andere Dokumente, die 605/6 angeben, bestätigt wird.

Der Unterschied der beiden Ansätze für Vikrama beträgt also 264 Jahre. Er wird noch größer, wenn wir uns König Candra Gupta II. näher ansehen. Er lebte etwa 400 Jahre nach Vikrama, besiegte die Saken und vertrieb sie aus Udschaina, weshalb er sich den Ehrentitel Vikramaditya zulegte [Basham 1954]. Da aber der Sakenvertreiber Vikramaditya [Finegan 1989] nicht gut vor den Saken gelebt haben kann, ergibt sich, daß die Vikramaditya-Ära in chronologischer Hinsicht wertlos ist. Bei Verschiebungen von dieser Größenordnung – rund vier Jahrhunderte- ist jede weitere Spekulation überflüssig.

Wenden wir uns der Saken-Ära zu. Grundlegend ist das Thronbesteigungsdatum des großen Kanischka. Golzio [1984, 12] stellt drei der neuesten Datierungsversuche für die Kuschanherrscher vor und zeigt die großen Abweichungen. Hätte er weiter zurückgegriffen in der Forschungsgeschichte, wäre das Chaos noch größer geworden.

Listen der Kuschan-Herrscher

Die Datierungen der wichtigsten Indologen weichen beträchtlich voneinander ab:

Für weitere Herrscher liegen keine Daten vor.
[Es gibt noch Münzen späterer Kuschan-Herrscher, und Schah Yazdegird Il. (438-457) kämpfte gegen Kuschan-Könige.]

Als ich vor mehr als drei Jahrzehnten die Statue des berühmten Kanischka in Mathurai in Indien besuchte, datierte man ihn ins 4. Jh., was wohl aus der indischen Chronologie heraus als sinnvoll erschien und wohl auch durch die Parallelen mit Persien nahegelegt wurde: Yazdegird II. (438-457) hatte die Kuschan bekämpft, und da diese kaum 150 Jahre an der Macht gewesen waren, müßte Kanischka spätestens im 5. Jh., frühestens im 4. Jh. gelebt haben. Inzwischen werden die Kuschan aber immer früher angesetzt. Hatte Göbl für Kanischka noch den Zeitraum 232-260, einigten sich die Gelehrten dann auf “um 200”. Narain läßt ihn schon um 100 regieren, und Eggermont, Mukherjee, van Lohuizen-de Leeuw u.a. sehen seinen Regierungsantritt im Jahre 78. Wenn er noch ein klein wenig weiterrückt, also zum Zeitgenossen Neros wird, hat er endlich den Anschluß an die chinesischen Annalen gewonnen, die neuerdings von unseren Wissenschaftlern als Maßstab angelegt werden. Daß diese aber von Abendländern, nämlich von Jesuiten ab dem 16. Jh. geschaffen wurde, hat man wohl inzwischen vergessen.

Statue des Kuschankönigs Kanishka
(Mathurai, Indien 1963)

Indem nun Kanischka um drei bis vier Jahrhunderte vorverlegt wird, also einen ähnlichen Sprung macht wie die Vikrama-Ära, wird die Lücke zu der auf die Kuschan folgenden Dynastie, Gupta, enorm groß. Dieses Problem löste man nun in den letzten Jahren, indem man einen Kanischka II. [Göbl 1984) und einen Kanischka III. [Narain] schuf, sodann Vima Kadphises, den Vorgänger Kanischkas, verdoppelte, und Vasudeva verdreifachte. Da genügend Statuen und Münzen vorhanden sind, ordnete man sie nach stilistischen Unterschieden – die jedoch allesamt unmerklich sind [so selbst Góbl 1984a] – den verschiedenen ‘erschlossenen’ Kuschankónigen zu. Man ist also keineswegs bemüht, zuviel geschriebene Jahrhunderte auszumerzen, sondern füllt vermeintliche Lücken mit Phantomgebilden auf. Das erinnert sehr an die verzerrten Pharaonenlisten, nur mit dem Unterschied, daß diese Form der Geschichtsschöpfung – Indien betreffend – gerade erst in unserer Forschergeneration vor sich geht. So variiert das Todesdatum von Vasiska, um nur den auffälligsten zu nennen, um 230 Jahre, die Länge seiner Regierungszeit schwankt bei den einzelnen Autoren zwischen 4 und 32 Jahren. Damit ist das Vertrauen in die Annalen der Saken und ihre Zeitrechnung erschüttert.

