Zeitensprünge 1/2001

Besprechung durch Uwe Topper (April 2001)

In diesem neuen Heft der “Zeiternsprünge” wird erstmals ausgiebig auf unsere elektronische Zeitschrift Bezug genommen und ein von Topper darin herausgegebener Text besprochen. Der hervorragende Kenner der Kirchengeschichte, Dr. Peter Winzeler von der Universität Bern, untersucht kritisch, inwieweit die von Topper vorgeschlagenen neuen Ansätze für eine chronologische Einordnung der Entstehungs des Christentums und der Bibel verwertbar sind.
Da das Heft, an dem ich fünf Jahre mitgearbeitet habe, mit diesem Schritt in unsere Diskussion einsteigt, nehme ich das zum Anlaß, eine kritische Würdigung des Heftes, nicht nur des Artikels von Peter Winzeler, zu verfassen.
Winzeler beginnt mit “einer notwendigen Korrektur” (S.20), da er “im Eifer des Gefechts” die beiden wichtigsten und ältesten Gesamthandschriften des Bibeltetxts, den Sinaiticus und den Vaticanus, als hebräische statt griechische Manuskripte bezeichnet hatte. “Das war gut gemeint,” fährt er fort, “aber doch weder fair argumentiert (gegen Kammeier, Fomenko, Topper),” …
Der zweite Abschnitt trägt die Überschrift “Toppers Ansicht vom Judentum” und argumentiert weiterhin fair.
Unklar bleibt das Ergebnis dieser tiefschürfenden Recherche. Das kam auch Dr. Illig so vor, denn er hat nach der bei ihm schon traditionellen Art gleich eine zweiseitige “Replik” (S. 38-39) darangehängt und das von Winzeler erarbeitete Resultat gründlich zerstört: “Überraschenderweise führen aber all die komplizierten Überlegungen nicht zu einer Zusammenschau der vielfältigen Elemente.” (S. 38)
Es ist klar, warum Illig nicht verstehen konnte, dass die verschiedenen Berechnungen der Kirchenväter und Chronisten etc. auch ganz verschiedene Datierungsdifferenzen vorzuweisen haben, denn Illig hat ja die Patentlösung gefunden: Der Unterschied beträgt 297 Jahre, auf den Tag, basta. Winzeler führt an den Quellen den Beweis, dass diese ganz unterschiedliche Zeitsprünge vornehmen müssen, um ihre jeweiligen Ziele (meist die Voraussage für das Jüngste Gericht) zu erreichen: 306 oder 310 Jahre, 403, 420 und 440, sogar 670 und rund 1000 Jahre in anderen Fällen.
Das war ja das Fazit meiner beiden Bücher gewesen, dass die Zeitspanne, die übersprungen wird, von der jeweiligen Position des Datengebers abhängt, wobei gegenüber dem islamischen Datengerüst (und davon abhängig auch für die spanische ERA) ein Sprung von 297 Jahren recht häufig verzeichnet wird. In anderen Bereichen (Byzanz, Bulgarien etc.) liegt die jeweilige Sprungstelle bei anderen Jahreszahlen. Winzelers umsichtige Demonstration dieser Erkenntnis ist sehr umfangreich, dass ich nicht nur wie Illig (S. 38) “den Hut ziehen” möchte, sondern mich in Anbetracht der eigenen Begrenztheit vor dieser Gelehrsamkeit verneige.
Das war es ja, was ich mir wünschte: dass einmal ein Theologe mit seinem Fachwissen sich auf dieses Thema stürzt (statt immer wieder den naiven Arno Borst abzuschreiben, wie es Illig bisher tat) und eine echte Quellensichtung vornimmt, wie ich es hinsichtlich Euseb und Africanus mit ersten Schritten (1998) vorgeschlagen hatte.
Das Ergebnis, das Winzeler vorstellt – und auch dies ist nur ein erster Entwurf, wie er selbst sagt – kann sich sehen lassen: Es übertrifft bei weitem meine Erwartungen, denn dass es so viele unterschiedliche Ansätze für den Weltuntergang bzw. die Weltschöpfung gegeben hat, hätte ja früheren Theologen auch schon auffallen können.
Was in den “Zeitensprüngen” nicht vorkommen sollte, aber neuerdings doch öfters mal: Druckfehler. Auf S. 33 steht statt “König Abgar(us)” leider “Agbarus”, wodurch er näher zu den Vergleichswörtern Agabus und Elagabal rückt, was nicht ganz einzusehen ist.

