Die unerklärten Felsengleise der Alten Welt

Eine Anregung zu weiterer Forschung

Den frühgeschichtlichen Felsenstraßen Europas wird von den Archäologen kaum Aufmerksamkeit gewidmet, obgleich sie in immer größerer Anzahl und mit zunehmend vielseitigerer Fragestellung bekannt werden. Die folgende Übersicht zum augenblicklichen Stand der Kenntnisse soll das Besondere dieser hochentwickelten Technik der Vorzeit ins Blickfeld rücken und zu weiterer Forschung anregen.

Die Spurrillen im Fels, von mir Felsengleise genannt, sind kein philosophisches Problem, keine vielseitig deutbare Mythe der Vorzeit, sondern ein technisches Rätsel, das jeder Ingenieur oder Handwerksmeister lösen könnte. Obgleich seit weit über hundert Jahren bekannt, gibt es bisher keine allumfassende Erklärung, ja nicht einmal eine zusammenfassende Publikation.

Gleise in Termest (Spanien) © U.T.

Meine Erforschung dieser Gleise begann 1972 in Spanien, vor allem in Meca (Prov. Valencia) und Termest (Prov. Soria) sowie in Cádiz am Atlantik.
Später sah ich sie an vielen Orten im Mittelmeerraum und sammelte Literatur darüber. Durch Vorträge, Aufsätze und Veröffentlichungen in Büchern versuchte ich, die Aufmerksamkeit der offiziellen Archäologie darauf zu lenken, insgesamt erfolglos. Insgesamt lernte ich, daß es sich bei den Felsengleisen um eine sehr weit verbreitete Erscheinung handelt, die keineswegs mit einem einzigen Modellgedanken erklärbar ist.

Felsengleise: das sind zwei parallele Rillen in gleichbleibender Breite auf der Felsoberfläche, manchmal sehen sie aus wie die Spur eines Karren im frischen Lehmboden. Einige Gleise haben Gabelungen, andere haben Kreuzungen; einige führen steile Abhänge hinauf, andere sind in scharfen Kurven durch hohes Felsgestein, mehrere Meter tief hineingetrieben. Die Rillen der Gleise haben gleichbleibende Breite, viele weisen ein sauber gearbeitetes Profil auf und haben oft eine Führungskante, die von häufiger Benützung glattgerieben ist.
Manche Gleise führen kilometerweit über Land, verschwinden unter Äckern und tauchen am nächsten Felsbuckel wieder auf, überspringen sogar breite Spalten und (auf Malta) auch mal eine ganze Meeresbucht. Viele – jedoch nicht alle – wurden sorgfältig geplant und von geschickten Steinmetzen angelegt.

Vielfach sind sie älter als alle anderen geschichtlichen Zeugnisse vor Ort, also älter als römische, iberische oder phönizische Bauten an diesen Stellen.

Felsengleise in Malta © L.K.

Nachdem ich Gleise in drei verlassenen (kelt)iberischen Städten vermessen, gezeichnet und fotografiert hatte, wandte ich mich an das Deutsche Archäologische Institut in Madrid und erhielt die einfache Erklärung als Antwort, es handle sich um Abnützungsspuren, die eisenbereifte Karrenräder im weichen Kalkgestein hinterlassen haben.
Derartige Karrenspuren hatte ich allerdings oft gesehen, selbst im harten Granit von Galicien erkennt man sie sofort: Im Hohlweg gräbt sich das Karrenrad tief ein; auch auf freier Ebene, wenn ein Felsbuckel zwischen Feldern herausragt, trägt er nach einiger Zeit die Schleifrinnen der Eisenfelgen, meist grob verwaschen, über einige Meter hinweg. Allerdings weist die Mittelrippe zwischen den beiden Rillen dann regelmäßige Vertiefungen auf, die von den Tritten der Zugtiere herrühren, also von Maultieren oder Rindern zumeist, umsomehr vertieft und glattgewetzt, je länger die Benützung anhielt. Diese Kuhlen fehlen bei den vorgeschichtlichen Gleisen. Hier bleibt es völlig unklar, wer die Gefährte, für die die Rillen angelegt wurden, fortbewegte.
Vielleicht wurden als Zugtiere – wie der angesehene (und humorvolle) Archäologe Trump für die „cart ruts“ von Malta1) sagt – fliegende Gänse eingesetzt. Die fehlenden Trittmarken zwischen den Gleisen kommen auch neben den Gleisen nirgendwo vor, stellenweise sind sie aus Platzmangel gar nicht möglich. Hier liegt eins der Geheimnisse, das zwar bemerkt aber noch nicht gelöst wurde. Wenn zahlreiche Menschen die Wagen zogen, werden vielleicht keine so deutlichen Trittmarken zu erwarten sein wie bei Huftieren, und auch deren Tritte sind weit geringer sichtbar, wenn die Hufe nicht eisenbeschlagen waren.

Gleise auf Malta © U.T.

Bei vielen (nicht allen!) Gleisen wird sofort klar, daß sie von Handwerkern angelegt wurden, wahrscheinlich mit Meißel und Hammer. Die einfachste Erklärung, es handele sich um jahrhundertelange Abnützung des Felsens durch die Karrenräder mittelalterlicher und moderner Bauern, trifft also nur an ganz wenigen Stellen zu, die auch sogleich als solche zu erkennen sind. Von diesen ist hier nicht die Rede.

Die größere Zahl der von mir besprochenen Felsengleise sind meisterhafte Ingenieurleistungen einer frühen Hochkultur. Allein schon die Präzision, mit der sie angelegt sind, mit einer bis zu sechs Meter tief in gewachsenen Fels gehauenen Trasse, mit genauer Planung der weitverzweigten Anlage, schließt für diese Beispiele eine zufällige oder durch Gewohnheit verursachte Entstehung aus. Es gibt einige Ausnahmen, die eine andere Erklärung fordern und am Schluß besprochen werden.

Das Problem ist nicht neu: Spätestens 1794 tauchen die Gleise in der spanischen Literatur auf, und 1919 ließ Zuazo y Palacios2) einen Aufruf an alle Wissenschaftler und Archäologen ergehen: „Wir halten diese iberischen Ruinen für die wichtigsten von Spanien!“ hieß es darin. Schon 1877 hatte José Sabater geschrieben: „Diese Gleise werden noch lange der Schrecken der Archäologen sein.“ Doch das war zu idealistisch gedacht, genau wie unsere eigenen Bemühungen. Die Ergebnislosigkeit dieser Aufrufe und Veröffentlichungen veranlaßte Erich von Däniken, die Gleise in seine Hypothese von außerirdischen Raumfahrern einzufügen.3) Auch ohne fliegende Gänse oder Astronauten sollten wir eine Erklärung erarbeiten: Wer schuf die Gleise, wann und wofür?

Es folgt ein Rundgang durch die wichtigsten Fundorte.

1. Iberische Felsengleise

Die ersten Felsengleise entdeckte ich mit meiner Frau 19724) im westlichsten Zipfel der Provinz Valencia auf einem spornartigen Kalksteintafelberg, der iberische Ruinen trägt und Meca oder Cuevas del Rey Moro genannt wird, also „Höhlen des Königs der Mohren“. Einerseits deutet der Name an, daß es sich um eine wichtige alte Stadt handelt, andererseits scheint er uns heute chronologisch unpassend, denn die Stadt scheint spätestens mit der römischen Eroberung verlassen worden zu sein; die jüngsten Keramikbruchstücke, die wir fanden, stammen aus iberischer und griechischer Zeit, während die ältesten Scherben in die Bronzezeit weisen. Nach Ausweis der Funde haben Mauren nicht dort gewohnt.

Plan der Fahrstraßen in Meca

Von der beträchtlich tiefer liegenden Ebene führen nur zwei Auffahrten von der Nordseite in die Stadt hinauf, eine am Westende, die andere am Ostende. Die zweite ist besonders auffällig: In einer Haarnadelkurve, bis zu 3 m tief in den gewachsenen Fels eingeschnitten und stets 2 m breit, steigt sie stetig aufwärts und überwindet dabei einen Höhenunterschied von etwa 25 m.

Drei Abzweigungen führen linker Hand zu Häusern, die aus dem Fels herausgehauen sind. Die Wände der Felsschlucht sind in breiten Bändern herausgearbeitet, harmonisch gerundet und in allen Maßen höchst ästhetisch.
Die Spurbreite der vertieften Gleise ist konstant 160 cm (lichtes Außenmaß), jede Gleisrinne ist 20 cm breit und etwa 10-15 cm tief. An den Kurven gewann ich den Eindruck, daß hier das Rad geradeaus strebte und dabei eine eigene Abnützung in den Fels einschliff, bevor es ruckartig in die vorgearbeitete Gleisrinne einbiegt, so als wäre die Lenkung ein technisches Problem gewesen. Die vielen Abzweigungen oben auf dem Stadtplateau führen zu Becken, Zisternen oder Häuserbasen, alle aus dem gewachsenen Felsgestein gehauen und nur noch als Grundlagen erhalten. Die ehemaligen Aufbauten sind verschwunden.

Die Hauptstrecke überquert den gesamten Stadtberg in der Längsrichtung und endet an einem von Mauern umgebenen palastartigen Gebäuderest, der auf der höchsten Stelle liegt, von unten praktisch unzugänglich. Man erkennnt ein Labyrinth von Räumen, durch Treppen und Gänge miteinander verbunden. Wenn die Stadt einen König oder Bürgermeister hatte, dann residierte er wohl hier.

