ZS Zeitensprünge 2015
Die Schwerpunkte: Spengler – Lüling – Astronomie
Nun liegen die drei Hefte des Jahres 2015 vor, ich schreibe wie gewohnt ein paar kurze Bemerkungen zu einigen Artikeln, die ich interessant finde, zuerst Heft 1:
Stefan Diebitz: „vollkommene Vergessenheit“ – Ist eine Frühgeschichte der Menschheit möglich? (S. 8-20)
Diese sehr wohlwollende Besprechung des Spätwerks von Oswald Spengler (postum 1966) war in diesem Kreis lange überfällig. Spenglers Nachlaßzettelkasten Frühzeit der Weltgeschichte erzeugte in mir gegen 1968/69 einen Durchblick in Sachen Vorgeschichte-Frühgeschichte, der zu meinem Buch Das Erbe der Giganten führte (1977 erschienen): Wir kennen die frühen Menschengruppen nur von ihren Gräbern und Keramikscherben. Rückschlüsse aus dem Verhalten heute noch lebender Stammesgesellschaften auf jene Frühzeit können irreführend ausfallen.
Diebitz arbeitet diese Grunderkenntnisse Spenglers deutlich heraus. Dann zeigt er, wie ein gerade erschienenes prätentiöses Gesamtwerk von Hermann Parzinger (Die Kinder des Prometheus, 2014) die „Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift“ weltweit abhandelt, ohne Spengler zu berücksichtigen. Mehr als ein Nachschlagewerk für die allgemein verbreitete Lehrmeinung ist nicht daraus geworden.
So bespricht Diebitz weiterhin Spengler, kann auch gelegentlich den „Klassiker“ Der Mensch von Arnold Gehlen (1994) einfügen (S. 13). S. 16 erinnert er noch einmal an seinen Aufhänger, Parzinger, kann ihm aber keinen Wert mehr abgewinnen. „Sein Buch führt deshalb kaum weiter.“ Wenn Diebitz sich nicht auf Spengler konzentriert hätte, wären diese 13 Seiten einer vermeintlichen Besprechung von Parzingers Buch für die Katz gewesen. Es werden zwar die Fundorte Glozel (S. 18) und Göbekli Tepe genannt (S. 19), aber das Wort Täuschung oder Fälschung taucht in diesem Zusammenhang nicht auf, nur eine Kontroverse wird angesprochen, die man getrost auf das behauptete Alter beziehen kann, also ein chronologisches Problem von der allen Lesern dieser Zeitschrift bekannten Art.
Anschließend beschäftigt sich auch Illig mit dem Buch von Parzinger (S. 21-23), wobei er am Schluß die „rasant zunehmende weltweite ‚Massenmenschhaltung‘“ als Problem erkennt. Wer hält hier wen?
Die beiden nächsten Beiträge von Otto Ernst zu den altägyptischen Dynastien (S. 24-27) sowie Illigs Erwiderung darauf (S. 28-31) liegen jenseits meines Arbeitsbereichs, erst Illigs Beitrag über den „Mauerbau vor der Zeitenwende“ (S. 32-44) fand meine Aufmerksamkeit, da ich selbst mich mit diesen zuweilen höchst ästhetischen Mauern in Italien, Anatolien usw. beschäftigt habe.
Illigs dreifache Gliederung in zyklopische, polygonale und Quader-Mauern, die zunächst von der Technik ausgeht, mündet dann etwas unsicher in eine zeitliche Stufung ein. Illigs Schluß (S. 44) nach eingehender Prüfung ergibt „die Gleichsetzung –1150 mit –650 und das Streichen der dazwischenliegenden 500 Jahre.“
Das hat Illig auch im nächsten Aufsatz über „Griechenlands dunkle Jahrhunderte“ (S. 45-74) herausgestellt. Dabei wird Benny Peiser zitiert, der wohl als erster in diesem erlauchten Kreis die besten Argumente für derartige Streichungen vorbrachte.
Streichungen von Zeiträumen im traditionellen Zeitschema fanden vielfach meine Zustimmung, soweit sie plausibel wie hier vorgetragen werden. Dennoch muß ich einwenden, daß damit nicht automatisch die übrigbleibenden Jahrhunderte zu realen Zeitabläufen stilisiert werden können, wie Illig unkritisch tut. Wenn in einem Roman einige Geschehnisse als Fakten, andere als Spinnereien erkannt werden, müßte der Schluß lauten, daß der Zusammenhang nicht glaubwürdiger wird, weil einiges nicht ausgedacht ist, sondern daß es sich in jedem Fall um einen Roman handelt, der vor Gericht kein Gewicht haben kann.
