Der fatale Ruck

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Buch von Uwe Topper (2016):
Das Jahrkreuz, Sprünge im Verlauf der Zeit –
Teil 5, Der fatale Ruck,
Abschnitt: Erschütterungen der Erde (S. 276-288)
Einen weiteren Ausschnitt, “Das große Vergessen” finden Sie hier.

Erschütterungen der Erde

Ein Körper von vollkommener Kugelgestalt im Weltraum wäre hinsichtlich seiner Eigenrotation instabil. Jeder noch so kleine Stoß könnte diese ändern. Zum Glück sind unsere Planeten und Monde alle unwuchtig. Selbst der Gasriese Jupiter hat das kürzlich bewiesen: Die Trümmerstücke des Kometen Shoemaker-Levy konnten seine Drehung nicht merklich beeinflussen. Auch rotierendes Gas kennt Schichtungen und ist damit stabil. Mehr noch ein fester Körper wie unsere Erde: Ihr Schwerpunkt liegt nicht im idealen Mittelpunkt, die Unwucht ist beträchtlich. Die Erde ist platt an den Polen und wulstig am Äquator. Hinzu kommt die Halterung von außen durch unseren Mond. Ein Meteorit oder ‚Bolide’, selbst von der Größe dessen, der in Arizona eingeschlagen sein soll, kann die Erde nicht ins Taumeln bringen. Dazu gehören andere Kräfte, Stöße, die wie Schockwellen das Sonnensystem durchlaufen. Diese finden an einer unwuchtigen Kugel Angriffspunkte, sie werden sie kurzfristig bewegen und dann weiterrollen lassen. Das ist, modellhaft gesagt, ein “Sprung”.
Da die Erde durch ihre Unrundheit eine Angriffsmöglichkeit für die Präzessionskräfte abgibt, wird ein ungewöhnlicher Stoß nicht nur eine Änderung der Präzession sondern auch eine Verformung des Geoiden bewirken. In Auswirkung des Schocks verschiebt sich die Kruste. Wie läßt sich das durch einen anderen Meßpunkt (also nicht präzessionaler Art) nachweisen? Ich denke, daß dabei Änderungen der Meeresströmungen, Eiskappenverlagerungen und Hebung oder Senkung ganzer Kontinentalsockel vorgekommen sein müssen. Im Prinzip ist der Gedanke nicht ungewöhnlich, nur die These, daß der Stoß in historischer Zeit geschah, kommt für manchen überraschend. Wenn Zerstörungen der Erdoberfläche fast weltweit zum selben Zeitpunkt stattfinden, dann ist die Annahme einer kosmisch ausgelösten Katastrophe berechtigt.
Ein derartiger ‚Ruck’ hat unvorstellbar starke Verwüstungen in einigen Teilen der Erde ausgelöst, wobei sich Küsten veränderten, Inseln aufstiegen oder verschwanden, Bergketten auffalteten oder einstürzten, große Gebiete kurzfristig überschwemmt und damit ganze Zivilisationen vernichtet wurden. Die geschichtlich erfaßbaren Zeugnisse und die archäologischen Ausgrabungen ergeben ein völlig anderes Bild als das einer fortwährend stabil gedachten Umwelt. Die Zerstörungen und Einschnitte in der Entwicklung der Zivilisation sind überall sichtbar. Ein Ausklammern dieser Vorgänge aus dem Weltbild ist irreführend und verantwortungslos.
Bei den Auswirkungen globaler Umstürze denke ich zuerst an die Hebung und Senkung der Küstenlinien. Daß es sich hierbei nicht um einen stetigen Vorgang handelt, sondern um plötzliche und einschneidende Ereignisse, kann an zahlreichen Zeugnissen – sowohl im Landschaftsbild als auch überlieferungsmäßig – erkannt werden. Tief im Inland werden ehemalige Küstenlinien wie scharf eingeschnittene Striche an Bergkanten sichtbar, drei oder vier Linien in regelmäßigen Abständen übereinander. Sie können sich nur dann so scharf eingekerbt haben, daß sie noch heute deutlich hervortreten, wenn das Wasser an der plötzlich gehobenen und danach für eine gewisse Zeit stetigen Bergkante genagt hat. Zu einer Küstenlinie gehört ein ruhiger Zeitraum, während die übereinander liegenden Küstenlinien auf verschiedene Hebungen hinweisen. Die an vielen Gebirgsrändern eingekerbten alten Wasserlinien, häufig in dreifacher Stufung, sind verbunden mit menschlichen Besiedlungszeugnissen. Eine weiträumige Untersuchung der drei Küstenlinien im Inland der Iberischen Halbinsel, die ich zwischen 1969 und 1975 durchführte, hat mich zu der Erkenntnis gebracht, die jederzeit an zahlreichen Orten auf der ganzen Welt nachvollzogen werden kann (Topper 1977; für den Hohen Atlas: 1994 und 1996): Es haben mindestens drei ruckartige Landhebungen stattgefunden, alle in der Zeit, da Menschen dort siedelten.
