Kalender und Präzessionssprung

Die Volksbräuche in ganz Europa lassen noch die ursprünglichen Jahreseckpunkte erkennen.

Inhalt:

  1. Einleitung
  2. Die unberechenbare Sonne des Aloysius Lilius
  3. Sankt Luzia kürzt den Tag
  4. Von Johanni bis Chanukka
  5. Was geschah vor Nicäa?
  6. Von Lichtmeß bis Allerheiligen
  7. Die früheste Katastrophe
  8. Folgen

1. Einleitung

Unser 2004 vorgestelltes Modell der Präzessionssprünge, die die Kalenderentwicklung beeinflußt haben, war ein erster Entwurf, der verbesserungsbedürftig ist.

Dieses Modell erklärte, wieso die Nachtgleichen im heutigen gregorianischen Kalender auf den 21. März (bzw. 23. Sept.) und die Sonnenwenden auf den 21. Juni und 21. Dez. zu liegen kommen, während bestimmte Traditionen am 24. oder 25. März bzw. Dezember die entsprechenden Feste begehen, beides Daten, die keine augenfällige Logik besitzen: Wieso legte Gregor XIII bei seiner Reform 1582 die Sonnenwende nicht auf den 1. Januar?

Die Antwort lautet: Weil Gregor nur einen früheren Zustand wiederherstellen wollte, bei dem die Sonnenwende bereits auf dem 21. Dezember lag. Aber das kann kein ursprünglicher Zustand gewesen sein, denn da die Sonnenwende als Jahresbeginn zählt, muß sie früher auf dem 1. Januar gelegen haben. Sie bewegt sich bekanntlich durch die Präzession, aber auch – nehmen wir an – durch bestimmte kosmische Katastrophen. Bei diesen schwingt die Erdachse ruckartig vorwärts und überstreicht damit innerhalb kürzester Zeit – Stunden oder Tage – einen Abstand auf der Präzessionslinie, der bei normalem Ablauf mehreren Jahrhunderten entsprochen hätte.

Durch solche Katastrophen kam die Wintersonnenwende auf den 25. Dezember zu liegen und später auf den 11. Dezember, von wo sie durch Gregor XIII durch die bekannte Kalenderkorrektur – das Überspringen von 10 Tagen – auf den 21. Dezember zurückverlegt wurde. Ohne derartige Sprünge, und bei einer Präzession, die ständig den heutigen Werten entspricht, würde die Sonnenwende ungefähr 2.700 Jahre brauchen, um vom 1. Januar auf den 11 Dezember – an dem sie zu Gregors Zeit stattfand – herunterzuwandern.

Wir gingen in unserem ersten Entwurf davon aus, daß zwei Sprünge über sieben und zehn Tage in den letzten 800 Jahren stattgefunden hätten; wir datierten sie versuchshalber auf etwa 1260 und 1350 A.D.

Nach dem Studium verschiedener mittelalterlicher arabischer und lateinischer Werke über Astronomie sowie des koptischen, äthiopischen und armenischen Kalenders sind wir zu der Ansicht gekommen, daß ein einfacheres Modell den Anforderungen der Kalenderreform besser entspricht. In diesem neuen Modell findet zwischen der Gregorianischen Reform und dem “Konzil zu Nicäa”, das Gregor als Bezugspunkt angab, nur ein einziger Sprung statt. Andere Sprünge liegen erheblich weiter zurück.

2. Die unberechenbare Sonne de Aloysius Lilius

Eine genaue Berechnung des Datums, an dem ein solcher Sprung stattfand, ist mit dem uns zur Verfügung stehenden Material nicht möglich. Wir versuchen daher, mit Hilfe der Quellen, d.h. für die gregorianische Reform mit dem “Compendium novae rationis” des Antonius Lilius, das auf dem nie veröffentlichten Buch seines Bruders Aloysius Lilius beruht, die Vorgänge zu rekonstruieren. Aloysius Lilius war ein italienischer Astronom, der in der Kalenderkommission des Papstes Gregor XIII tonangebend mitwirkte, allerdings 1576 – sechs Jahre vor der Durchführung der Reform – starb. Sein Bruder Antonius faßte auf 11 Seiten die wichtigsten Gedanken des Werkes zusammen; dieser Aufsatz wurde 1577 an “christliche Fürsten und wichtige Akademiker” verschickt, wie dort in der Überschrift zu lesen steht. Das Echo war allerdings gering.

Der Aufsatz bietet Tafeln zur Osterberechnung entsprechend der vorgesehenen Reform und erklärt die Grundlagen dieser notwendigen Änderung. Wichtig ist dabei vor allem folgendes:

Das Frühlingsäquinoktium wurde durch die Väter des Konzils zu Nicäa im Kalender festgelegt. “Während dieses Konzils wurde das Datum der Nachtgleiche auf die 12. Kalenden des April (=21. März) fixiert, da die Väter ziemlich überzeugt davon waren, daß dieses Datum genau und feststehend war”, führt der Autor aus, allerdings war letzteres nicht der Fall: “Das Frühlingsäquinoktium hat allerdings nicht einfach diesen seinen Ort behalten, sondern seine Stelle unzuverlässigen Schrittes verlassen, bis es herumirrend auf die fünften oder gar sechsten Iden des März (11. oder 10. März) zu liegen kam”. Seit Julius Cäsar habe es sich um etwas mehr als dreizehn Tage verschoben, fügt Lilius hinzu. Diese dreizehn Tage, schlägt er vor, oder stattdessen, weil es der Würde der Kirche besser entspräche, die seit Nicäa veränderten zehn Tage, seien nun aus dem Kalender zu streichen. Und zwar, indem man während der nächsten 40 Jahre die zehn Schalttage ausfallen ließe, bis dann ab 1620 alles ins Lot käme. Andere seien allerdings der Ansicht, alle zehn Tage sollten 1582 zugleich gestrichen werden. Wie wir wissen, setzte sich der zweite Vorschlag schließlich durch.