Hermann Deterings neues Buch über Sankt Augustin, 2015: O du lieber Augustin. Falsche Bekenntnisse (Alibri Aschaffenburg, 308 S.) wird von Heribert Illig (S. 94-101) besprochen:
Es ist keine Bewertung aber eine wertvolle Besprechung, die Illig hier liefert und die ich – ohne Deterings Buch bekommen zu haben – hier kurz weitergeben will. Detering erkennt demnach, daß es sich bei den Confessiones des Augustin nicht um autobiografische Bekenntnisse sondern um missionarische Fiktion handelt, und daß diese nicht in der späten Antike sondern erst im Mittelalter geschrieben sein kann, im Umkreis des mönchischen Lebens des „11. Jahrhunderts“. Detering findet eine frühe Vorlage, „in Wahrheit die Urfassung“, nachdem Alkuin ausgeschieden ist: Jean de Fécamp, der ein halbes Jahrhundert eher angesetzt wird als Anselm von Canterbury, der mögliche Fertigsteller des Textes. Die Schrift Bekenntnisse schwimmt damit immer noch recht haltlos in den Zeitläufen herum, ist aber nun um 650 Jahre verjüngt, was auch für einen kritischen Theologen wie Detering eine beachtliche Leistung, geradezu einen Quantensprung, bedeutet. Nur daß der Dr. theol. noch nicht begriffen hat, daß hier gar keine Zeitabläufe vorliegen, denn dieses Verschieben ist ja, realistisch gesehen, gar nicht möglich sondern nur ein gespieltes Manöver derjenigen, die diese Schriften herstellten.
Illig betont das leider nicht, erkennt aber, daß durch solche Verschiebungen ganze „Kettenreaktionen“ (S. 97) ausgelöst werden, denn es werden alle jene, die Augustins Bekenntnisse vor Anselm schon kennen, mit in den Strudel gerissen und zu außerzeitlichen Romanfiguren degradiert.
Sehr richtig sagt Detering, daß die Fälscher jeweils das herstellten, was ihnen der „Zeitgeist“ abverlangte, aber der von Fuhrmann 1986 geprägte Ausdruck „antizipatorisch“ (vorwegnehmend) paßt auf diese Fälschungen nicht, was Illig zu Recht ankreidet (S. 95). Diese Texte (wie die Confessiones) wurden m.E. zweimal in der Zeit zurückverlegt, einmal von den wahren Schreibern hin zu „Anselm“ und „Fécamp“, und dann durch die Gegenreformation diesen wieder genommen und in ein Christentum der späten Antike verlegt, den Kirchenvätern.
Da die Paläographen hier ein Wörtchen mitreden, bezieht sich Illig indirekt auf Joseph Aschbach, der um 1860 das Problem ein für alle Mal klargestellt hat, nennt aber (S. 98) statt des Urhebers einen aktuellen Epigonen, der in Illigs Verlag ein Buch in diesem Sinne, wenn auch weniger scharfblickend, herausbrachte.
„Detering ist die These der erfundenen Jahrhunderte vertraut“, sagt er dann (S. 99) – gewiß, und das schon seit rund zwanzig Jahren, kann ich anfügen, denn damals habe ich sie selbst mit ihm besprochen. „Überraschenderweise nennt er Edwin Johnson als den Autor, der bereits 1896 Anstöße gab für die moderne Chronologie-Kritik.“ Na, überraschend kommt das nicht. Detering ist einer der besten Verbreiter von Johnsons Ideen, er hat sogar ein Buch von ihm in seinem Verlag veröffentlicht, nämlich Jean Hardouins Prolegomena in Johnsons Übersetzung.
Der Schlußsatz von Illig ist noch einmal geheimnisvoll: „Ob dieser Kirchenvater (gemeint ist Augustin) schon bald nach 1500 von dem Gedanken nicht loskam: Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ – wobei ich nur staunen kann, daß auch Illig nun Augustin direkt im reformatorischen Zeitalter sozusagen als Kollegen von Luther sieht. Das hatte Detering wohl doch noch nicht ahnen wollen, soweit ich ihn kenne, das steht erst bei mir (2006). Aber die Vorstellung müßte umgekehrt sein: Nicht Augustin wurde aus verschiedenen Personen zusammengesetzt, sondern seine Schriften werden neuerdings aufgeteilt auf verschiedene fiktive Autoren (wie Fécamp, Anselm, ein Briefeschreiber …)
Heft 2-2015
Heribert Illig zum Islam-Thema (S. 458-479). Die Entschuldung der Uni Erlangen vis-à-vis Lüling. Illig als Nachlaßverwalter Lülings
Am 19. und 20. Juni 2015 veranstaltete der Lehrstuhl für Orientalische Philologie und Islamwissenschaft der Universität Erlangen unter der Leitung von Prof. Dr. Georges Tamer in der Erlanger Orangerie ein internationales Symposium zur Kritischen Koranhermeneutik. Inzwischen ist der Band mit den Vorträgen erschienen.
Im Mittelpunkt stehen hierbei die Arbeiten des Erlanger Koranforschers Günter Lüling, die von der Fachwelt bisher nicht angemessen diskutiert wurden. Lüling vermutete den Ursprung des Korans in christlich-häretischer Strophendichtung, die er zu rekonstruieren versuchte. Seine Thesen wurden für völlig abwegig gehalten; seinerzeit wurde ihm die Habilitation in Erlangen verweigert. Jetzt hielten Wissenschaftler aus Deutschland, den USA und England Vorträge zu Aspekten der Koranforschung und zur Koranexegese Günter Lülings.