Auffahrt in Meca (Spanien) © U.T.

Der Anfang der anderen Auffahrt, ebenfalls tief in das Gestein gehauen, ist abgerutscht, als hätte ein großes Erdbeben den Fels gesprengt und eine Flut das Bruchstück fortgetragen. Durch ein abzweigendes Gleis auf der ersten Terrasse gelangt man um eine Felsnase steil an der Wand entlang zu großen offenen Höhlungen, die aber keine Spuren menschlicher Bewohnung aufweisen.

Die Wände der Höhlen sind leuchtend rot gefärbt, vermutlich weil sie früher meteoritische Eisenknollen enthielten, deren Abbau sich lohnte, weil er reich an Nickel war, was einen hervorragenden Stahl abgibt. Wir sahen auch Eisenschlacke, jedoch viel weniger, als man sonst an frühgeschichtlichen Werkstätten finden kann. Die ganze Anlage wirkte auf mich wie eine große Werkstatt mit Schmelzöfen und Lagerstätten. Wahrscheinlich wurden schwere Materialien – Erz und Brennholz – heraufgeschafft und den einzelnen Arbeitsplätzen zugeführt, wie die vielen Abzweigungen ahnen lassen. Die beiden getrennten Auffahrten lassen an Einbahnverkehr denken, denn wozu hätte man sonst diesen ungeheuren Arbeitsaufwand von zwei Auffahrten unternommen?

Die geringen Schlackereste und die Zersplitterung des Felsens an einigen Stellen legen den Gedanken nahe, daß die Erzverarbeitung in Meca sehr weit zurückliegen muß und vermutlich durch eine Katastrophe geologischer Art beendet wurde. Die Schlacke wurde fortgespült, die Aufbauten vernichtet, die Felsstücke gespalten.

Es gibt hier auch einige spätere Gebäude, die die geniale Anlage der Gleise mißachten. Sie werden zur iberischen Phase gehören, die durch bemalte Keramik gut belegt ist. Den einzigen Nutzen, den man aus der früheren Anlage zog, war die Verwendung der Wasserzisternen, die man mittels der Gleisrinnen zu füllen verstand.

Wir konnten zwei Bauphasen der Gleisanlage unterscheiden. Die Straßen des älteren Systems führen steiler am Hang hinauf, sind auch stärker zerrissen durch die Naturkatastrophe und nur noch in kleinen Stücken erhalten. Da die Spurbreite in beiden Systemen gleich war, konnten die alten Straßenzüge im neuen System weiterverwendet werden. Möglicherweise waren die Auffahrten der älteren Anlage nur scheinbar steiler: Es könnte sein, daß sich der gesamte Felsblock ruckartig gehoben hat, wodurch die Gleise zerrissen.

50 m unterhalb vom westlichen Aufgang liegt der Rest einer Doppeleinfahrt; vermutlich waren nicht beide Gleise zugleich in Gebrauch, sondern nacheinander. In einer zweiten Katastrophe sind dann beide Eingänge abgebrochen und fortgeschwemmt worden.

Als nächste Station entdeckten wir am Nordhang der iberischen Ansiedlung El Castillo de Alloza (Provinz Teruel) Felsengleise, die schon im Plan der Ausgrabung von 1911 aufgezeigt sind. Leider kann man an diesem Ort nicht mehr viel sehen, nur einige Anzeichen machen deutlich, daß es sich auch hier um einen vorgeschichtlichen Erzverhüttungsort handelt.

Die Gleisanlage von Tiermes (Provinz Soria), Hauptstadt des keltiberischen Stammes der Arévacos, übertrifft die von Meca an Bedeutung. Adolf Schulten, der dort auch Ausgrabungen vornahm, nannte sie in Anlehnung an Numantia „Termantia“, ich möchte sie “Termest” nennen.

Auffahrt in Termest (Spanien) © U.T

Mindestens zehn lateinische Schriftsteller5) haben die Stadt beschrieben, doch keiner erwähnt die Eisenherstellung, obgleich dieses Gebiet insgesamt für seinen Stahl berühmt war.

Auch von den modernen Wissenschaftlern, die dort Ausgrabungen durchführten und viele Einzelheiten genauestens untersuchten, erwähnt keiner die Fahrstraßen oder die Eisenschlacke, die dort reichlich herumliegt. Von den großen Gleisauffahrten, die als Stadttore gelten, heißt es, daß sie „für Karren nicht geeignet“ waren6), da sie Stufen und Sprünge aufweisen.

Daß die Fahrstraßen lange Zeit benützt worden waren, bevor eine Naturkatastrophe das System unbrauchbar machte, ist wohl nicht erkannt worden.Vermutlich hielt man derartig hochentwickelte Technologie im vorrömischen Spanien für unmöglich.
Die Auffahrten in Termest sind zwar nicht so lang wie in Meca, doch der Arbeitsaufwand war nicht geringer. Es gibt hier vier Auffahrten, deren größte 6 m tief ausgehauen ist. Die Straßen sind hier auch bedeutend breiter, stellenweise 3 m, so daß man neben dem Fahrzeug noch gehen konnte.

Gleisestraßen in Termest

Erstaunlicherweise gibt es drei verschiedene Spurbreiten: Die älteste mißt 180 cm, das zweite System ist am ausgeprägtesten und hat wie in Meca 160 cm breite Gleise, und schließlich gibt es noch eine jüngere Anlage von 140 cm Breite.

In den meisten Fällen wurde das jüngere über das älteres System gelegt, so daß man eine der beiden Rillen wiederverwenden konnte. Nur in der Ebene, wo genügend Platz vorhanden ist, trifft man neue Abzweigungen neben alten an, wodurch man die drei Anlagen hinsichtlich ihrer Verwitterung und Überschneidung gut studieren kann.

Von den vier Auffahrten wurden wahrscheinlich nur jeweils zwei gleichzeitig verwendet, was wiederum auf Einbahnverkehr schließen läßt.
Der Hauptfehler bei der Beurteilung durch die Ausgräber liegt wohl darin, daß sie alle Bauten, ob aus dem Felsen gehauen oder in Steinen erbaut, als verzweifelte Verteidigungsmaßnahmen der letzten Bewohner, der Keltiberer, gegen die Römer ansahen. Dagegen wird auf den ersten Blick klar, daß die breiten und mehrfachen Auffahrten eher dem Feind den Weg in die Stadt öffneten.

Diese viel ältere Anlage, die Eisenverhüttungsstadt, muß in friedlicher Zeit errichtet worden sein, denn viele Wohnhäuser liegen in der äußeren Felswand, ebenso auch Vorratskammern, sogar außerhalb der Stadt, und die Gleise verlaufen viele Kilometer weit ungeschützt über flaches Land, oft schnurgerade, auch über Felsen hinweg, stellenweise parallel nebeneinander, weshalb ich auf eine geplante Anlage dieser Gleise schloß.

Da drei Spurbreiten erkennbar sind, liegt der Schluß nahe, daß es sich um nacheinander folgende Zivilisationen gehandelt haben könnte; vielleicht wurde auch hier die Erdoberfläche durch drei Katastrophen verändert.

Gleise in Cádiz © U.T.

In der ehemaligen Hauptstadt der Turdetana, in Cádiz am Atlantik, vermuteten wir entsprechende Anlagen, konnten aber natürlich nichts finden, da der gesamte Felsen von einer modernen Stadt überbaut ist. Nur am Fischerhafen von Cádiz, La Caleta, der bei Voll- und Neumond zur Ebbezeit fast trocken liegt, sieht man auf dem geebneten Felsplateau ein Stück Gleisestraße von etwa 100 m Länge und 160 cm Spurbreite.
Weitere kleine Reststücke in dieser Bucht führen ebenfalls vom Riffrand zur Stadt. Da die Gleisestädte sich an so weit entfernten Punkten der Iberischen Halbinsel befinden, durfte ich annehmen, daß es sich nicht um lokale Sonderfälle handelt, sondern um eine weiträumige Hochkultur aus vorgeschichtlicher Zeit.

Wie weit diese Hochkultur reichte, wurde uns erst klar, als wir die europäischen Gleisestraßen in der Literatur studierten.

2. Gleisestraßen der europäischen Frühzeit

Die Worte Gleis (früher Geleise) verwenden wir heute in zweifacher Weise: Im älteren Sinne bezeichnet es die vom Wagenrad verursachte Rinne (von leis = Spur, Furche, daher Leisten, Leistung, Leitung, Lehre usw.) und im neueren Sinne eine für Wagenräder hergestellte Spur, die Schiene.