Aloysius Lilius (1577) glaubte, daß das Jahr nicht immer gleich lang sei.

Lilius glaubte offensichtlich nicht, die Verschiebung des Äquinoktium sei uhrwerkmäßig über einen größeren Zeitraum verlaufen und erlaube eine genaue chronologische Rückberechnung. So werden die Zeitabstände zu Cäsar und Nicäa nicht genannt, sondern es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, das Äquinoktium sei “unberechenbar”. Dieser Gedanke wird mehrfach wiederholt; nicht das Fehlen von Beobachtungen sondern die Unstetigkeit des Sonnenlaufs sei schuld: “Da die Sonne sich auf eine solch unbestimmte und veränderliche Weise bewegt, war es sehr schwierig, Schalttage so einzufügen, daß die Nachtgleichen immer auf den gleichen, sicheren Kalendertag fielen”. Die wichtigste Schwierigkeit bestünde darin, “daß die genaue Länge des Jahres selbst von den gelehrtesten und sorgfältigsten Astronomen zu verschiedenen Zeiten verschieden herausgefunden wurde, sodaß sie nicht immer gleich zu sein scheint”.

Für die Zukunft meint Lilius allerdings nicht dasselbe Problem vorauszusehen, da er “eine Abhilfe, sogar eine immerwährende” verspricht, nämlich die uns heute gut bekannte Auslassung der Schalttage in den Jahren 1700, 1800 und 1900, aber nicht im Jahr 2000; danach sei stets weiter so zu verfahren, was selbstverständlich nur Sinn macht, wenn die Unberechenbarkeit des Sonnenlaufs nur für die Vergangenheit, nicht aber für die Gegenwart (und die Zukunft) gilt.

Mit den “gelehrtesten und sorgfältigsten Astronomen” meinte Lilius wahrscheinlich berühmte Gestalten wie den Griechen Hipparch oder den Araber Battani (Albategnius), die zu ihrer Zeit sehr genaue Messungen der Jahreslänge anstellten und zu recht unterschiedlichen Ergebnissen kamen: Hipparch maß – angeblich um 140 v. Ztr. – die Länge des tropischen Jahres als 365 1/4 minus 1/300 Tage, das heißt 365 d, 5 h, 55 min., etwa sechs Minuten länger als das heutige Jahr (365 d, 5 h, 48 m, 45 sec.). Battani dagegen maß (etwa um 900 AD) das Jahr mit 365 d, 5 h, 46 m und 24 s, also etwa zwei Minuten kürzer als heute, und acht Minuten kürzer als bei Hipparch. Lilius schlägt nun vor, als Mittelwert das sogenannte Alfonsinische Jahr zu wählen, dessen Name auf Alfons X von Kastilien zurückgeht und das mit 365 d, 5 h, 49 m, 16 sec. nur 27 Sekunden länger ist als der heutige Wert. Die Erstellung der Alfonsinischen Tafeln wird heute auf 1252 AD gelegt.

Die Präzession entspricht dem Unterschied zwischen tropischem Jahr (von Äquinoktie zu Äquinoktie gemessen) und siderischem Jahr (ein genauer Umlauf der Erde auf ihrer Bahn). Daher ist die genaue Kenntnis der Länge des tropischen Jahres wichtig, um die Präzession zu messen. Battani fand heraus, daß die Präzession ein Grad in 66,4 Jahren beträgt. Seine Zeitgenossen errechneten sehr ähnliche Werte: Kuschair gibt 66,25, Sufi 65,4, Biruni (1031 AD) 68,7, Haraqi (etwa 1112 AD) 65,7 Jahre an. Das läßt darauf schließen, daß es sich um sorgfältige Beobachtungen handelte und der Unterschied zu heutigen Werten – 1 Grad in 72 Jahren – nicht auf Ungenauigkeit beruht, sondern, wie Lilius annimmt, auf einer tatsächlichen Veränderung des Sonnenlaufs. Innerhalb eines längeren Zeitabschnittes war dieser Wert aber offensichtlich weitgehend gleichbleibend. Für Alfons X galt der Mittelwert 66. Zwischen den Griechen und Arabern einerseits und den Arabern und Gregor XIII andererseits müssen Einschnitte gelegen haben, die den Jahreslauf durcheinander brachten und eine genaue Rückberechnung unmöglich machten, wie Lilius beklagt.

Diese kosmischen Katastrophen dürften vor allem die Präzession betroffen haben, wie in unserem Modell (2004) beschrieben: die Erdachse schwang auf der Präzessionslinie vorwärts und überstrich ruckartig einen größeren Raum. Nach mehreren Jahrzehnten ungleicher Bewegungen pendelten sich alle grundlegenden Größen – Jahreslänge, Eliptikschiefe usw – wieder auf konstante Werte ein, die den früheren nahe lagen. Was genau diesen Ruck verursachen konnte: ein Meteoreinschlag, der Vorbeiflug eines größeren Himmelskörpers oder anders geartete Ereignisse im Sonnensystem, vielleicht elektromagnetischer Art, wäre noch zu erschließen.

