ZS Zeitensprünge 3 – 2017
Macht sich total unbeliebt, der Topper, wenn er auch diesmal wieder die Zeitensprünge bespricht. Unbeliebt bei dem Hersteller (Illig) und erst recht bei seinen Kritikern, die den Bahnbrecher der Phantomzeitthese ausnahmslos links liegenlassen. Illig habe es nicht verdient, daß man ihn beachtet, heißt es dazu. Topper weiß doch, was ihm blüht, wenn er es nicht lassen kann … Dagegen: Soweit ich die chronologiekritische Szene überblicken kann, ist Illigs Zeitensprünge-Heft immer noch der auffälligste Beweis für das Weiterleben der einst so aufregenden Idee.
Was zur Kritik verpflichtet und auch Ablehnung einzelner Aussagen zuläßt.
Fast am Anfang im neuen Heft gibt es einen 13-seitigen Aufsatz von Heribert Illig über Atlantis. Seine scharfe Zurechtweisung der gedankenlos tönenden Archäologen wie Zangger ist nötig und fundiert. Manche feine Ironie ist eingebaut und macht die Lektüre zum Genuß. Soviel zur Form, nun zum Inhalt.
Da redet Kritias (204) vom Herrscher Atlas, nach dem der ganze Ozean (noch heute) genannt wird, und von seinem Erstgeborenen, der Gadeiros heißt, sicher nicht zufällig genau wie die große Hafenstadt Gadeira am Atlantik (heute: Cádiz) usw. … weshalb Topper seinerzeit nicht anders konnte, als diese Hinweise geographisch auf Cádiz zu beziehen und entsprechende Örtlichkeiten (drei ringförmige Gräben mit Häfen, den Tempel, die Quelle usw.) als Vorbild für Platons Erzählung anzusehen. Die Maße für Kanäle und Brücken wollte Topper nicht ganz ernstnehmen, während Illig gerade hier das “Märchenhafte”, ja gewaltig Übertriebene ankreidet – zu Recht. Oder sollten die Maße aus einer anderen Vorlage falsch übertragen worden sein? Wichtigere Zahlen sind für uns die mehrfache Zeitbestimmung in Platons Bericht, 9000 (auch 8000) Jahre, die allen soviel Kopfzerbrechen bereiten (Topper brachte 2009 einen plausiblen Vorschlag: siehe Auswirkungen der Präzessionssprünge auf die Jahreszählung, Abschnitt 2: Platons Berechnung der 8000 Jahre.). Illig nennt, indem er Atlantis ans Ende der Bronzezeit verlegt, den “sehr zweifelhaft”en Abstand “900 Jahre” – Druckfehler oder einfach eine Null gestrichen, wie er schon für die Längenmaße vorschlug? Mit Velikovsky möchte er an dieser Stelle 600 Jahre Dunkelheit ausfallen lassen – wohl von der Bronzezeit, nicht von Platons Angabe. Hier wird er schwammig.
Und nach “herrschender Lehre” liege Atlantis gar 1200 Jahre vor Platon (sagt Illig S. 349) – da fragt man sich, welche “herrschende Lehre” dergleichen behaupten würde. Vielleicht der Fernsehsender?