Dazu kommt, was ich in einigen Hochgebirgen immer wieder gesehen habe: Die Flußtäler sind viel zu breit, als daß ein kleines Flüßchen wie das heutige ein solches Tal ausgewaschen haben könnte. Es beginnt ja auch nur wenige Kilometer oberhalb und trägt Geröll mit sich, das das breite Flußbett füllt, statt es auszuwaschen. Die Breite des Tales kann nicht durch den Wasserfluß ausgehoben, sie muß durch eine Verbreiterung des Talgrundes erfolgt sein. Ein Riß in der Erdoberfläche hat das Flußtal entstehen lassen, was man schon daran erkennen kann, daß die beiden Uferkanten, die oft recht weit auseinanderliegen, genau zusammenpassen. Sie sind scharfkantig und fast senkrecht, jedenfalls nicht von Wassern ausgespült. Und noch etwas sieht man häufig, zum Beispiel im Hohen Atlas in Nordwestafrika: Hoch in der Felskante läuft ein Verkehrsweg und verbindet alte Höhlenwohnungen in schwindelnder Höhe. Heute kann man ihn nicht mehr benützen, er wäre auch sinnlos, wo man so bequem im breiten Talgrund zu den Dörfern reisen kann. Aber warum wurden der alte Weg und die Wohnungen dort oben angelegt? Das fragte ich einen alten Mann, der im Volk hohes Ansehen genießt aufgrund seines Wissens und seiner Wahrhaftigkeitsliebe. Er antwortete: “Damals lebten die Menschen dort oben, damals war der Talgrund dort.” Das Gebirge hat sich wohl gehoben und der Fluß ist in den Spalt gesunken, wo wir jetzt gehen. “Und wann war das?” fragte ich ihn weiter. “Das wissen wir nicht genau, wir sind erst vor vierhundert Jahren in dieses Tal gezogen, von der Sahara herauf, als es dort zu trocken wurde. Die früheren Bewohner hier waren schon tot. Wir wissen nur noch wenig von ihnen. Dort oben am Steilhang steht einer ihrer heiligen Bäume.” Es ist ein uralter Wacholderbaum.
Eine mögliche Beschreibung für die so großräumigen Vorgänge ist das ‚Zerreißen’ des Landes. Die Folgen sieht man heute noch von großer Bergeshöhe oder vom Flugzeug aus: Wie ein geborstener Brotteig, der im Ofen röstete, oder wie eine getrocknete Lehmschicht, die in der Sonne briet, sehen diese Risse aus. Die Talwände passen haargenau ineinander, wenn man sie zusammenschiebt, sowohl die Zacken als auch die Schichten. Wo wären auch Zacken stehen geblieben, wenn ein Fluß jahrtausendelang hier gespült oder ein Gletscher geschliffen hätte? Sie sind Zeugen eines Augenblicksereignisses, und dieses liegt noch nicht lange zurück.
Es hat den Anschein, als wären die Zwischenräume zwischen den Erdschollen ruckweise größer geworden. Seit längerer Zeit wird auch akademisch immer wieder die These von der Ausdehnung der Erdkugel vertreten; in Berlin hatte Ott Hilgenberg (1933 und 1974) überzeugende Argumente vorgebracht, später unterstützt durch Pascual Jordan und andere Physiker. Die Ausdehnung der Erdoberfläche kann aber nicht allmählich vor sich gegangen sein, wie die genannten Autoren vorgeben. Der Eindruck langzeitlicher Gleichförmigkeit entsteht irrigerweise, wenn man große geologische Zeiträume überblickt. Ich sehe für den einzelnen Vorgang ein plötzliches Zerbrechen der Erdkruste vor mir. Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich viele Eigenheiten der katastrophalen Veränderungen der Landschaft erklären.
Die Erdkruste ist dünn und nur bis zu einem bestimmten Grad dehnbar. Durch eine gewaltige äußere Einwirkung, die mit Gluthitze einhergeht, kann an Stellen, wo die Ausdehnungsgrenze erreicht wurde, die Haut wie eine Brotkruste plötzlich zerreißen und von hervorquellendem Wasser oder vom Weltmeer überspült werden. Es ergibt sich das typische Bild der zerrissenen Küste, wie es etwa Irland bietet, oder das der hohen Gebirgstäler, die nicht durch Verwitterung oder Gletscherschliff entstanden sein können. Für eine durch fortwährende Ausdehnung unter Spannung stehende Erdkruste reicht ein kurzfristiger Stoß, um ungeheuere Veränderungen auszulösen, die als “Katastrophenhorizont” in den Ausgrabungen frühgeschichtlicher Städte immer wieder auftauchen. Meterhohe Schichten von Schutt und fundleeren Erdmassen liegen zwischen zwei Bauphasen derselben Stadt.
Die wenigen und ungenauen Überlieferungen, die uns von den Katastrophen selbst erreicht haben, lassen kein anschauliches Bild des geophysikalischen Vorgangs zeichnen, den die Erde dabei durchmacht. Die Überlebenden sind keine Augenzeugen des Hauptgeschehens, sondern stammen aus Gegenden, die weniger verwüstet wurden. Über die Wanderungen großer Menschengruppen in neue Wohngebiete ist im 16. Jahrhundert sehr viel geschrieben worden, wenn auch widersprüchlich. Die Tatsache selbst wurde nicht in Frage gestellt. Für die großen Wanderbewegungen und die vielen wüst gefallenen Ortschaften, die im 15./16. Jahrhundert noch bekannt waren und gezielt neu besiedelt werden mußten, können weiträumige Zerstörungen als Ursache gelten.
Grundsätzlich habe ich den Präzessionssprung so beschrieben, als würde die gesamte Erde als Globus in ihrer Stellung zum Himmelspol verschoben werden. Vermutet wurde auch, daß nur die Erdkruste, die wie eine Milchhaut auf der schwereren Tiefenschicht der Erde schwimmt, bei einem Stoß in Drehrichtung verrutscht, was ebenfalls schreckliche Folgen haben müßte und eine Änderung des Sternhimmelanblicks bewirken würde. Wenn sich dabei die Unwucht der Erde verlagert, könnte das eine Änderung der tropischen Jahreslänge um ein geringes Maß bewirken (siehe Blöss 1995b). Ich möchte diese Modellvorstellung nicht einbeziehen.