3. Sankt Luzia kürzt den Tag

Der bisher letzte dieser kosmischen Sprünge muß zwischen dem “Konzil von Nicäa” und Papst Gregor XIII stattgefunden haben; Lilius nimmt an, auf diesem Konzil sei das Datum der Frühlingsgleiche für konstant gehalten und entsprechend fixiert worden, irgendwann danach wurde es unberechenbar. Das Datum des 21. März galt schon vor Gregor in allen Kirchen als Frühlingsbeginn für die Osterberechnung und wurde daher von Gregor als Fixpunkt gewählt. Daß es sich tatsächlich um eine alte Überlieferung handelt, sieht man daran, daß es bis heute auch von jenen Kirchen beibehalten wird, die die gregorianische Reform ablehnen und den julianischen Kalender benutzen. Es muß sich hier um die letzte zuverlässige vorkatastrophische Beobachtung der Nachtgleiche handeln. Wir können nicht genau festlegen, wann sie vorgenommen wurde, dürfen aber mutmaßen, dies sei vor dem 13. Jh. geschehen.

Andererseits wissen wir, daß im ausgehenden Mittelalter die astronomisch richtigen Daten der Nachtgleichen und Sonnenwenden allgemein bekannt waren; tatsächlich wurde die Sonnenwende am 13. Dezember gefeiert, der Festtag der Heiligen Luzia. Mit den heutigen Werten der Präzession – die mindestens seit dem 16. Jh. gelten – rückgerechnet, entspricht dieses Datum einem Zeitpunkt etwa 250 Jahre vor Gregors Reform; daher dürfen wir annehmen, daß die Fixierung des neuen Datums im Kalender – das nun nicht mehr dem kirchlichen entsprach – etwa um 1300 geschah.

Eine Menge Bräuche und Überlieferungen belegen eindeutig die volkstümliche Fixierung der Mittwinternacht auf Sankt Luzia: dieser Tag wurde (wie heute Weihnachten) mit Gebäck und Geschenken für die Kinder gefeiert; in Schweden setzen sich junge, weißgekleidete Mädchen an diesem Morgen einen Lichterkranz auf; auch gibt es Kerzenprozessionen. In manchen Dörfern Spaniens – so in Arnedo und Autol in La Rioja – werden an diesem Tag große Holzstöße entzündet, die man überspringen muß, ganz ähnlich den Johannifeuern der Mittsommernacht.

Dieses Entzünden der Feuer ist einer der wichtigsten Bräuche der Sonnenwenden und, wie wir sehen werden, auch der Nachtgleichen. Eindeutig ist schließlich die deutsche Bauernregel „Sankt Luzia kürzt den Tag, soviel sie ihn nur kürzen mag“. Auch der Satz „An Barbara (4. Dezember) die Sonne weicht, an Luzia wieder her sie schleicht“, bezeugt wahrscheinlich, daß die längste Nacht nun vorüber ist. Es ist natürlich kein Zufall, daß der Sonnwendtag dem Licht (lat. Lux, lucis) gewidmet wurde.

Im 14. Jh. lag die Mittwinternacht an Sankt Luzia (13. Dezember).

Der „gegenüberliegende“ Mittsommertag, der 13. Juni, ist dem Antonius, einem der wichtigsten katholischen Heiligen, geweiht. Zwar kennen wir keine Orte, an denen an diesem Tag Holzstöße entzündet werden, aber eigenartigerweise gibt es den Brauch der Antoniusfeuer in zahlreichen spanischen Dörfern, von Jaén in Andalusien über Zaragoza bis La Rioja, nur werden diese nicht am 13. Juni entzündet, sondern am Vorabend des 17. Januar, der einem anderen heiligen Antonius zugeordnet ist. Andererseits gilt der am 13. Juni gefeierte Antonius von Portugal bis Tirol speziell als Schutzpatron der Eheschließung bzw. Partnersuche und ist so mit einem der grundlegenden Aspekte der Mittsommernacht verbunden. Die Johannifeuer müssen nämlich oft paarweise übersprungen werden und in vielen Dörfern der spanischen Provinz Alicante muß sogar der junge Mann seine Freundin auf die Schultern nehmen und barfuß durch die Glut schreiten.

Auch die alten Nachtgleichen – 9 Tage vor den heutigen Daten – sind markiert durch ähnliche Bräuche: Am 12. März wurde der Sankt-Gregors-Tag mit heidnisch-karnevalistischen Bräuchen, Verkleidung und Umzügen gefeiert, so in Südtirol, wo diese von Schulkindern durchgeführten Spiele – als Gregorifest bekannt – bis Anfang des XX Jahrhunderts in Schleis, Mals und Tartsch belegt sind; es handelte sich um „die Austreibung des Winters“, wie Hans Matscher anmerkt. Auch in Basel gab es einen ähnlichen Brauch am Gregorstag, der laut dem Schweizerischen Archiv für Volkskunde (1903) sehr ähnlichen Neujahrsbräuchen aus Paris und Basel zuzuordnen ist. Auf den Faröerinseln ist der Gregorstag (Graekarismessa) gesetzlicher Feiertag und gilt als Frühlingsanfang.

Natürlich ist auch die Herbstgleiche gekennzeichnet: Der 14. September ist der Tag der Kreuzerhöhung, noch heute eins der wichtigsten Feste in einigen orthodoxen Kirchen (schon das Wort Kreuz deutet auf den Kalender hin: Das Jahr wurde früher, so auf irischen Skulpturen, als ein Ring dargestellt, der durch ein Kreuz in vier Jahreszeiten geteilt ist). An diesem Tag entzünden die syrischen Christen, sowohl Orthodoxe wie Katholiken, weithin sichtbare Feuer – oft aus Autoreifen – auf Felshöhen, so z.B. in Maalula (bei Damaskus), wie ich dort 2005 erfuhr.