Erhöhte Schienen wurden zuerst im Bergbau verwendet, im Harz und in England vom 17. Jh. an in zunehmendem Maße. Die Technik der vertieften Spurbahnen war schon im Altertum entwickelt, wie man im Lexikon7) nachlesen kann: „Die ältesten Kunststraßen Griechenlands waren mit Steingleisen versehen, tiefen Radfurchen, sorgfältig ausgehauenen, geglätteten Kanälen, Gleisen für die Räder der Fuhrwerke, um sie gesichert und leicht dahinrollen zu lassen. Wo keine Doppelgleise vorhanden waren, entstanden sogar eigne Ausweichplätze.“ Es waren also die ältesten griechischen Straßen, die in dieser Weise angelegt waren, und Doppelgleise scheinen die Norm gewesen zu sein. Fürst Pückler entdeckte im März 1836 nahe bei Athen „im Stein antike Gleise und verschiedene Vorrichtungen der Alten beim Steinsprengen sehr deutlich sichtbar“.8)

Auch die Römer schlugen in ihre mit gut verzahnten fünfzackigen Steinplatten gepflasterten Straßen scharfkantige Rinnen, um den Wagenrädern einen Halt zu bieten, wie L. Casson9) ausführt und mit einem Foto von der Via Cassilina bei Montecassino belegt. Darauf sieht man allerdings eine äußere vielfach ausgefahrene Wagenspur, wie sie durch eisenbeschlagene Räder entstehen kann, und eine innere, viel schmalere und sorgfältig gemeißelte Rinne, die möglicherweise älter ist. Ob die Römer die alte Wagenstraße mit den engen Gleisen einfach übernommen haben? Recht unrömisch wirkt jedenfalls die „Römerstraße“ im Aostatal10)), die auf 221 m Länge aus der hohen Felswand herausgeschlagen ist und ebenfalls zwei enge Rinnen aufweist.

Die Etrusker, in vieler Hinsicht, vor allem in architektonischer, die Lehrmeister der Römer, hatten schon technisch perfekte Felsengleise, z.B. in der Nekropole von Cerveteri. Sie heißen via cava (gegrabene Straße) und sind oft tiefe Einschnitte im Tuff oder Fels, die für Wagen benützt wurden. Einige (z.B. bei Sorano, im Fiora-Tal) sind 3 m breit und führen fast unterirdisch 500 m lang zwischen gewachsenen Wänden von bis zu 20 m Höhe. Es ist nicht auszuschließen, daß die „via cava“ dem Erztransport dienten.

Aus dem lateinischen Wortschatz für die Wagentechnik wissen wir, daß fast alle wichtigen Neuerungen in diesem Bereich aus Gallien zu den Römern gekommen sind. In der „zweiten“ Eisenzeit („La Tène, ab 5. Jh. v. Ztr.“) war die Spurbreite der Wagen im westkeltischen Gebiet (d.h. hauptsächlich in Gallien) auf 120 cm genormt, wie man an Stadttoren, vertieften Rinnen und gelegentlich gefundenen Wagenrädern feststellen konnte.11)

3. Die alpenüberquerenden Gleisestraßen

In einem ungemein reichhaltigen Vortrag hat Heinrich Bulle 194412) dargestellt, wie lange man sich in der europäischen Altertumswissenschaft schon mit den antiken Gleisestraßen beschäftigt. Er zitiert Ernst Curtius, der aus eigener Anschauung 1854 über den altgriechischen Wegebau und die Verkehrsstraßen der Hellenen schrieb.13)

Von Athen gab es eine Prozessionsstraße über Eleusis und Chaironea nach Delphi, die gewiß auch für profane Lasten verwendet wurde. Und von Janitsa führte eine feste Straße auf den Taygetos hinauf. Rillengleise sieht man auch im Theater von Sparta, wie überhaupt kürzere Gleisstücke für häusliche und rituelle Zwecke im ganzen Orient verbreitet waren. Wenn man die Götterbilder nicht trug oder mit Booten herumfuhr, zog man sie auf Karren über eigens dafür gebaute „Götterwege“, deren Schienen im Pflaster mit härterem und andersfarbigem Gestein eingelegt waren, damit die Karren gleichmäßig rollen konnten. Die Feststraßen von Assur, Babylon und Boghazköy sind die bekanntesten. Von der alten Hethiterhauptstadt führte eine Straße zum Felsenheiligtum Yazilikaya14), dessen glatt eingeschnittene Wände den spanischen Felsenauffahrten recht ähnlich sehen sollen; wir sahen sie leider nicht.

In Illyrien, das besonders weitverzweigte und gut erhaltene Straßennetze aufweist, wurden die Gleise seit 1893 durch Ballif15) erforscht. Da führte z.B. in Bosnien-Hercegovina eine Straße von Ervenik nach Krupa ohne Unterbrechung 10 km. Oft ist nur eine der beiden Rillen ausgehauen, besonders an Abhängen, und die Mitte ist keineswegs immer eingeebnet worden. Die Rillenbreite beträgt hier 10-12 cm , die Tiefe 11-26,5 cm, die Spurbreite ist etwa 1,5 m. An einigen Stellen besteht zwischen rechter und linker Rille ein Höhenunterschied von bis zu 51 cm. Wenn wir nicht glauben wollen, daß das Fahrzeug mit seiner Last eine solche Schrägstellung aushalten konnte, müssen wir annehmen, daß auch hier das Gestein durch eine Naturkatastrophe verlagert wurde.

In Norddalmatien sind die Straßen durch Randsteine gesichert, wobei die Gesamtbreite sich auf 4,5 bis 6,8 m beläuft; wahrscheinlich wurde die Straße für Gegenverkehr angelegt. An Engpässen hatte man den Felsen abgeschnitten und die Talseite untermauert. Das erstaunlichste sind die Doppelstrecken: Zwischen Baricevic und Pometija steigt ein östlicher Straßenzweig sehr steil und kurvenreich auf das 1000 m hohe Velebit-Gebirge, während ein westlicher Zweig sanft und in weit ausholendem Bogen dieselbe Steigung überwindet.

Bei der Narona- Straße haben wir eine entsprechende Konstruktion: Eine der beiden Straßen erklimmt einen Bergkegel mit 23%, d.h. mit 14° Neigungswinkel, die andere umgeht den Berg in weitem Bogen. Bulle sagt dazu, daß die steilere Anlage die ältere sei, alle jedoch vor-römische, illyrische Arbeit.

Die Spurbreiten variieren in Dalmatien. Im Süden sind sie recht schmal, 120-125 cm, die Naronastraße ist 130-135 cm breit, und in Norddalmatien liegt die Breite bei 140 cm.

Bulle führt diese Unterschiede auf die starke Zersplitterung der illyrischen Stämme zurück. Ich möchte hier anfügen, daß nicht immer deutlich wird, wie der jeweilige Autor seine Messungen vornahm: von Rillenmitte zu Rillenmitte oder von Außenrand zu Außenrand; letzteres war meine Methode, sie ist leichter durchzuführen.

Wir nähern uns dem heimischen Gebiet und damit den von Bulle selbst untersuchten Alpenstraßen, die uns die bewundernswerten technischen Leistungen der Veneter und Helvetier vor Augen führen. In den Ostalpen gibt es geniale Anlagen, die trotz schwierigen Geländes eine gerade Linienführung und einen stets gleichbleibenden Anstiegswinkel haben.

Die älteste Beschreibung dieser Straßen stammt von 1792. Im Jahre 1806 veröffentlichte der Botaniker S. v. Hohenwart etwas über die Veneterstraße, die auch „Heidensteig“ und „Rennweg“ genannt wurde. Veneterstraße heißt sie nach den Inschriften im Runenstil16),, die entlang der Straße gefunden wurden. Man weiß aber auch durch weitere Funde, daß sie noch vor der norischen Königszeit angelegt worden sind. In römischer Zeit hat man einige Straßen wieder benützt. Wie alt sie wirklich sein mögen, läßt die anschauliche Beschreibung von Bulle ahnen: Die ganze Anlage ist sparsam und künstlerisch geschickt, mit Schutzmauern nach kyklopischer Art, aus Bruchsteinen (40-60 cm breit und 15-18 cm hoch), die völlig glatte Wände bilden, ohne Mörtel ausgeführt, wobei durch abwechselndes Gestein eine rhythmisch schöne Färbung erzielt wurde!

Die Veneterstraße überwindet auf 14 km einen Höhenunterschied von 700 m, nämlich von 678 m auf 1360 m Meereshöhe. Dabei bleibt der Steigungswinkel stets 6°.

Gleiseprofile in den Ostalpen

Auch in den Ostalpen variiert die Spurbreite: Die Pontebbastraße von Aquileja nach Virunum, eindeutig vor-römisch, ist 93,5 cm breit, die ältere Veneterstraße 105 cm; die von den Römern mitverwendete jüngere Veneterstraße auf italienischer Seite hat einen Gleisabstand von 130 cm und eignet sich noch heute zum Transport schwerer Holzlasten.

Auf ihr sieht man auch tief ausgetretene Stufen der Zugtiere, mit 35-40 cm Abstand, 5-15 cm tief. Sie stammen offensichtlich von der Benützung in jüngerer Zeit.

Die Fernstraße von Imst nach Bieberwier ist genau 1 m breit, wogegen die römische Brennerstraße und ihre Fortsetzung über den Seefelder Sattel 110 cm Breite hat.
Eine bemerkenswerte Eigenart ist die Böschung an Wegkrümmungen: In 27 cm Höhe über der Gleisrille ist das Gelände 10-12 cm ausgehauen, damit die Radnabe nicht anstößt, wie Bulle erklärt. Wo die illyrischen Fernstraßen durch Moore laufen, hat man Knüppeldämme gefunden, 4,5 m breit, mit 30 cm hoher Kiesauflage.

Die Straßen im Westalpengebiet und in Gallien sind ebenfalls seit langem untersucht. Stähelin17) beschreibt vier helvetische Straßenstücke, alle 110 cm breit mit 10 cm breiten Spurrillen, die 20-40 cm tief eingeschnitten sind, was auf recht hohe Wagenräder schließen läßt.