Auf der Mittelmeerinsel Malta sah ich die “Dunkle Höhle” (Ghar Dalam), die 1865 von dem Genueser Forscher Arturo Issel entdeckt und von 1912 bis 1917 von Giuseppe Despott ausgegraben wurde. Sie enthält eine unfaßbare Menge an Knochen von vielen Säugetieren, versteinert zu einer Gesteinsmischung, Breccia genannt, die uns die Zeugnisse der damaligen Tierwelt getreu aufbewahrt hat. Man fand zwei Arten von Zwergelefanten, zwei verschieden große Typen von Zwergflußpferden mit deren zahlreichen Eckzähnen, sodann Braunbär, Wolf, Fuchs und Hirsch und andere Säuger, alles hereingespült in einem kurzen Moment. Wann dieser Moment des Todes war, wissen wir nicht; daß die Breccia eine plötzliche Flut bezeugt, ist sicher.
An den Tropfsteinsäulen in solchen Höhlen ist auch immer wieder ablesbar, daß sich abwechselnde Phasen stärkerer und schwächerer Feuchtigkeit nacheinander abspielten, nicht als allmähliche Verdickungen und Verdünnungen der Säulen festgehalten, sondern als scharfe Einschnitte, häufig drei hintereinander. Ich schloß daraus, daß längere gleichmäßige Klimaphasen von kurzen Unterbrechungen abgelöst wurden.
Velikovsky berichtet in seinem Buch “Erde im Aufruhr” (Kap. 5: Flutwelle) von vielen solchen Knochenbergen überall auf der Welt, wie ich sie in der Höhle auf Malta sah. Er hebt immer wieder den “frischen Zustand” (S. 67, 72, 75 u.ö.) hervor, den die Forscher beschreiben. Es wurden auch Knochen von “noch lebenden Rassen” gefunden (S. 68), neben denen ausgestorbener Tierarten wie Mammut, Nashorn, Panther … auch ein menschlicher Backenzahn, ein bearbeiteter Feuerstein und dazu neolithische Töpferware (S. 69 f).
Die Tiere – am besten ist es an den Muscheln in der maltesischen Höhle ablesbar – starben keines natürlichen Todes, wurden auch nicht von Raubtieren zerfleischt, sondern starben ganz plötzlich; einige Säugetiere verendeten auf der Flucht. Erkennbar wurden die Knochenberge durch Flutwellen zusammengespült, an sehr verschiedenen Orten rund ums Mittelmeer und in Europa.
Während der mittelmeerischen Bronzezeit wurden Städte in Kreta, Kleinasien und im Kaukasus, Iran, Zypern und Ägypten mehrfach durch Katastrophen heimgesucht. Manche wurden für immer zerstört, niemehr wieder besiedelt. Gerade dort bietet sich ein eindrucksvolles Bild der Katastrophe. Dagegen sind in den wieder aufgebauten Städten Ausgrabungen kaum möglich, man würde auch wenig finden, was Aufschluß über die Vorgänge bei der Zerstörung geben könnte.
Anders bei den Versteinerungen von Tieren und Bäumen. Sie zeigen uns ja das Ereignis selbst. Mit etwas Einfühlungsvermögen – oder sagen wir ruhig Fantasie – können wir einige Versteinerungen als Augenblicksaufnahme einer Katastrophe sehen. Weltweit gibt es versteinerte Saurierfußspuren, oft in langer Reihe oder zu mehreren nebeneinander wie Momentbilder.
Begeben wir uns auf einen Sprung zu den berühmten Saurierspuren von Rioja im Ebrogebiet in Spanien