4. Von Johanni bis Chanukka

Offenbar wurden diese Daten nicht allzulange nach dem letzten Sprung im Kalender fixiert; in bestimmten Gegenden wurden Feste wie Weihnachten mit ihren altüberkommenen Feuer- und Lichtritualen auf das astronomisch richtige Datum verlegt. Allerdings oft nur teilweise, wodurch die Feste verdoppelt wurden: die Kirche behielt für Christi Geburt den 25. Dezember bei, wie im Römischen Reich festgelegt (als Feier des Sol invictus und für den Mithras-Kult); auch die Johannifeuer blieben am 24. Juni, Weihnachten genau gegenüberliegend. Nach der gregorianischen Reform lagen diese Daten den echten Sonnenwende natürlich viel näher – obwohl nicht genau entsprechend – und setzten sich wohl erneut gegen die mittelalterliche Fixierung durch.

Bei Kurden und Persern wurde die Frühlingsfeier sogar auf das astronomisch richtige Datum gelegt: am kurdischen Newroz (oder Nouros), das heute immer am 21. März gefeiert und in Persien als Neujahr verstanden wird, ist das Entzünden des Feuers, oft auf einem hohen Altar, die wichtigste Kulthandlung überhaupt, wie ich 2005 in Kurdistan feststellen konnte. Der kurdischen Legende nach – die auch im Schahname erwähnt ist – erinnert das Newroz an den Sieg des Schmiedes Kawa über den Tyrannen Zohak; das Feuer habe dazu gedient, die Nachricht des Sieges überallhin zu verbreiten.

Wahrscheinlich wurde das ursprüngliche Sonnenjahr alljährlich viermal “synchronisiert” und durch gut sichtbare Feuer bekanntgegeben, verschiedene Kulturkreise behielten später nur jeweils eines der vier Feste als wichtige Feier bei.

Hierzu zählt auch das jüdische Chanukka-Fest, das ab dem 25. Kislev gefeiert wird. Aufgrund des komplizierten jüdischen Sonnen-Mond-Kalenders verschiebt es sich zwischen Ende November und Ende Dezember. Allerdings weist das Datum 25. direkt auf Weihnachten und Sol invictus hin: wenn man den Jüdischen Kalender mit dem heute noch im Nahen Osten gebräuchlichen syrischen Sonnenkalender in Beziehung setzt – was nicht schwerfällt, denn einige Monate tragen die gleichen Namen – dann entspricht Kislev dem Dezember.

Chanukka ist ein altes Sonnwendfest, bei dem sieben Tage markiert werden müssen.

Chanukka beginnt mit dem Anzünden der ersten Kerze an der Menora, dem Siebenarmigen Leuchter, der als Symbol Israels gilt; allerdings werden an diesem Tag achtarmige Leuchter verwendet (oder eigentlich neunarmige, doch zählt die neunte Kerze für rituelle Zwecke nicht mit). Das Fest dauert acht Tage und jeden Abend muß eine Kerze mehr als am Vortag angezündet werden, so daß am letzten Tag acht Lichter brennen. Die Menora muß am Fenster oder vor dem Haus aufgestellt werden, denn ihr einziger Zweck besteht darin, die frohe Nachricht des Sieges mitzuteilen, genau wie bei den oben erwähnten Festen der Kurden und Syrer. Es handelt sich also um ein typisches Sonnwendfest; auch hier erhalten die Kinder Geschenke.

Der Talmud führt das Fest auf den Sieg der Makkabäer über die Seleukiden im 2. Jh. v. Ztr. zurück; danach sei im geplünderten Tempel ein Rest geweihtes Öl entdeckt worden, gerade genug, um eine Lampe einen Tag brennen zu lassen, doch habe das Öl wunderbarerweise acht Tage vorgehalten. Das Wunder selbst ist in den Makkabäerbüchern (II Makkabäer 10, 5-8) nicht erwähnt, und einige Bräuche werden sogar auf den Sieg über Holofernes („6. Jh. v. Ztr.“) bezogen; die Zuordnung der Chanukkafeiern zum Makkabäeraufstand klingt daher etwas willkürlich. Eher ist denkbar, daß diese Legende daran erinnern soll, daß hier ein Zeitraum von sieben Tagen übersprungen wurde. Dazu paßt auch das Markieren der einzelnen Tage durch das Anzünden der Lichter; es gibt sogar eine Tradition, die der Schammai-Schule, nach der jeden Tag eine Kerze weniger angezündet werden muß, was noch genauer auf das Fehlen dieser sieben Tage hinweist.

Daß dabei acht Tage markiert werden, entspricht der römischen Zählweise, bei der erster und letzter Tag immer mitzählen, auch wir sagen noch „heute in acht Tagen“ wenn wir denselben Wochentag meinen. Dagegen legt die Bibel fest, daß der jüdische Leuchter sieben Arme haben muß (Exodus 25, 31-37).

Ein anderer Chanukka-Brauch klingt verblüffend: Die Kinder spielen an diesen Tagen mit dem ‚Dreidel’, einer Art vierkantigem Kreisel. Ist es bloßer Zufall, daß sich gerade mit diesem Spielzeug die Kreiselbewegung der Erdachse – die Präzession – am besten veranschaulichen läßt? Oder wäre es denkbar, daß frühe Astronomen Kreisel benutzten, um ihren Schülern oder interessierten Laien die Schwankung der Erdachse vor Augen zu führen? Ein passenderes Spielzeug für ein Fest, das einen Präzessionssprung in Erinnerung ruft, läßt sich kaum denken…

5. Was geschah vor Nicäa?

Das Datum des 25. Dezember für Weihnachten bezeichnet eine alte Wintersonnenwende, bestätigt durch den gegenüberliegenden Tag: Johanni am 24. Juni. Es muß früher einmal über verschiedene Kulturkreise hinweg verbindlich fixiert worden sein, denn auch Ägypten begeht Weihnachten am selben Tag wie die orthodoxen Kirchen, wobei der julianische 25. Dezember im koptischen Kalender (außer in Schaltjahren) auf den 29. Kijak (Choiak, Kijhak) fällt. Da beide Kalender dieselbe Schaltregel verwenden, laufen sie parallel, nur werden die Tage im koptischen Jahr anders gezählt: es gibt 12 Monate zu 30 Tagen und einen 13. „kleinen“ Monat zu 5 Tagen, die Epagomenen. In Schaltjahren sind es 6 Tage, wodurch sich die Daten zwischen September und März um einen Tag verschieben. Dasselbe gilt für den äthiopischen Kalender, der dem koptischen exakt entspricht; die äthiopische Kirche hing bis ins 20. Jh. von der koptischen ab.