Wenn Illig moniert, daß gewisse Namen in der kritisierten Fernsehdarbietung nicht vorkamen, dann muß ich ihm nun selbst entsprechendes vorhalten: Donnelly von 1882 und Muck von 1954 kommen in seinem Artikel vor, aber Spanuth fehlt, und Topper erst recht, wo doch Illig dessen Buch von 1977 in seinem ersten großen Wurf 1988 mehrmals zitierte. Der eigentliche, aufklärende Stoß, der die Atlantisforschung zum guten Ende führte, der Beitrag von Gisela Albrecht in dieser Zeitschrift 1994, die auch Platons Staat und Gesetze in die Beurteilung mit einbezieht, wird zum Glück gebührend zitiert. Im folgenden baue ich darauf auf:
In den beiden Schriftstücken Timaios und Kritias entwirft Platon die Geschichte der geheimnisvollen Insel Atlantis, wobei einige Elemente in dieser „durchaus wahrhaften Geschichte“ (Platon) Glaubwürdigkeit ausstrahlen. Er gibt seinem Bericht die Merkmale echter Überlieferung, nämlich eine Kette der Überlieferer, sodann Anklänge an noch nicht lange vergangene Ereignisse, außerdem die nachvollziehbare Geographie des Mittelmeeres, und anderes mehr. Platon will mit seiner Dichtung eine wahre Geschichte darstellen, um die von ihm vorgebrachten Ideen zum Thema Idealstaat zu unterstützen. So erweist sich Platons Atlantis als ein „Mischmodell“ (Albrecht S. 18) aus Fiktion und historischen Bruchstücken, „Teil eines philosophischen Gedankenspiels in ‚historischem Gewand‘, und die ‚versunkene Insel‘ hält die Erinnerung an eine Naturkatastrophe wach.“ (S. 21) – oder eigentlich an drei Katastrophen. Der Zeitrahmen Platons, 8000 Jahre „vor Solon“, gilt noch heute als Zeitpunkt für das Ende der Eiszeit, denn Geologen des 19. Jahrhunderts hatten diese Zeitgrenze übernommen und klug ‚bewiesen’.
Auf Grund von Albrechts Artikel denke ich, daß die Atlantis-Chronologie Platons völlig unzumutbar ist, denn zusammen mit Atlantis wird ja, wie Albrecht hervorhebt, durch Platon auch ein Ur-Athen entworfen, das damit 11600 Jahre vor heute existiert hätte, was für Archäologen jenseits aller Erörterung liegt. Platon schafft hier „fast neun dunkle Jahrtausende“ (Albrecht S. 9). Solche Zahlenpakete – als Tausender – haben nur Modellcharakter, ein realistisches geschichtliches Zeitmaß war den Griechen unbekannt.
Wie oben gerade erwähnt, hat Topper 2009 einen neuen Vorschlag gemacht: Platon richtete sich bei seiner Zeittafel wohl nach dem bekannten Muster der Präzessionsverschiebung des Frühlingspunktes, und dadurch ergaben sich die unwahrscheinlich hohen Jahreszahlen. Mit dieser Methode arbeiteten alle ersten Chronologen des Abendlandes, Scaliger und Kalwitz und Petavius und auch Isaac Newton. Sie verwendeten das große ‘Platonische Jahr’ (26.0000 Jahre für einen Präzessionsumlauf). (Hierzu ausführlicher im “Jahrkreuz” S. 166 f)
Zum Schluß wird auch Mellaarts fiktiver Schatz erwähnt, wobei erklärt wird, was seit Dora Hamblin (1973) (bzw. Pearson und Connor 1968) alle Interessierten wissen: Diese viele Jahrtausende alten Städte und Schätze von Hacilar, Catal Hüyük oder Dorak gibt es nur in der journalistischen Archäologie, nicht in einer real gedachten Frühzeit (siehe hier mein Artikel von 2002: Fälschungen in Anatolien).
Anmerkung: Illig wies auf Mellaarts Fälschungen schon 1988 hin, wie ich in meiner Besprechung seines go Buches von 1992 hervorhob: >Beachtlich ist Illigs Weitblick bezüglich archäologischer Fälschungen: S. 162 wird Mellaart als Erfinder erwähnt, ohne Begründung: “In dem Moment, in dem die C14-Datierungen abdanken, verschwindet auch diese Ur-Kultur (M. Gimbutas Alt-Europa) samt ihrer von James Mellaart geschaffenen und von H. Hauptmann vertieften Parallelkultur in Anatolien” (mit Anm. 394: Illig, Veraltete Vorzeit 1988, S. 142, wo Hamblin zweimal genannt wird als Quelle).<
Das Thema ist wieder aktuell, siehe meine Notiz und mein kurzer Nachtrag hier.