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Nach diesem Durcheinander seit dem Ende der griechischen Regenten haben wir erst im 5. Jh. wieder Daten, die mit den europäischen vergleichbar sind. Damals stürmten die meist als Hephthaliden bezeichneten Huna aus dem Norden nach Indien und bereiteten der Guptadynastie ein Ende. Skandagupta (455-467) konnte sie noch aufhalten, aber Toramana, der Hunne, und sein Sohn Mihirakula (ein echter Drakula), beide von abstoßender Grausamkeit, eroberten Indien. Erst nach ihrem Übertritt zum Schivaglauben zogen sie sich in den Kaschmir zurück, wo ihre Herrschaft bis zum Beginn der Türkeneroberung bestand. Der Vergleich dieser Huna, die als Kaste über ganz Indien heute verstreut sind [Mitra II, 615], mit Attila und seinen Horden ist so naheliegend, daß auch eine zeitliche Parallele erwogen werden kann.

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Die Islamisierung Indiens begann nach allgemeiner Ansicht [Encyclopedia of Islam; s.u. India] mit der Eroberung des unteren Industales (Provinz Sindh) im Jahre 712 durch Mohammed ben Qasim, der von der Mündung des Indus aufwärts bis nach Multan gelangte und dort den sunnitischen Glauben ausbreitete. Erst drei Jahrhunderte später wird auch das obere Industal islamisiert, nämlich durch Mahmud ben Subuktegin, den Herrscher aus Ghazni, der nach Überwindung der heidnischen Kabulschahis 1003 von seinem Vasallen Chalaf zum Sultan ausgerufen worden war und nach seiner Eroberung des Pandschab als “el Ghazi”, der Sieger, in die islamische Geschichte einging. Daß er möglicherweise selbst erst zum Islam übergetreten war, ist aus dem wenigen, was wir über seinen Vater wissen, zu vermuten [Topper 1994, 66]. Hier tut sich wiederum eine Lücke von rund 300 Jahren in der Geschichtsschreibung des Islam auf, die jene frühe Eroberung durch Qasim – ganz entsprechend der durch Oqba in Marokko – als fromme Legende erscheinen läßt. Es läßt sich nämlich ergänzend noch präzisieren: Mahmuds Vater, Subuktegin (oder Sebük-Tegin = geliebter Prinz) hinterließ seinem Sohn eine Aphorismensammlung über adliges Verhalten, “Pand-Nama”, in der er erklärt, aus einem Qarlug-Verband vom Isig-Göl abzustammen. Später führten Höflinge seine Herkunft auf Yäzdegird III. zurück, der auf seiner Flucht dort eine Türkin geheiratet habe. Subuktegin ist also ganz sicher noch als Heide geboren. Es ist zwar geläufige Praxis, sich einen illustren Ahnherrn zuschreiben zu lassen, aber wenn jener sein Reich vor 300 Jahren bereits verloren hat, ‘lohnt’ es nicht; Aussicht auf Erfolg hat nur ein Ahnherr, der der jeweiligen Zeitstrómung genehm ist. Zwischen Yäzdegirds Tod und Subuktegins Anspruch dürften nur Jahre, nicht Jahrhunderte gelegen haben. Subuktegins Herr, Alp-Tegin, entriß den heidnischen Kabulschahis Ghazna, das von 977 an zu Subuktegins Herrschersitz wurde. Aus seiner Ehe mit einer (vermutlich heidnischen) Adligen aus Zabulistan entstammte Mahmud (daher -i-Zawuli genannt), der ab 999 auf Münzen als “Wali Amir al-Mu’minin” (Freund des Chefs der Gläubigen) tituliert wird und sich des sunnitischen Islams als Vorwand bei der Eroberung Indiens bediente.

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Die Encyclopedia Judaica [s.u. India] kennt als früheste jüdische geschichtliche Urkunde in Indien eine Bronzetafel, auf der einem gewissen Josef Rabba bestimmte Privilegien zugebilligt werden, die “gewöhnlich auf 750 datiert (wird), mit größerer Wahrscheinlichkeit jedoch ins Jahr 1021 zu setzen ist.” Derartige Hinweise sprechen eine deutliche Sprache.