Die Eindrücke der dreizehigen Füße dieser enorm großen Tiere sind streckenweise sehr scharfkantig erhalten. Theropodos war ein 17 m langer Pflanzenfresser mit runden Stapfen; die Fleischfresser waren kleiner mit scharfen, vogelähnlichen Krallen. Die ersten gingen auf allen Vieren wie Echsen, die zweiten waren Zweifüßler wie Vögel. Man sieht Geläufe von 5 bis 12 Fußabdrücken, auch mehrere nebeneinander wie von Paaren oder gar einer Familie, das Jungtier zwischen den beiden Alten wie zum Schutz in die Mitte genommen. An der aufgewölbten Gesteinsform am hinteren Ende einiger Eindrücke liest man ab, daß die Tiere eilig liefen. Flohen sie vor etwas? Die Tiere rannten nicht alle in dieselbe Richtung. In Valdecevillo werden sechs breitlappige Vegetarier-Tritte rechtwinklig von fünf spitzkantigen Stapfen eines Fleischfressers gekreuzt. Soweit ersichtlich fand hier weder Angriff noch gemeinsame Flucht statt. Alles ist regellos, ungeordnet, panikartig. Zahlreiche Spuren beginnen unvermittelt unter der dünnen Erdauflage und gehen wenige Meter über freie Felsfläche, dann brechen sie plötzlich ab an einem Steilabsturz oder Bach. Vermutlich hat ein Erdrutsch oder Erdbeben die Oberfläche zerrissen. Der Schlamm, durch den die Tiere wateten, muß unmittelbar nach ihrem Durchgang erstarrt sein, wie gebrannt, sonst hätten sich die Spuren nicht erhalten können. Kalkschlamm fließt ja und gleicht sich aus, anders als Lehm.
Auf einigen dieser Flächen sieht man versteinert die vom Wind gepeitschte wässrige Oberfläche, die sich scharfkantig erhalten hat. Wo der Bach über Saurierspuren hinwegfloß, sind diese stark verwaschen. Allzu lange können die freiliegenden Spuren nicht der Witterung ausgesetzt gewesen sein.
Viele Felsstücke sind sehr stark geneigt, in Poyales etwa 50°, und enthalten doch vielzählige Spuren! Die Neigung muß – genau wie die Verwerfung – anschließend entstanden sein. Mir scheint, daß mit diesen Spuren ein einmaliger Vorgang festgehalten ist, ein Drama, das sich in wenigen Stunden abspielte. Nur hier? Oder überall, wo sich solche Spuren finden? Wie zum Beispiel im Wiehengebirge in Deutschland, in der Arrábida in Portugal (beide Felswände sind sehr steil geneigt), im Anti-Atlas in Marokko, ebenso wie in Nordamerika und China. Sind auch die Saurier-Eier und -Kotballen von Argentinien und der Mongolei in dieser Weise versteinert, nämlich in einem kurzen Augenblick? Anders ist kaum erklärbar, wie sich so flüchtige oder zerbrechliche Zeugnisse über längere Zeit an der Oberfläche hätten halten können. Einige Grundzüge für den Versteinerungsvorgang zeichnen sich ab: Der Kalkschlamm, der die Tiere und Pflanzen ausfüllte, muß dünnflüssig gewesen, dann aber in einem Hitzeschock gebrannt worden sein. Es handelt sich stets um lokale Ereignisse, meist bei Lebewesen, die nahe am oder im Wasser lebten, in Lagunen. In heutiger (nachkatastrophischer) Zeit können wir solche Vorgänge nicht beobachten.
Versteinerungen müssen dennoch nicht aus geschichtlicher Zeit stammen sondern können in unvorstellbar lange zurückliegenden Zeiträumen entstanden sein, lautet der Einwand.
Darum werfen wir einen Blick auf die Felsengleise, die ich seit mehr als vier Jahrzehnten erforsche. Immer wieder komme ich einer Erklärung näher, ohne bisher die letzten Rätsel dieser seltsamen Menschheitszeugnisse gelöst zu haben. Sie sind über ganz Europa und Teile von Asien verbreitet, kommen sogar in Amerika vor.

