Die Passahfeier Jesu

Günter Lüling (Juli 2007)

Dieser Text ist ein vom Verfasser eingesandter Auszug aus: G. Lüling, Die bronzezeitlich-alteuropäischen Reiche der Hebräer. Bd. 1 (in Vorbereitung) · Kap. 4. 4 ‘Die Deformation des altpflanzerlichen Zerstückelungs-Opfers in der Form des Passah-Opfers im Christentum’ · Abschnitt: 4. 4. 1 Die letzte Passahfeier Jesu, das „Abendmahl“, und das altpflanzerliche Gesetz des Tötens gemäß dem So-Sein der Welt.

Die englische und die deutsche Fassung sind am Anfang und Ende leicht verschieden, stimmen aber sonst völlig überein.


1. Der Streit zwischen Israeliten und Juden
2. Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht
3. Exkurs zum Begriff Baal
4. Der kriegerische Charakter der Bewegung Jesu

Der Streit zwischen Israeliten und Juden

Die sich am neuerbauten, zweiten Tempel Jerusalems (seit ca. -450) von neuem etablierende Macht der jüdischen Priesterschaft hatte keine sehr weit über Jerusalem hinaus reichende Kraft, da diese Priesterschaft mit ihrem Haupt, dem Hohen Priester, nicht mehr von einem nationalen jüdischen Königtum gestützt war sondern, von der jeweils herrschenden (erst persischen, dann griechischen und schließlich römischen) Besatzungsmacht eingesetzt und kontrolliert, nur eine sehr beschränkte weltliche und eine ständig kontrollierte religiöse Herrschaft über Israel ausübte. Man darf daher annehmen, daß in Nordisrael (Ephraim, Samarien und Galiläa), – unberührt von der gescheiterten Kultzentralisation von -622 wie von der später doch wieder restaurierten Kultzentralisation am zweiten Tempel – , der altisraelitische Ahnen- und Heroenkult an den Höhen = Grabesheiligtümern weiterblühte, praktisch bis in die Zeit Jesu. Denn die Idee des leidenden und sterbenden Messias ist eine Idee des altisraelitischen, volksreligiösen Höhen- und Grabeskultes. Und diese volkstümlich-pagane Idee kommt, – natürlich in zeitbedingter Veränderung – , in der Bewegung des Galiläers (= Nordisraeliten) Jesu wieder aus dem Untergrund an die Oberfläche.

Der sich durch ein Jahrtausend hinziehende Gegensatz zwischen dem Nordstaat Israel (Hauptstadt Sichem/Samaria, mit den 10 Stämmen außer Juda und Benjamin) und dem Südstaat Juda (Hauptstaat Jerusalem, mit den Stämmen Juda und Benjamin) kann also kaum scharf genug gesehen und wichtig genug genommen werden. Deshalb ist auch die in gewissen, auch wissenschaftlich-theologischen Kreisen heute modisch gewordene Bezeichnung Jesu als „Jude“[1] grundsätzlich abzulehnen, denn die Evangelien machen die Gegnerschaft Jesu und seiner Jünger gegenüber den Juden sehr deutlich. Laut Joh. 1,47 spricht Jesus z.B. sein Urteil aus über einen seiner Jünger aus Galiläa, namens Nathanael: „Siehe, ein rechter Israelit, in welchem kein Falsch ist“. Ein entsprechender Spruch mit dem Ausdruck „Jude“ findet sich seitens Jesu im NT bezeichnenderweise nicht. Denn es ist in diesem Zusammenhange zu beachten, daß Jesus nicht nur aus dem nordisraelitischen Galiläa herstammt (nach Joh. 8,48 wird er von Juden sogar als Samaritaner und deshalb als des Teufels beschimpft)[2] und für seine revolutionierende Mission aus Galilä nach Jerusalem kommt, sondern daß er auch nach der Erfüllung seiner Mission nach Galiläa zurückkehrt, denn er kündigt seinen Jüngern an (Matth. 26,32): „Wenn ich aber auferstehe, will ich vor euch hingehen nach Galiläa.“

Jesus kommt also aus dem durch ein Jahrtausend in Widerspruch zu Jerusalem stehenden Nordisrael, d.h. aus dem einstigen 10-Stämme-Nordstaat Israel und aus dessen „paganer“ messianisch-höhenkultischen Volksreligion, deren Zentrum seit eh und je immer schon der Grabes- und Wiederauferstehungskult des getöteten „göttlichen Urahn“/gesalbten Königs/Stammesfürsten war und die im judäischen Jerusalem immer bekämpft wurde[3], und er und seine Jünger ziehen sich nach ihrer revolutionären Mission in Jerusalem konsequenter Weise wieder aus Juda dorthin zurück, nämlich nach ihrem dem Staate Juda durch ein Jahrtausend feindlichen nordisraelitischen Galiläa.

Wie wir oben darlegten, hat die Jerusalemer Priesterschaft die -586 mit der Zerstörung des ersten Tempels hinfällig gewordene Kultzentralisation am wiedererrichteten zweiten Tempel (auch durch die Auffnahme des Deuteronomiums in den Pentateuch!) langsam aber sicher wieder hergestellt. Alle sich dann am Jerusalemer Tempel orientierenden Gläubigen des jüdischen wie auch des nur minderheitlich jüdischen nordisrealitischen Landes dürfen daher nicht zuhause das Passah schlachten sondern müssen zum Tempel anreisen und sind dann natürlich genötigt, auch im Tempel das Passahmahl einzunehmen. Übrigens muß man in Betracht ziehen, daß das Passahschlachten im priesterlichen Ritus gegen Sonnenuntergang stattzufinden hatte, so daß das Essen in der Nacht geschah. Es gibt nun, – nach dem bisher über die alte Gegnerschaft zwischen Nordisrael und Juda Dargelegten verständlicherweise – , verschiedenste Nachrichten, daß die Samaritaner/Nordisraeliten bestrebt waren, die zu Ostern zum Passahfest nach Jerusalem zum jüdischen Tempel reisenden nordisraelitischen Landsleute an dieser Reise zu hindern.[4] Einen solchen Fall der Behinderung schildert selbst das NT in Lukas 9,52f . Die letzte Reise Jesu von Galiläa nach Jerusalem betreffend heißt es dort:
„Und Jesus sandte Boten vor sich her. Die gingen hin und kamen in einen Markt der Samaritaner, daß sie für Jesus Herberge bestellten. Und sie nahmen ihn nicht an, darum daß er sein Angesicht gewandt hatte, zu wandeln gen Jerusalem.“

Bezeichnend ist, daß Jesus dieses Verhalten der Samaritaner nicht tadelt, ja sogar seine Jünger hindert, den Samaritanern ihre Ablehnung strafend zu vergelten.[5] In Samarien, und dazu gehört im weiteren Sinne auch die Heimat Jesu Galiläa, pflegte man immer noch das häusliche oder gar dörfliche Passah (je nach Größe der Opfergemeinde auch mit Stieren als Opfertieren) und man befehdete entschieden das zentralisierte priesterliche Passah in Jerusalem. Daß sich die samaritanisch-israelitische Ablehnung gegen den Jerusalemer Kult sehr wesentlich auch gegen die jüdische Art der Passahfeier richtete, ist der Nachricht des Flavius Josephus (+37 bis +100) zu entnehmen (Jüdische Altertümer,18.Buch,2.Kapitel, § 29f) daß zur Zeit des römischen Statthalters Coponius (+6 bis +9) Samaritaner das Passahfest in Jerusalem unmöglich machten, indem sie am Vorabend heimlich in den Hallen und im ganzen Tempel menschliche Totengebeine verstreuten, so daß diese Kultstätte wegen ihrer, orthodox-jüdisch gesehen, somit eingetretenen rituellen Unreinheit[6] für die ganze Passahwoche gesperrt werden mußte.

Aber nicht nur die Samaritaner, sondern auch die Galiläer standen in einem bewußten religionspolitischen Gegensatz zu Jerusalem. Der Begriff „ein Galiläer“ ist sogar oft gleichbedeutend mit „ein Widerstandskämpfer (Zelot = Eiferer)“.[7] Dieser Gleichsetzung entsprechen auch die nach der Gefangennahme Jesu einsetzenden Fahndungen nach den Jüngern Jesu als „Galiläern“ (Mark.14,70 Luk.13,1-4 und Joh.7,52). Wir werden nun sehen, wie Jesus als Galiläer und, in einem weiteren Sinne, als Samaritaner in Jerusalem auch in dieser nordisraelitsch-galiläisch-samaritanischen, seit alters gegen Jerusalem opponierenden Art und Weise sein völlig unjüdisches, altisraelitisch-paganes, volksreligiöses Passah feiert[8]  und sich nicht zuletzt dadurch als Widerstandskämpfer gegen die römische Besatzungsmacht und gegen die mit Rom kollaborierende Jerusalemer Priesterschaft erweist.

