Ansichten zu Toppers ‘Kalendersprung’
Mit seinem gerade erschienenen Buch “Kalender-Sprung” befindet sich Uwe Topper sozusagen auf der Zielgeraden, denn drei Jahre nach seinem letzten Buch zu diesen Thema – “ZeitFälschung” (München 2003) – , in dem er noch den unabgeschlossenen Forschungsstand des letzten Jahrzehnts beschreibt, hat er jetzt die Grundlinien für die Neugestaltung der Geschichtsschreibung festgelegt.
Denn die Fülle der Fakten liegt nun konkret vor und ist als festes Ergebnis zu diskutieren und nicht mehr lediglich als Vorschläge oder Versuche zu behandeln. Damit mag er zudem seinen Kollegen vorgeprescht sein.
Viele Kapitel des Buches waren schon eine Weile unter Experten bekannt und sind vielfach diskutiert worden, da Topper stets in Vorträgen und Zeitschriften seine neuesten Funde vorstellt und zu Kritiken Stellung nimmt und sie zudem im Internet verbreiten lässt.
Kurzum: Positiv ist zu vermelden, daß diese Ideen nun spruchreif in Buchform vorliegen und damit einem größeren Publikum zugänglich sein werden.
Drei Grundgedanken sind nun als das Gerüst der neuen Linie greifbar:
1.- Von der Kalenderentstehung ausgehend stellt der Autor die drei letzten Kalendersprünge vor und datiert sie auf die Zeitpunkte: 650, 740 und 950 Jahre vor heute (auf 2000 AD bezogen). Dies wird in allen Einzelheiten schlüssig und verständlich dargestellt. Man muß etwas astronomische und kalendarische Kenntnisse mitbringen, aber wenn man den Diskussionen der letzten zehn Jahre gefolgt ist, versteht man nicht nur die Folgerungen, die Topper zieht, sondern man versteht sein Anliegen, diese umfangreich zu belegen, als die sinnvollsten Folgerungen überhaupt.
2.- Bisher war Topper dem allgemeinen Wissensstand entsprechend davon ausgegangen, daß unsere Jahreszählung (n. Chr. Geburt) in kirchlichen Dokumenten seit Mitte des 15. Jahrhunderts vorkommt. Nun muß er feststellen, daß dies etwas zu früh ist und nur für rückdatierte Dokumente zutreffen kann. Er zeigt, daß die Kirche um 1490 noch nicht diese Jahreszählung verwendet haben kann und Laien und bürgerliche Kreise schon gar nicht. Ihm erscheint es nun sicher, daß unsere Datierungsweise erst in Dürers Lebenszeit aufkam, etwa ab 1516 bis 1520, und sich erst im Laufe der nächsten Generationen als einheitliche Datierung durchsetzte.
3.- Somit kann auch die Entstehung der christlichen Kirchen in Europa nicht mehr als fünf oder sechs Jahrhunderte zurückverfolgt werden wie das der Vorgang der christlichen Taufe Deutschlands in der Reformationszeit deutlich erkennbar werden läßt. Davon handelt der Mittelteil seines Buches, das bildhaft an den Werken des Malers Bosch den Wandel im Weltbild zeigt.
Überhaupt wird es in diesem Buch nie langweilig, denn es ist randvoll gefüllt mit neuen Erkenntnissen wie abermals neue, zum Teil witzige Aufdeckungen von Fälschungen (z.B. die Carmina Burana), verblüffende Erklärungen lang vermuteter Irrtümer – (das Ei des Kolumbus) oder auch Skandale wie die Aufdeckung einer beispielhaften Orientalistenarbeit – der “Muqaddima” des Ibn Chaldun. Letzteres verdankt man als Leser den außergewöhnlichen Sprachkenntnissen des Autors auch im arabischen und berberischen Bereich und der geglückten Zusammenschau diverser kultureller Disziplinen.
Außerdem hat Topper diesmal dankenswerterweise den augenblicklichen Stand der Chronologieforschung in einem Kapitel als Anhang zusammengefaßt für alle diejenigen, die sich erstmals mit dieser Thematik beschäftigen und nicht gleich die gesamte – nun schon ins uferlose angewachsene – Literatur der letzten dreißig und mehr Jahre dazu nachlesen wollen.
Natürlich sind kleine Druckfehler zu finden, die Schwarz-Weiß-Abbildungen scheinen etwas zu dunkel geraten oder auch die Farben wohl nicht immer ganz wie im Original wiedergegeben. Dafür wurde aber auf der anderen Seite nicht gespart an Buchgröße und Ausstattung mit (Leinen-)Einband und apartem Umschlagbild, so recht passend zum Gesamteindruck eines Standardwerkes für längere Zeit.