Im Kreise der Vortragenden befindet sich auch Angelika Neuwirth, die heute die Filmkopien der alten Koranhandschriften in ihrer Obhut hält, die einst nach Aussage von Prof. Anton Spitaler im 2. Weltkrieg in München verlorengingen. Leider zitiert Illig hier aus dem Wikipedia-Eintrag zur Bundesverdienstkreuzträgerin Neuwirth: „hatte Neuwirth das Fotoarchiv der Öffentlichkeit entzogen.“ Das ist keine kleine Rüge sondern eher eine Strafanzeige wert. Wie solche Wiki-Einträge entstehen, soll hier nicht untersucht werden, nur daß sie grundsätzlich nicht als „Quelle“ taugen sondern höchstens als Anregung, nach den Hintergründen für den Eintrag zu forschen, das haben wir früher von Illig ja schon erfahren.
Zum Problem der verschwundenen Koran-Kopien und Filme zitiert Illig in seiner Besprechung des Symposiums den großen Kenner der arabischen Astronomie, Paul Kunitzsch, der in seinem Nachruf (2003) auf Anton Spitaler wohl noch nicht wußte, daß die vermißten Dokumente in Spitalers Schreibtisch ruhten, was wir als Zeitensprünge-Leser erst durch Zainab Angelika Müller ab 2008 erfuhren. Deren wichtige Hinweise werden von Illig allerdings weder in diesem noch im folgenden Artikel zitiert. Die Auslese ist eben streng.
Hier hole ich die nötigen Zitate der beiden Aufsätze nach:
Müller, Zainab A. (2008): „Zustände in den ‚Islamwissenschaften‘, Günter Lüling zugeeignet“, in ZS 3/2008, S. 670-691
(2009): „Über das Verwalten schriftlicher Schätze (Zustände in den Islamwissenschaften II)“ in ZS 1/2009, S. 139-167
Illig nennt dieses Lüling-Symposium ein Werkzeug „zur Eigen-Exkulpation“, will sagen: zur Selbstrechtfertigung und Entschuldung in Sachen Lüling. Er kennt den großen alten Mann der Islamistik auch noch in dessen letzten Jahren aus häufigen Telefongesprächen und scheint auch – soviel wird aus dem Literaturverzeichnis erschließbar – dessen Nachlaß zu verwalten, weshalb wir weitere Enthüllungen sowie bisher unveröffentlichte Manuskripte erwarten dürfen. Da gibt es eine Stellungnahme Lülings zum Koran-Symposium in Berlin 2004, außerdem einen Anhang zu einem geplanten Buch „über Christentum, Judentum und Islam“, in dem die Auseinandersetzung mit Tilman Nagel dokumentiert sein dürfte. Dankbarkeit für Illigs großherziges Vorhaben können wir jetzt schon ausdrücken.
Im 2. Aufsatz bespricht Illig das Buch von Norbert Pressburg (2009/2012): Good Bye Mohammed. Das neue Bild des Islam.
Er arbeitet dabei die chronologiekritischen Erkenntnisse ein und das hat gewiß seinen Wert, denn messen muß man sich allemal. Die Zitate der Zeitensprünge-Artikel zum Thema sind sehr knapp ausgefallen. Die abgebildete Zeichnung von Lüling zu den Entwicklungsstadien der Kaaba macht hier keinen Sinn, erinnert aber an jene andere, den Grundriß der Kaaba, wo Lüling den Versuch unternimmt, über die frühen Baustadien und die Orientierung der Kaaba anhand der Säulen und dem erschlossenen Choranbau auf die alte Qibla nach Jerusalem zu schließen (1992, Titelbild und 1981, S. 137, Abb. 3). Das halte ich für mißlungen, denn die geografische Abweichung des Gebäudes von Norden beträgt laut Zeichnung 39°, das weist auf Kairo hin, während die Ausrichtung auf Damaskus 15°, auf Jerusalem 17,5° betragen müßte. Es handelt sich hiermit zwar nicht um ein philologisches Problem sondern um ein geographisches, wobei wir nicht einmal wissen, wie genau die Planskizze der Kaaba ist; da aber Lüling seine Folgerung für den ehemals christlichen Gebrauch des Gebäudes wesentlich auf das Qibla-Argument, eine vermutete Ausrichtung nach Jerusalem, aufbaut, ist Kritik angebracht.
Illigs Fazit fällt kurz aus, wie er sagt: Die „Saarbrücker“ haben sich den Weg ins Freie erkämpft und müssen jetzt auch den aufklärenden Schritt wagen: daß die nachträglich erstellte Chronologie (auch des Islam) neu zu erarbeiten ist.
Zeitensprünge 3-2015
Anläßlich des 100. Heftes in 27 Jahren hat sich der Herausgeber höchstpersönlich aufs Titelblatt gesetzt, leider ist es keine so vorteilhafte Aufnahme, wie man sie wünscht, dafür von lieber Hand. Nach dem Editorial und einer Bestandsaufnahme wird eine dieser Archäologenpossen vorgestellt, diesmal in Hamburg verübt, die unter dem generischen Begriff „protschern“ ins Fachdeutsch eingegangen sind.