Eine Straße führte zwischen Basel und Windisch (man achte auch auf die Ortsnamen, windisch weist auf die Veneter hin) über den Bölzberg, eine andere an der Maaß bei Dinant entlang über Philippeville nach Bavay, die dritte in den Vogesen westlich Kolmar und eine vierte am oberen Hauenstein, am Nordende des Bieler Sees über Solothurn mit einer Nordwendung bei Oensingen über den Jura bis Augst.18)

Während Auf- und Abstieg der Hauensteinerstraße von den Römern zum Dammweg umgebaut wurde, ist die Paßüberquerung noch in alter Gestalt erhalten. Ein enger Felsdurchlaß ist auf 19 m Länge bis zu 6 m Tiefe eingeschnitten, wobei die Gleise eine Breite von 120-130 cm zeigen, 10-25 cm tief. Der etwa 1 m breite Mittelgrat ist von Querrillen der Huftiere gefurcht. Da dies eine Seltenheit bei den alten Gleisen ist, möchte ich sie als Hinweis auf spätere Benützung erklären.

Von Yverdon über St. Croix nach Pontarlier führte eine Straße, die zweigleisige Ausweichstellen hatte, vor allem am Paß. Selbst an dem geheimnisvollen Odilienberg südwestlich von Straßburg gibt es 110 cm breite Gleisestücke mit 10-15 cm tiefen Rillen (die wir nicht gefunden haben).

Im weiteren Keltengebiet fehlt es nicht an Gleisestraßen. Hier haben wir sogar iberische Spurbreiten. Die Hochfläche der alten Keltenstadt Alesia durchschneidet von Ost nach West ein Gleis mit Innenmaß 140 cm, Außenmaß 165 cm. Bei Vienne, Besançon, Mont de Lans an der Isère und vielen anderen Orten hat man ähnliche breite Stücke gefunden. In den Vogesen gibt es auch Gleise mit drei Rillen, wobei die ältere Spur von 170 cm durch Anlegen einer inneren Rille auf 122 cm verringert wurde und damit erneut benützt werden konnte. An anderer Stelle lauten die Maße 185 cm und 120-135 cm. In Oisans, südöstlich von Grenoble, befindet sich ein Tordurchbruch von 2,5 m Breite, der heute halb eingestürzt ist. Die Achsenweite der Spur belief sich auf 144 cm, die Rillen sind 6 cm breit.

Keltische Gleise in den Vogesen sahen wir im Oppidum „Heidenstadt“ oberhalb des (sicher uralten) Heiligtums St. Michel bei Zabern im nördlichen Lothringen. Zwei enorm breite und hohe Erdwälle, die einst den Zugang von Ost und West in die Stadt versperrten, sind noch gut erhalten, sonst sieht man fast nichts mehr von dem Oppidum. Die beiden gleisartigen Zugangsstraßen deuten allerdings darauf hin, daß die Anlage früher anders ausgesehen haben muß, die beiden genannten „Zangentore“ und Wälle zur Verteidigung der Stadt waren vermutlich noch nicht vorhanden. Zumindest die ehemalige Westeinfahrt mißachtet das keltische Zangentor. Wie bei der Anlage von Termest ergibt sich, daß zu den Gleisestraßen eine langwährende Friedenszeit gehört haben muß und die als Verteidigungsmaßnahmen erhaltenen Reste einer späteren Zeit zuzurechnen sind, hier vermutlich der keltischen Eisenzeit.

Der für die Archäologen wichtigste Teil der beiden Gleiszufahrten ist der sogenannte „Plattenweg“ (das Wort wurde 1923 von den französischen Ausgräbern geprägt). Wie auch in den Alpen hieß diese Fahrstraße einst Steige; als „Steiga“ wurde sie auch erstmals „1126/27“ erwähnt, wie die anschauliche Dokumentationstafel vor Ort mitteilt. Weitere Erwähnungen als „Alte Steige“ (1607) und „Steigweg“ (1726) bezeugen, daß diese uralte Ingenieurleistung nie vergessen war.

Von dem 135 m langen Teilstück entlang einer hohen Felskante sind 64 m bestens erhalten, wobei ein Gesamtgefälle von 23% überwunden wird, nämlich 14,4 m Höhenunterschied. Der gepflasterte Teil steigt mit 30% an. Wichtig für uns ist aber nicht dieses etwa 11 m lange gepflasterte untere Teilstück, sondern das sich anschließende direkt in den Fels gehauene Stück, das drei Rillen aufweist, wie zuweilen in iberischen Städten:
plattenweg

“Plattenweg” in Lothringen © U. T.

Es handelt sich um eine ältere Gleisanlage von etwa 180 cm Spurbreite (hier genau 176 cm) und eine jüngere Spur von 110 cm (hier 111,5 cm), die eine der beiden alten Rillen mitbenützt. (Zwischen beiden liegt in iberischen Städten die mittlere Spurbreite von etwa 160 cm, diese fehlt hier.) Die größte Tiefe der Außenspur beträgt 27 cm, die Rillenbreite 9,5 cm. Die jüngere Rille ist sehr viel bescheidener.

Wir haben es also offensichtlich wieder mit einer uralten Anlage zu tun, die nach einer Katastrophe durch eine spätere Zivilisation erneut benützt wurde, diesmal mit sehr viel kleineren Wagen. Die Auswirkung der Katastrophe ist auch hier als deutliche Verzerrung erkennbar, das alte Gleis war nicht nur zu groß für spätere Benützer, sondern offensichtlich durch Felsdeformation unbrauchbar geworden.

Das gepflasterte Stück („Plattenweg“) enthält natürlich nur die Schmalspur, die Platten überdecken die ehemalige Außenrille des breiten Gleises. Außerdem finden wir hier am „Römergleis“ einen Hinweis auf Benützung durch Lastwagen mit Zugtieren, wodurch leider das Geheimnis wieder anwächst: Im Abstand von Schrittbreite sind zehn vertiefte „Tritthilfen“ in den Fels gehauen, also quer zur Gleisrichtung. Diese waren nötig, damit die Zugtiere (vermutlich Pferde oder Rinder) auf dem glatten Fels nicht abrutschten.
Derartige Tritthilfen oder auch durch häufige Benützung eingetretene Vertiefungen sieht man bei fast allen späten Gleisen (110 cm Breite), nie jedoch bei den uralten großspurigen Gleisen, die stellenweise enorm steil auf- oder abwärts führen. Wenn ich mir vorstelle, daß die Wagen der 180cm-Gleise ja deutlich größer und daher auch schwerer beladen gewesen sein müssen, wer zog dann diese Fahrzeuge? Benützte man vielleicht Seilwinden mit flaschenzugartigen Übersetzungen? Das würde erklären, warum in den Kurven der Wagen nicht immer folgen konnte.

4. Die Gleisestraßen auf Sizilien

Auf unserer Forschungsfahrt nach Italien 1999 waren wir überrascht, wie viele Gleisestraßen es hier gibt und wie vielfältig das ganze System ist. Wir fanden großräumige Anlagen von Gleisestraßen in Matera (Apulien), in Syrakus und Agrigent auf Sizilien, und kleinere Teilstücke an vielen archäologisch interessanten Orten, auch in Pompeji. Durch die Untersuchungen und Überlegungen sind wir zu neuen Schlußfolgerungen gekommen.

Die Behauptung zahlreicher Archäologen, daß diese Gleise durch die Wagenräder in den Kalkstein eingefahren sind, hat leider einen Denkfehler: Wo bleiben die Tritte der Zugtiere? Es gibt zuviele Rinnen perfekt nebeneinander, außerdem oft sehr hohe Buckel zwischen den beiden parallelen Rillen, da können Pferde oder Rinder gar nicht gehen. Ich habe mir als Gegenstück einen Weg auf Sizilien angesehen, der in einer solchen Kalksteinformation mehrere Kilometer weit zu einer Mühle führt, wohin Maultiere in den letzten 200 Jahren ihre Kornsäcke (und zurück Mehlsäcke) trugen: Die von den Hufen ausgetretenen Löcher sind dermaßen tief, daß ein Maultier schon kaum noch gehen konnte!

Übrigens führen die an diesen Stellen in einer weit zurückliegenden Zeit eingehauenen Gleise noch immer nebenher, wenn auch manchmal über den Abgrund hinaus ins Leere. Sie sind also durch eine geologische Katastrophe zerstört worden. Das hatte ich auch an den Tempeln in Agrigent beobachtet: Tief eingeschnittene Gleisestraßen, die mit Abzweigungen und Weichen für den Gegenverkehr sinnvoll angelegt waren, führen plötzlich an dieser oder jener Stelle in die Luft hinaus, über den Felsen hinweg ins Freie, als hätte es damals hier keine Steilwand gegeben, die heute zehn oder zwanzig Meter tief abstürzt (ohne daß man unten Gesteinsbrocken als Reste einer ehemaligen Straße finden würde).

Gut erkennbar haben Punier später ihre Gräber in diesem Bereich in den Fels geschlagen, haben Griechen ihre Theater quer über die Gleisestraßen gebaut, zuweilen auch die alten Straßen einbezogen (weil es nicht anders ging), haben Römer ihre Amphitheater in den Fels getrieben, ohne sich um die stark verwitterten Straßen der früheren Menschen zu kümmern, haben „Christen“ ihre Katakomben in diesem Wirrwarr angelegt, ohne überhaupt die alten Straßen noch zur Kenntnis zu nehmen.