Wie Jesus in den vielen Jahren seines Lebens das Passahfest gefeiert hat, ist uns unbekannt. Wir haben nur Nachrichten über seine letzte Passahfeier, die in der Christenheit im allgemeinen als das „Heilige Abendmahl“ bezeichnet wird. Schon die Frage, ob Jesus dieses sein letztes Passah am Termin des jerusalemisch-priesterlichen Passah, dem 14. Nisan und damit dem ersten Tag des Festes der ungesäuerten Brote, feierte, ist umstritten. Es gibt jedenfalls christliche Theologen, unter ihnen der berühmte Adolf von Harnack (1851-1930), die die Meinung vertreten, daß der sogenannte Gründonnerstag, an dem Jesus sein Abendmahl mit den Jüngern feiert, der Tag vor dem jüdischen Passahfest dieses Jahres war.[9] Diese Theologen stützen sich auf Joh.13,1 ff (s.H.Haag, Bibel-Lexikon,1951,s.v.Abendmahl). Obgleich aus noch zu erörternden dogmatischen Gründen das Johannesevangelium an dieser Stelle zwar nur ganz nebensächlich von einem unprätentiösen Abendessen ohne die so wichtige, in den Evangelien Matthäus, Markus und Lukas erzählte Zeremonie Jesu zur Einsetzung des zukünftigen christlichen Abendmahls („Dies ist mein Leib … Dies ist mein Blut etc.“) berichtet, – das Johannesevangelium läßt stattdessen bei diesem nur beiläufig erwähnten und nicht näher beschriebenen Abendmahl die prätentiös-rituelle Fußwaschung Jesu an seinen Jüngern stattfinden, von der wiederum Matthäus, Markus und Lukas überhaupt nichts wissen – , trotz dieser Merkwürdigkeiten des Johannesevangeliums, über die noch zu reden sein wird, ist dieser Donnerstag der Abend, an dem das letzte Passah Jesu stattfindet, denn das Johannesevangelium (Joh.13,1) nennt diesen Tag „vor dem Tage des (jüdischen) Passah“.

Schon nach dem, was wir bisher von dem Galiläer Jesus und seinen ebenso galiläischen Jüngern und von der ihnen gemeinsamen nordisraelitischen Abneigung gegen die Jerusalemer Priesterschaft im allgemeinen und gegen das Jerusalemer kultzentralisierte Passah im besonderen wissen, ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß Jesus und seine Jünger gar nicht die Absicht hatten, den priesterlich vorgeschriebenen und priesterlich beaufsichtigten Tempelritus des Jerusalemer Passah im Tempel zu begehen, also weder dem Termin, noch dem Ort, noch, wie wir sehen werden, dem ausgeübten Ritus nach. Das zeigt sich auch an weiteren Umständen.
Über die Suche nach dem geeigneten Ort, wo das letzte Passah Jesu stattfinden sollte, berichtet Markus 14,13f (in fast wörtlicher Übereinstimmung mit Lukas 22,10-12):

„Und Jesus sandte zwei seiner Jünger und sprach zu ihnen: Gehet hin in die Stadt, und es wird euch ein Mensch begegnen, der trägt einen Krug mit Wasser. Ihm folget nach, und wo er eingeht, da sprecht zu dem Hausherrn: Der Meister läßt dir sagen: Wo ist der Raum, in dem ich das Passah esse mit meinen Jüngern.“ Wenn man sich vorstellt, daß nach jüdischem Gesetz streng vorgeschrieben war, daß Passahfest im Tempelhof zu feiern, und sicher auch eine priesterliche Stadtpolizei für die Einhaltung dieses Religionsgesetzes sorgte, dann ist diese Beschreibung der Kontaktaufnahme Jesu von außerhalb der Stadt zu einem ihm vertrauten Hausherrn nicht die Erwähnung eines wundersamen Zufalls sondern es ist die Beschreibung des konspirativen Vorgehens Jesu: Er suchte mit gleichgesinnten, d.h. ebenfalls galiläisch-samaritanisch-antijerusalemisch eingestellten Gewährsleuten in der Stadt konspirativ und ‘under cover’ Kontakt aufzunehmen. Die zwei abgesandten Jünger finden aufgrund der beschriebenen Geheimzeichen den Besitzer des geeigneten geheimen Ortes und „bereiteten das Passah vor. Und als es später Abend (d.h. dunkel) geworden war, kam Jesus mit den Zwölfen“ (Mark.14,16f). Die zwei vorausgesandten „Jünger“ gehörten also nicht zu den Zwölfen, waren also vielmehr zwei under-cover-Agenten der Untergrundbewegung Jesu! Nach dem Passah/Abendmahl zieht sich Jesus wieder mit seinen Jüngern auf den Ölberg, d.h. in freies Gelände außerhalb der Stadt, zurück (Matth.26,30; Mark.14,26).

Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht

Noch aufschlußreicher für den nicht jüdisch-gesetzesgemäßen Ritus des letzten Passah Jesu ist der geschilderte Verlauf dieser Feier, und zwar der dort von Jesus und seinen Jüngern geübte Ritus des Gemeinsam-die-Hand-in-die-Schüssel-Tauchens: Das Evangelium Matth.26,23 legt Jesus die Worte in den Mund: „Der mit der Hand mit mir in die Schüssel tauchte, der wird mich verraten.“ Darauf fragt Judas, der spätere Verräter, nach: „Bin ich`s, Rabbi? Jesus sprach zu ihm: Du sagst es.“

Dies ist eine absonderliche Darstellung, denn es ist ganz unwahrscheinlich, daß Jesus seinen Verräter bezeichnet hätte, ohne daß er selbst oder zumindest seine ja auch sonst immer schnell aufbrausenden Jünger Maßnahmen ergriffen hätten, den Verrat zu verhindern. So hat denn auch das im allgemeinen als das zeitlich älteste Evangelium angesehene Markusevangelium eine ganz andere und sicher die den tatsächlichen Vorkommnissen gerechter werdende Darstellung. Auf die Frage nach dem erwarteten oder vorausgesagten Verräter aus den eigenen Reihen heißt es (Mark.14,20):
„Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Einer aus den Zwölfen, der mit mir in die Schüssel taucht.“
Hier wird also in glaubwürdigerer, d.h. die Situation sicher richtiger beschreibender Weise Judas, der tatsächliche spätere Verräter, nicht bezeichnet. Judas stellt auch nicht die Frage, ob er es denn sei, und Jesus antwortet folglich auch nicht mit: Du bist es. Ähnlich verhält sich das Evangelium Lukas, das unbestrittener Weise erst nach den Evangelien Markus und Matthäus entstanden ist. Dort heißt es (Luk.22,21)
„Doch siehe: die Hand meines Verräters ist mit mir über Tische.“

Auch in diesem Text wird der Verräter nicht bezeichnet, – denn es dürften mehrere Hände zugleich „über dem Tische“ gewesen sein – , und der Name Judas Ischariot wird auch überhaupt nicht genannt. Warum spricht aber dieser Text nicht von der „Schüssel“ der Versionen von Matthäus und Markus? Das ist merkwürdig, denn diese älteren Versionen mit der Nennung der Schüssel dürften dem Apostel Lukas bekannt gewesen sein. Wir werden alsbald erkennen, welche Absicht des Lukas dahinter steckt, daß er nur von „über dem Tische“ und nicht mehr von „der Schüssel“ spricht. Hinter solchen Kleinigkeiten der Differenz von Bibeltexten stehen oft sehr bedeutsame Absichten – wie auch in diesem Fall.

Es sei noch vermerkt, daß das späteste und damit auch, was die historische Darstellung betrifft, fragwürdigste Evangelium, das Johannesevangelium (entstanden zwischen +110 und +130), wieder, wie das Matthäusevangelium zuvor, die unglaubwürdige Darstellung hat (s. Joh.13,21 ff), als habe Jesus den nachmaligen Verräter Judas während des unprätentiösen Abendessens bezeichnet. Aber auch das Johannesevangelium vermeidet es, von einem „gemeinsam die Hand in die Schüssel Tauchen“ zu sprechen. Das Wort „Schüssel“ fehlt bei ihm wie bei Lukas.

Wir können aus den aufgezeigten Eigenheiten und Widersprüchen die historische Wahrheit herausfiltern, wenn wir akzeptieren, was nach unserer Darstellung der langen Unterdrückungsgeschichte des uralten Passahopfers, des Sehnenzerschneidungsopfers der altplanzerlichen, altsemitischen und daher auch altisraelitischen Volksreligion, im Laufe der Verdrängung dieser Volksreligion durch die Jerusalemer zentralistisch-hierokratische Gesetzesreligion ohnehin auf der Hand liegt, nämlich daß die Galiläer/Samaritaner Jesus und seine Anhänger im bewußten Gegensatz zum priestergesetzlich festgelegten jüdischen Reglement das Passah- und Sehnenzerschneidungsopfer nach der uralten Weise der altisraelitischen Volksreligion, der Religion der altsemitischen Blutrache- und Stammesgesellschaft feierten.