Und dann geht’s ab nach Ägypten mit – man staunt – Dominique Görlitz, dem wagemutigen Seefahrer, der für seine Erforschung der von frühgeschichtlichen Menschen verübten Ausbreitung von Nutzpflanzen über die Meere den Doktor erhielt. Ein gelungener Erfolg nach so bewundernswerter Arbeit! Doch diesmal ist er einer Intrige zum Opfer gefallen. Die Vorwürfe, die Görlitz mit Fotos anderer Wissenschaftler klar zurückweisen kann, haben ihm in Abwesenheit in Ägypten 5 Jahre Bau eingetragen, in Deutschland immerhin noch eine Geldstrafe. Man fühlt mit und nimmt nur am Rande wahr, daß Illig hier auch um seinen Ruf besorgt ist. Er mahnt Zitierpflicht an, der Görlitz nicht voll nachgekommen sei. Nach der Erörterung der ewigen Rätsel – wie mögen die alten Ägypter diese unmöglichen Gebäude wohl errichtet haben? – erfährt man am Schluß (S. 540) eine weitere staunenswerte Eigenart der damaligen Bautechnik: Die riesigen Blöcke von Chephrens Taltempel liegen so exakt übereinander, wie sie im Steinbruch getrennt worden sind. Der Materialverlust zwischen zwei Blöcken beträgt höchstens 0,3 mm, unvorstellbar, aber belegt per Foto im neuen Buch von Görlitz und Erdmann (2015). Obendrein verlaufen die Trennlinien nicht geradlinig, sondern leicht gewellt! Da moderne Diamanttrennscheiben eine Dicke von mindestens 5 mm haben, wird der Gedanke an ein Lasergerät zum Schneiden angestoßen. Im „Alten Ägypten“?
Im Vergleich damit wirken die anderen Probleme, die schon unlösbar sind, wie nebensächlich: Wie wurden die riesigen Steinblöcke befördert, wie wurden die vielen Steine aufgeschichtet, wie soll man die Tausendschaften an Menschenkraft und Jahrhunderte an Arbeitsaufwand sinnvoll einsetzen? Unmöglich! So lange man nicht mal das Wunder der Steinschneidens aufklären kann, sind die anderen Überlegungen, die Illig und Löhner (1993) so klug angestellt haben, unwichtig.
Kometen und Finsternisse
Zwei Artikel zu astronomischen Themen von einem Neuling unter den Zeitenspringern, dem Architekten Philipp von Gwinner, erregen meine besondere Aufmerksamkeit, weil darin gleich zweimal versucht wird, die These von Heribert Illig zu falsifizieren. Erfreulich, denn damit wird gezeigt, daß es sich bei Illigs Idee um eine diskutable These handelt. Und dieser Effekt dürfte auch der Grund für das Erscheinen der beiden Aufsätze im Heft sein, denn daß jemand, der über Illigs These auf dem Laufenden ist, nicht merkt, daß sie so nicht zu widerlegen ist – das wäre zuviel verlangt. Wie gewohnt bringt Illig auch gleich die Auflösung im Anschluß. Dem wäre kaum etwas zuzufügen, wenn nicht hier ein Problem exemplifiziert wäre, das durchaus eine längere Beschäftigung verdient, und das hat Illig ja wohl auch so gemeint.
Drum gehe ich etwas ausführlicher auf Gwinners Beiträge ein. (Vorbemerkung: Ich verwende runde Jahreszahlen, sie können also um 1 in beiden Richtungen abweichen; es geht hier um das Modell, die Genauigkeit ist dabei unwichtig.)
Zuerst zum Kometen Swift-Tuttle (ich kürze ab: S-T), der knallhart als Caesars Komet bezeichnet wird. Der berühmte Komet S-T, der in Wissenschaftskreisen viel Gerede ausgelöst hat, erschien 1862 erstmals am Wissenschaftshimmel und wurde zum Modell für einige Gedankenkonstruktionen. Uns berührt hier nur das Problem seiner periodischen Wiederkehr. Die beiden Entdecker, nach denen er nun heißt, hatten nämlich damals, vor 154 Jahren, aus den Bahnparametern seine mögliche Wiederkehr nach 120 Jahren vorausberechnet, was etwas zu kurz ausfiel: Er erschien erst knapp 10 Jahre später, 1992. Der neue Abstand von rund 129 Jahren (im Internet werden häufig 133 Jahre angegeben) konnte nun in beiden Richtungen, vor und zurück, auf dem Zeitstrahl abgetragen werden, woraus sich seltsame Aussagen ableiten ließen. Bei einem der nächsten Male könnte er „womöglich“ mit der Erde zusammenstoßen, „mit eventuell katastrophalem Ausgang für die Menschen.“ (S. 582). Diese Information sei „im Kreise der Astronomen“ berechnet worden (zum Glück nicht im Kreis der Theologen, schon gar nicht der Mathematiker) und wurde später auch widerrufen. Das Szenario der Kometen als Unheilsbotschafter ist ja uralt und hat noch nicht seine Schärfe eingebüßt.