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Im Jahre 1026 führte man in Indien eine neue Zeitrechnung ein, Brihaspati genannt [Ginzel 1906, I]. Diese wurde gegen 1100 auch in Tibet gebräuchlich, kombiniert mit dem in China üblichen 60er Rhythmus, den Prabhava-Zyklen. Gleichzeitig benützte man aber in Tibet auch eine andere Zeitrechnung, Baidurya Karpo, deren Gesamtzyklus 1.063 Jahre beträgt. Er vollendete sich im Jahre 1686 zum ersten Male, woraus sich errechnen läßt, daß seine Epoche dasselbe Jahr benützt wie die Ära der Moslems, die Hidschra-Zählung, 622 AD. Solche “Zufälle” sollte man nicht ungeprüft hinnehmen.

Literatur

Aravamuthan, T.G. (1949): “Gods of Harappa”; in: Journal of the Bihar Research Society 24 (3,4) – (1955): “Origin and Growth of Religion. Indian Evidence; in: Transactions Archaeological Society of South India, vol. 1; Madras
Basham, Arthur L. (1954): The Wonderthat was India; London – (Hg. 1968): Papers on the Date of Kaniska; Leiden (mit Beitrágen von Eggermont, van Lohuizen-de Leeuw)
Cunningham, Alexander (1883): BookofIndian Eras;
Eggermont, Pierre H. (1987): “India and the Ancient World. History, Trade and Culture before A.D. 650”; Lówen
Finegan, J. (1989): Archaeological History of Religions of Indian Asia; New York
Frye, R.N. (Hrg. 1975): The Cambridge History of Iran; 8 vol.s, Cambridge
Ginzel, FK. (1906): Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie; Bd. I, Leipzig
Göbl, R. (1984): System und Chronologie der Münzprägung des Kuschanreiches; Wien – (1984a): Numismatik; Wien
Golzio, Karl-Heinz (1984): Kings, Khans and other Rulers of Early Central Asia; Kóln
Heinsohn, Gunnar (1993): Wer herrschte im Industal?; Gräfelfing
Hrozny, Friedrich (= Bedrich) (1940): Die älteste Geschichte Vorderasiens. Vom Verf. selbst ins Deutsche übertragen; Prag
Illig, Heribert (1992): “Wann starb Buddha? Indien am Beginn der Eisenzeit”; in: VFG IV (2) 7-15
(1995): “Rom bis Athen – was bleibt bestehen? Zeitkürzungen vor der Zeitenwende; in: Zeitensprünge VII (3) 269
Lohuizen-de Leeuw, Johanna E. van (1970): “India and its Cultural Empire”; in: Sinor 1970
Martin, Paul C. (1994): “Wie stark erhellen Münzen die ‘dark ages’ in Italien?”; in: Zeitensprünge VII (3) 247-268
Mitra, Debala (1937): The Cultural Heritage of India. Vol. 1; Calcutta
Mukherjee, B.N.: The Kushana Genealogy; Calcutta
Narain, A.K. (1957): The Indo-Greeks; Oxford – (1968): The Coin types of the Indo-Greek Kings; Chicago/USA
Plaeschke, Ingeborg u. Herbert (1988): Frühe indische Plastik; Leipzig
Sinor, Denis (Hg. 1970): Orientalism and History; Bloomington/USA (mit Beiträgen von van Lohuizen-de Leeuw u.a.; 11954) Zeitensprünge 4/96 S.446
Sinor, Denis (Hrg. 1990): The Cambridge History of Early Inner Asia. Chapt. 6; Cambridge
Schildmann, Kurt (1990): “Die gemischt phönikisch-persisch-chaldäisch=sumerischen Expeditionen um -500 nach Mittelamerika”; in: VFG II (1) 25-30
(1992): “Die Reaktivierung des Suezkanals anno -498”; in: VFG IV (1) 18
(1994): “Die Indus-Schrift ist entziffert!”; in: Efodon-Synesis Nr. 5, 6 –
(1996): “Entzifferung der Indus-Schrift”; in Zeitensprünge III (96) 279
Topper, Uwe (1994): “Zur Chronologie der islamischen Randgebiete”; in: VFG VI (3) 50-71
Zeller, Manfred (1994): “Zentralasien im friihen Mittelalter”; in: VFG VI (3) 72

Uwe Topper, Berlin 1996

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