Karte der Verbreitung der Felsengleise

Außer den ingenieursmäßig ausgeführten, manchmal höchst vollendeten Gleisestrecken für sehr große und schwere Karren, die mit genauer Planung und Können in Felsen gehauen wurden, wie ich sie in mehreren frühgeschichtlichen Städten in Spanien fand (beschrieben ab 1977), gibt es auch Fahrgleise, die weniger sauber ausgeführt oder erhalten sind und eher anmuten wie Spuren, die von häufiger Benützung durch Karrenräder mit Eisenfelgen in den Kalkstein eingeprägt sind. Bei einigen sieht man jedoch Eigenheiten, die den Schluß auf einmalige Benützung erzwingen, so als wären sie in den gerade weichen Untergrund gedrückt und dann sofort versteinert.

Zuerst ein Beispiel aus Nordspanien, das ich mit meiner Frau eingehend erkundet hatte (gedruckt 1977). Bei einer erneuten Begehung von Termest (Termancia in Soria) im Sommer 1999 verfolgten wir die Gleise auch diesmal weit in der Landschaft und fanden eine Spur, die sich plötzlich an einer Geländeschwelle siebenfach teilt und oberhalb wieder zusammenführt. Die sieben Gleispaare an der kleinen Geländeschwelle liegen parallel nebeneinander, wobei sich die beiden Hauptrillen der Ebene an der Schwelle plötzlich paarweise verzweigen und direkt danach auf der nächsten Ebene wieder zusammenkommen. Dafür finde ich nur eine Erklärung: Der Kalk war noch butterweich, als die leichten Fahrzeuge darüber hinflitzten. Auf der Ebene gab es kein Problem, man konnte die Spur des Vorherfahrenden benützen; erst an der Schwelle wurde es schwierig, denn die tief eingefahrene Spur des Vorfahrenden hätte das nachfolgende Gefährt gehemmt und es wäre eventuell steckengeblieben. Darum suchte sich der Fahrer eine unbefahrene Stelle daneben. Der nächste Fahrer tat dasselbe, und so entstanden nebeneinander sieben Auffahrten (ich kenne dieses Fahrverhalten von Lastwagenfahrten in Persien). Der Kalkschlamm erstarrte unmittelbar danach und bewahrte die Karrenfurchen.
Ganz nahe bei diesen Gleisen sahen wir zwei rundliche Saurierspuren auf einer ebenen, leicht geneigten Kalkfelsenfläche. Beide Eindrücke von Saurierpfoten liegen wie die Gleise auf der Oberfläche und zeigen starke Verwitterung. Ich vermute, daß sie gleichzeitig mit den Gleisen entstanden sind.