Syrakus ist das beste Beispiel für dieses Vorgehen. Auch die heutigen Straßenbauer der modernen Stadt kümmern sich nicht um die Gleisestraßen einer früheren Menschheit, sie schneiden sie einfach im schrägen Winkel ab, überpflastern sie mit Beton und Asphalt.

Felsengleise vor Syrakus (Sizilien) © U. T.

Im Bereich oberhalb der Theater liegen noch einige Gleise offen zutage, wahllos in die Oberfläche eingedrückt, wie es scheint. Oft werden sie überschnitten von anderen Gleisen, die mühevoll hineingearbeitet wurden, mit Hacken und Meißeln. Diese müssen viel jünger sein als die zahlreichen Gleise, die wirr den Kalkstein durchfurchen.
Hier wurde uns erstmals klar, daß es sich um zwei verschiedene Arten von Gleisen handeln muß.

Vor der Stadt Syrakus sahen wir noch mehr dieser anderen Art von Gleisen: In einem Steinbruch liegen unglaublich viele Gleise wirr durcheinander, kreuz und quer, als wären sie bei einem einmaligen Vorgang entstanden; heute sind sie vom Wetter arg mitgenommen.

In Agrigent gibt es dagegen ganz sauber erhaltene Gleise, als wären sie gestern erst gehauen worden, deren Mittelteil mindestens einen halben Meter hoch aufragt. Das wäre selbst für die Bodenfreiheit gallischer Wagen problematisch geworden, ganz abgesehen von den plötzlich ins Nichts hinausführenden Streckenteilen, wo der Wagen hätte fliegen müssen.

Man nennt die Gleise dort offiziell „Wasserrinnen“, denn an einigen Stellen in den Gleisrillen sind tiefe Bienenkorbgräber eingehauen (den Puniern zugerechnet), die später als Wasserzisternen dienten. Warum die Rinnen in genau gleichem Abstand doppelt nebeneinander herliefen, mit rechtwinkligem Querschnitt und in eleganter Kurvenführung, konnte natürlich auch der Kustos des Museums nicht erklären. Damit wird das Rätsel immer undurchsichtiger.

5. Die Malteser Gleisanlagen

Ein weitverzweigtes verwirrendes Gleisenetz befindet sich auf der Mittelmeerinsel Malta und der kleinen Nachbarinsel Gozo. Sie werden englisch „cart-ruts“ (= Karrengleise) genannt und sind – den Archäologen zufolge – gezielt angelegt und sauber ausgehauen. Manchmal laufen vier, fünf oder ein ganzes Dutzend Gleispaare nebeneinander her, wie auf einem Rangierbahnhof, z.B. in Clapham Junction, wo 12 Gleise wie ein Fächer auseinanderstreben, von zwei Gleisen in der Mitte und am Ende quer verbunden. Die Quergleise enden an der „Großen Höhle“ (Ghar il-Kbir), deren frühere Funktion unbekannt ist. Später diente sie als Wohnstätte bis 1835. Die Ähnlichkeit der Gleisanordnung auf einem Plan mit einem modernen Verladebahnhof ist frappierend.

Der Malteser Th. Zammit19) hat das Gleisenetz seiner Insel als erster erforscht und die Ergebnisse 1928 in der englischen Fachzeitschrift „Antiquity“ (Nr. 2) veröffentlicht, mit Luftaufnahmen und Detailfotos, die gar manchen Altertumsforscher sprachlos machten. Da sieht man Straßenkreuzungen und Weichen, auch seltsam geschlungene Kurven, so als hätten die Gleise Hindernissen ausweichen müssen, von denen heute keine Anzeichen mehr vorhanden sind. Ob dort Gebäude standen oder (heilige) Waldstücke?
Alle Gleise haben eine einheitliche Spurbreite (140 cm), schreibt Zammit weiter, und betont, daß die Korallenkalk-Hochebene vorher ganz glatt war und die Rillen mit Steinmetzwerkzeugen ausgehauen sein müssen. Das hohe Alter kann er gut belegen: An verschiedenen Stellen gibt es punische Schachtgräber zwischen den Gleisen, weshalb er annimmt, daß um die Mitte des 1. Jt. v. Ztr. die Gleise schon nicht mehr benützt wurden.

Felsengleise in Malta © L.K.

Sie müssen sehr lange benützt worden sein, denn die Spurrillen sind außerordentlich tief eingeschliffen, was auf Beförderung schwerer Lasten hinweise. Zammit bezeugt seine Hochachtung vor der großartigen Organisation, die hinter dieser technischen Anlage stehen muß, und möchte sie auf dieselben Priesterfürsten zurückführen, die die megalithischen Tempel der Insel angelegt haben. Das allerdings bleibt fraglich.

Auch der nächste Aufsatz über diese seltsamen Anlagen in „Antiquity“(1954)20) brachte keine Klärung.

Ab 1958 widmete der Engländer Trump den Gleisen seine Aufmerksamkeit, vermaß sie und legte Karten an. Er bestätigte 197221), daß die Gleise zahlreiche punische Gräber durchschneiden und betonte, daß die Linienführung häufig an den Eingängen von bronzezeitlichen Siedlungen endet. Da diese Siedlungen weder vor noch nach der Bronzezeit bewohnt waren, wie Bodenfunde und Ausgrabungen zeigen, müssen die Gleise mit den frühen Metallurgen zusammenhängen.

Obgleich Trump damit einer sinnvollen Erklärung schon nahekommt, glaubt er doch22), daß man auf diesen Felsengleisen Salz, Fisch und eventuell Meeresalgen als Dünger von der Küste auf die Hochebene hinaufschaffen wollte. Als Kenner der Mittelmeerkulturen würde ich für derartige Transporte Maultiere vorschlagen, auf keinen Fall Rangierbahnhöfe anlegen. Da hatte Zammit mit seiner Hypothese schon sinnvoller argumentiert: Man wollte die kahle Kalksteinhochebene bepflanzen und holte darum Humusboden und Regenwasser per Karren von tiefer gelegenem Gelände herauf.

Bald nach Trumps ausgezeichnetem archäologischen Führer von Malta mehrten sich auch in Deutschland die Veröffentlichungen zum Thema ‚Felsengleise auf Malta‘. 1973 schrieb Weimert23) darüber, 1975 Ernst Hornickel aus Bochum.24)

Im Jahre 2005 sah ich die Maltastraßen. Im Gegensatz zu den Gleisestraßen, die ich seit vielen Jahren gesehen hatte oder aus der Literatur kannte, haben die maltesischen eine weitere Eigenart, die Fragen aufwirft: Einige Rillen sind außergewöhnlich tief, die tiefsten sollen bis zu 80 cm tief sein. Das müssen sehr hohe Karrenräder gewesen sein!

Trump hat darum kategorisch festgestellt, daß Karren und Schlitten als Benutzer der Gleise ausscheiden, nur Schleifen aus zwei miteinander verbundenen Baumstämmen, wie Indianer und Sibiriaken sie an Pferde oder Rentiere hängen, kämen in Frage. Natürlich müßten die Holzstämme am Ende unten mit einem Stein verstärkt sein, damit sie besser gleiten und sich weniger schnell abnutzen. Aber wenn schon die Haarnadelkurven, die es auch auf Malta gibt, Schlitten ausscheiden lassen, sehe ich nicht, wie man mit einer Schleife diese Kurven bewältigen will. Höchstens als Stelzenläufer.

Bei Weimert taucht ein neuer Gedanke auf, den Joy Markert25) und Harald Braem26) weiter ausspinnen: Bei den Tempeln befinden sich immer wieder größere Mengen aufgehäufter Steinkugeln, von denen einige genau in die Rillen passen. Auf diesen Kugeln könnten die schweren Steinplatten zum Bau der Tempel heranbefördert worden sein, meinen sie. Es liegen ja sogar noch einige Kugeln unter Platten im Tempel.

Wenn die Rillen aber ungleich tief und stellenweise mehr als einen halben Meter tief sind, fällt diese Lösung als erste aus. Und mehrere parallele Gleise wären auch überflüssig, wenn man Steinblöcke vom Steinbruch zur Baustelle befördern wollte. Solange in dieser Weise einer vom andern abschreibt, kommen wir keinen Schritt weiter.

Felsengleise in Malta © L.K.

Einige Fotos und Notizen meiner ersten Eindrücke auf Malta seien hier eingefügt: Die zahlreichen Abzweigungen und Überschneidungen von „Clapham Junction“ (Rabat) machen einen komplett chaotischen Eindruck, der Begriff „Rangierbahnhof“ sollte revidiert werden. So verrückte Anlagen sind eher „aus Versehen“ entstanden als geplant. Manche Rillen sind ungewöhnlich tief, was nicht unbedingt auf die Bodenfreiheit der Wagen schließen lassen muß (sehr hochrädrige Einachser?), es könnte auch andere Gründe haben, etwa die spätere Verwerfung des Gesteins. Wenn diese Gleise nicht angelegt wurden, sondern durch einen Karren in einem noch weichen Kalkschlamm eingegraben wurden, dann wäre diesmal die Spur leichter erklärbar.
Wieder befindet sich ein „punisches Grab“ mitten zwischen den Rillen. Die große Höhle Ghar-el-Kebir am Ende dürfte später erst ausgehauen worden sein, sie steht vielleicht nicht in Zusammenhang mit den Fahrspuren. Ein Gleis läuft direkt auf die steile Kante über der Höhle und dann ins Leere.