Und zurück wurde er bis zum Jahr 702 vor Christus verfolgt, insgesamt 24 Umläufe weit. Davon sind außer zwei Chronik-Einträgen in chinesischen Büchern nirgends jemals Sichtungen vor 1862 vermerkt worden, heißt es. Das liegt wohl daran, daß sie nicht mit der Periode von 129 oder 133 Jahren übereinstimmen. Denn Kometen gibt es ja recht häufig zu sehen, sonst wäre auch das uralte Unglücksszenario gar nicht erst aufgekommen. Der kleine Unterschied von 4 Jahren in den heutigen Berechnungen des Wiedererscheinens macht übrigens bei 13 Umläufen, also entsprechend dem Zeitpunkt der chinesischen Hinweise, schon die Hälfte der Umlaufszeit aus. Nimmt man die größere Spanne, muß man sich entscheiden, ob man die ausgesuchte chinesische Beobachtung von 188 AD mit dem theoretischen Erscheinen rund 60 Jahre vorher oder nachher gleichsetzen möchte.
Es wird noch ein anderer Grund für die fehlenden Sichtungen angegeben: Nach den Berechnungen kommt der Komet S-T der Erde nur selten nahe genug, daß man ihn auch sehen kann. Die von Gwinner zitierten Autoren Yao,Yeomans und Weissman legen fest, daß man einen Kometen erst ab der Magnitude (mag) 3,4 mit bloßem Auge sieht.
Wir nehmen mal an, daß die Megalithiker oder sternweisen Chaldäer, um nur zwei Gruppen aufzurufen, noch keine Linsen aus Bergkristall oder Glas verwendeten (es wurden solche gefunden), wenn sie den Himmel durchforschten. Auf Bergen oder in Wüsten müßte eine Helligkeit von 6,5 mag bis 7 mag die Obergrenze der Sichtbarkeit für reflektierende Objekte (wie Kometen) im Planetensystem gewesen sein. Wir können auch 5 mag annehmen, falls die Luftverschmutzung „damals“ sehr viel höher als heute gewesen sein sollte. Warum die Autoren 3,4 mag als Sichtgrenze annehmen, bleibt unerklärt.
Selbst bei Anerkennung der eigenen Einschränkung der drei Autoren ist die Aussage bezüglich der seltenen Sichtungen falsch, wie aus Gwinners Aufsatz (gegen seine Absicht) erkennbar ist.
„Auf einen Kometen der 3. oder 4. Grössenklasse, der zumindest in dunklen Gegenden außerhalb der Großstädte ohne optische Hilfsmittel erkennbar ist, kann man alle 2 – 3 Jahre hoffen. Wirklich helle Kometen, deren Schweif mühelos mit blossem Auge zu beobachten sind, dürften etwa alle 10 Jahre auftreten.“ Das schreibt Stefan Krause aus Bonn auf der Webseite Kometen.info im Netz. Er gibt die allgemeine Ansicht wider. Die chinesischen Chroniken haben daher auch nicht wenige Kometen vermerkt, meist mit zu ungenauen Bahnbeschreibungen, wie auch in diesem Fall, sodaß eine Gleichsetzung mit bekannten periodischen Kometen nur versuchsweise erfolgen kann. Eine chinesische Aufzeichnung nennt sogar einen Stern im (umgerechneten) Jahr 5 v.Chr., weshalb er prompt zum Stern von Bethlehem vorgeschlagen wurde, obgleich ihn sonst niemand gesehen hat (außer den drei Weisen des Matthäus natürlich).
Zwar kann die Bahn eines Kometen aus heutigen Beobachtungsdaten rückwärts genau berechnet werden, „doch lässt sich die Entwicklung von Helligkeit und Schweif nicht genau voraussagen“ (wikipedia). Sie scheint nämlich von der Sonnen- oder Erdnähe nicht linear abhängig zu sein, wie die von Gwinner beigegebene Tafel (aus Yao et al.) zeigt. Dennoch geht aus dieser Tafel hervor, daß die Begegnung mit der Erde ums Jahr 1733 die Helligkeit 3,2 mag betragen haben sollte, also deutlich innerhalb der auch von den drei Autoren angenommenen nötigen Helligkeitsgrenze. Sie kennen diesen Bericht nicht, denn sie sagen: „Die einzigen Beobachtungen von P/Swift-Tuttle, die vor 1862 bekannt sind, finden sich in chinesischen Geschichtswerken.“ (S. 584)
Inzwischen hat man zum Glück eine Beobachtung von 1737 durch den Jesuiten Ignaz Kegler in China mit dem Kometen S-T in Verbindung gebracht, obgleich das die Bahndaten um vier Jahre verzerren würde und deshalb auch nur selten erwähnt wird, wo es doch gerade diese Kombination war, die Brian G. Marsden dazu führte, S-T für nach 1990 vorauszusagen; als man ihn dann 1992 endlich fand, ergab sich im Zusammenhang daraus, daß die Bahn des Kometen sehr stabil sei und darum keine Gefahr für die Erde bedeute.
Ältere Sichtbarkeiten dieses Kometen müßten ebenfalls bemerkt worden sein, denn 1475 hätte er die Helligkeit 4,5 mag gehabt, und damals gab es auch bei uns schon eifrige Astronomen wie Peurbach und Regiomontanus. Aber selbst die sehr hellen Auftritte des S-T in den von den Autoren errechneten AD-Jahren 1088 (3,8 mag) und 701 (3,5 mag) hat niemand auf der Welt bemerkt. Erst die Sichtungen im Jahr 188 AD (sehr hell mit 0,2 mag) und 72 v.Ztr. (3,2 mag) sind dann in der chinesischen Chronik vermerkt, allerdings: Die Daten stimmen nicht ganz überein, denn am 28. Juli, dem vom chinesischen Bericht übermittelten Tag, müßte der Komet schon weiter gewandert sein als angegeben. Die drei Autoren kommentieren: „Der Bericht scheint retrospektiv dargestellt zu sein. … Vielleicht wurden ursprüngliche, detaillierte Berichte von späteren Schreibern zusammengefaßt.“ (S. 585). Na, dann … Schade, wenn eine Chronik nicht ganz stimmt, wo doch ihre Gleichsetzung mit den christlichen (oder vorchristlichen) Daten gerade auf solchen Übereinstimmungen aufbaut.
