Das Jahrkreuz. Kommentar von Peter Winzeler
Uwe Topper, Das Jahrkreuz (2016). Betrachtungen eines Grenzgängers gegenwärtiger Chronologierevisionen. Von Dr. Peter Winzeler
Es floss viel Wasser den Rhein hinab, seit Uwe Topper gewisse Änderungen an der Illig-Niemitzschen Phantomzeit anmeldete, die Heribert Illig prägnant ausgearbeitet und für sich beansprucht hat. Ging es doch um den astronomischen Nachweis von rund 300 Phantomjahren des Frühmittelalters, einer erfundenen Füllzeit im herrschenden Zeitbild von Antike – Spätantike und Mittelalter, die keine Fundschichten aufweist (das byzantinische Jahr 614 der Inkarnation Christi sollte nahtlos auf das «Jahr des Herrn» [AD] 911 des christlichen Mittelalters springen). Topper sah schon 1998 alle Geschichte von der Fiktionalität bedroht, die sich vor dem «letzten grossen Ruck» um 1350 zutrug (Egon Friedell, Christoph Marx) und in der Frühneuzeit nur mühsam – unter erheblichem «Zittern» der Drehbewegungen des Alls – habe rekonstruiert werden können. Zuvor hatten bereits andere (auch der Autor) die Verdoppelung eines ganzen Osterzyklus von 532 Jahren (nach Dionysius Exiguus und Beda) angemahnt, die – unter Annahme einer konstanten Präzession der Erdrotation – einen drohenden Kalenderwirrwarr auszuschliessen vermöchte (denn erst nach 532 Jahren stimmen die Umläufe und Kalenderdaten von Sonnenjahren, Monaten und Wochentagen wieder bruchlos überein). Ungeachtet dieser astronomischen Debatte, aber unter Aufweis identisch wiederkehrender Katastrophenschichten (Ende der Antike wie der Spätantike – oder nun auch Ende des Frühmittelalters ?) löschte Gunnar Heinsohn indessen rund 700 Jahre einer bautenmässig ungedeckten Milleniumserwartung der Ottonen aus den Geschichtsbüchern. Vielmehr würden Antike (Altkaiserrom) == Spätantike (Byzanz) == Frühmittelalter (Aachen und Truso der Karolingerzeit) schichtenmässig gleichauf über dem Hellenismus oder dem Latenium der Keltenära liegen, somit – stratigrafisch – in ein- und- derselben Megakatastrophe ihr Ende finden. Dieser auf den ersten Blick monströse Kalendersprung (230ff uZ = AD 930ff) sollte das dunkle Frühmittelalter nicht etwa auslöschen, sondern mit erinnerter und erzählter Geschichtstradition füllen, die bisher haltlos in der Vorzeit des ersten Jahrtausends vagabundierte. Aber diese Zeitverdichtung fand nicht die Zustimmung Illigs, noch die etwa des Dissidenten Hans-Erdman Korth (HEK), der Teile der Heinsohnthese übernahm, aber auf der Konstanz der Präzession und einer bruchlosen Kontinuität der Ekliptik von Ptolemäus bis Kepler beharrte. Anstelle einer einzigen Leerzeit Illigs – wohl auch, um ihre Schwäche auszubügeln – sollten Antike (Rom) == Spätantike (Byzanz) den selben Zeitraum füllen und die Rom-Periode (1-300 uZ) würde sich byzantinisch in AD 300 -600 spiegeln, die Periode 300 -600 uZ in AD 600-900 (usw), sodass dem Frühmittelalter die reale Existenz nicht abgesprochen werden kann (dessen Fundleere wäre nun vielmehr eine unmittelbare Katastrophenfolge, die erst um 900 uZ = AD 1200 in der mittelalterlichen Urbanisierung auslief). Warum erzähle ich das ? Während HEKs Modell einen eigentlichen Kalendersprung für unnötig erachtete, um die Konstanz der Himmelsbeobachtungen zu erweisen (den fortgeschleppten Überhang von 300 Jahren uZ gegenüber der AD-Rechnung hätte immerhin Isaak Newton schon bemerkt und in der alten Welt Babylons korrigiert !), blieb es Ilya und Uwe Topper vorbehalten, einen realen «Kalendersprung» auf der Basis von Präzessionssprüngen zu postulieren und mittels geeigneter Methoden zu verifizieren, die eine akute Störung der Erdrehung implizieren. Parallel laufende Kalenderrechnungen (wie etwa von Ost- und Westrom und des julianischen und gregorianischen Kirchenkalenders) hat es in aller Welt immer schon gegeben (von China bis Arabien oder Mexiko der Azteken), aber dass sie konstant um 300 Sonnenjahre (Newtons) differieren würden – diesen Beweis musste HEK schuldig bleiben. Es ist vielmehr der Wirrwarr vermeintlich unvereinbarer Himmelsdaten – und das rätselhafte Schwanken derselben – das Uwe Topper auf die Fährte seines «Jahrkreuzes» setzte, zumindest in der Hoffnung, Berührungs- oder Schnittpunkte zu finden, die eine plausible Querdatierung ermöglichen könnten. Um diese Bemühung zu gewichten, muss von der Heinsohnthese vorerst Abstand genommen werden, die auf einen früheren Zeitraum sich bezieht, bevor eine Synthese beider Betrachtungsweisen überhaupt in Blick kommen kann.
Über die Ursachen der «Störung» der konstanten Erddrehung schweigt Uwe Topper sich aus – sie kann sowohl extraterrestrisch (durch die erratische Umlaufbahn der Venus [Velikovsky] oder eines Kometen?) wie geologisch-tektonisch gesucht werden (durch Erdplattenverschiebung, Tsunamis oder Vulkanausbrüche usw) oder einen noch unverstandenen Magnetismus des Planetensystems – nicht aber über die faktische Möglichkeit, die Erddrehung vorübergehend zu beschleunigen oder in ihrer Richtung zu ändern (ein Gebiet freilich, das der Rezensent mangels Kompetenz kundigeren Lesern überlässt). Wichtig sind Topper vorallem die dokumentierten Indizien des «Tremors» in den griechischen und arabischen Aufzeichnungen, die auch noch Kepler beschäftigten – eines Zitterns im Weltgebäude der Scholastik, das vielleicht Folge eines Auspendelns von Schwingungen sein könnte (in Mittelalter und Frühneuzeit), die ein Ausscheeren von Himmelskörpern schon in jener «Vorzeit» plausibel machen könnte, in der Heinsohn seine (vom Mainstream verdrängte) Megakatastrophe ansetzt. Bevor wir zu einer solchen goldenen Synthese gelangen – und um Zirkelschlüsse tunlichst zu vermeiden – sollten die Beweislagen zunächst gesondert studiert und evaluiert werden. Der Autor ist der Meinung, dass Uwe Topper – 10 Jahre nach dem mit Sohn Ilya veröffentlichten «Kalendersprung» – einen Meilenstein gesetzt hat, der dieser Nachfrage würdig ist.
Biel (Schweiz), Januar 2017, Peter Winzeler
Gnostischer Grabstein mit Jahrkreuz und Lebensbaum (Hattusas, Türkei)
Abbildung 43a auf S. 79 des Buches.
Besprechung durch Ilya Topper hier
weitere Besprechungen des Buches hier:
durch Reiner Spieker, Kalrsruhe