In Mtarfa bei Rabat liegen die Gleise neben modernen Wohnbauten, halb von diesen überdeckt; erhalten blieben einige auf einem noch leeren Grundstück, etwa 50 m im Geviert. Die fünf oder mehr Gleise verlaufen etwa in gleicher Richtung, auch mit Kurve und Verzweigung. Wie schon auf Sizilien und bei Rabat auf Malta festgestellt, scheint die ganze „Anlage“ sinnlos, also nicht gearbeitet, auch nicht mehrfach benützt worden, sondern ziellos. Einige Gleisrillen verengen sich nach oben zu, als hätte sich der noch weiche Kalkschlamm nach dem Hindurchfahren des Wagens zusammengeschoben.

In der Nähe befinden sich wieder einige „punische“ Silos oder Gräber im Boden. Weitere großflächige Gleisevorkommen dieser wirren Art sahen wir in Bingemma auf einem schräg ansteigenden offenen Kalkfelsenplateau. Auch hier gibt es Gabelungen („Weichen“?), die sehr breit und ausgewittert sind. An einer Stelle schneidet eine etwa 10 cm breite Rinne, die absolut scharf eingekerbt und gut erhalten ist, andere Gleise in schrägem Winkel, sie wirkt neu.

Zwei weitere Flächen mit Gleisbruchstücken liegen etwa einen halben Kilometer von dieser Stelle entfernt, andere besser erhaltene in Richtung Mgharr, wo eine breite Rille eine scharfe schmale Rille mit gestuftem Profil schneidet. Das wahllos verstreute Vorkommen dieser Reste gibt ebenfalls zu denken.

6. Ostmittelmeer, Libyen und Indien

Eine der Forschungsaufgaben meiner Türkeireise im Frühling 2000 war die Suche nach Felsengleisen. Das Ergebnis war nicht sehr erhebend; zwar fanden wir tatsächlich ein kurzes Gleisstück, das zu einer bronzezeitlichen Anlage gehört haben muß, aber sonst enttäuschte mich das weitgehende Fehlen dieser im westlichen Mittelmeerraum so häufigen Bauform.

Das neu entdeckte Stück befindet sich auf Zypern, und zwar in der von dem berühmten Franzosen Claude Schaeffer ausgegrabenen Bronzezeit-Stadt Encomi. Das Teilstück ist zwar nur etwa 10 m lang, doch das reicht, um das Gleis einwandfrei zu identifizieren als handwerkliche Arbeit. Es hat die genormte Spurbreite von 166 cm (äußere Breite) mit 9-16 cm breiten Rillen und steigt etwa 20° bergan, genau an einer Verwerfung zwischen zwei Schollen. Damit sind die wichtigsten Merkmale gegeben, die einen Vergleich mit den anderen europäischen Gleisen erlauben. Auch hier nämlich ist die Bruchkante Hinweis auf ein katastrophales Ereignis, das die Lage der Stadt und des Gleises heute seltsam erscheinen läßt.

Kürzlich wurden nahe der Höhlenstadt Derinkuyu (bei Nevşehir) einige Teilstücke einer Gleisestraße fotografiert. Obgleich wir gezielt in der ganzen Südtürkei und auf Nordzypern nach solchen Gleisen gesucht haben, fanden wir nur ein weiteres Stück (in der Höhlenstadt Metropolis bei Afyon), das so undeutlich ist, daß es nur als Vermutung übrigbleibt.

Diese Karte wurde 2015 auf neuesten Stand gebracht und wird laufend ergänzt

An einigen Orten entlang der türkischen Südküste, die wir auf Verdacht nach Gleisen untersuchten (Termessos in Pisidien, Sillyon in Pamphylien), ist eine mögliche Entdeckung von Gleisen durch die Überbauung in römischer Zeit erschwert. Auch in Iotape (bei Gazipaşa) waren wir erfolglos.

Im versunkenen Simena (westlich Antalya) waren wir leider nicht; die alte Stadt liegt einige Meter unter dem Meeresspiegel, nur die Spitze des Felsens und einige Bauten ragen noch heraus. Hier wäre für Taucher vielleicht eine Chance.

Curt Merckel (“Die Ingenieurtechnik im Altertum”, Berlin 1899) beschrieb die “Fahrspuren aus phönizischer Zeit” in Cyrene, jener rund 400 Meter über dem Meeresspiegel liegenden alten Stadt der Cyrenaika (heute in Libyen), “die von dem Riesen Battos gegründet worden war.” Auch aus Indien soll es berühmte Beispiele geben, die mir noch unbekannt sind.

7. Zwischenbilanz

So möchte ich einige Punkte, die sich aus unseren Forschungen vor Ort ergeben haben, noch einmal hervorheben: Die Felsengleise gehören zu einer weitläufigen und vielgestaltigen Zivilisation, die auf den Transport mittels Karen aufbaute. Dabei sind ganz verschiedene Karrengrößen, Bewegungsarten und Anlässe zu erschließen, sowohl leichte hochrädrige Rennwagen, die wie die auf griechischen Vasenbildern von Pferden als Ein- oder Zweispännern gezogen wurden, als auch schwere Transport-Loren, die möglicherweise von Menschen fortbewegt wurden, an steilen Stadtauffahrten oder Bergüberquerungen vielleicht per Seilwinden.
Dennoch ist in mehrfacher Hinsicht auch ein Katastrophenaugenblick als Grund für die Verewigung der Spuren nicht zu übersehen. An einigen Stellen führen Gleise geradenwegs über eine Steilkante, über Klippen ins Leere, sogar ins Meer, tauchen dann jenseits der Bucht wieder auf oder sollen sogar auf dem Meeresgrund fortlaufen.

Offensichtlich hatte die Landschaft früher, als die Gleise angelegt wurden, eine andere Gestalt, war weniger zerrissen, und der Meeresspiegel in Cádiz und Malta lag tiefer, bzw. der Block der Insel lag höher. Vermutlich waren Malta und die Nachbarinsel Gozo noch zusammenhängend.
Viele Gleisestraßen verbinden nicht wie alte Prozessionsstraßen Tempel und Heiligtümer, sondern vielleicht Höhlen und Bronzezeitsiedlungen, die strategisch angelegt waren. Die zahlreichen parallelen Straßen und das enorme Netz könnten bedeuten, daß Hin- und Rückfahrten stattfanden und daß verschiedene Linienwege eingehalten wurden. Einige Gleise wurden spätestens bei der punischen Besetzung zum letzten Mal verwendet. Eine Besonderheit gegenüber den handwerklich ausgehauenen Gleisen bilden die wirren Spuren von Syrakus auf Sizilien sowie auf Malta: Diese Gleise sind nicht geplant angelegt sondern Ergebnis einer wilden Fahrt auf schlammigem Untergrund, der bald darauf erstarrte.

8. Neue Gedanken

Mehrere Autoren sind sich darüber klargeworden, daß die Felsengleise nur sinnvoll sind, wenn die Landschaft zur Zeit der Anlage der Gleise bedeutend anders ausgesehen hat als heute. Naturkatastrophen von ungeheuren Ausmaßen, die gewöhnliche Erdbeben oder Erdrutsche weit übersteigen, haben diese genialen Ingenieurleistungen der Vorzeit zerstört.

Daß sich daraus Folgerungen für die Quartärgeologie ergeben, berührt die Archäologen wenig. Ich möchte darum noch ein Beispiel aus dem heimatlichen Raum anführen, das uns kraß vor Augen führt, wie sehr wir umlernen müssen. Ein gewisser J.C.Beckmann erwähnt 175127), daß sich auf dem Mohrinischen Felde in der Mark Brandenburg ein großer Felsblock erhob, durch dessen Mitte eine breite Durchfahrt angelegt war. Wer die Mark mit ihren flachen Sandböden kennt, stellt sich sofort die Frage: Wäre es nicht einfacher gewesen, den Felsblock zu umgehen, statt mühselig eine Durchfahrt hineinzuschlagen?

Die Sache macht nur Sinn, wenn dieses „mohrinische Feld“ (man beachte den ausdrucksstarken Ortsnamen!) vormals ganz anders aussah. Aber wie – das entzieht sich meiner Kenntnis. Wenn etwa die Erdoberfläche hier weit und breit mit Geröllblöcken übersät war und die Straßenbauer aus Gründen der Sparsamkeit schnurgerade Straßen vorzogen, dann könnte es den geringsten Arbeitsaufwand bedeutet haben, einen im Weg liegenden Geröllblock zu durchschneiden, zumal man damals offensichtlich in dieser Technik sehr fortschrittlich war. Später wurde auch dieser dann von „aufgeklärten“ Leuten als Steinbruch genutzt, so daß wir heute nichts mehr von ihm finden können (ein Schicksal, das ja auch viele Hünengräber teilten).

Die geologischen Fragen sind nicht das einzige Problem, auch unsere Kenntnis der vorgeschichtlichen Technologie ist unzureichend. Wir können uns kaum eine Vorstellung vom Aussehen der Gefährte machen, die die Gleise benützten, von der Art ihrer Fortbewegung, ihrem Antrieb.