Die Art und Weise dieses stammesgesellschaftlichen Ritus des Passah/Hinkeopfers können wir aus dem so spät unter priesterlicher Ägide verfaßten Text des AT kaum rekonstruieren, weil alle einstigen Texte über diesen von Staat und Priesterschaft bekämpften volksreligiös-stammesgesellschaftlich-blutrechtlichen Ritus aus dem sanktionierten Text des AT verdrängt wurden. Immerhin sind noch einige wenige rudimentäre Texte über das archaische Sehnenzerschneidungs- und Zerstückelungsopfer im AT erhalten. So z.B. in 1.Mose 49,6, wo die Stämme Simeon und Levi ob ihrer Neigung zu Gewalttat und Krieg gescholten werden:
„In ihrem Zorn haben sie den Mann erwürgt, und in ihrem Mutwillen haben sie den Ochsen verlähmt.“[10]

Die hebr. Bibel benutzt hier als Wort für „verlähmen (die Sehnen durchschneiden)“ denselben Begriff, den auch die Beduinen seit alters her und bis heute zur Bezeichnung ihres Sehnenzerschneidungsopfers als Kriegs- und Blutrache-Verschwörungsritus oder als Bündnis- und Friedensbekräftigung benutzen. Auch in Josua 11,6.9 und 2.Samuel 8,4 werden nach einem Sieg der Israeliten die Pferde der Besiegten, – ebenfalls unter diesem gleichen hebr./arab. Begriff – , verlähmt, zweifellos als Hinkeopfertiere/Passahtiere (pasah bedeutet „hinken“) zur Feier des Sieges und des bevorstehenden Friedens. Jedenfalls haben wir es an allen diesen soeben zitierten Textstellen immer mit Krieg zu tun. Das gleiche gilt von zwei biblischen Stellen, wo ein Zerstückelungsopfer (das die Vollendung des Sehnenzerschneidungsopfer darstellt) den Aufruf zum Blutrachekrieg rituell bekräftigt, nämlich in Richter 19,29:
„Und der Levit nahm ein Messer und faßte sein Kebsweib (das vergewaltigt und getötet worden war) und zerstückelte sie mit Gebein und mit allem in zwölf Stücke und sandte sie (als Aufruf zur Blutrache) in alle Grenzen Israels.“
und in 1.Samuel 11,7:
„Und König Saul nahm ein paar Ochsen und zerstückelte sie und sandte sie in alles Gebiet Israels (als Aufruf zum gemeinsamen Heiligen Krieg).“

So vage oder nur oberflächlich diese biblischen Aussagen über das stammesgesellschaftliche Hinkeopfer/Passah noch gehalten sind, in der arabischen Tradition finden wir über die Verschwörung auf Leben und Tod, – d.h. über den Schwur mit diesem Sehnenzerschneidungsritus/Passahritus zu gegenseitigem Beistand im bevorstehenden stammesrechtlichen Blutrachekrieg – , eine Fülle von Hinweisen auf den Ritus des Schlachtens eines Sehnenzerschneidungsopfers (es kann unter Umständen auch lediglich ein Schlachten ohne Sehnenzerschneidung bei lebendigem Leibe sein), zu dem dann regelmäßig das Essen des Opfertiers aus einer gemeinsamen Schüssel mit dem Ritus des „Gemeinsam-die-rechten-Hände-in-die-Schüssel-Tauchens“ tritt. Ich habe andernorts (G.Lüling, Das Passahlamm … als Initiationsritus zu Blutrache und Heiligem Krieg, Erlangen 1982 (=ZRGG 34 [1982]),141 Anm.50) eine stattliche Reihe von Belegstellen für diesen Ritus in der altarabischen Literatur angeführt. Es sei aber auch auf den dort noch nicht angeführten Aufsatz von W. Atallah in der Zeitschrift ARABICA (20 [1973],63-73) hingewiesen. Sein Titel lautet: „Un rituel de serment chez les Arabes: al-yamîn al-ghamûs (Ein ritueller Schwur bei den Arabern: Die eingetauchte rechte Hand).“
Die feierlichste altarabische Verschwörung auf Leben und Tod erfolgt also mit dem gemeinsamen Essen des Passah/Hinkeopfers (arab. ta´arqîb oder auch ta´aqîr „Sehnenzerschneidungsopfer“) mit oder ohne Durchführung der Sehnenzerschneidung des Opfers am lebendigen Leibe, aber in der Regel beim feierlichen Essen des Opfertieres immer begleitet von dem feierlichen Ritus des „Gemeinsam-die-Hände-in-die-Schüssel-Tauchens“.

Der Ritus bedeutet ursprünglich mit ziemlicher Sicherheit, daß man im gemeinsamen Kampf zur gegenseitigen Deckung und Unterstützung in gleicher Weise wie das Opfertier den Tod auf sich zu nehmen bereit ist und an die Auferstehung glaubt, deren Symbol das Passahtier ist, dessen Knochen nicht zerbrochen werden dürfen, um seine unversehrte Auferstehung (vgl. Ezechiel 37) offen zu halten.

Wir haben also allen Grund anzunehmen, daß, – was schon aus der Feindschaft der traditionell-volksreligiösen Galiläer/Samaritaner gegen das modern kultzentralisierte Jerusalemer Passah wie auch aus dem konspirativen Verhalten Jesu und seiner Anhänger bei ihrer nächtlichen Passahfeier in Jerusalem spricht – , daß Jesus und seine Jünger das von jeder jüdisch-Jerusalemer Reglementierung freie altsemitisch-altarabisch-altisraelitische Sehnenzerschneidungsopfer in der uralten semitischen Weise des blutrechtlichen Ritus zur gemeinsamen Verschwörung zum Kampf feierten. Das dem wirklich so ist, ergibt sich auch aus dem Verhalten der Jerusalemer Hierokratie.

Daß seitens der Jerusalemer Hierokratie aller Anlaß bestand, das Passahopfer als jederzeit noch unter der Oberfläche des Volkes schlummernde und jederzeit zur Eruption fähige Lava, nämlich potentiell als volksreligiösen Initiationsritus zum Volksaufstand zu fürchten, geht schon aus dem Umstand hervor, daß tatsächlich das Passahfest in Jerusalem immer wieder die Initialzündung zu Volksaufständen gewesen ist, denn das alte Passahopfer ist der Initiationsritus zur Blutrache und also auch zum Volksaufstand.[11] Und gerade deshalb auch heißt es in Matth.26,5 anläßlich der Frage, wann die Jerusalemer Hierarchie Jesus greifen und töten sollte: „Ja nicht auf das Fest, auf daß nicht ein Aufruhr werde im Volk!“

Wir haben schon dargestellt, daß die Unter-Kuratel-Stellung des Passahopfers im Jerusalemer Tempelhof unter König Josia (-622) die Maßnahme war, mit der König und Staatspriesterhierarchie die Autonomie der Familien, Sippen, Clane und Stämme in Blutrache- und Kriegs- und Bündnisangelegenheiten zu zerbrechen beabsichtigten, denn diese Autonomie manifestierte sich symbolhaft im uralten volksreligiösen Sehnenzerschneidungs- und Zerstückelungsopfer als Ritus der Bündnisschlüsse und der Verschwörung und Verbrüderung auf Leben und Tod.

Wie sehr die staatspriesterliche Zentralmacht diesen Verschwörungsritus fürchtete, sehen wir nun auch daran, daß auch der Ritus des „Gemeinsam-die-Hände-in-die-Schüssel-Tauchens“ inquisitorisch verfolgt wurde: Aus dem Talmud erfahren wir, daß für das priesterlich reglementierte jüdische Passahopfer unabdingbar vorgeschrieben ist, daß die jüdischen Passahesser nicht aus einer gemeinsamen Schüssel essen dürfen, sondern jeder Esser eine eigene, gesonderte Schüssel zu benutzen hatte – und heute noch hat.[12] Wir wissen zwar nicht mit letzter Sicherheit, ob dieses im Talmud überlieferte Verbot schon zu Zeiten Jesu offiziell in Kraft war. Dies ist jedoch sehr wahrscheinlich. Jedenfalls können wir aber mit diesem Wissen über das talmudische Verbot der gemeinsamen Schüssel erkennen, daß die oben aufgezählten Widersprüche unter den 4 Evangelien hinsichtlich des „Gemeinsam-die-Hände-in-die-Schüssel-Tauchens“ darauf zurückzuführen sind, daß man zu Zeiten der Entstehung der Evangelien sich sehr wohl noch über den volksreligiösen Verschwörungscharakter des Ritus des gemeinsamen die Hände in die Schüssel Tauchens im klaren war:
Das älteste Evangelium, das Markusevangelium, hat die schlüssige, kurze und unverdorbene Darstellung (Mark.14,20): „Einer aus den Zwölfen, der mit mir in die Schüssel taucht (wird mich verraten)“.

Dieser Satz Jesu bedeutet, daß einer, der sich mit ihm wie mit allen anderen Teilnehmern am „Passah-Abendmahl“ auf die urtümlichste und feierlichste Weise auf Leben und Tod verschworen hat, diesen heiligen Schwur dennoch brechen werde. In gewisser Weise entspricht diese Szene also der späteren Weissagung Jesu an Petrus nach dessen Treueschwur: „In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“ (Matth.26,34 und Parallelen in Mark.,Luk. u. Joh.). Hier wie dort soll die besondere Schwere des Verrats hervorgehoben werden, daß der Verrat trotz Treueschwurs erfolgt. Die abwegige Idee, der nachmalige Verräter Judas könnte mit dieser Aktion des gleichzeitigen Eintauchens im voraus bezeichnet worden sein, ist in dieser ältesten Fassung noch nicht existent. Nach dem, was wir über den altsemitischen Ritus des die Hände in die Schüssel Tauchens wissen, berichtet hier Markus also über den vom Altarabischen her so geläufigen altsemitischen Ritus der Passah-Hinkeopfer-Verschwörung mit der „eingetauchten Hand“ zum Kampf auf Leben und Tod.

Das spätere Lukasevangelium, das auch sonst zu abschwächenden Kompromissen neigt, sagt (Luk.22,21):
„Doch siehe, die Hand meines Verräters ist mit mir über dem Tische.“
Auch hier ist die Idee, der Verräter werde gekennzeichnet, völlig absent. An dem Weglassen des rituell bedeutungsvollen „die Hand in die Schüssel Tauchen“ wird aber die Absicht des Evangelisten Lukas deutlich, aus dem Abendmahl Jesu und seiner zwölf Jünger den zu Zeiten des Evangelisten Lukas offenbar noch allgemein bekannten Passah-Ritus der Verschwörung zum Kampf auf Leben und Tod zu verdrängen. Jesus soll nicht als kriegerischer Verschwörer zum Kampf auf Leben und Tod erscheinen. Diese Änderung der Darstellung gehört also als ein Detail zu den vielen verschiedensten Bemühungen der Redakteure des NT, Jesus und die Seinen nachträglich zu Pazifisten umzudeuten.