Bei der Wiederkehr von S-T im Jahr 1992 verkündete Gary Kronk (Troy, Illinois, USA), daß die Nennungen durch Chinesen für –68 und +188 gute Kandidaten für S-T wären. Unabhängige Berechnungen von Marsden und G. Waddington (Oxford Univ.) bestätigten diese Verknüpfungen. Außerdem kam dabei heraus, daß es keine günstigen Erscheinungen von S-T zwischen 188 AD und 1737 gegeben habe.
Eine leichte Verzerrung der mit 129 Jahren angenommen Umlaufzeit zu 128 Jahren muß für die chinesischen Hinweise in Kauf genommen werden (auf 1 Jahr kommt es nicht an, s.o.).
Wir wissen jedoch, daß Kometen eher kurzlebige Objekte sind. Sie vergasen ihre Kraft in Sonnennähe bei jedem Umlauf und sind daher recht junge Irrlichter, manche kommen nur ein einziges Mal in Erdnähe; deren Berechnung über 3120 Jahre, wie es die drei Autoren tun, ist demnach auch für solche Fachleute nur ein hypothetisches Rechenspiel. Denn wenn der Komet durch Planeten abgelenkt wird, ändert sich seine Bahn und Umlaufzeit.
Aber nun kommt ja erst der Knalleffekt des ganzen Artikels: Dieser Komet S-T ist der wiedergekehrte Julius Caesar, oder genauer: das Zeichen im Himmel dafür, daß der göttliche Diktator auch tatsächlich unter die Götter eingereiht wurde. Kometen sollen Unglücksboten sein? Für die Römer wäre es „zum ersten Mal“ ein Glückszeichen gewesen, wendet Gwinner ein (S. 586). Da aber der Komet, der S-T sein soll, zu einem anderen Zeitpunkt erscheint, als die Kette der mit dem Faktor 129 rückberechneten Wiederkehren zulassen, und da er mit dem hellen Erscheinen, das die Chinesen für 188 AD vermerkt hatten, zusammenfallen soll, ergibt sich gegenüber dem bekannten Todesdatum Caesars, 44 v.Chr., eine Verschiebung von 232 Jahren, wobei er sich auf „die sozialwissenschaftlich-historische wie auch in naturwissenschaftlich-astronomischer Hinsicht“ „umfangreiche und sicherlich alles umfassende Studie“ von John Ramsey und Lewis Licht (Univ. Illinois 1996) stützt: Wenn es für Caesar keinen rückberechneten Kometen gibt, ein anderer 232 Jahre später aber diesen Zweck erfüllt, dann ist die Geschichte um diesen Betrag gestreckt worden, schließt Gwinner. Auch wenn, wie er aus den Fachleuten zitiert, so ein auffälliger Komet, der selbst am hellichten Tag zu sehen ist, etwa zweimal im Jahrhundert vorkommt. Es hätten also auch vier oder fünf andere Kometen gemeint sein können.
Außer den beiden genannten Büchern (Yao et al., Ramsey u. Licht) wird noch eine dritte Grundlage angegeben: die Webseite cybis-se, auf der zwei schwedische Autoren, Petra Ossowski Larsson und Lars-Åke Larsson, angeregt von Heribert Illig, zwei Fehler in der Chronologie des 1. Jt. n.Chr. gefunden haben und vorstellen: einmal über die Baumringauszählung – die Geschichte ist 218 Jahre zu lang – und außerdem über astronomische Beobachtungen – die Geschichte ist 232 Jahre zu lang. Der Unterschied von 14 Jahren wird ebenfalls erklärt, aber es würde hier zu weit führen, auf diese Logik einzugehen. Da die Autoren damit ebenfalls Illig falsifizieren, ist es schon genug, wenn ich mich exemplarisch mit Gwinner weiter beschäftige, auch wenn er gleich zu Anfang (S. 581) sagt, daß er den Hinweis der schwedischen Firma Cybis verdanke, wiederholt am Ende des 2. Aufsatzes als Danksagung (S. 599).
Schauen wir uns nun den zweiten Artikel von Gwinner an, der noch stärkere Beweismittel für den zu streichenden Zeitabstand von 232 Jahren vorbringt:
„Die SoFi’s von Plinius dem Älteren“. (Er meint die Sonnenfinsternisse von Plinius d.Ä.). Er zitiert dafür in Englisch aus der Naturgeschichte II,72 und übersetzt es selbst ins Deutsche. Demnach habe sich am 30. April eines gewissen Konsuljahres, das unserem Jahr 59 AD gleichgesetzt wird, um 13-14 Uhr in Campanien eine Sofi ereignet, die in Armenien zwischen 16 und 17 Uhr gesehen wurde. Der Zeitabstand von 3 Stunden wäre für den geographischen Abstand arg zu groß, denke ich (die Hälfte würde reichen), aber das ist wieder einmal der „Ungenauigkeit der Überlieferung“ geschuldet (S. 591). Gwinner zählt nun 232 Jahre weiter und findet eine Sofi am 15. Mai 291 AD. Diese müßte die gesuchte sein, auch wenn sie 15 Tage später stattfand.