Ahnenschwindel im alten Rom ? Heribert Illig sagt es schon im Untertitel: “Genealogie nach Bedarf und Bedürfnis”.
Durch Zitat nach Martin Richau wird das gleich abgemildert: Man dürfe es nicht so verbissen sehen, Ahnenschwindel sei das nicht, sondern Dichtkunst. Eben, dann hat es mit Geschichtsschreibung wenig zu tun. Aber ein bischen verräterisch ist diese Dichtung doch. Da werden (S. 366) durch Varro nach Pythagoras 440 Jahre zwischen Tod und Wiedergeburt (einer Person? oder Kultur? hier einer Stadt!) gefordert – das ist doch ein biblisches Jahreszahlenpaket! Das AT hat mehrmals die Abstandszahl 440 (auch mal 480) Jahre, z.B. gelten vom Exodus bis Salomon in der Septuaginta 440 Jahre. Die Chronologie des Manetho (Georg Friedrich Unger, Berlin 1867) hat ebenfalls diese Summe, die auch sonst häufig in hebräischen Schriften benützt wurde, ohne im Einzelnen ableitbar zu sein.
Varro schiebt 440 Jahre zwischen Trojas Fall (1193 vor 1 AD) und Roms Gründung (753 vor 1 AD) ein. Was zwingt ihn denn dazu, wo doch das erste Rom von dem Trojaflüchtling Aeneas gegründet wurde, also Trojas Untergang und Roms Aufgang etwa zeitgleich sein müßten? Ich schließe wieder einmal: Varro kann nur im späten 16. Jh. verfaßt sein.
Einige Zeitspringer wollen nur 1-2 Jh. des frühen Rom streichen – aber das behebt den Fehler doch nicht! Illig selbst bezweifelt im selben Jahr 1995 gleich rund 350 Jahre, Dubnow nur rund 200 Jahre, Illig einigt sich auf den “Mittelwert” als Streichintervall …
Neben Paul C. Martin, der an Hand der Münzen rund 200 Jahre streichen möchte, kommt wieder Gisela Albrecht 1995 zu Wort (S. 368) und damit wird alles deutlicher: “Auch ihr Fazit ist klar und eindeutig”, sagt Illig, und zitiert daraus: “Die Geschichte der frühen römischen Republik bei Livius ist zu lang und in großen Teilen gefälscht.” Es “sind etwa 150 Jahre Leerzeit zu streichen.” Albrecht zeigt, daß Livius eine Utopie beschreibt, keine historische Realität.
Die Frage bleibt nur: wann wurde diese Schrift gefälscht und von wem? Soweit ich sehen kann, nimmt Illig die römische Geschichte, so gefälscht sie auch sein mag, immer noch als echte Quelle wahr, die nur zu beschneiden und zu reinigen wäre.
Über den verschlungenen Laokoon und das verdächtige Evangelium geht es weiter zur römischen Landvermessungstechnik, ein wahrhaft spannendes Thema, das schon Eugen Gabowitsch in Angriff genommen hatte, aber nicht mehr ausführen konnte. Der Ansatz von Illig sollte unbedingt fortgesetzt werden, das ergäbe ein weiteres Standbein im Sinne der Schichtenevidenz.
Nach Trier und Fritzlar, die durch Illig ihre literarische karolingische Geschichte verlieren, (der Befund einer verkehrten Kirche im 14. Jh. – Apsis im Westen, Turm im Osten – scheint kurz durch, S. 404) macht Illig einen Besuch bei den Arianern in Venedig. Der nachgiebige Lagunenboden gibt keine Grundlage für die fast nur literarische Vergangenheit, die materialreich erst im 13. Jh. (italienischer Zählung) einsetzt. Man beruft sich sogar auf einen Grundstein mit der Jahreszahl 639, aber Illig findet das “nicht überzeugend, war doch damals noch nirgends eine Zeitrechnung nach Christi Geburt in Gebrauch” (S. 424). Interessant, daß auch hier der Unfug mit den erfundenen Zahlen getrieben wird. Ist das nötig?