Matthäus 26,23 und Joh.13,26 tischen die unsinnige Geschichte auf, Jesus habe vor seinen Jüngern den zukünftigen Verräter Judas mit dem gleichzeitigen Eintauchen in die Schüssel, oder mit dem Geben eines eingetauchten Bissens an Judas, bezeichnet. Das einzige, was an diesen beiden unsinnigen Darstellungen haltbar erscheint, ist, daß sie beweisen, daß im Abendmahl Jesu dieser Verschwörungsritus des Eintauchens der Hände in eine gemeinsame Schüssel vorhanden war, den Lukas mit dem Fortlassen des Wortes „Schüssel“ verdrängt, um am überlieferten Bild der Person Jesu diesen Aspekt der rituellen Verschwörung zu beseitigen, und den Matthäus und Johannes aus demselben Grunde mit der Mär von der Bezeichnung des Verräters, auf deutsch gesagt, verballhornten.

Gerade weil dieses Faktum des Ritus mit dem „die Hände gemeinsamen in die Schüssel Tauchen“ ein scheinbar so nebensächlich-unbedeutender Aspekt ist, ist er einerseits aus den Evangelien nicht gänzlich redaktionell beseitigt und andererseits bisher in der historisch-kritischen Theologie noch nie beachtet worden (abgesehen von Julius Wellhausen, s.o. Anm. XXX45). Dieser scheinbar nebensächlich-unbedeutende Aspekt ist aber, weil er gerade wegen seiner scheinbaren Nebensächlichkeit nicht radikal aus dem Text der Evangelien entfernt worden und also noch klar und deutlich zu erkennen ist, ein schwerwiegendes Argument für den kriegerischen Charakter des Unternehmens Jesu und seiner Anhänger: Wenn Jesus und seine zwölf Jünger sich mit diesem altsemitischen/altisraelitischen – und antijüdischen! – Verschwörungsritus zur gegenseitigen Unterstützung auf Leben und Tod im Kampf verschworen haben – und daran führt kein Weg vorbei – , dann ist schlüssig daraus zu folgern, daß nicht nur die Jünger Jesu sondern auch Jesus selbst bereit waren, ihr Leben im Kampf zu geben, aber auch, zumindest zur Deckung und Rettung jedes Kampfgenossen in lebensbedrohlicher Situation, Gegner zu töten. Das Passah Jesu ist gefeiert worden als Ritus nach den uralten Traditionen der Stammes- und Blutrachegesellschaft. Wir haben oben (S.XXX) gezeigt, daß die alte, gemäß dem tragischen So-Sein der Welt mit dem Töten vertraute Blutrachegesellschaft ganz zentral von dem Gedanken des Mutes zur Selbstaufopferung und der Liebe, ja auch der Feindesliebe geprägt war. Jesus als Bluträcher und Töter, zumindest als zum Töten Bereiter, ist aus der Perspektive altisraelitischer Volksreligion kein Widerspruch zum Jesus der Liebe, und d.h. der Selbstaufopferung und der (ritterlichen) Feindesliebe. Für unsere heutige Gesellschaft mit der prinzipiellen Verdrängung des Tötens ist diese wiederentdeckte und richtige Sicht auf Jesus und seine Anhänger von im wahrsten Sinne revolutionierender (zur Urwahrheit „zurückwälzender“) Bedeutung.[13]

Exkurs zum Begriff Baal

An dieser Stelle ist es angebracht, kurz auf Begriff und Sache Ba’al einzugehen, zumal wir diesem semitischen „Gott“ Ba´al im frühen Alteuropa bei Germanen und Kelten wiederbegegnen werden. Der semitische ba´al gehört unbestrittenermaßen zum Typus des sterbenden und wiederauferstehenden „Gottes“ (richtiger: des vorbildlich sein Leben lassenden androgynen „Heiligen Urahn“ der Altpflanzerkultur). Weil dieser semitische Ba´al in der Regel auch als Sinnbild der sterbenden und wiedererwachenden Natur (Herbst und Frühling; übrigens ist „Herbst „ein semitisches Wort, vgl. arab. harîf „Ernte, Herbst“) verstanden wird, ist er in der christlich und jüdisch beeinflußten Religionswissenschaft in der Regel als Gegentyp zum jüdisch-christlich-islamischen Schöpfergott negativ als „Fruchtbarkeitsgott“ bagatellisiert und denunziert worden. Diese Abwertung ist jedoch unangebracht, was schon daraus ersichtlich ist, daß auch Jesus Christus in der christlichen Religion eindeutig mit den Jahreszeiten und mit Fruchtbarkeitssymbolen in Verbindung steht (Wintersonnenwende, Weihnachtslichterbaum, Ostern, Osterei, Osterhase).

Eine andere sehr alte und traditionsreiche aber falsche Bagatellisierung oder richtiger sogar: Abwertung und Geringschätzung des semitischen Ba´al besteht darin, daß man in der Bibelauslegung entsprechend dem angeblich gegebenen grundsätzlichen Unterschied zwischen den land- und besitzlosen Nomadenstämmen der ins Heilige Land Kanaan kommenden Israeliten einerseits und den das Land Kanaan samt sonstiger Güter seit alters besitzenden Kanaanäern andererseits einen entsprechenden Unterschied zwischen der Gottesauffassung der Israeliten und der Gottesauffassung der verhaßten Kanaanäer machte: Hier ein im höchsten Grade geistvoll-spiritueller Gott und dort ein durch und durch materialistischer und geistloser (aber sexuell fruchtbarer!) Gott. Von dieser dogmatisch-vorurteilsvollen Betrachtung der Kanaanäer und ihres Gottes Ba´al rührt die einseitige Auslegung des Wortes ba´al her, die die Theologie seit eh und je beherrscht hat: ba´al bedeute in der Hauptsache „Besitzer, Eigentümer“ – nach dem negativen Vorbild (Besitz ist „ungerechter Mammon“!) der Kanaanäer (Kanaan bedeutet „Kaufmannsland“!). Diese Wertung ist jedoch durchaus falsch, denn die nach Kanaan kommenden Hebräer waren im Prinzip keine Nomaden, sondern, wie die Kanaanäer, kapitalkräftige Fernhandelsleute und Handwerker, wenn auch ursprünglich keine Landbesitzer.

Die Deplaziertheit dieses Urteils über Ba´al als fragwürdigen „Besitzbürger“ ergibt sich aber auch daraus, daß dieses Wort mit Sicherheit nicht eine Schöpfung jener späten Kulturstufe ist, in der „Besitz“ und „Eigentum“ zu zentraler Bedeutung gelangen. Das Wort ist mit Sicherheit viel älter, kommt aus der Tiefe der Geschichte, in der individueller Besitz und Eigentum, wenn überhaupt existent, von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung sind. Ba´al kann also ursprünglich gar nicht „Besitzer, Eigentümer“ bedeutet haben.

Gerade auch der Aspekt, daß der Ba´al ein sterbender und wiederauferstehender „Gott“ ist, legt die Vermutung nahe, daß er in uralten Zeiten unter anderem Namen eben auch nichts anderes als der eine vorbildliche Blutrechts- und Stammesfürst war, „der sein Leben gibt für die Schafe“ (man erinnere unsere Ausführungen zur Blutrache S.xx). Eben dies erschließt sich aber auch ganz von selbst, wenn man der Wortwurzel ba´al auf den tiefsten Grund geht, was, soweit ich sehe, bisher noch nie geschehen ist (Theologen sind selten Semitisten und Semitisten kümmern sich nicht um Theologie!): Das im Semitischen in der Regel dreikonsonantige System der Wortwurzeln geht unbestrittener Maßen auf ein archaisches zweikonsonantiges Wortwurzelsystem zurück, d.h. alle heute in der Regel dreikonsonantigen Wörter des Semitischen bestehen aus einem zweikonsonantigen Wortkern, der in noch vorgeschichtlicher Zeit um einen Konsonanten, – oft eine prä- oder postpositionelle adverbielle Partikel oder ein adjektivisches oder attributives Wortbildungselement – , erweitert wurde (dies gilt höchstwahrscheinlich auch für den Bereich der ostasiatischen Sprachen). Wenn wir uns fragen, was in der ba´al zugrundeliegenden dreikonsonantigen Wortwurzel b-´-l der sekundäre, der zu der zweikonsonantigen Kernwortwurzel früh hinzugetretene dritte Konsonant ist, legt sich aus verschiedenen hier nicht zu diskutierenden Gründen nur eine einzige Kombination zwingend nahe: die dreikonsonantige Wortwurzel ist aus der zweikonsonantigen b-´ plus dem Konsonanten l entstanden. Der zweikonsonantige Grundwortstamm b-´ , – zum Zwecke der späteren Angleichung an das dreikonsonantige Wortstammsystem später in der Mitte um den schwachen Konsonanten w erweitert: b-w-´ – , bedeutet im altarabischen und bis heute „mit Handschlag eine Verpflichtung oder einen Vertrag bekräftigen“.