Weiterhin bleiben Fragen offen über die erstaunliche Fähigkeit, Felsen mit einer verblüffenden Leichtigkeit zu bearbeiten, sie zu schneiden, als wären sie butterweich. Schließlich ist noch nicht ausdiskutiert, was auf den Gleisen befördert wurde. Zwar halte ich es für wahrscheinlich, daß es sich um Erze und Brennmaterial zur Erzschmelze gehandelt haben dürfte, aber selbst diese Aussage ist noch recht undifferenziert. Stellte man hochwertigen Stahl her, wie ich vermute, oder einfach nur Bronze, wie manche Fachleute nahelegen? Daß vor den Griechen und Puniern schon Stahl produziert wurde, scheint mir möglich, aber Beweise lassen sich dafür kaum bringen.

Und schließlich ist die weiträumige Planung und Anlage dieser Gleisenetze, die beinahe ganz Europa überziehen, Hinweis auf eine langdauernde und weithin gültige Friedenszeit, wie wir sie uns für die Früh- und Vorgeschichte Europas bisher nicht träumen ließen.28)

Um den nun folgenden Lösungsvorschlag verständlicher zu machen, begeben wir uns kurz zu den berühmten Saurierspuren von Rioja im Ebrogebiet in Spanien. Die Eindrücke im Kalkstein von dreizehigen Füßen dieser enorm großen Tiere sind dort streckenweise sehr gut erhalten. Man sieht Geläufe von 5 bis 12 Fußabdrücken, auch mehrere nebeneinander wie von Paaren oder gar einer Familie, das Jungtier zwischen den beiden Alten wie zum Schutz in die Mitte genommen. An der aufgewölbten Gesteinsform am hinteren Ende einiger Eindrücke liest man ab, daß die Tiere eilig liefen. Flohen sie vor etwas?

Die Tiere rannten nicht alle in derselben Richtung. In Valdecevillo werden sechs breitlappige Spuren von Vegetariern rechtwinklig von fünf spitzkantigen Stapfen eines Fleischfressers gekreuzt. Also weder Angriff noch gemeinsame Flucht. Alles ist regellos, chaotisch; vielleicht panikartig? Der Schlamm, durch den die Tiere wateten, muß unmittelbar danach erstarrt sein, wie gebrannt, sonst hätten sich die Spuren nicht erhalten können. Auf gewissen Flächen ist sogar der Wind, der die wässrige Oberfläche peitschte, versteinert.

Viele Felsstücke sind sehr stark geneigt, in Poyales z.B. etwa 50°, und enthalten doch vielzählige Spuren! Die Neigung muß – genau wie die Verwerfung – später entstanden sein. Mir scheint, daß mit diesen Spuren ein einmaliger Vorgang festgehalten ist, ein Drama, das sich in wenigen Stunden abspielte. Nur hier? Oder überall, wo sich solche Spuren finden, also auch in Deutschland, in Marokko, Nordamerika, China …? Sind auch die Saurier-Eier und die -Kotballen von Argentinien und der Mongolei in dieser Weise versteinert?

Bei unserer erneuten Begehung von Termest im Sommer 1999 verfolgten wir die Gleise auch diesmal weit in der Landschaft und fanden eine Spur, die sich plötzlich an einer Geländeschwelle siebenfach teilt und oberhalb wieder zusammenführt. Ganz nahe bei den Gleisen sahen wir zwei rundliche Saurierspuren auf einer ebenen, leicht geneigten Kalkfelsenfläche. Beide Eindrücke von Saurierpfoten liegen auf der Oberfläche und zeigen starke Verwitterung. Ob sie – wie zu vermuten wäre – gleichzeitig mit den Gleisen entstanden sind?

Die sieben Gleispaare an der kleinen Geländeschwelle liegen dicht nebeneinander, indem die beiden Hauptrillen der Ebene sich an der Schwelle paarweise ganz plötzlich verzweigen und direkt danach auf der nächsten Ebene wieder zusammenkommen. Dafür finde ich nur eine Erklärung: Der Kalk war noch ganz weich, als die Fahrzeuge darüber hinflitzten. Auf der Ebene gab es kein Problem, man konnte die Spur des Vorgängers benützen; erst an der Schwelle wurde es schwierig, denn die einmal eingefahrene Spur hätte das Gefährt gehemmt und es wäre eventuell steckengeblieben. Darum suchte sich der Fahrer eine unbefahrene Stelle daneben. Der nächste Fahrer tat dasselbe, und so entstanden nebeneinander sieben Auffahrten (ich kenne dieses Fahrverhalten von Lastwagenfahrten in Persien). Der Kalkschlamm erstarrte unmittelbar danach und bewahrte die Karrenfurchen wie auch die Saurierstapfen.

Wo kommt dieser Kalk her? Lehrmeinung ist folgende: Myriaden von kleinen Kalkschalentierchen haben sich in der Kreidezeit während vieler Millionen Jahre hier angesiedelt, sind gestorben und wurden dann von dicken (kilometerhohen) Gesteinsschichten überlagert, die diese Kopffüßlerschalen oder gar Nummuliten zusammenpreßten zu Kalk. Im Gegensatz zum Muschelkalk finden sich hier selten Versteinerungen, nur vereinzelt einige heute noch lebende Typen von Muscheln. Der Theorie nach wurde der darüberliegende, für die Gesteinsbildung der Kalkschalentierchenablagerung verantwortliche (tausendmeterhohe) Preßberg später wieder vom Wetter fortgetragen, und das Kalkgestein lag danach offen zutage. Die Felgen der schweren Lastwagen der Bauern oder Steinbrucharbeiter hätten dann im Laufe der Jahrhunderte diese tiefen Rinnen eingegraben.

Das halte ich für undenkbar. Darum habe ich eine neue Idee entwickelt: Der Kalk stammt gar nicht von unserer Erde. Er kann gar nicht hier gebildet sein. Wie die riesigen Lößberge und die ungeheueren Erdöllager stammt auch der Kalk aus dem Kosmos und ist mit entsprechenden „Boliden“ (Asteroiden, Meteoren u.ä.) auf die Erde gestürzt. Haben Sie schon mal die Dolomiten betrachtet? Derart riesige Kalkberge kann ich mir nicht als Überreste einer Meeresformation erklären. Alle höheren Gebirge der Erde: Himalaya, Pamir und Rocky Mountains und Alpen, Karpathen und Kaukasus, Atlasgebirge und noch mehr … sind aus diesem Kalk gebildet. Da reichen für mikroskopische Nummuliten nicht einmal die Jahrmillionen von Lyell, Darwin und Haeckel.29)

Angenommen, ein großer Berg aus Kalk fiel schräg vom Himmel auf die Erde und lag dann zunächst ganz weich wie Weißkäse auf der Erdoberfläche, bevor er erstarrte. Es gab große Brocken, die als Gebirge stehenblieben, und auch kleine Spritzer, die wie Kleckse aussehen. Alle Brocken und Kleckse müssen nicht zum selben Zeitpunkt niedergegangen sein, es gab vermutlich verschiedene solcher Bolidenstürze im Laufe der Erdgeschichte. Was unter oder in den Kalkbergen begraben wurde, kann man heute als Versteinerung betrachten.
malta gleise

Felsengleise in Malta © L.K.

Was während der Katastrophe über die Spritzer ging oder fuhr, wurde eingetragen ins Buch der Naturgeschichte: Saurierspuren und Menschenfüße und vor allem Wagenspuren.

Saurierstapfen gibt es weltweit, auch in Deutschland z.B. im Wiehengebirge an einer fast senkrechten Wand. Die Auffaltung gehört oft dazu, d.h. die Verwerfung fand anschließend statt, manche Eindrücke von Saurierpfoten stammen vielleicht nicht vom letzten Kataklysmus.

Auch versteinerte Menschenfußspuren gibt es überall, von Ceylon über Arabien bis Nord- und Südamerika. Einige davon wurden jahrhundertelang religiös verehrt, wie die von Buddha oder Adam auf dem höchsten Gipfel Ceylons oder von Mohammed (im Topkapi-Museum von Istanbul zu sehen); oder die Fußabdrücke von Jesus bei seinem Aufstieg vom Ölberg in den Himmel, die auch in deutschen Kirchen in Bronze nachgebildet wurden.

Ebenso verehrte man Roßtrappen in Felsen, heilige Hufspuren von Pferden, im Elsaß und auf dem Tempelberg von Jerusalem, letztere vom Pferd Burak, das Mohammed in den Himmel trug. Es gibt sogar versteinerte Hand- und Fußspuren von Engeln … Und eben auch Wagenspuren. Diese sind dann doch Eindrücke der Felgen, aber nicht durch vieltausendfache Benützung, sondern durch Einmalbenützung nach dem Niedersturz des Kalkboliden.

Das zeigen die vielen wirren Spuren von Syrakus: Sie sehen aus wie von Fahrzeugen auf der Flucht im Augenblick der Katastrophe. An einer Stelle sah ich sogar einen Unfall im Gestein festgehalten: die rechte Rille strebt plötzlich schräg der linken zu, und wo sie sie trifft, enden beide; das müßte ein Achsenbruch gewesen sein.