Bei Betrachtung der vermeintlich arianischen Flechtmuster an Altarschranken wird die Aufmerksamkeit des flüchtigen Lesers geweckt (S. 418 f): “Damit löst sich ein Rätsel, das von mir (Illig) immer wieder angesprochen wurde, dessen Lösung ich aber immer in der falschen Richtung gesucht habe. Die mit diesen Altarschranken so häufig verbundenen Flechtwerksteine verweisen in keiner Weise auf arianischen Glauben!” Die Verschiebung ins 11. Jh. (noch einmal S. 420) geschieht allerdings in etwas verschiedener Lesung der offiziellen Geschichte, nicht durch Analyse der Darstellungen. Dabei bleiben die “arianischen” Mosaiken von Ravenna in der Antike (wo sie inhaltlich hinpassen), dennoch 1500 Jahre alt, was undenkbar sein müßte, Illig aber nicht aufstößt. Statt der Arianer, die eine Erfindung der Katholiken sein dürften, wie Angelika Müller mehrmals gezeigt hat, müßte eine Übergangszeit kurz vor Ausbildung der katholischen Kirche in der Renaissance angenommen werden. Davon ist Illig weit entfernt.
Zypern, Elfenbein und der allgegenwärtige Karl bilden die nächsten Themen, ein vielseitiges Heft! Über sie hinwegspringend widme ich die Aufmerksamkeit der geheimnisvollen Karte von Piri Reis in Illigs Besprechung von Susanne Billigs Buch über Fuat Sezgin, wobei die These im Vordergrund steht, “die Araber” hätten Amerika als erste angefahren. Solches hatte vor 25 Jahren (zur 500-Jahrfeier der Kolumbustat) die Rote Herzogin, Isabel Álvarez de Toledo, mit ihrem Buch “No fuimos nosotros” (Wir waren’s nicht) aufsehenerregend behauptet und mit Quellen fundiert, was hier aber nicht erwähnt wird.
Das Problem der Kartographierung der Küste Amerikas hatte ich 2006 in “Kalendersprung” (Teil 4) und dort auch die Araberthese (S. 104) sowie das Buch der Herzogin erwähnt.
In einem Satz spricht Illig aus, worum es ihm bei dieser Rezension geht: “Um im Strudel möglicher Propagandaaktionen nicht die Orientierung zu verlieren, ist Billigs Buch zu prüfen.” (S. 444) – gewiß, diese Gefahr besteht, da Sezgin (hier durch das Sprachrohr Billig) die religiöse Verknüpfung nicht vermeidet, was bei einem Orientalen hinzunehmen wäre, aber an einer deutschen Hochschule peinlich berührt. Wieweit nun aber die anderen angedachten Amerikafinder – Kelten oder Wikinger oder Chinesen – als relevant gelten können, ist fraglich. Bleibende Wirkung hatten sie wohl nicht, wie Illig betont. Jedenfalls kann auch vom islamischen Kultureinfluß, den Sezgin gern hätte, im vorkolumbischen Amerika nicht die Rede sein, selbst wenn dort afrikanische oder orientalische Elemente auffindbar wären. Ethnie ist eben nicht gleich Religion.
Kurzum: Sezgin ist “leider nicht der richtige Mann für das Anliegen wissenschaftlicher Verständigung.” (S. 446). Und das führt Illig nun pointiert aus, die Zitate aus Sezgin werden immer peinlicher und widersprüchlicher, am Ende kann man nur zustimmen: Das ist nicht Wissenschaft sondern Propagierung von Überzeugungen unter dem Mantel der Geschichtsschreibung. Ob man dafür Al-Mamuns Wissenschaftshaus um einige Jahrhunderte versetzen muß oder gar anzweifeln sollte, spielt nun keine Rolle mehr; die Religion ist daran schuld, daß ab 1600 im islamischen Bereich keine Fortschritte mehr möglich sind.