Diese Grundbedeutung führt natürlich dazu, daß arab. bâ´a heute in der Regel „er kaufte“ (bi´tu „ich kaufte“, yabî´u „er kauft“) bedeutet, ursprünglich aber, wie gesagt, eben ganz eigentlich nur die Bekräftigung einer rechtlichen Verpflichtung durch Handschlag, wie das in Europa auch heute noch besonders unter Viehhändlern bei dem bindenden Abschluß ihrer Kaufverhandlungen die Regel ist. Im übrigen hat das englische to buy, bought, bougth „kaufen“ keine indoeurop. Etymologie (Oxford Etymology: „of unkown origin“), weil man nicht auf das Semitische schaut, denn dieses englische Wort ist mit Sicherheit, – da auch und völlig unzweideutig der semit. Ba´al als „Gott“ im Norden Alteuropas vorhanden ist – , ein Lehnwort aus dem Semitischen. Diese merkantile Anwendung des semit. Tätigkeitswortes bâ´a „kaufen“, die natürlich auch dazu führte, daß schon im atl. Hebräisch ba´al „Besitzer, Eigentümer“ bedeuten kann, ist jedoch nicht die ursprüngliche, sondern eine abgeleitete spätere Bedeutung, wenn wir daran denken, daß das Wort sicher aus der Zeit der archaisch-mythischen Stammesgesellschaft stammt, in der noch keine individual-rechtlichen Besitzansprüche auf Land und Güter üblich, ja nicht einmal denkbar waren.

Der zentrale ursprüngliche stammesrechtliche Sinn des semit. Tätigkeitswortes bâ´a ist klar zu erkennen an dem Beispiel der im Islam so berühmten Begebenheit der bai´at al-Hudaibiya, des „Handschlags von al-Hudaibiya“: Als der Prophet Muhammad mit seinen Anhängern im Jahre 6 der Hidjra (+628) in der Ortschaft al-Hudaibiya (nahe bei Mekka) wegen eigener mangelhafter Kriegsausrüstung und angesichts einer erdrückenden Übermacht seiner gutbewaffneten mekkanischen Gegner sich und seine Gefährten in der Situation sah, in hoffnungslosester Weise auf Leben und Tod kämpfen zu müssen, verschwor sich diese urislamische Gemeinschaft, indem ein jeder dieser Gefährten sich dem unter einem Baum sitzenden Feldherrn und Propheten Muhammad mit Handschlag auf Leben und Tod verpflichtete.[14] Dies ist die ursprünglichste und eigentlichste Bedeutung des semit. Wortstammes bâ´a , und das zum dreikonsonantigen Wort erweiterte ba´al „Herr“, – das l ist die im Semitischen übliche Dativpartikel – , bedeutet eigentlich „dem (Dativ!) man sich mit Handschlag auf Leben und Tod verpflichtet hat“.

Der altsemitische Verschwörungs-Ritus der bai´a (wie in al-Hudaibiya) ist also eigentlich inhaltlich gleichbedeutend mit dem Verschwörungsritus des gesalbten Führers Jesus Christus mit seinen Jüngern vermittels des Passah-Hinkeopfers: Wenn keine Möglichkeit besteht, einen Passahritus der Verschwörung mit Lähmung bei lebendigem Leibe, Schlachtung, Zubereitung etc. durchzuführen, tritt der Ritus der bai´a an seine Stelle. In diesem Sinne ist der Abendmahls- oder Passah-Jesus auch der inneren Bedeutung nach identisch mit dem urtümlichen altsemitischen Ba´al. Als der Anführer einer verschworenen Gemeinschaft, der vorbildhaft als erster sein Leben für die Gemeinschaft in den Tod wagen muß, ist der Ba´al als der bluträchende „Hirte, der sein Leben gibt für die Schafe“, eine Christus-Gestalt.

Der kriegerische Charakter der Bewegung Jesu

Der kriegerische Charakter des Unternehmens Jesu ist in der Wissenschaft seit langem diskutiert worden. Dabei ist verständlich, daß kirchlich-christliche Theologen immer dazu neigten, die zahlreichen und vielseitigen Argumente aus der biblischen Überlieferung für den kriegerischen Charakter des Unternehmens Jesu zu bagatellisieren, ganz in der Tradition der Verfasser der Evangelien, die schon möglichst alle diesbezüglichen Hinweise zu vertuschen oder durch Gegenaussagen zu entkräften unternahmen. Wenn Jesus in seiner Aussendungsrede oder Mobilmachung nach Matth. 10,34 spricht: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert“, – vgl. dazu Luk. 22,36: „Wer nichts hat, der verkaufe seinen Mantel und kaufe ein Schwert!“ – , dann steht dagegen in Matth. 26,52 (ebenfalls Jesus in den Mund gelegt): „Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen!“ Bei solchen Widersprüchen stellt sich die dem kirchlichen Dogma loyale kirchliche Theologie grundsätzlich auf die Seite der pazifistischen Aussagen und bagatellisiert die Hinweise auf kriegerische Fakten.

Angesichts der Fülle des historischen Materials zu der Frage, ob Jesus in den Kampf der Zeloten („Eiferer“) genannten Aufständischen gegen das römische Fremdherrschaftsjoch und gegen die mit den Römern kollaborierende Jerusalemer Priesterschaft gehört[15], können wir im hier gegebenen Rahmen nur dem Leser anheimstellen, sich die Diskussion dieser interessanten historischen Quellen seitens der kirchendogmentreuen Theologieprofessoren, insbesondere die von Martin Hengel (Die Zeloten, Leiden-Köln 1961) und Oscar Cullmann (Jesus und die Revolutionären seiner Zeit, 2.Aufl. Tübingen 1970) selbst zu Gemüte zu führen, um sich ein Urteil zu machen, ob nicht doch alle diese vielen diskutierten historischen Nachrichten tatsächlich als Argumente für den kriegerischen Charakter des Unternehmens Jesu zu beurteilen sind.

Von nicht kirchlich-theologischer Seite, d.h. von Religionshistorikern und liberalen, gegenüber Kirchendogmen nicht loyalen Theologen, von Profanhistorikern und Geisteswissenschaftlern wurden und werden die Quellen jedenfalls ziemlich einhellig als Aussagen über die Zugehörigkeit Jesu und seiner Anhänger zum bewaffneten Widerstandskampf gegen die römische Besatzungsmacht und gegen das mit ihr kollaborierende Jerusalemer Priestertum gewertet.[16] Im gegebenen Rahmen können wir nur auf drei Indizien-Komplexe hinweisen:

      1. Es ist die Tatsache wichtig, daß verschiedenste Beinamen der zwölf Jünger Jesu diese unmißverständlich als Zeloten, d.h. Widerstands- und Untergrundkämpfer ausweisen. Bei Johannes Lehmann (Geheimnis des Rabbi J.,1985,95ff) gilt das für mindestens 6 der 12 Jünger.[17] Mit gutem Recht betrachtet deshalb Joel Carmichael die Zwölf Jünger Jesu als die Hauptleute oder Batallionskommandeure Jesu.
      2. Dazu paßt das hier zu nennende zweite Faktum: Obschon erkennbar nicht nur die Evangelien sondern auch die saekulare lateinische und griechische Geschichtsschreibung im Verlaufe der ersten Jahrhunderte des Christentums durch christliche Theologen und Historiker von möglichst allen Hinweisen auf den Zusammenhang Jesu mit dem bewaffneten Widerstand redaktionell gesäubert worden sind, hat sich doch bei dem ziemlich unbekannten und deshalb von der Zensur verschont gebliebenen lateinischen Historiker Sossianus Hierocles, – nach +297 Praeses der Provinz Libanon (Arabia Augustea Libanensis) und also ein intimer Kenner auch der Geschichte Palästinas – , die Nachricht erhalten, daß sich im Gefolge Jesu 900 „Räuber“ (griech. lästäs) befanden – so die gängige hellenistische Bezeichnung für die nordisraelitischen Widerstandskämpfer, mit der auch die beiden neben Jesus Gekreuzigten im NT charakterisiert werden. Ähnliches findet sich auch bei dem lat. Schriftsteller Lactantius und schließlich auch in einer hebräischen Quelle (Toledoth Jeshu, aus einer hebräische Fassung des Bellum Judaicum des Josephus), nach der 2000 bewaffnete Anhänger die Begleitung Jesu auf dem Ölberg bildeten.[18]
      3. Wir haben oben den nordisraelitisch-volksreligösen oder galiläisch-“heidnischen (höhenkultischen)“ Charakter der letzten Passahfeier Jesu als altsemitisch-altisraelitischen und daher antijüdischen blutrechtlichen Verschwörungsritus zum Heiligen Krieg aufgezeigt und überhaupt die Verwurzelung Jesu und seiner Anhänger im nordisraelitischen, durch rund ein Jahrtausend antijerusalemisch-antijüdäischen Galiläa und Samaria unterstrichen.[19] Diese Sicht der galiläisch-samaritanisch-antijüdischen Umstände des Wirkens Jesu wird nun im Prinzip sehr wesentlich bestätigt durch die rabbinische Überlieferung von den zwei Messiasen, dem Messias ben Joseph und dem Messias ben David. In dieser Überlieferung wird der seinerzeit erwartete Messias ben Joseph auch der Messias ben Ephraim genannt. Das zeigt, daß in der Bezeichnung „Messias ben Joseph“ mit „Joseph“ nicht der „Vater“ Jesu und Gatte Marias gemeint ist, sondern der Stammvater Joseph (der Lieblingssohn unter den 12 Söhnen = 12 israelitischen Stämmen des Patriarchen Jakob). Dieser Joseph ist aber im AT zugleich Vater der Söhne Ephraim und Manasse, der Stammväter der beiden Stämme Ephraim und Manasse des altisraelitischen Zwölf-Stämme-Bundes. Diese Stämme Ephraim und Manasse (zusammengefaßt: die Josephstämme) sind aber die wichtigsten oder Hauptstämme des alten Nordreichs Israel (Hauptstadt Sichem, später Samaria, mit 10 Stämmen Israels), das zum alten Südreich Juda (Hauptstadt Jerusalem, nur mit den zwei Stämmen Juda und Benjamin) zur Zeit Jesu seit rund einem Jahrtausend in einem von viel Animosität und Ressentiment geprägten religions- und staatspolitischen Gegensatz gestanden hat.