Ostern wird von Orthodoxen und Kopten immer am gleichen Tag begangen, d.h. zur koptischen Osterberechnung wird eine Frühlingsgleiche am 25. Barmahat, entsprechend dem 21. März jul., angenommen. Auch der julianische 1. Januar ist markiert: das wichtige Fest der Beschneidung Christi (Circumcision), liegt auf dem 6. Tubeh, acht Tage nach Weihnachten.

Es ist offensichtlich, daß sowohl Kopten wie Orthodoxe zur Osterberechnung die Nicäa-Regelung annahmen, aber für Weihnachten das ältere römische Datum für Sol invictus beibehielten. Wissen wir, um wieviel älter? Julius Cäsar soll die Sonnenwende am 25. Dezember beobachtet haben und legte entsprechend Sol invictus fest. Schon eine Generation später allerdings stellte sein astronomisch besser beratener Nachfolger Augustus mit Hilfe seines neu erstellten Observatoriums (die sogenannte “Sonnenuhr” in Rom) fest, daß das Datum falsch war. Der Grund sei allerdings nicht ein Irrtum Cäsars sondern eine falsche Anwendung seiner Schaltregel gewesen, gab Augustus bekannt. Er brachte nun den Kalender durch das bewußte Auslassen von Schalttagen wieder ins Lot.

Von dieser augusteischen Fixierung auf den 25. Dezember – die wir als korrekt ansehen dürfen – bis zur Beobachtung zur Zeit von Nicäa – die eine Sonnenwende am 21. Dezember voraussetzt, entsprechend der beobachteten Frühlingsgleiche – müßten julianischer Kalender und Sonnenwende also um vier Tage auseinandergelaufen sein. Wenn das tropische Jahr damals etwas kürzer war als heute, wie von arabischen Astronomen beobachtet, so verschob sich der julianische Kalender gegenüber den astronomischen Fixpunkten um einen Tag in 110 Jahren (statt in 128 wie heute); wir dürfen dann einen Abstand von 350-440 Jahren zwischen Augustus und dem “Konzil von Nicäa” annehmen. Der heute konventionell gültige Abstand (Nicäa im Jahre 325 AD) reicht nur für drei Tage aus und auch Aloysius Lilius nimmt nur drei Tage an, doch ein Tag Ungenauigkeit ist bei jeder Beobachtung in Rechnung zu stellen, und sei sie noch so sorgfältig, weil ein Tag die kleinste Recheneinheit für ein Kalenderjahr ist und weil sich im Laufe von vier Jahren – nämlich bis zum nächsten Schalttag – jedes astronomische Datum ohnehin um einen Dreivierteltag verschiebt.

6. Von Lichtmeß bis Allerheiligen

1. Januar und entsprechend 1. April, 1. Juli und 1. Oktober markieren ein anderes „Jahreskreuz“, das älter sein muß, als das Cäsars und der Kirche. Nach herkömmlichen Präzessionswerten etwa 800 Jahre älter, in Wirklichkeit wahrscheinlich durch einen viel kürzeren Zeitraum und einen Präzessionssprung getrennt. Wie wir 2004 ausführten, sind auch die Tage 1. April (Aprilscherze, Steuerjahr, Lehrlingseinstellung) und 1. Oktober (Lehrlingseinstellung) als Jahresanfänge gekennzeichnet, allerdings ohne Feuerriten. Der 1. Juli ist durch den Namen bedeutsam: das Julfest ist die Wintersonnenwende, und es ist nur natürlich, daß der Monat der Sommersonnenwende einen ähnlichen Namen trägt, wie sich ja überhaupt die Riten der Sonnenwenden oft völlig entsprechen.

Es gibt allerdings noch andere „Jahreseckfeiern“ mit markanten Bräuchen – Feuer, Kerzenumzüge, Mummenschanz – die sich nicht in dieses Modell einfügen, sondern um einen ganzen Monat verschoben sind.

Als „wilde Nacht“ mit Feuern, Mummenschanz und Umzügen – also als echtes Fest der Frühlingsgleiche – fällt uns sogleich die Walpurgisnacht am 1. Mai ein, von der Schweiz bis Schweden gefeiert. Aber Reste dieses Brauches finden sich auch in Südeuropa: Obwohl die „Cruces de Mayo“ (Maikreuze) meist mit Blumenzierde begangen werden, hält sich in einigen andalusischen Dörfern – so in Ubrique (Cádiz), Añora (Sevilla) und Jimena (Jaén) – die Sitte, große Holzstöße auf der Straße zu entzünden. In Jimena, wo diese Feuer ‚candela’ genannt werden, werden sogar Strohpuppen hergestellt und verbrannt, genau wie in den deutschen Walpurgisnächten; auch in der Provinz Cáceres gehören diese Puppen zur Maifeier.