Der nächste Aufsatz im Heft stammt von Dr. Francesco Carotta, der in gewohnter Sprachgewandtheit auf fast zehn Seiten auf Angelika Müllers Leserbrief antwortet, ohne jedoch das wichtigste zu treffen, nämlich die auffällige Ähnlichkeit zu einem anderen Autor, den Müller herausgefunden hat.
Carotta argumentiert wiederum mit unlogischen Argumenten, z.B. dass ein Kind nicht glauben würde, dass aus einer Raupe ein Schmetterling werden kann. Ich habe es nicht nur geglaubt, sondern als Zehnjähriger mit Eifer immer wieder beobachtet im eigenen Terrarium. Oder der lapidare Satz: “Denn um Gott zu werden, muß der Mensch Atheist sein. Mindestens.” Das ist Unsinn. Er müßte Politheist sein.
Ungenannterweise kommt auch Topper in dieser Leserbriefrezension vor, wobei wiederum nur oberflächlich hingeworfene Sätze ein ganzes Buch abkanzeln sollen. Oder Seitenhiebe auf Winzeler. Und die zum x-ten Male wiederholten Ansprüche eines Dionysius Exiguus, der “im 6. Jahrhundert das Jahr 1 rund 100 Jahre nach Cäsars Geburt setzte” – wirklich? Oder nur nachträglich herausgerechnet?

Der folgende Artikel von Prof. Dr. Volker Friedrich, “Niebelungenlied und Phantomzeit im Donauraum” ist allerdings so unmöglich, dass eine längere Besprechung nötig erscheint. Mit den aus so wenigen Quellen herausdestillierten Jahreszahlen, die noch dazu nach einem fragwürdigen Muster auf unsere theoretische Zeitrechnung AD umgerechnet wurden, würde ich ohnehin keine Rechnung aufmachen. Da aber Friedrich dieses Wagnis auf sich nimmt, rechne ich einfach mal nach und stelle fest, dass diese Rechnungen nicht aufgehen.
Ich beginne beim Resümee, S. 68: Der ungarische Geschichtsschreiber Kézai (1283) schrieb, dass der ungarische Feldherr Bulchu (955 gehenkt bei Augsburg) ein Enkel eines Attila-Gefolgsmannes gewesen sei. Dies “klingt nicht mehr abwegig”. Da aber selbst nach Abzug von Illigs 297 Jahren zwischen Attila (451/2) und Bulchu (955) immer noch 207 Jahre liegen, ist die Aussage Kézais eben doch abwegig. Friedrich macht Bulchu darum zum “Urenkel oder Ururenkel”, ganz einfach.
Dieser Kézai nennt (S. 51) den Edelmann Verbulchu, dessen Großvater in der Kriemhild-Schlacht von “Germanen” getötet worden sei, weshalb der Enkel einen geradezu höllischen Blutdurst auf “Germanen” hatte und sie am Spieß röstete. Das wäre wohl nur verständlich, wenn Bulchu seinen Großvater als Kind noch erlebt und geliebt hätte, was Kézai eben auch impliziert. Zwischen den beiden liegen aber nach Friedrich 207 Jahre, und wenn wir rund 50 für den Abstand zwischen Großvater und Enkel abziehen, bleiben noch rund 160 Jahre übrig, das sind fünf Generationen zuviel. Jedenfalls nach Adam Riese. Also der Urururururenkel, da hört der Blutdurst auf.
Kézais Aussage, dass Attila und Bulchu nur durch eine Zwischengeneration getrennt waren, finde ich recht bemerkenswert. Aber eine künstliche Streckung des Zeitraums auf 200 Jahre, um Illigs 297 Jahre zu retten, Herr Prof. Dr. Friedrich, akzeptiere ich nicht.
Am anderen Ende – Friedrichs Aufsatz hat zwei Stützpfeiler – muß das vorgegebene Material gestaucht werden, da es trotz aller Kürzungsmöglichkeiten noch immer zu lang ist. Es geht um die “Protobulgarische Fürstenliste” (ab S. 56), die in Weissgerbers Aufsatz (im selben Heft S. 95-98) abgedruckt ist. Avitohol sei Attila und dessen Sohn Irnik sei sein Sohn Ernak. Das klingt plausibel, auch wenn für die beiden zusammen eine Lebensspanne von 450 Jahren angegeben ist und einfach übergangen werden muß.
Der 6. Fürst der Liste heißt Isperih und überquerte die Donau 567 (solche Flußübergänge, wie auch der der Goten über den Rhein 406 sind immer beliebte Fixpunkte für Datengerüste der Chronisten). Isperih regierte 61 Jahre, Terwel 21, Tyrwiren 28, Sewar 17, und dann folgt Kormisosch, der mit Khan Krum gleichgesetzt wird, einer schon fast historischen Person; er war nämlich Großvater von Zar Simeon d. Gr. (gest. 927).
Wir müssen ab Kormisosch die Fürstenliste verlassen und die letzten Herrscher dem Orkus übergeben, denn Kormisoschs Nachfolger passen nicht mehr ins nun historische Konzept.
Friedrich rechnet nun: Als Großvater von Zar Symeon, der 927 nach 38-jähriger Regierungszeit starb, müßte Khan Krum “daher um 600 regiert haben” (Überquerung der Donau 567 plus 21 Jahre für Tervel und 15 für Sevar ergibt ca. 603). Da fehlt aber Tywiren mit 28 Jahren Regierung, bei Sewar stehen 17 Jahre in der Liste, und zwischen Großvater Khan Krum und Enkel Zar Symeon liegt ursprünglich noch der Sohn von Krum und Vater von Symeon, Khan-Zar Boris-Michael mit 24 christlichen Regierungsjahren, der nun ganz unterschlagen werden muß.
Zwischen 603 und 927 liegen nur 27 Jahre (nach Abzug der 297), die auf Khan Krum (Regierungszeit 17 Jahre) und Zar Symeon (38 Jahre, macht zusammen 55 Jahre, also doppelt soviel) aufgeteilt werden müssen. Wer nachrechnet, stellt fest, dass Friedrich hier geschummelt hat. Offensichtlich ist zwischen den beiden Fixpunkten 567 (Isprih) und 927 (Tod von Symeon) nicht genug Zeitraum vorhanden, um die echte Fürstenliste einzupassen, wenn man mit Illig 297 Jahre streicht, wie Friedrich tut. Also muß er die Fürstenliste kürzen. Dann können wir sie auch ganz wegwerfen, geehrter Herr Prof. Dr. Friedrich.
Sollte man die übrigen Schnitzer dieses Aufsatzes auch noch ankreiden? Es geht ja hauptsächlich um Chronologie, und wenn die Zahlen nicht passen oder willkürlich passend gemacht werden, wird wohl jeder Leser passen. Im Handstreich gleich noch ein paar sprachliche Fixpunkte verkünden ist wohl bisher jedem Autor recht gewesen, so auch Friedrich: Die Awaren sprachen türkisch, steht für ihn fest (S. 64), obgleich es aus der Luft gegriffen ist, denn aus den wenigen Personennamen auf die Volkssprache zu schließen, ist unzulässig. Genauso aus der Luft gegriffen ist Friedrichs Behauptung (S. 63), die Mähren des 5. Jahrhunderts wären “nichtgermanische Stämme” gewesen.