Die jüdisch-rabbinische Geschichtsüberlieferung kennt also einen speziellen Messias des dem Judentum feindlich gesonnenen alten Nordreichs Israel mit seinen Hauptlandschaften Galiläa, Samarien und Ephraim, in denen der Stamm Joseph (als Synonym für die Hauptstämme Nordisraels Ephraim und Manasse) seit alters zu Hause war. Dieser Messias ben Ephraim wird daher gelegentlich auch der „galiläische Messias“ genannt. Dieser Messias ben Joseph oder Messias ben Ephraim, – wir können auch sagen „der Messias der den Juden des Südstaates Juda feindlich gesonnenen Galiläer und Samaritaner“ – , wurde nun auch noch mit dem überaus aufschlußreichen Namen „Messias des Krieges“ bezeichnet. V.Sadek stellt das Charakteristische der rabbinischen Überlieferung vom Kriegsmessias ben Joseph folgendermaßen zusammen (V.Sadek, Der Mythus vom Messias, dem Sohne Josephs. Zur Problematik der Entstehung des christlichen Mythus, Archiv Orientalni 33 [1965],33):

      1. a) der Messias ben Joseph führt auf Grund menschlicher Machtmittel einen Umsturz herbei,
        b) ist jedoch ein dem Tode unterworfener Erlöser und hat darum mehr menschlichen Charakter,
        c) sein Umsturzversuch muß mit einer notwendigen, geradezu gesetzmäßigen Niederlage enden,
        d) diese Niederlage ist jedoch paradoxerweise gleichzeitig sein Sieg,
        e) denn ihre Folge ist der übernatürliche Eingriff Gottes, vermittelt durch den (jüdischen) Messias ben David,
        f) der den endgültigen Umsturz herbeiführt und den Messias ben Joseph „rehabilitiert“.

Wir haben oben (S.xx) schon darauf hingewiesen, daß Jesus es ablehnt (Mark.12,35-37, vgl. auch Matth.22,41-6 u. Luk.20,41-44), als der Messias ben David angesehen zu werden, was man auch so interpretieren kann, daß der galiläische Messias Jesus mit dem judäischen Messias nichts zu tun haben will, denn König David war ein Judäer und hatte als judäischer König die Stämme Nordisraels unter die Botmäßigkeit Judas mit seiner Hauptstadt Jerusalem gezwungen, bis nach dem Tode des Sohnes Davids, Salomo, – also nach sehr kurzer Zeit – Nordisrael wieder von Juda abfiel und selbständig wurde und fortan unabhängig von Juda blieb. Die rabbinische Tradition von den zwei Messiasen ben Joseph (= Messias des Krieges) und ben David, in der der judäische Messias ben David nach und wegen des Scheiterns des nordisraelitischen (galiläischen) Messias ben Joseph diesem letzteren überordnet wird, kann hinwiederum als Ausfluß der Jerusalemer, d.h. der orthodox-jüdischen Theologie angesehen werden, in der ihre Geringschätzung für die galiläisch-samaritanische höhenkultische Religion und die eschatologischen Erwartungen dieses nordisraelitischen Messiasglaubens zum Ausdruck kommt.

Wie dem auch sei, diese rabbinische Tradition vom galiläisch-samaritanischen Kriegsmessias ben Joseph ist zwar in der rabbinischen Literatur erst um die Mitte des +2. Jahrhunderts faßbar, aber auch mein hochverehrter Lehrer Joachim Jeremias, NTler und Rabbinist, hielt es für „sehr wahrscheinlich, daß die Erwartung des Messias ben Joseph bis in vorchristliche Zeit zurückreicht“, wobei er sich auf eine Stelle im sog. Testament Benjamin beruft, das in das -2. bis -1. Jahrhundert datiert wird und in dem es (3,8) heißt: „An dir (Joseph) wird sich die Weissagung des Himmels erfüllen, die besagt, daß der Untadelige für den Gesetzlosen befleckt werden und der Sündlose für die Gottlosen sterben wird“. Joachim Jeremias meint, „daß wir in Testamentum Benjamin 3,8 wahrscheinlich den ältesten Beleg für die Erwartung eines Messias aus dem Stamme Joseph vor uns haben.“[20] Auch der jüdische Rabbinist und Arabist Ch.C.Torrey nimmt an, daß die Lehre vom Messias ben Ephraim „der christlichen Ära um einige Jahrhunderte vorausgeht“.[21]

Angesichts der Prophetenstelle Jesaja 8,23 (möglicherweise aus dem -8.Jahrhundert), daß der Messias „zu Ehren bringen wird das Galiläa der Heiden“[22], ist es sehr wahrscheinlich, daß das durch ein Jahrtausend einen so eigenen und von Juda unterschiedenen, an der altisraelitischen „heidnischen (höhenkultisch-messianischen)“ Ba´als- und Stammesreligion festhaltenden Weg gehende Galiläa und Samarien und also das Nordreich Israel in bewußtem Gegensatz zum Südreich Juda durch seine ganze Geschichte hindurch einen eigenen, nordisraelitischen endzeitlichen Messias (=König) erwartet hat. Denn der Messiasgedanke ist ein Grundgedanke des Höhenkults und der beinhaltet die Wiederkunft des Königs der mythischen Vorzeit des Nordstaates Israel. Und erinnern wir uns hier daran (s.o.S. xx), wie fanatisch und mit welchen rabiaten Mitteln die Jerusalemer Priesterschaft des Südstaates Juda unter dem Vorwand einer vorgeblich mosaischen Kultzentralisation versucht hatte, diesen altisraelitischen Ahnenkult an den Höhengräbern auszurotten.

In diesem Zusammenhang sei betont, daß sich hier, nämlich in der mit der Kultzentralisation unnachsichtig imperialistisch-rücksichtslos werdenden jüdischen (südstaatlichen) Bekämpfung des galiläischen und samaritanischen (also isralitisch-nordstaatlichen) Messias- und Grabeskultes an den Höhen, im eigentlichen und ursprünglichsten Sinne die Wege von Judentum und Christentum trennen, Jahrhunderte bevor das geschichtliche Christentum mit dem volksreligiös-galiläischen Messias Jesus zum Durchbruch kommt. Auch was wir oben bereits (S.xx) bezüglich der jüdischen Darstellung des Passahopfers geschrieben haben, – es sei von Jahwe erstmals begründet beim spät erfundenen „Auszug Israels aus Ägypten“, so daß es im Judentum bis heute ausschließlich als pazifistische Erinnerungsfeier an diesen erfundenen Auszug, und nicht mehr als uralter und weit über die Israeliten hinaus verbreiteter blutrechtlicher Verschwörungsakt gilt – , gehört in diesen Zusammenhang: Mit diesem jüdischen Verlassen der altpflanzerlich-altsemitisch-altisraelitischen religiösen Tradition ist zu dieser frühen Zeit (-7. und -6. Jh.) bereits die Trennung von Judentum und Christentum erfolgt, obgleich es letzteres nominal noch gar nicht gab.

Beiläufig sei noch bemerkt, das die in den Qumrantexten (also etwa um die Lebenszeit Jesu) vorherrschende Vorstellung von zwei Messiasen, – einem aaronitischen oder priesterlichen und einem profanpolitischen davidischen – , aber auch gar nichts zu tun hat mit dem Messiaspaar der rabbinischen Überlieferung vom nordisraelitischen Kriegsmessias ben Joseph/Ephraim und dem jüdischen Friedensmessias ben David.[23] Denn der Kriegsmessias ben Joseph ist ein Produkt samaritanisch-galiläischen, und damit für das orthodoxe Judentum heidnischen oder zumindest häretischen Denkens, das die Rabbinen mit der jüdischen Gestalt des Messias ben David als dem Vollender des endzeitlichen Geschehens im nachherein zu harmonisieren bestrebt gewesen sind[24], während andererseits das Paar des aaronitisch-priesterlichen und des davidisch-profanpolitischen Messias der Qumran-Texte eine rein innerjüdische Angelegenheit ist, mit der Jesus offenbar überhaupt nichts zu tun hat.

Die heute modischen Bemühungen, die Qumrantexte mit der Person Jesu in unmittelbare Verbindung zu bringen, sind also, auch aus diesem Grunde, verfehlt. Die christliche Theologie zieht es immer noch vor, sich praktisch ausschließlich mit den Messiasvorstellungen der Qumran-Texte zu beschäftigen und vermeidet es, den Gedanken zu erwägen, daß die rabbinische Überlieferung über den Kriegsmessias ben Joseph und die christliche Überlieferung vom Messias Jesus ben Joseph „zwei Varianten eines ursprünglichen Mythus sein können“. Und „daß zu diesem Schlusse kein neutestamentlicher Forscher – soweit uns bekannt ist – gelangte“ (V.Sadek, ArOr 33,33f), ist eine Folge der Bemühungen der christlichen Theologie, – die ja schon in den Evangelien selbst deutlich zu Tage tritt – , die Person Jesu als von jeder kriegerischen Aktivität weit entfernt darzustellen.