Ähnlich wird „gegenüber“ der 1. November begangen: Allerheiligen ist in ganz Europa ein äußerst wichtiger Feiertag, der den Toten geweiht ist und mit Kerzen oder Laternen gefeiert wird. Die Halloween-Nacht, in Irland bewahrt und heute wieder weltweit bekannt, gilt ebenfalls als Hexen-Nacht und wird mit Verkleidungen, Schreckgestalten und Laternenumzügen begangen, die noch mehr an Walpurgis erinnern. Auch in Cádiz (Südspanien) ist zu ‚Tosantos’ ein satirischer Brauch erhalten: Obst, Gemüse und Fisch auf dem Markt werden als Menschen „verkleidet“.

Am 2. Februar – statt 1. – schließlich ist Lichtmeß. Dieser Tag wird mit Kerzenumzügen begangen, die an die Heilige Luzia erinnern. In Spanien wird dieser Tag als Candelaria (von Candela = Flamme, Kerze) gefeiert. Obwohl es eine Virgen de la Candelaria (Heilige Jungfrau der Flamme) gibt, muß diese Bezeichnung älter sein als die katholische Liturgie, denn in dieser wird der 2. Februar als „Reinigung der Jungfrau Maria“ bezeichnet, was allerdings im Volke so gut wie unbekannt ist.

In vielen spanischen Dörfern – von Archidona (Málaga), Las Gabias (Granada), Pedrera (Sevilla) oder Santiago de Calatrava (Jaén) in Andalusien bis Fuencaliente (Ciudad Real), Toledo und Alcalá de Júcar (Albacete) – entzündet man am Vorabend auf der Straße oder vor der Haustür große Feuer, die oft sogar übersprungen werden, genau wie zu Johanni. Im Hause werden Kerzen angezündet, ähnlich der jüdischen Chanukka.

Aber mehr noch: vom Rheinland bis Südtirol gilt Lichtmeß als Ende des Bauernjahres, zu dem die Pacht fällig wird und Knechte und Mägde den Dienst wechseln; daher heißt dieser Tag auch „Bündeletag“ im Schwäbischen; in Sachsen war er bis 1912 gesetzlicher Feiertag.

Das „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ nennt Lichtmeß einen „Lostag erster Ordnung“ und einen „wichtigen Wendepunkt des Jahres“ und zählt über hundert Bräuche auf, von denen viele mit dem Totenkult (wie am 1. November) in Beziehung stehen oder aber mit Zukunftsschau (typisch für die Neujahrsnacht) oder Arbeitsverbot. Und schließlich gibt es ganz eindeutige Hinweise: man darf zum Abendbrot kein Licht anzünden („Lichtmeß – bei Tag ess“), wohl weil gerade an diesem Tage die Kerzen eben rituelle Bedeutung haben (auch die Chanukka-Kerzen dürfen keinesfalls zum Beleuchten verwendet werden, sondern nur zum Kundgeben der Feier). Es wird sogar behauptet, an diesem Tage mache die Sonne einen „Sprung“ und die Tage würden nun deutlich länger, was natürlich in Wirklichkeit nicht so zu bemerken ist, denn dieser Vorgang ist ja kontinuierlich. Es muß also früher wohl geheißen haben: ab Lichtmeß werden die Tage wieder länger.

Lichtmeß (2. Februar) galt als Jahresanfang und wird mit Sonnwendbräuchen gefeiert.

Ob der Name Lichtmeß vom Messen des Lichtes kommt, also auf eine astronomische Beobachtung hinweist, sei dahingestellt; wahrscheinlich geht er auf ein altes Wort Messe für Feier, Zusammenkunft (wie heute noch die Handelsmesse) zurück; von diesem Ausdruck dürfte auch das katholische Wort Messe abgeleitet sein, das aus dem Lateinischen nämlich etymologisch nur unter Verrenkungen (aus der Schlußformel des Gottesdienstes Ita missa est) erklärt werden kann.

Die Verschiebung vom 1. auf den 2. Februrar dürfte auf die katholische Kirche zurückgehen, die das Fest auf 40 Tage nach Weihnachten fixiert; entsprechend den 40 Tagen die im jüdischen Gesetz eine Wöchnerin als unrein gilt. In Irland wird das keltische Imbolc auch am 1. Februar gefeiert. Für die Sommersonnenwende (die auf den 1. August fallen müßte) haben wir bisher noch keine Entsprechung gefunden.

7. Die früheste Katastrophe

Lichtmeß, Walpurgis und Allerheiligen waren wahrscheinlich die Eckpunkte eines ganz ursprünglichen europäischen Sonnenjahres, das wir versuchshalber „megalithisch“ nennen dürfen. Dieses Jahr wurde wohl regelmäßig durch astronomische Beobachtungen korrigiert und die genauen Daten der „Eckpunkte“ wurden durch Feuer oder Lichtrituale weithin bekanntgegeben. Diese Maßnahme spiegelt sich noch in den späteren Festen Weihnacht, Johanni, Chanukka, Lucientag und Kreuzauffindung. Die Feuer dienten also sozusagen zur Synchronisierung der Bevölkerung über einen ganzen Kontinent hinweg: tatsächlich finden wir ja äußerst ähnliche Bräuche an denselben Tagen von Andalusien und Irland über Deutschland und Schweden bis Syrien und Kurdistan. Auch in Persien gab es trotz bester astronomischer Beobachtungen bis ins 20. Jahrhundert keine allgemeingültige Schaltregel, sondern es mußte stets neu beobachtet werden.