Nun machen wir einen Abstecher nach Syrakus auf Sizilien, wo an den Karrenspuren der Eindruck von einmaliger Benützung und gleichzeitig chaotischem Verhalten noch stärker sichtbar wird.

Es gibt dort planmäßig angelegte Gleise, daneben aber auch unregelmäßige, ja sinnlose Spuren, die älter sein müssen. Im Bereich oberhalb der Theater liegen noch einige dieser Fahrspuren offen zutage, wahllos in die Oberfläche eingedrückt, wie es scheint. Oft werden sie überschnitten von festen Gleisen, die mühevoll hineingearbeitet wurden, mit Hacken und Meißeln. Diese müssen viel jünger sein als die zahlreichen Spuren, die wirr den Kalkstein durchfurchen. Hier wurde uns klar, daß es sich um zwei verschiedene Arten von Gleisen handeln muß: die einen von der Not erzwungen, die anderen sauber geplant. An einer Stelle der wahllos eingedrückten Fahrspuren konnten wir deutlich sehen, wie eine Rille plötzlich schräg ausbiegt und dann abrupt endet, während die andere noch einige Meter geradeaus weiterläuft. Es ist das Zeugnis für einen Radbruch oder Achsenbruch, anders ist das nicht vorstellbar. Das Ereignis ist für alle Zeit fest eingeprägt in den Kalkstein, der im Augenblick des Geschehens schlammweich gewesen sein muß.
Vor der Stadt Syrakus sahen wir noch mehr dieser Momentaufnahmen von Karrenfahrten. In einem Steinbruch liegen unglaublich viele Spuren wirr durcheinander, kreuz und quer, als wären sie bei einem einmaligen Vorgang entstanden; heute sind sie vom Wetter arg mitgenommen. Der Anblick von einer Anhöhe aus zeigt das planlose Erscheinungsbild. Nach dem Erstarren diente der Kalkfelsen als Steinbruch.

Gleise in Syrakus (Sizilien)

Später besichtigte ich Malta mit seinen unzähligen Felsengleisen, von denen viele als einmaliges Zeugnis einer fluchtartigen Fahrt anzusehen sind, andere dagegen Zeichen häufiger Weiterbenützung aufweisen. Wie auch auf Sizilien gibt es hier Gleise, die plötzlich an einer Steilkante in die Luft führen, als wäre die Landschaft nachträglich gewaltsam verändert worden. Felsengleise, die durch Verwerfung unbrauchbar wurden, sah ich auch in Elsaß-Lothringen und auf Zypern. Der Eindruck einer weiträumigen Katastrophe innerhalb der Zeit der Karrenzivilisation – die der Horra zu Beginn der Metallzeit – drängt sich auf.
Einbeziehen könnte man hier eine Betrachtung über die weltweite Verehrung der heiligen Fußstapfen, vom Adam’s Peak der Insel Ceylon, wo Adam oder Buddha seine übergroßen Trittspuren hinterließ, über Mekka und Jerusalem bis nach Istanbul, wo man im Topkapi-Serail sogar zwei völlig verschiedene Fußabdrücke des Propheten Mohammed aufbewahrt, einen in Stein, den anderen in Metall. Sodann ist der mit den Stapfen und Trappen verbundene Fruchtbarkeitszauber in Europa und Nordafrika zu nennen, sichtbar in vielen Zeichnungen von Füßen in Felsen von Skandinavien bis Nubien. Und auch die Darstellung von Fußstapfen Jesu in christlichen Kirchen, die der Erlöser bei seiner Himmelfahrt auf der Felsoberfläche hinterließ, oder die Fußabdrücke der heiligen Cristina in der Wunderblutkirche von Bolsena. Es scheint eine volkstümliche Erinnerung zu bestehen, ins kultische erhoben, gebunden an Zeichen, die von einer Umwälzung, einem außergewöhnlichen Moment sprechen. Die Abdrücke im Fels sind erstarrte Zeichen eines schrecklichen Vorgangs, Momentaufnahmen der Katastrophe.