Angesichts der so offenkundigen vielfältig-pazifistischen Retuschen schon in den Evangelien sollte man jedoch endlich dahin fortschreiten, auch die Person des „Zimmermanns Joseph“, also des angeblichen Vaters Jesu, für aus dem Stammesnamen Joseph im Begriff des „Kriegsmessias ben Joseph“ abgeleitet und erfunden zu betrachten. Diese Ableitung und Erfindung wäre also nur ein weiteres Detail unter den vielen, die gleichermaßen den kriegerischen Charakter des Messias Jesus ben Joseph aus den urchristlichen Schriften redaktionell beseitigen sollten. Und schließlich ist für das Reden von den jüdischen Qumrantexten einerseits und für das Schweigen der christlichen Theologie zum galiläischen Kriegsmessias[25] andererseits maßgebend, daß die christliche Kirche, – nachdem sie nun einmal das jüdische Alte Testament zum Bestandteil ihrer Heiligen Schrift gemacht und die eigentlichen Schriften Jesu und des Urchristentums, die eschatologischen Apokalypsen, ins Abseits des Apokryphen verdrängt hatte – , ein Interesse daran hatte und hat, in Jesus lieber einen orthodoxen Juden zu sehen als stattdessen, historisch zweifellos richtiger, den Vertreter einer, zur Zeit Jesu, ein Jahrtausend alten israelitischen Opposition gegen das Judentum.

Es ist wohl nützlich, die soeben aufgezählten Argumente für den kriegerischen Charakter der Bewegung des Messias ben Joseph namens Jesus von Nazareth mit der höchst bedenkenswerten Bemerkung des englischen Religionshistorikers (und Übersetzers der „Entstehung des Christlichen Dogmas“ von Martin Werner ins Englische) S.G.F. Brandon abzurunden (Jesus and the Zealots, Manchester UP 1967,320):
„Es ist gut zu erinnern, daß die christliche Tradition in der Johannes-Apokalypse 19,12ff die Erinnerung an eine andere, zweifellos ursprünglichere Vorstellung von Christus erhalten hat – in dem schrecklichen Reiter auf dem weißen Pferd, dessen „Augen sind wie eine Feuerflamme … er ist gekleidet in ein blutbesprengtes Gewand, und sein Name heißt ´das Wort Gottes`, und aus seinem Mund geht ein scharfes Schwert, um mit ihm die Völker zu schlagen, und er wird sie regieren mit eisernem Stabe; er wird die Kelter des Weines (= des Blutes, siehe Jes.63.3)[26] des grimmigen Zorns Gottes des Allmächtigen treten. Und er hat einen Namen geschrieben auf seinem Kleid und auf seiner Hüfte also: Ein König aller Könige und ein Herr aller Herren.“[27]

Es muß nun aber betont hervorgehoben werden, daß die kriegerische Bewegung Jesu und seiner Anhänger sich sehr grundsätzlich und gewissermaßen himmelweit von den zur gleichen Zeit aktiven jüdischen kriegerischen Aufstandsbewegungen zur Abwerfung des Jochs der römischen Fremdherrschaft und zur Wiederherstellung eines wieder souveränen weltlichen aber theokratisch-priesterlich geführten National-Staates Israel unterschied. Denn Jesus und seine Anhänger sind nicht Parteigänger des orthodox-priesterlichen jüdischen Alten Testaments sondern des nordisraelitischen häretisch-volksreligiösen Messias- und Höhenkultes und infolgedessen der Apokalypsen oder „Endzeitbücher“, speziell der Henochapokalypse[28], und sie erwarten diesen Schriften der Endzeiterwartung gemäß, daß unmittelbar nach seinem, des Kriegsmessias Jesus ben Joseph, Opfertod im Kampf und mit seiner Wiederauferstehung das Reich Gottes die vollkommene Herrschaft auf Erden erhalten werde. Die traditionelle, irdische Zukunft Jerusalems und des jüdischen Staates ist ihnen völlig gleichgültig.

Jesus und die Seinen kämpfen also nicht um die Befreiung eines diesseitigen Reiches Israel oder gar Juda. Jesu und der Seinen weltlicher Kampf ist das verheißene und damit auch das heilsnotwendige heilige Drama, daß sich abspielen muß, damit das Reich Gottes auf die Erde herabkommen könne. Das diesseitige politische Unternehmen Jesu muß und soll scheitern, damit das Reich Gottes auf Erden Platz greife. Diese urchristliche Auffassung des Kampfes gegen Rom und seine jüdischen Kollaborateure (und keineswegs für das bis dahin gehabte priesterlich-theokratische Juda) als unumgängliches apokalyptisches Drama vor dem Kommen des Reiches Gottes auf die Erde bedeutet, daß diese urchristliche Auffassung in scharfem Gegensatz steht zu den Absichten und Zielen des Kampfes der jüdischen Aufständischen um die Befreiung vom Joch der heidnischen Fremdherrschaft und um die Wiederherstellung des diesseitig-irdischen jüdischen Staates mit seinem nationalen Tempelkult.

Wir beschließen damit unsere Erörterung der Entwicklung der altpflanzerlichen Erinnerungsfeier an die Tötung des ersten Menschen und Urahn zum Heil der Menschen über die altsemitisch-altisraelitische Volksreligion hin zum jüdischen Passah und bis hin zum Wiederaufflammen der kriegerischen, volksreligiös blutrechtlichen Auffassung des Passah in der von der Erwartung des Weltendes geprägten volksreligiösen Widerstandsbewegung des Messias/Gesalbten/Königs Jesus ben Joseph von Nazareth und wenden uns nun der Weiterentwicklung dieser Passahauffassungen, der jüdischen wie der jesuanischen, bis hin zur christlich-kirchlichen Abendmahlsauffassung von heute zu.

Anmerkungen

[1] Vgl. als Beispiel den provokanten, ausführlichen Artikel des Theologen Gerd Theissen: Aporien im Umgang mit den Antijudaismen des Neuen Testaments. In: Festschrift für Rolf Rendtorff, Neukirchen-Vluyn (1999) 535-553. Seine Kernaussage: „Die Tempelkritik reicht zurück in die Zeit Jesu, als er und seine Anhänger eine innerjüdische Erneuerungsbewegung organisieren.“ Die tausendjährige Feindschaft zwischen Nordisrael (Samaria und Galiläa) und dem südlichen Juda lässt Theissen ganz beiseite, obwohl der galiläische Jesus ganz unmissverständlich an der alten Feindschaft und ihren religiösen Traditionen festhält. Die Jesus-Bewegung stand immer außerhalb des Judentums und stellte eine Verschärfung dieser Opposition zum Judentum dar.)

[2] Eine Parallele zu dem vorchristlichen Epitheton, die Juden als Kinder des Teufels zu bezeichnen (vgl. Johannes 8,43-44). Zu Jesus als Samariter vgl. Robert Eisler, „Jesus Besileus ou Basileusas“, (1929), I, 178; H. Hammer, „Traktat vom Samaritanermessias. Studien zur Frage der Existenz und Abstammung Jesu“, Bonn 1913; Tertullian, „De spectaculis“, ed. A. Reifferscheidt u. G. Wissowa. Quinti Septimi Florentii Tertulliani Opera, I, Prag-Wien-Leipzig, 1890, 28 u. Kap. 30 „Jesus der Samaritaner“ und R. Myer, „Der Prophet aus Galiläa. Studie zum Jesusbild der drei ersten Evangelien“, Leipzig, 1940.

[3] Das Urteil von Rabbi Jochanan ben Zakkai (gest. ca. 80 n. Chr., zitiert nach Strack-Billerbeck, 5. Auflage, Band I. 157) „Galiläa, Galiläa, du hast das Gesetz [gemeint ist das jüdische Alte Testament] empfangen; am Ende wirst du nichts als Räuber sein.“ Seine Worte gelten nicht nur für die Zeit Jesu, sondern für den gesamten tausendjährigen Zeitraum der Geschichte Galiläas. Am Rande sei bemerkt, dass das Wort Galiläa „das Land der Steinkreise“ bedeutet, d.h. das Land der antiken Megalithkultur und ihres Auferstehungsglaubens, ein Thema, das uns weiter unten beschäftigen wird.

[4] Zu den sich einmischenden Samaritern, als die Pilger zu Festzeiten nach Süden reisten, vgl. Martin Noth, „Geschichte Israels“, 6. Auflage, Göttingen (1966), 388

[5] Helmut Merkel bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Wenn Jesus in einem sicherlich authentischen Gleichnis vom ‘barmherzigen Samariter’ (Lk 10,30ff.) zulässt, dass niemand anderes als ein Samariter diesen Akt grandioser Menschlichkeit vollbracht hat, würde jeder patriotische Jude dies als Affront empfinden.“ (Vgl. H. Merkel, „The Opposition between Jesus and Judaism“, in Ernst Bammel and C.F.D. Moule, eds., „Jesus and the Politics of His Day“, Cambridge CUP (1984), 129-144, spez. 136

[6] Vgl. H.G. Kippenberg, „Garizim and Synagoge“, Berlin/New York (1971), 95. Aus dem Bericht des Josephus geht auch hervor, dass die Samariter selbst angesichts ihrer Bewunderung für den Totenkult und ihren Reliquienkult „in der Höhe“ die Gebeine nicht als Verunreinigung ansahen, während die Juden, insbesondere die Sadduzäer, jede Art von Totenkult entschieden ablehnten und mit religiöser Verfolgung gegen die volkstümliche Verehrung von Ahnen, Helden oder einen Messias-Kult reagierten. Genau dies ist der Grund für die Empörung eines jeden Juden, wenn er mit dem christlichen Kult der heiligen Reliquien, einschließlich ganzer Skelette, konfrontiert wird.