Diese übergreifende Kultur, die das archaische, aber genaue Jahr fortwährend eichte, muß durch eine schwere Katastrophe zerstört worden sein. Dieser Kataklysmus ging wohl mit einem großen Präzessionssprung über viele Tage einher. Wieviele Tage übersprungen wurden und wieviele in den darauffolgenden Jahrhunderten durch die fortlaufende Präzession oder durch ungenaue Schaltungen oder Korrekturversuche fortfielen, können wir nicht klären. Ob die spanischen Antoniusfeuer am Vorabend des 17. Januar als eine Verschiebung des Antonius vom 13. Juni zu werten sind, oder ob hier ein Hinweis auf eine erste neue Fixierung vorliegt – die sich allerdings nicht überall durchsetzte – bleibe dahingestellt. Letzteres scheint wahrscheinlicher, denn der Vortag – an dem die Feuer abends angezündet werden – ist dem heiligen Fulgentius geweiht; außer dem 16. wird für diesen Heiligen in Spanien auch der 14. angegeben und in deutschen Quellen sogar der 1. Januar. Fulgentius bedeutet „der Leuchtende“ und ist damit den Sonnwendfiguren wie Sankt Luzia zuzuordnen.

Wahrscheinlich wurde die Sonnenwende erstmals wieder zuverlässig am 6. Januar beobachtet und bekanntgegeben. Denn dieses Datum, das Epiphaniasfest, gilt noch heute in der armenischen Kirche als Geburt Christi und wird seit der Reform 1923 gemäß dem gregorianischen Kalender gefeiert, außer in Jerusalem, wo der armenische Patriarch den julianischen Kalender beibehalten hat und das Fest am 6. Januar julianisch (heute dem 19. Januar gregorianisch entsprechend) zelebriert.

In der griechischen Kirche ist Epiphanias eines der wichtigsten Feste; an diesem Tag wird das Wasser (Meer oder Fluß) gesegnet, indem ein Kruzifix hineingeworfen und wieder herausgeholt wird. Auch in Spanien ist der Dreikönigstag das beliebteste Fest der Weihnachtszeit und entspricht unserem Heiligabend mit Gaben, Umzügen und einem gemeinsamen Frühstück. In Teilen Deutschlands galt die Epiphanie bis 1691 als Jahresbeginn und in den Alpen soll das Fest noch heute als „Hohes Neujahr“ bekannt sein. Dazu scheint auf den ersten Blick auch der Heilige Nikolaus am 6. Dezember zu passen, der ja auch Weihnachten entspricht, es bleibt allerdings rätselhaft, wie dieses Datum zustande kam.

Die Verschiebung vom 6. auf den 1. Januar könnte ohne Sprung vonstatten gegangen sein, vielleicht nur durch eine verwaltungstechnische Korrektur im römischen Kulturbereich, um den Jahresanfang auf den nächstliegenden Ersten des Monats zu verlegen; dies dürfte die dem legendären römischen König Numa Pompilius („8 Jh. v. Ztr.“) zugeschriebene Reform sein. Möglicherweise hatten sowohl Januar wie Juli vorher andere Namen und der Kult des doppelköpfigen Gottes Janus, der Sonne gleichgesetzt und Hüter der Tore und des Jahres, wurde erst jetzt diesem Monat zugeordnet. Dazu stimmt, daß die Silvesternacht, die auch in Deutschland einen lateinischen Namen trägt, nicht traditionell mit großen Feuern begangen wird, und den anderen Jahreseckpunkten außer den Aprilscherzen nur eine wirtschaftliche Eigenschaft zukommt. Der Name des Juli bezieht sich natürlich auf seine Stellung als Beginn des neuen Halbjahres (dem Julfest gegenüberliegend und daher entsprechend), aber auch dies ist römisch bedingt.

Wahrscheinlich war dieses „Janus-Jahr“ nicht sehr lange in Gebrauch, sondern wurde bald durch einen neuen Präzessionssprung aus dem Ruder geworfen – eben jener Sprung, der die Sonnenwende auf den 25. Dezember vorrücken ließ, wo sie dann von Cäsar beobachtet und auf dem schon vorhandenen Jahr fixiert wurde. Vielleicht vergingen nur einige Generationen zwischen „Numa Pompilius“ und Cäsar, der wahrscheinlich eben seiner Reform wegen den Namen Julius (=Jul, Jahr) erhielt. Das römische Jahr, das Cäsar vorfand, wird jedenfalls als sehr chaotisch beschrieben – es wechselten angeblich Jahre von 355, 377, 355 und 378 Tagen, wobei alle vier Jahre etwa 4 überschüssige Tage entstanden, die durch unregelmäßige Schaltungen nach Bedarf wieder übersprungen wurden. Es ist geradezu erstaunlich, daß ein nüchtern geordnetes und technisch fortschrittliches Gemeinwesen wie das der Römer nicht von früh an einen besseren Kalender benutzte. Hier drängt sich geradezu der Gedanke auf, die Katastrophe habe nicht allzulange vor Cäsars Zeit stattgefunden und die genaue Jahreslänge habe noch einige Zeit variiert, sodaß eine exakte Beobachtung und Schaltregel anfangs gar nicht möglich war.

8. Folgen

Das von Cäsar korrigierte Jahr, in dem Neujahr und Sonnenwende nicht mehr zusammenstimmten, wurde bis über die Grenzen Europas hinaus bekanntgegeben; es hat sich nicht nur in den orthodoxen Kirchen erhalten, sondern ist auch in Marokko (unter der Berberbevölkerung) das allgemein gebräuchliche Bauernjahr. Da Marokko seit dem ausgehenden Mittelalter unter islamischer Herrschaft stand und daher abgeschnitten war von christlichen Reformen, dürfen wir annehmen, daß der dort erhaltene julianische Kalender mit seinen lateinischen Namen tatsächlich direkt auf das von Cäsar geschaffene römische Jahr zurückgeht und so als unabhängiger Zeuge dienen kann.