Fußspuren der heiligen Cristina von Bolsena (Italien)

An alten Landkarten können wir die Veränderungen ablesen: Spree und Havel mündeten um 1500 nicht in die Elbe und damit in die Nordsee, sondern in die Ostsee, “das Pomerisch Mere”, wie auf Karten von Erhard Etzlaub (1500), Georg Erlinger (1515) und Sebastian Münster (1525, abgebildet in Unverhau) ablesbar ist. Diese Karten müssen zutreffen für die Erfahrung jener Zeit, denn daß ein Zeichner nicht gewußt hätte, wo die Flüsse seiner Heimat münden, dürfen wir ihm nicht zumuten.
Die heutige Insel Helgoland, einsamer Fels in der Nordsee, gibt ein weiteres Beispiel. Einst lagen diese Felsen tief im Lande, in geschichtlicher Zeit wurden sie zu Inseln im Nordmeer. Auf einer Karte von Johannes Mejer von 1649 (abgebildet in Zschweigert 1997, Abb. 19) werden drei Stadien der Küsten und Ausdehnung der Insel Helgoland dargestellt


1. sehr groß aber reichlich schematisch “um 800”
2. klein aber schon gewissenhafter “um 1300”
3. winzig in der heutigen Gestalt als Fels (1649).
Der Drucker beruft sich namentlich auf zwei hochangesehene Personen im Staatsdienst in Schleswig-Holstein, Dr. Ehorhardo Weidenkopff und Dr. Eihardo Schachten.
Die Karte könnte auf ältere Zeichnungen zurückgehen, denn es sind darin grobe, aber nicht willkürliche Angaben von Ortsnamen und Gebäuden erhalten. Es werden drei Stadien des Landverlustes in der Nordsee angenommen und diese zeitlich eingeordnet, wobei die Jahreszahlen sich der bekannten Chronologie nähern. Die riesige Flutwelle in der Nordsee um 1350, als “grote Mandränke” (“16. Januar 1362”) bekannt, dürfte den Zustand 2 der Karte abgelöst haben.