Die beigegebenen Schaubilder (wohl nach NASA) legen nahe, daß statt dem römischen Armenien ein nordöstlicherer Beobachtungspunkt gewählt wurde, wohl Jeriwan in der heutigen Republik Armenien. Aber das ist weniger schlimm, die 15 Tage machen dagegen einen halben Monat und damit genau den Mondwechsel von Voll- bis Neumond aus. Sollte die „Überlieferung“ das auch noch vermurkst haben?
Bleibt noch das Zusammentreffen von Sofi und Mofi im Abstand von 15 Tagen im Jahr 71 AD, ebenfalls nach Plinius (Hist. nat. II,10). Traditionell hätte sie am 4. und 20. März stattgefunden. Daß der Abstand 16 Tage beträgt, scheint Gwinner unpassend, dürfte aber mit unserem Datumswechsel an Mitternacht zu erklären sein. Und daß die Mofi nur partiell war (30%), paßt nicht zur Beschreibung des Plinius, meint Gwinner. Er sucht darum nach einer besseren Entsprechung und findet eine Sofi von 85% am 27. September 303 mit einer 15 Tage zuvor erfolgten totalen Mofi. Der Abstand zwischen den beiden Vorschlägen, von denen der zweite offensichtlich besser ist, beträgt wieder 232 Jahre.
Wir sind verblüfft! Es soll weiter in dieser Richtung untersucht werden, wünscht Gwinner.
Schließlich kommt der Hausherr mit seiner Gegenrede:
Kometen müssen weder periodisch noch fahrplanmäßig sein. Die chronologischen Verknüpfungen von chinesischen Annalen und AD-Zählung sind nicht zweifelsfrei. Zirkelschlüsse dieser Art hat schon Robert Newton (1985) nachgewiesen.
Die beigegebene Schautafel von Robert Newton (1974) zeigt ein Abknicken der Erdbeschleunigungs-Kurve kurz nach 500 AD und eine Rückkehr zum vorherigen Anstiegswinkel gegen 1250 AD. Schneidet man die rund 7 Jahrhunderte weg, wird die Kurve eine normale Gerade. So etwa argumentiert Adalbert Feltz, den Illig zitiert, allerdings sind es bei ihm nur die Illigschen 300 Jahre, die wegzuschneiden wären. Das Schaubild ist aber deutlich: Es müßten mindestens 700 Jahre zuviel sein.
Au je – nun wird Archäoastronom Schlosser mit Gregor von Tours zitiert. Hatte nicht gerade Zsolt Németh in Heft 1-2014 der ZS gezeigt, daß dieser erdachte Bischof „beabsichtigt falsche Daten“ enthält und „beabsichtigte Irreführung“ vorliegt? (siehe meine Rezension)
Illig führt dagegen an: Es gibt auch mal im Abstand von 297 Jahren eine Sofi, die besser zu einer von Gregor beschriebenen Sofi passen würde, nämlich die vom 20. Oktober 887 AD. Spiegelfechterei in Fantasia.
Nach dem Geplänkel um den Ort der Schlacht im Teutoburger Wald, das außer für die Tourismus-Branche wohl kein brennendes Thema mehr ist, und der Britannien-Reise sowie der Untersuchung der Baukunst Armeniens, für die die unklare Chronologie als Hauptverursacher der Probleme längst erkannt wurde, folgt wieder ein aufregender Beitrag im alten Sinne dieser Heftreihe. Mit einer Widmung an den großartigen Mitarbeiter Hans-Ulrich Niemitz, der noch recht jung 2010 starb, beginnt Illig seine Aufarbeitung des Fälschungen-Kongresses der MGH, der vor fast 30 Jahren in München stattfand. Was lange schwelt wird endlich Glut, könnte ich dazu sagen. Und einiges mehr, denn es ist eine Heidenarbeit, die 4000 Seiten der 150 Beiträge durchzuackern und die schmackhaftesten Garnelen herauszufischen. Und dasselbe mache ich nun mit den 29 Seiten Illigs und dampfe sie auf eine Seite ein, was dem Thema nicht gerecht wird, aber aus Gründen der Methodik eines Rezensenten sein muß.
Das Hauptanstößige vorweg: Wilhelm Kammeier, um dessen revolutionäre Schriften es auf dem Kongreß 1986 (drei Jahrzehnte nach dessen Tod) in München ging, der damals aber nur am Rande und abfällig genannt wurde, fällt hier nun kein Wort. Illig geht es ja nur um die „Resultate des einschlägigen Kongresses“ (Untertitel). Mag sein, er zitiert aber doch auch andere – und sogar irrelevante – Autoren wie den zuständigen Spiegel-Berichterstatter oder den durchaus kompetenten Karlheinz Deschner (1994) oder „aktuelle Wikipedia-Formulierung(en)“ (S. 657), die keineswegs aufklärend wirken, sondern den Unsinn fortsetzen.