Zum Glück kommt nun die Piri-Reis-Karte auf den Tisch (oder eigentlich nicht sie selbst sondern nur die einzige fotografische Wiedergabe, die davon aufzutreiben ist), und damit läßt sich behaupten, daß die Araber eben doch schon vor Kolumbus Kenntnis von Amerika hatten und dessen Küsten mit “unvorstellbarer Exaktheit” wiedergeben konnten. Stimmt das?
Illig gibt seit 1989 (in VFG, gegen Horst Friedrich) zu bedenken, daß es sich um eine Fälschung handeln könnte, wobei er nicht der einzige ist, der so messerscharf schließen kann. Schon 1980 hatte Brentjes auf Fälschung gesetzt (S. 449). Wahrscheinlich ist der Verdacht schon so alt wie die Auffindung der Karte selbst, nämlich von 1929.
Was die viel gerühmte Genauigkeit der Karte anbetrifft, die ist mäßig. Nur der Küstenverlauf von Guyana und Brasilien ist einigermaßen realistisch, der Maßstab allerdings nicht derselbe wie der für die tatsächlich sehr genaue Küstenlinie von Südeuropa und Westafrika auf dieser Karte. Schon der Doppelfluß Paraná – Uruguay ist viel zu nahe eingezeichnet, was den Eindruck erweckt, als sei die Karte bezüglich Südamerikas aus mehreren Teilen zusammengestückelt (was in der türkischen Kartenlegende auch gesagt wird: sie basiere auf 20 Karten). Und die angeblich so verblüffend korrekte Wiedergabe der Antarktis, eisfrei noch dazu (“präglacial”), auf die sich Hapgood in seinem “berühmt-berüchtigten Buch” (Illig S. 449) stützte, ist pure Fantasy.
Der Schluß aus der Kartenlegende, die Kolumbus die Erstbefahrung der westlichen Inseln zuschreibt, kann nur lauten: “für eine arabische Vor-Entdeckung bleibt kein Spielraum”, wie Illig im Konzentrat sagt (S. 451). Hat das vor ihm niemand gemerkt, nicht einmal Sezgin, der doch die türkische Beischrift der Karte am besten lesen konnte?
Im 4. Teil seines Beitrags greift Illig die islamische Chronologie direkt an: “Zeitversetzung”. Aus Beispielen, die sich vielfach vermehren ließen, schließt er, “dass die frühe islamische Wissenschaft wegen ihrer Anbindung an ein anderes Hedschra-Datum ein bis zwei Jahrhunderte zu früh datiert wird (schon 2016).” Ob das wohl ausreicht? Da wird von Billig großer Seehandel zwischen China und Marokko “um 900” behauptet, bis 54° südl. Breite (die Kerguelen liegen allerdings schon bei 49°), was keinen Sinn macht und erst viel später (nach 1300) berichtet wird. Wie nun die recht guten Umrißlinien der Antarktis auf Seekarten des 16. Jh.s zustandekommen, bleibt auch für Illig unklar. Wilhelm Bölsche hatte sich 1925 mit diesem Rätsel beschäftigt und ist schlicht zu dem Schluß gekommen, daß es sich um Vermutungen handeln müßte.
Illig bespricht dann eine deutlich jüngere Nachahmung der Karte von Al-Idrisi, die in ihrer Primitivität so richtig zeigt, “dass die von Sezgin beschworene kartografische Meisterschaft der Muslime zur Mitte des 12. Jh. noch in keiner Weise existierte.” (S. 456) “Schiffbruch” nennt Illig am Ende diesen Versuch Sezgins, die Geschichte der Kartographie aufzuhellen. Ob wir noch mehr über dieses spannende Thema vom Meister erfahren werden?