Christian Karl Barth bringt (1835, S. 107 f) ähnliche Aussagen aus anderen Quellen: Helgoland hieß früher Fositesland nach einer Gottheit Fos(i)te; die Insel war viel größer und auch bewaldet (nach Adam von Bremen). “Sie war damals einige Meilen groß, und wurde erst durch Meeresstürme in den Jahren 1102 und 1216 zu dem jetzigen Umfang verkleinert” (Barth nennt hier Arnekiel 1691, S. 82, eine durchaus nützliche Quelle). “Clarke hat eine alte Charte von Helgoland gefunden, woraus man die Zerstörung dieser Insel durch das Meer erkennt. Darauf findet sich: templum Fostae mit der Jahreszahl 768.” (Wer der von Barth zitierte Clarke war, habe ich nicht herausgefunden).
Zwar passen die Jahreszahlen nur teilweise zueinander, und es wird auch nicht gesagt, daß die Zerstörung ‚weltweit’ auftrat, doch können wir an diesem vorgeschobenen Eiland in der ehemaligen Elbmündung ansetzen, wenn wir den Katastrophen nachgehen wollen. Das zeitweilige Glockenläuten der versunkenen Stadt Vineta ist berühmt, und Glockenläuten hört man auch von der versunkenen Stadt Torum im Dollart (Röhrig S. 17 u. 73). Die Sage gibt wohl Erinnerung an die verschwundenen Städte wieder, die deutsche Nordküste lag “früher” sehr viel weiter nördlich.
(Abb.V,4: Karte der Nordsee in der frühen Metallzeit)
Auch der Geologe Philippsen (1925) bringt kritische Überlegungen und alte Karten zur Entstehung der Nordfriesischen Inseln, eindrucksvoll dargestellt am Untergang der einst berühmten Hafenstadt Rungholt, “dem Vineta Frieslands”. Die Verwendung alter Chroniken und Sagen ist hilfreich bei der Vermutung über die früheren Küstenverläufe, sagt Philippsen; wenn aber der (oben erwähnte) Kartograph Meyer aus Husum “es wagt, um 1640 eine Karte zu zeichnen, wie es vor 400 Jahren, um 1240 ausgesehen haben soll, so halten wir dies für unmöglich, und man darf solchem Beginnen einen nicht gar hohen Wert beimessen. Immerhin ist diese Karte die älteste aus der Nordseegegend, und wenn man die Gegend kennt, auch die Wirkung der Sturmfluten, so muß man gestehen, daß es gar wohl eine Zeit gegeben haben kann, wo Nordfriesland mit der Zeichnungsweise der alten Karte Ähnlichkeit hatte …” (S. 44) Fraglich bleibt der tatsächliche Zeitpunkt des vermuteten Zustands und die Überlieferungsweise der jeweiligen Karten. Soviel sagt der Fachmann Philippsen klar: Es liegen erdgeschichtliche Änderungen vor, eine Hebung und Senkung der Festlandschollen, die nur mit Kräften im Innern der Erde erklärbar sind (S. 53).
Die Küsten am Atlantik waren neu entstanden, sie mußten im 15. Jahrhundert von wagemutigen Seefahrern erkundet werden, allen voran von Portugiesen. Wenn sich bei ihnen Landkarten oder Beschreibungen aus der Römerzeit erhalten hätten oder es eine direkte Weitergabe der Seefahrtkenntnisse gegeben hätte, wären solche Fahrten früher erfolgt und zielsicherer. Die Lücke wird uns an allen Ecken und Enden bewußt, das “Dunkle Mittelalter” ist ein treffender Begriff, aber die Erklärung fehlt.
Ein weiterer Hinweis: Auffällig und durch Pollenuntersuchungen gut erforscht ist die Bewaldungslücke der sogenannten “Nacheiszeit”. Sie muß auch den später lebenden Menschen bekannt gewesen sein. Die Anlage der geodätischen Festpunkte und der Nachrichtentürme im Flachland erforderte eine weitgehend baumlose Landschaft. Das Vorrücken der heutigen Laubwälder ist an Pollenfunden deutlich ablesbar. Daß die Wälder einst abbrannten durch eine ungeheuere Feuersbrunst, zeigt der vielerorts gefundene Asche-Horizont.
Auf hethitischen Reliefs und altorientalischen Siegeln sowie in Keilschrifttexten ist immer wieder von einer schrecklichen Katastrophe die Rede, wo Berge über die Menschen niederfallen und sie unter sich begraben. Es stürzen auch Berge vom Himmel, brennend und von Schlangen umgeben, die nicht als zuckende Gewitterblitze sondern als ungeheuere Entladungen in der Atmosphäre aufzufassen sind.

Hethitisches Relief Illuyanka

Das Geschehen ist so schrecklich, daß selbst die Götter davonrennen, weil es keine Hilfe dagegen gibt. Das weist auf mehr hin als auf Vulkanausbrüche oder Erdbeben, die ja meist von Göttern selbst – Hephaistos und Poseidon – ausgelöst werden. Bei der Götterflucht muß es sich um ein weltumspannendes Ereignis handeln, das zu diesen unauslöschlichen Erinnerungen führte. “Da wurde eine große feurig brennende Masse, wie ein Berg, auf die Erde geworfen,” steht in der Johannes-Offenbarung (8, 8). Ob sich nur eine Katastrophe in der Menschheitsgeschichte ereignete oder mehrere, vielleicht vier, und wann, und was sich dabei abspielte, ist aus diesen Texten nicht herauszulesen. Sie sind gar zu knapp und oft verunstaltet.

Ein anderer Abschnitt desselben Buches “Das Jahrkreuz”, S. 259-261, findet sich hier: Das grosse Vergessen

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