Auch in Kurdistan, wo dieses Jahr nicht mehr in Gebrauch ist, erinnern sich jüngere Leute noch daran, daß Neujahr mit Mummenschanz am 13. Januar gefeiert wurde, statt am 1., was natürlich der im XX Jahrhundert gültigen Verschiebung des julianischen gegenüber dem gregorianischen Kalender entspricht.

Dieses Jahr galt den Kirchenvätern von Nicäa als zuverlässig, wie Lilius ausführt, bis eine erneute Katastrophe abermals alles ins Schwanken kommen ließ und über einen bestimmten Zeitraum hinweg – wohl mehrere Generationen – an eine Neuordnung nicht denken ließ. Mit der Fixierung von Sankt Luzia im 13. Jh begannen dann die Bemühungen, die schließlich in Gregors Reform mündeten. Ein anderer Versuch, dem aus dem Lot geratenen Jahr beizukommen, bestand darin, auf eine allgemeingültige Fixierung ganz zu verzichten und den Mond zu Hilfe zu nehmen. Vielleicht geschah dies aus der Überzeugung, daß die astronomischen Gegebenheiten zu unregelmäßig waren, um eine genaue und langfristig gültige Eichung überhaupt vornehmen zu können.

So erklären sich der hebräische und christliche Sonnen-Mond-Kalender, mit denen bewegliche Feste wie Chanukka, Karneval und Ostern berechnet werden. Denn selbstverständlich gehören auch die Karnevalsumzüge zu Neujahr ­ auch zu Karneval werden Strohpuppen verbrannt – und die Osterfeuer zur Frühlingsnachtgleiche.

Dieser Verzicht auf eine echtes Sonnenjahr findet sich auch in Arabien, wo bis zum Erscheinen des Islam ein Mondkalender in Gebrauch war, der durch einen Schaltmonat regelmäßig an das Sonnenjahr angeglichen wurde. Damals entsprachen die 12 Mondmonate sicher in etwa den Sonnenmonaten anderer Kalender: Moharram (der Geheiligte) dem Januar, Rabi’ Awwal und Rabi’ Tani (erster und zweiter Frühling) dem März und April, und Dhul Hidscha (der der Wallfahrt) dem Dezember, in dem wohl das große Julfest abgehalten wurde; Ramadan fiel damals immer in den September und das Fasten zur Tageszeit war wohl einfach eine Maßnahme, um die Wasservorräte zu sparen, die nun kurz vor den Herbstregen sehr zusammengeschmolzen sein mußten (tagsüber ist der Durst größer). Mohammed verbot den Schaltmonat erst in Medina (Sure 9, „Die Reue“, Vers 36 ff), weshalb die Monate nun durch alle Jahreszeiten wandern.

Zusammenfassend können wir sagen, daß eine genaue Beobachtung und Fixierung der Sonnenwenden und Nachtgleichen schon sehr lange ein wichtiges Anliegen der Menschheit ist. Aus Lilius‘ Text für die Kalenderreform geht eindeutig hervor, daß man festgestellt hatte, daß die Länge des Sonnenjahres nicht konstant gewesen war, sondern schwankte, weshalb einerseits ständige Synchronisierungen des Kalenders erforderlich waren (wie sie die Volksbräuche noch beibehalten haben), andererseits bei einer starren Schaltregel (wie im Julianischen Kalender) die kalendarischen Jahresanfänge nach einiger Zeit von den astronomischen abwichen.

Wenn die Abweichung zusätzlich durch einen Präzessionssprung verursacht wurde, sind die Zeitabstände, die seit Einführung des Julianischen Kalenders verstrichen sind, nicht mehr rückberechenbar, was Lilius auch vermieden hat. Seine Angabe für die Verschiebung zwischen Cäsar und dem Konzil von Nicäa stimmt mit heutiger Rückberechnung nicht überein (sie wäre um einen Tag zu kurz) und Lilius gibt keinen Hinweis auf die seit Nicäa verstrichene Zeit. Dabei wäre es nicht schwergefallen, die für die Zukunft vorgeschlagene Schaltregel auch rückwärts anzuwenden. Doch dies wurde erst später getan. Die Annahme, die Regel gälte auch für die Vergangenheit, bildete schließlich die Grundlage für die Erarbeitung des heute üblichen Chronologiegerüsts.

Die Beobachtung, daß das Jahr unregelmäßig lief und genaue Messungen nicht stattfinden konnten, schlug sich dagegen in der Theorie der Trepidation nieder, die im ganzen Mittelalter gut bekannt war und als Tatsache hingenommen wurde. Siehe dazu den ausführlichen Artikel von Uwe Topper „Katastrophen als Ursache für falsche Chronologie“ (2008).

Literatur
Bär, Nikolaus. Chronologie und Kalender. www.nabkal.de.
Bächtold-Stäubli, H; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin und Leipzig 1932
Evans, James. The History and Practice of Ancient Astronomy. Oxford University Press US, 1998
Matscher, Hans. Heilige im Südtiroler Volksleben, Brixen 1961.
Merino Madrid, Antonio. Ensayo sobre fiestas populares de Los Pedroches (Los Pedroches, 1997)
Millás Vallicrosa, José Maria. Un nuevo tratado de astrolabio de R. Abraham ibn Ezra, in Al-Andalus, Granada-Madrid 1940.
Neugebauer, Otto. Ethiopic Astronomy and Computus. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1979.
Neugebauer, Otto. Chronography in Ethiopic Sources. Wien 1989
Pannekoek, A. A History of Astronomy. London 1961.
Topper, Uwe. Katastrophen als Ursache für falsche Chronologie Vortrag 2008 (www.chronologiekritik.net)

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