Mit der Annahme von frisch gefallenen weichen Kalkschichten wäre erst ein Teil des Problems gelöst, nämlich die Tatsache der chaotischen Wagenspuren auf der Kalkoberfläche. Noch wissen wir nicht, was für Gefährte da ihre Spuren hinterlassen haben und wie die Fortbewegung (ohne Zugtiere?) bewerkstelligt wurde. Die fehlenden Trittspuren der flüchtenden Gefährte könnten eventuell so erklärt werden: Zweispänner zogen den Wagen, so daß deren Hufspuren durch die ihnen folgende Spurrille der Felgen ausgelöscht wurden. Ob diese Erklärung auch für die technisch angelegten Gleise voll ausreicht, wäre zu besprechen. Für die steilen Auffahrten von Meca und Termest möchte ich Seilwinden vorziehen.
Die angelegten Gleise gehörten sicher zu einer sehr weiten blühenden Hochkultur. Sie müßten meines Erachtens Eisen- oder gar Stahl benützt haben. Dennoch ist die fast spielerische Herstellung der tiefen Straßenschluchten auffällig. Als ich Berber befragte, wie die Felsen früher von den Menschen bearbeitet wurden, sagten sie: Das Gestein war damals viel weicher als heute! Erst im Laufe der Zeit ist es durch die Einwirkung von Wasser und Luft so hart geworden. Je härter es wurde, desto stärker mußten sich die Überlebenden ins Zeug legen.

Felsengleise in Malta © L.K.

Sie nahmen ihre eisernen Hacken und hauten Wege für ihre Karren durch diese Kalkberge und hinauf, bis zu 6 m tiefe Schluchten. Man sieht noch sehr gut die Arbeitsspuren ihrer Hacken, und diese Spuren machen den Eindruck, als wäre das Gestein leicht zu bearbeiten gewesen; erst allmählich hat es abgebunden und wurde hart wie Beton und damit die Anlage der Fahrstraßen immer arbeitsaufwändiger. Nach einer erneuten Katastrophe und beim Wiederaufleben der Karrenkultur mußten die teils verworfenen oder zerstückelten Gleise ausgebessert werden, allerdings war die genormte Spur nun schmaler. Das alles ist deutlich an den Überresten ablesbar.

Warum die ältesten Spuren auch die breitesten sind und dann schrittweise immer schmaler werden? Ist Ihnen schon mal aufgefallen, daß die ältesten Faustkeile in den Museumsvitrinen stets die größten sind, so groß, daß ich oder Sie so einen Keil nicht in einer Hand halten könnten? Erst im Laufe „langer“ Zeiträume werden sie handlicher. Die Mikrolithen kommen sehr viel später auf. Und die größten Pyramiden gelten auch als die ältesten, selbst für die Dolmen gilt diese Faustregel. Vermutlich waren die Menschen früher größer.

9. Nachtrag

Soeben erfahre ich von Vaclav Cihla aus Österreich30), daß er im Laufe seiner jahrelangen Erforschung der Malteser Felsengleise einen ähnlichen Lösungsvorschlag entworfen hat: Die Gleise entstanden kurz nach dem Auftauchen der Malta-Inseln, wobei verschiedene Schichten von Kalkschlamm vom Meer über den harten Boden geschwemmt wurden. Die Fahrer haben bei der Erkundung der neuen Insel mit ihren Wagen in einmaliger oder höchstens mehrfacher Fahrt die Gleise in den Boden geprägt.

Dies wäre eine ähnliche Erklärung wie meine gewagte Forderung nach kosmischer Herkunft der Kalkschichten. Meine vorher verfaßte lange Beschreibung von technisch hergestellten Gleisen ist dennoch keineswegs überflüssig für die Entwicklung meiner Theorie vom kosmischen Quark. Nur dann, wenn eine europaweite oder mittelmeerweite Wagenkultur bestand, was ich nicht nur voraussetze, sondern eben durch die angelegten Straßen belegen kann, ist es denkbar, daß einige Karrenleute auf der Flucht über den frischen Kalkschlamm rasten und ihre Spuren eindrückten. Nur so erklären sich Achsenbruch und überwölbte Spuren als einmaliges Geschehen. Das Vorhandensein einer Karrenkultur, die auch nach der Katastrophe fortbestand (oder wiedererwachte), und schmalere Spurbreiten innerhalb der älteren anlegte, ist die logische Folgerung.

Zumindest soviel kann als Übereinstimmung zwischen Cihla und mir herausgelesen werden: Viele Gleise – und besonders die von Malta – sind Felgenabdrücke einer einmaligen Fahrt im Augenblick oder kurz nach einer geologischen Katastrophe.

Literaturnachweise:

1) Trump, David H. Malta: An Archaeological Guide (London l972), S. 34. – Trump war Kurator für Archäologie am National Museum von Malta von 1958 bis 1963. zurück
2) Zuazo y Palacios, Julian Meca, Contribuciones al estudio des las ciudades ibéricas (Madrid 1916). – Castellar de Meca y Cierro de los Santos (Madrid 1919). zurück
3) v. Däniken, Erich Die Steinzeit war ganz anders (1992) zitiert mich S.108 zweimal „wörtlich“, aber nur das zweite Zitat ist wirklich wörtlich (nach Topper 1977, 212), das erste klingt wie eine freie Rückübersetzung aus einem amerikanischen Aufsatz, wobei die beiden archäologischen Stationen Menga und Meca verwechselt werden. zurück
4) Topper, Uwe Das Erbe der Giganten (Olten 1977), besonders Kap. 11. zurück
5) siehe Ortego y Fria, Teogenes Guia de Termantia und darin genannte Literatur: Conde de Romanones (Guadalajara 1910), Adolf Schulten (1911), Blas Tarazona (Soria 1932-33), Juan Zozoya (Soria) u.a. zurück
6) so im offiziellen archäologischen Führer von Tiermes zurück
7) Meyers Konversationslexikon, 1905, Bd.5, 498 zurück
8) Pückler-Muskau, Fürst H. L. H. Südlicher Bildersaal (Berlin 1944, S. 141). zurück
9) Casson, Lionel Reisen in der Alten Welt (München 1976), S. 251, Abb. 37; auch S. 199. (Das engl. Original erschien bei Allen and Unwin, London 1974). zurück
10) Casson 252. zurück
11) Schlette, F. Kelten zwischen Alesia und Pergamon (Leipzig 1976), S.98. zurück
12) Bulle, Heinrich Geleisestraßen des Altertums Sitzungsberichte der Bayer. Akad. d. Wiss., 1947, Heft 2 (München 1948). Bulle ist 1867 in Bremen geboren und hat Forschungsreisen in Griechenland und Italien unternommen. zurück
13) Curtius, Ernst Zur Geschichte des Wegebaus bei den Griechen (Berlin 1854). Curtius (1814-96) leitete auch Ausgrabungen in Sizilien. zurück
14) Forbes, R.J. Notes on the History of ancient roads and their construction (Amsterdam 1934). – Andrae, Walter „Alte Feststraßen im Nahen Osten“ (1941). zurück
15) Ballif, Philipp Römische Straßen in Bosnien und der Hercegovina (Wien 1893) u.a. bis 1907. zurück
16) Die Würmlacher Inschriften befinden sich im Museum Klagenfurt; sie wurden durch Mommsen (Berlin 1857) veröffentlicht und sind seither oft diskutiert worden; man zieht zum Vergleich oft etruskische Texte heran. zurück
17) Stähelin, Felix Die Schweiz in römischer Zeit (Basel 1931). – Grenier, Albert in: Arch. gallo-romaine, Bd. VI,2 (Paris 1934). zurück
18) Burkhardt-Biedermann, Th. Die Straße über den oberen Hauenstein am Basler Jura in: Basler Zeitschr. f. Gesch. u. Altertumskunde, Bd, I. (Basel o.D.) zurück
19) Zammit, Themistokles Prehistoric cart-tracks in Malta in: Antiquity 2 (Cambridge 1928) zurück
20) Gracie, H.S. The Ancient Cart-Tracks of Malta in: Antiquity 28 (Cambridge 1954) 91-98. zurück
21) Trump, David H. Malta: An Archaeological Guide (London 1972). S.126 u.a. zurück
22) Trump S. 133 zurück
23) Weimert, Franck Malta kennen und lieben (Lübeck 1973/1982) zurück
24) Beide Veröffentlichungen kannte ich nicht, als ich 1975/76 mein Buch Das Erbe der Giganten zum Druck fertigmachte. zurück
25) Markert, Joy Malta, Reise eines Ahnungslosen in die Steinzeit (1989) zurück
26) Braem, Harald Magische Riten und Kulte. Das dunkle Europa (Stuttgart 1995). – Die neuesten Untersuchungen von Franz Löhner (Vortrag) sind mir noch nicht zugänglich. zurück
27) zit. in Wirth, Herman Aufgang der Menschheit (Diederichs, Jena 1928). zurück
28) siehe hierzu mein Buch horra. Die ersten Europäer (Tübingen 2003) zurück
29) hierzu besonders Blöß, Christian, Ceno Crash (Berlin 2000) zurück
30) Cihla Vaclav www.cartrutsde.imc23.eu zurück

Abbildungen
Fotos: U.T. und L.K. Zeichnungen: Plan der Fahrstraßen in Meca (Valencia, Spanien) und Geleisestraßen in Termest (Termancia, Soria, Spanien) aus Topper, Das Erbe der Giganten, S. 198 und S. 203). Gleiseprofile in den Ostalpen aus Bulle, Geleisestraßen des Altertums.

Diese “Anregung zu weiterer Forschung” hat hier und da etwas bewirkt, es gibt tatsächlich erstaunliche Neufunde von Gleisestraßen in ganz Europa, West-Asien und sogar Amerika! Schauen Sie hier:

Felsengleise – neue Zugänge (2016)

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