Nun die Stelle, an der ich die Erwähnung von Kammeier, der ja seit Niemitz‘ Zeiten in der Chronologiedebatte zur Meßlatte gehört, am meisten vermißte (S. 658): „Kein Fälscher lieferte sich mit ‚naiver Frechheit‘ der Entdeckung aus“, sagt Illig, die Erklärung muß anders lauten. „Nur wenn im 11./12. Jh. eine zurückliegende Pseudo-Zeit mit Pseudo-Dokumenten über eine Pseudo-Synode ausgestattet wurde, gab es auch keinen noch lebenden Teilnehmer der Synode, der protestieren hätte können.“ Das war ja gerade einer der großen Durchbrüche Kammeiers: Nur wenn von diesen Zeitläufen gar nichts bekannt war, konnten beliebig und ungestraft Dokumente dafür hergestellt werden. Ganz hat es Illig wohl nicht begriffen, er bezieht es nur auf seine These der 297 erfundenen Jahre, „die allerdings 1986 noch gar nicht existierte“.
Das letztere ist richtig, aber warum Kammeier hier unterschlagen wird, wo doch die Rezension seiner Bücher zu den ersten Schritten in jenen denkwürdigen Jahren gehörte, als die Phatomzeit entworfen wurde? Auch Niemitz fehlt im Literaturverzeichnis. Hier als Nachtrag:
Niemitz, Hans-Ulrich (1991): »Kammeier, kritisch gewürdigt« in: VFG 3-4/91, S.92 f (Gräfelfing)
Nach dieser leider nötigen Rüge nun weiter zu Illigs Besprechung des Kongresses. Er zitiert einen dieser Vorträge (hier Wilfried Hartmann aus Band II), aus dem hervorgeht, daß die Fachleute nur in der Moral der Fälscher herumstochern, ohne zu begreifen, daß sie im Schaumbad sitzen. „Würden die Historiker diesen Gedanken verstehen, brauchten sie nicht 700 bis 1.000 Jahre später kirchlichen Institutionen noch Persilscheine auszustellen.“ Mal abgesehen von dem reichlich befleckten Wort Persilschein ist klar gesagt: Die Fälscher werden noch heute entschuldigt, obgleich unsere Universitäten doch laifiziert sein sollten. Das macht Illig im weiteren mit Einzelheiten wie Besprechung der pia fraus („frommer Betrug“) und ihrer Abwandlungen bewußt. Womit er vom eigentlichen Thema abgleitet, wenn auch amüsant zu lesen, wenn er z.B. H. M. Schaller (aus Bd. V) zitiert: „Auch wenn die erfundenen Briefe die Tatsachen nicht immer richtig darstellen, so werfen sie doch ein bezeichnendes Licht auf die Kenntnisse und Meinungen, die gebildete Zeitgenossen von den Geschehnissen hatten.“ Herrlich, die Tatsachen, die es nicht gab und die gebildeten Zeitgenossen, die ebenso erfunden sind. Oder meint Schaller seine eigenen Zeitgenossen? Das wohl nicht.
Bleibt die Neugier auf die Ansichten der gebildeten Zeitgenossen. „Damit ist dem Verwundern über das Fälschungsunwesen ein Ende gesetzt, obwohl oder weil sich Hunderte von Fachleuten darüber beraten haben“ (Illig S. 665). Damit trifft er den Kern des ganzen Unwesens.
„In den Chroniken finden sich auch astronomische Ereignisse. Hier wird doch offenbar Gleichgültigkeit gegenüber der richtigen Chronologie erkennbar.“ Das schreibt nicht Illig sondern zitiert es nur nach F.-J. Schmale (Bd. I) und kommentiert es so: „dem Fälscher wird damit bescheinigt, dass er keineswegs eine besonders raffinierte Fälschung produzieren wollte, obwohl er sogar die Astronomie bemühte.“ (S. 668). Fälschen wird damit zum zwingenden Füllen von Leerstellen, sagt Illig, sehr richtig. Er hätte hier noch anfügen können, daß Chronologie in allen diesen Dokumenten nur Glückssache ist, denn die Fachleute sprechen von manipulierten oder gefälschten Datumszeilen (S. 677) und Unterschriften. Nur diese beiden Teile sind nämlich kontrollierbar und daran fallen die Fälschungen auf. Alles andere ist romanhaft und eh nicht nachprüfbar. Auch hier erwarte ich, daß denkende Menschen wie die Fachleute der MGH auf den Trichter kommen müßten, daß eben diese Einzelheiten, Astronomie und Chronologie, nicht ungestraft erfunden werden können.
Soweit mein kurzer Hinweis, daß dieser Artikel von Illig das Lesen für alle jene lohnt, die sich seinerzeit nicht mit Kammeier und Niemitz beschäftigt haben.
Damit ende ich diese kurze Rezension; die restlichen Seiten, teilweise nicht ohne Reiz, bespreche ich aus Platzmangel nicht mehr. Das Register am Schluß, wie in jedem 3. Heft eines Jahrgangs, ist hilfreich und dankenswert.