[7] Vgl. Martin Hengel, „Die Zeloten“, 1961, 1961, 56-60 und Rudolf Augstein, „Jesus Menschensohn“ (1974), 32f nebst dessen Literaturempfehlungen

[8] Zum Gegensatz zwischen dem jüdischen und dem „heidnischen“ Samaritanertum vgl. Johann Wilhelm Rothstein, „Juden und Samaritaner, Die grundlegende Scheidung von Judentum und Heidentum. Eine kritische Studie zum Buch Haggai“ (Beiträge z. Wiss. v. AT, 3), Leipzig, 1908

[9] Zum abweichenden Pessach-Datum vgl. J. Lehmann, „Das Geheimnis des Rabbi J.“, 1985, 92

[10] Dieser archaische Vers enthält einen Parallelismus membrorum (Parallelismus der Vershälften). Das heißt, die erste Hälfte sagt genau das Gleiche wie die zweite Hälfte mit der Folge, dass die wörtliche Übersetzung lauten würde: Um einen Mann im Zorn zu töten, verkrüppelte man zuerst einen Ochsen. (King James’ Gefolgsleute haben den obigen Text absichtlich manipuliert, indem sie schrieben: „Im Zorn erschlugen sie einen Mann (Einzahl!) und in ihrem Eigensinn rissen sie eine Mauer ein (!).“)

[11] Vgl. Robert Eisler, „Jesus Basileusas, (Bd. 1, 1929; Bd. 2, Heidelberg (1930), 476 mit der Anm. 9 (Zum Aufstand während des Passahfestes in den Jahren 4 v.u.Z. und 2 n.u.Z. und ebenso Martin Hengel, „Die Zeloten,“ 1961, 331 und 363 und Rudolf Augstein, „Jesus Menschensohn, 1974, 32f.

[12] Vgl. hierzu Strack = Billerbeck, „Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud mit Midrasch“, München (1956), 2 Bde., Volkulme I, 989 & Bd. IV, I, Seite 65f; Rudolf Augstein, „Jesus Menschensohn“, RRR – TB – Hamburg (1974), 120

[13] Zum Begriff des „nachjesuanischen ‘Christen’„, der sich aus dem altisraelitischen und dem letzten Passah Christi zusammensetzt, vgl. den Aufsatz des Verfassers „Preconditions for the scholarly criticism of the Koran and Islam“ im ‘Journal of Higher Criticism’, Bd. 3 (1996), Seite 103ff

[14] Vgl. Frantz Buhl, „Das Leben Muhammads“, deutsche Übersetzung von H. H. Schaeder, Leipzig (1950), 286ff

[15] Man sollte beachten, dass damals sehr unterschiedliche Gruppen aktiv waren, nämlich der Widerstand aus den Reihen der Samariter und Galiläer, die sich sowohl gegen die römischen Ausländer als auch gegen die Jerusalemer Priesterschaft wandten, aber auch ein jüdisch-nationalistischer Widerstand, der sich in Treue zum jüdischen Staat gegen die Fremdherrschaft wandte und die Wiedererrichtung eines jüdischen Reiches anstrebte.

[16]  In Karl Kautskys „Der Ursprung des Christentums“, 14. Aufl., Berlin 1926, vgl. den Abschnitt, 384-391, „Das Rebellentum Jesu“. Ferner James Rendel Harris, „The Twelve Apostles“, Cambridge 1927; Robert Eisler, „Jesus – Basileus ou Basileusas; Die messianische Unabhängigkeitsbewegung vom Auftreten Johannes des Täufers bis zum Untergang Jakobs des Gerechten, 2 Bde. Heidelberg 1928-1930; Robert Eisler, „The Messiah Jesus and John the Baptist, New York 1931; Ellis E. Jensen, „The First Century Controversy over Jesus as a Revolutionary Figure“, JBL 6, S. 261-272; Joel Carmichael, „Leben und Tod Jesu von Nazareth“, München 1965; Samuel G. F. Brandon, „The Fall of Jerusalem and the Christian Church“, London 1951; S. G. F. Brandon, „Jesus and the Zealots“, Manchester 1967; Ernst Bammel und C. F.D. Moule (eds), „Jesus and the Politics of His Day“, Cambridge UP 1984, das eine Reihe einschlägiger Aufsätze enthält, darunter einen historischen Überblick über E. Bammels „The Revolution Theory from Reimarus to Brandon“, S. 11-68; Johannes Lehmann, „Das Geheimnis des Rabbi J.. Was die Urchristen versteckten, verfälschten und vertuschten.“ Hamburg-Zürich 1985

[17] Siehe C. Daniel, „Esséniens, Zélotes et Sicaires et leur mention par paronymie dans le N. T.“, Numen 13 (1966) ; Martin Hengel, „Die Zeloten“, 1961, 344, Anm. 5, der sich auf J. Rendel Harris, „The Twelve Apostles“, 1927, 34, Anm. 1 bezieht ; S. G. F. Brandon, „The Fall of Jerusalem“, 1951, 106

[18] Siehe Robert Eisler, „The Messiah Jesus and John the Baptist“, New York, 1931, 370, wo weitere Quellen genannt werden.

[19] Mehr zur unruhigen, politisch-religiösen Geschichte Galiläas bietet Johannes Herrmann, „Galiläische Probleme“, Die Welt als Geschichte, 7 (1941) 234-241

[20] Zur Diskussion und weiteren einschlägigen Literatur über einen vorchristlichen Ursprung dieser Tradition vgl. J. Jeremias, ThWNT (= Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament), Bd. V, 685 nebst Fußnote 243 und Rudolf Augstein, „Jesus Menschensohn“, München-Gütersloh-Wien 1972, 32ff nebst den Fußnoten 73-78. Außerdem Martin Hengel, „Die Zeloten“, 1961, 304f.

[21] Ch. C. Torrey, „The Messiah Son of Ephraim“, JBL (=Journal of Biblical Literature), 66 (1947), 253-277, besonders 255. Außerdem Heinz-Wolfgang, „Die beiden Messias in den Qumrantexten und die Messiasvorstellung in der rabbinischen Literatur“, ZAW (=Zeitschrift für Alttestamentliche Wissenschaft), 70 (1958), 200-208, besonders 20ff

[22] Das obige Zitat ist eine Kürzung (!) der „King James Version“, die in „The Revised English Bible“, Oxford/Cambridge, 1989, nur unvollständig angedeutet wird, in der deutschsprachigen Herder-Fassung, 1980, betreut von der Katholischen Bibelanstalt GmbH, Stuttgart, aber unversehrt ist.

[23] Heinz-Wolfgang Kuhn stimmt zu, wenn er schreibt, „dass das Konzept, einen kriegerischen Messias ben Joseph neben einen Messias ben David zu stellen, wie es in der rabbinischen Tradition vorkommt, nichts mit den beiden Messiassen in den Qumran-Texten zu tun hat.“ Seite 205. Vgl. „Die beiden Messias in den Qumrantexten und die Messias-Vorstellung in der rabbinischen Literatur“, ZAW 70 (1958), 200-208

[24] Denn J. Heller, dessen Dissertation „Die Efraimitische Messias-Tradition“ von 1951, die nie in gedruckter Form erschien, sieht es richtig. Der Kriegsmessias, ben Joseph ist „der jüdisch transformierte …Typus der nordisraelitischen oder efraimitischen Könige“. Zitiert in V. Sadek, ArOr 33, 1965, 34

[25] Auch das von E. Bammel und C.F.D. Moule herausgegebene Kompendium „Jesus and the Politics of His Day“, Cambridge (1984), S. 511, schweigt sich einheitlich über den martialischen Messias ben Joseph aus und berührt ihn im Verlauf der ausführlichen wissenschaftlichen Diskussion nicht.

[26] Jesaja 63, 3: „Ich allein trat die Kelter; / von den Völkern war niemand dabei. Da zertrat ich sie voll Zorn, / zerstampfte sie in meinem Grimm. Ihr Blut spritzte auf mein Gewand / und befleckte meine Kleider.“.

[27]  Brandon schöpfte reichlich aus einer modernen theologischen Literatur, in der die Zitierten einheitlich der Meinung sind, dass sich diese Aussage in der Johannesoffenbarung auf Jesus bezieht

[28] In der Unterscheidung zwischen „israelitisch“, d.h. dem im Norden in Galiläa und Samaria entstandenen Erbe, und „jüdisch“, d.h. dem von Jerusalem aus beherrschten Gebiet, sieht Martin Werner die ablehnende Haltung Jesu gegenüber dem jüdischen Alten Testament in der Zentralität der „israelitischen“ Apokalypse begründet, die sich in der von ihm selbst eingenommenen apokalyptischen Geisteshaltung nach außen hin widerspiegelt. Man muss sich vor Augen halten, dass diese Apokalypse den Kern des urzeitlichen, schriftlich fixierten christlichen Kanons bildete. Als die im Entstehen begriffene hellenistische Kirche, die noch dabei war, sich zu organisieren, feststellte, dass das apokalyptische Ende der Welt und die Herabkunft des Reiches Gottes vom Firmament nicht stattfand – also das, was Jesus und seine Anhänger predigten -, haben sie diese Tradition in toto aufgegeben, sie von sich gestoßen, nachdem sie selbst von den Juden verworfen worden waren. Nur im Kanon der äthiopischen Kirche blieb die Apokalypse des Henoch, das so genannte „Buch des Glaubens Jesu“, erhalten, das aber auch dort keinen Einfluss mehr gewann, nachdem seine Offenbarungen ausblieben. (vgl. Martin Werner, „Die Entstehung d. christl. Dogmen“, 2. Auflage, 1954, 144ff.)

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert