Gunnar Heinsohns neue These im Gegensatz zu der von Uwe Topper
Im November 2013 stellte Gunnar Heinsohn erstmals seine neue These in Englisch vor: The Creation of the First Milllennium. Seitdem ist die Diskussion heiß entbrannt.
Heinsohn läßt im 1. Jahrtausend unserer Zeitrechnung nur noch 230 Jahre in drei parallelen Gruppen stehen (1-230er Jahre, 290er-520er Jahre sowie 700er-930 Jahre), den ganzen Rest, und das sind insgesamt 700 Jahre, schneidet er weg als unwirklich. Da fragt man sich sofort: Wer sollte denn diese überflüssigen 700 Jahre in den Geschichtsablauf eingefügt haben? Leopold Ranke? Oder Seth Kalwitz? Oder Regino von Prüm? Und warum?
Ein Ringen hat begonnen: Gunnar Heinsohn mit seiner unbestechlichen Wahrheitssuche gegen den oder die mutwilligen Erfinder nie gewesener Jahrhunderte.
Die Erfindung hat einen gut informierten Verteidiger bekommen: Trevor Palmer, der in den letzten vier Nummern der Zeitschrift SIS Chronology and Catastrophism Review, 2015, 3 bis 2016, 1-3 unter der Überschrift „The Writings of the Historians of the Roman and Early Medieval Periods and their Relevance to the Chronology of the First Millennium AD“ den lückenlosen Nachweis führt, daß keine Unterstützung für die Theorie von Heinsohn möglich ist, da der gesamte Zeitraum mit schriftlichen Beweisen aufgefüllt sei. Alle Kaiser von Caesars Zeit bis zu der des Franken Gregor von Tours sind wasserdicht belegt. Anzufügen wäre, daß mit dieser Methode die weiteren Kaiser und Päpste erst recht gerettet sind, denn das Netz der schriftlichen Unterlagen wächst nur immer fester, je näher man der Neuzeit kommt.
Dabei zeichnet sich allerdings ab, daß die von modernen Historikern nicht angezweifelte Abfolge der Kaiser von einem überragenden Geist zeugt. Die Genauigkeit, mit der die Regierungsdaten der Kaiser und ihre sinnvolle Reihenfolge weitergereicht werden, ist genial. Die Jahreszahlen stimmen fast haargenau, Unterschiede in den einzelnen Erzählsträngen betragen mal gerade ein bis drei Jahre, was meist mit den unterschiedlichen Jahresanfängen erklärt werden kann. Es müßte ein Genie von unermeßlicher Kenntnis der gesamten klassischen Literatur gewesen sein, ein Spitzbube oder Demagoge oder Papst, dem noch niemand auf die Schliche kam. Gunnar Heinsohn hat nun zumindest aufgedeckt, daß sich das Gedankengerüst im Erdreich nicht finden läßt, ja, daß es durch die modernen Archäologen angreifbar geworden ist, sogar widerlegt werden kann.
Als Verteidiger von Gunnar Heinsohn könnte man Uwe Topper anführen, der seit längerem zwischen Cäsar und Trithemius (um 1500) sieben Jahrhunderte streicht, wenn auch mit einer völlig anderen Methode, nämlich mit Kalender und Sternbeobachtungen, wobei er den Kaisern von Augustus bis Karl IV keine Luft mehr gönnt. Sie gehören fortan zum Roman der Historiker, was nicht eo ipso bedeutet, daß alles, was von ihnen berichtet wird, erfunden sei. Es geht um die Jahreszahlen, die sind ausgedacht.
Heinsohns Methode ist von Toppers verschieden. Heinsohn will einzelne Pakete der akademischen Zeittafel erhalten und andere wegen mangelnder Fundschichten ausscheiden. Darin liegt ein Problem: die Jahres-Pakete stammen aus den Schriften der neuzeitlichen Historiker, die Fundschichten dagegen sind archäologisch (= naturwissenschaftlich) erarbeitet. Es fehlt die logische Verbindung zwischen beiden Arbeitsmethoden. Topper fordert immer wieder, daß die Archäologen endlich ihre eigene Geschichtsstruktur entwickeln mögen, vor allem eine nur auf ihre Funde gegründete Zeittafel. Eine Orientierung an literarischen Vorgaben (wie bisher üblich) ist unwissenschaftlich. Da der traditionelle Zeitstrahl von der Renaissance an rückwärts ziemlich willkürlich hergestellt wurde, ist es ebenso willkürlich, Teile davon anzuerkennen oder abzulehnen.
Hier noch einmal Toppers These kurzgefaßt: Der Zeitraum zwischen dem Letzten Großen Ruck (vor 650 Jahren) und dem Ruck, der davor stattfand („Cäsar“), wird heute historisch mit rund 1400 Jahren beziffert, ist aber nach astronomischen Aufzeichnungen nur halb so lang gewesen, etwa 700 Jahre.
Nachträglich wurden dazwischen sieben Jahrhunderte eingeschoben und das Ganze künstlich mit Historie angefüllt. Den letzten Puffer von etwa 300 Jahren (auf Illigs Idee fußend) schuf man im 16. Jh. rückblickend für „614 – 911“, was punktweise (z.B. Islamentstehung oder Almagestabfassung) an anderen Stellen auf dem künstlichen Zeitstrahl eingeordnet wurde. Häufig wurden auch Jahreszahlen nachträglich um den Wert 1000 versetzt, sowohl in Pergamenten als auch auf Steinen. Beispiel: Ein Kirchengebäude in Nordspanien, das vor 6 – 700 Jahren errichtet wurde, erhielt eine Gründungsurkunde mit der Zahl 325, auch in Stein an der Kirche selbst eingemeißelt. Andere häufige Einschübe betragen 300 bis 600 Jahre (z.B. die persische und die arabische Schriftlücke, siehe Topper 1998, S. 237 ff).
Da Topper als Grundlage nur noch astronomische Hinweise verwendet, ergibt sich ein anderes Bild als das Heinsohnsche. Der Zeitstrahl bis zur Renaissance muß neu erstellt werden, eine Zerstückelung und Neuordnung ist nicht die Lösung.
Toppers These, daß zwischen Cäsar und der Renaissance statt 1500 nur etwa die Hälfte der Jahre echt sind, mindestens 700 Jahre jedoch eingeschoben wurden, ist nun durch mehrere Autoren untermauert worden, nicht nur durch Heinsohn. Allen gemeinsam ist leider, daß sie keine Erklärung gefunden haben, was zu dieser Fehleinschätzung geführt haben könnte und warum sie akzeptiert wurde. Das bleibt weiterhin Toppers persönliche These, großenteils von Christoph Marx ausgelöst.
Siehe auch:
Peter Winzelers Analyse der beiden Theorien
Heinsohns Brief zu Illigs 70. Geburtstag: die Genese seiner neuen Theorie