Wer nun einen schlechten Eindruck von Illigs neuem Heft hat, der hat das Heft leider zu früh zugeklappt. Derartige Schwächen und Rechenfehler ließ Dr. Illig, der ungewöhnlich fleißig und aufmerksam recherchiert, früher nicht in seine Zeitschrift kommen. Ob ihn der akademische Grad des Autors verführt hat oder schlicht der Mangel an besseren Aufsätzen? Offensichtlich hat Illig den Aufsatz vor Drucklegung gelesen, denn im “Editorial” wird dieser Mißgriff als gleichwertig neben den ausgezeichneten Beitrag von Weissgerber gestellt. Ob das Herrn Dr. Klaus Weissgerber recht ist?
Dessen Artikel zum selben Thema, nämlich der “Bulgarischen Fürstenliste” (ohne Proto-), ist in gewohnt akribischer Form verfaßt. Erfreulich ist an dieser Arbeit (wie schon früher, seit dem Thüringen-Beitrag in 3 und 4 /1999), dass er Illigs Phantomjahre keineswegs dogmatisch übernimmt, sondern das Beste aus diesem Entwurf herausholt und in eigener Weise verarbeitet, z.B. S. 74: fließende Übergänge an den Nahtstellen der Phantomzeit.
Manche Folgerungen Weissgerbers möchte ich dennoch als voreilig ankreiden, besonders die Aussage, dass die “Basilika” des 6. Jahrhunderts in Pliska (Bulgarien) eine Christianisierung Bulgariens (S. 92) schon am Ende des 6. Jahrhunderts anzeige (also vor 1100 Jahren). Wenn Kruzifixe oder Madonnenbilder in der dazugehörigen Bodenschicht gefunden wurden, wäre der Schluß nachvollziehbar. Ansonsten – und das scheint mir hier der Fall – kann die Basilika auch dazu gedient haben, wozu man derartige Gebäude in der heidnischen Antike immer verwendete, nämlich als Gerichtssaal.
Das Debakel der Ausgrabung im Dom von Pesaro (Italien) ist ja noch nicht vergessen. Die katholische Kirche hält Fotografen und selbst harmlose Neugierige von den Fußbodenmosaiken fern, denn diese bezeugen heidnischen Kult in einem mittelalterlichen Dom.

Zum Schluß – fast hätte Illig es vergessen – wird der “Ceno-Crash” von Christian Blöss auf vier Seiten rezensiert und recht locker abserviert. Das hätte man seinem Freund und Mitkämpfer der letzten 15 Jahre nicht zugetraut. Illig erkennt keineswegs die epochale Geistestat von Blöss, nämlich die Elimination des gesamten Tertiär im geologischen Zeitschema, sondern moniert, dass Blöss es unterlassen habe, die saubere Schichtentrennung bei den versteinerten Knochen oder Abdrücken zu erklären.
Blöss mag es vergessen oder übergangen haben, das ist bei diesem wichtigen Werk nebensächlich. Schließlich hatte Hörbiger schon 1913 die (bisher einzig sinnvolle) Erklärung dafür gegeben. Wer’s wissen will, wie Illig, der soll eben doch noch mal die Welteislehre zur Hand nehmen, er könnte noch mehr darin finden, was gut in unser jetziges Katastrophenkonzept paßt.
24.4.2001

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