Es folgt Stephan Diebitz mit seiner Untersuchung der Evolution der Instinkte.
In warmherziger Weise bringt uns Diebitz den bekannten und doch immer seltener gelesenen Insektenforscher Jean-Henri Fabre (1823-1915) nahe, denn seit 2010 sind bisher acht der zehn Bände seiner “Erinnerungen” (Souvenirs entomologiques) in deutscher Übersetzung erschienen und damit das Lebenswerk dieses vielseitigen Gelehrten für uns greifbar geworden. Diebitz geht es in seinem Beitrag um Fabres Überlegungen in Sachen Instinkt und dessen Unvereinbarkeit mit der Darwinschen Entwicklungstheorie. Fabre beschreitet immer den Weg von den Einzelheiten zur Ansicht des Ganzen, wobei er seine Entdeckungen “in den zauberhaften Mantel der bildhaften Sprache kleidet”, denn Fabre, der über eine breite humanistische Bildung verfügte, ist nicht nur Wissenschaftler sondern auch Dichter, wie Diebitz ausführt. Das macht seine Werke noch heute so wertvoll.
Dabei stellt sich heraus, daß der Entwicklungsgedanke schon bei Leibniz (“mehr als einhundert Jahre vor Darwin”) ausgebildet daherkommt, wahrscheinlich ohne, daß Fabre darum wußte, wie Diebitz anmerkt. Neuerungen in der Lebenssphäre entstehen nicht allmählich (man denkt an das so unvorstellbar aufgeblähte Zeitschema Darwins) sondern plötzlich, sagt Fabre. Und Diebitz definiert: “Unbewusst ablaufende, mehrgliedrige, sich nicht verändernde Handlungen animalischer Organismen sind Instinkte.” Sie unterscheiden sich von Reflexen, die schon bei Pflanzen vorkommen. Der mehrgliedrige Ablauf animalischer Handlung in nur einer Richtung ist dabei unumstößlich.
Als Beispiel werden bestimmte Wespenarten vorgeführt, an denen Fabre zeigt, “dass die erstaunliche Komplexität des Vorgangs sowohl seine allmähliche und stufenweise Entwicklung als auch die Rolle des Zufalls ausschließt.” und: “Ein sich allmählich herausbildender Instinkt ist offenkundig unmöglich.” Kennt man die Fortpflanzungsweise dieser Wespen (und aller Insekten), dann weiß man: Versuchsreihen mit Erfolg und Irrtum sind dabei undenkbar, denn die Gattung ist verloren, wenn sie nicht auf Anhieb Erfolg hat. Hier muß ein anderer Mechanismus wirksam sein.
Diebitz spricht tiefe Einsichten ruhig aus: “Das Gedächtnis ist das Fundament der Erinnerung, der Instinkt die Grundlage der Intelligenz.” Diese Sätze, die über Fabre zu Bergson und darüber hinausführen, machen seine Besprechung zu einer Bereicherung.
Diebitz findet (S. 474) bei Fabre “eine schöne Formulierung, die ganz neutral ist und in der kein Gott und kein intelligenter Designer vorkommt” – tatsächlich, diese Abgrenzung ist Forderung der Zeit – nämlich “die glänzende Bestätigung einer präetablierten Ordnung der Dinge”. Ich denke dabei an eine strukturierte Einsicht des Individuums in seine Welt, aus der ein harmonisches Zusammenspiel alles Lebendigen resultiert; womit nichts erklärt ist, aber doch eine Beschreibung im Sinne der von Nicolai Hartmann (1882-1950) gelehrten Ontologie gegeben wird.
Der Entelechie-Gedanke von Hans Driesch kommt hier nicht zur Sprache, vielleicht wird Diebitz ein andermal darauf eingehen. Das Ziel (Telos) einer Instinkthandlung ist ein Problem besonderer Art, wie er (S. 473) anreißt. Aber die irrationale Vorstellung einer präetablierten Ordnung der Dinge, die sich aus immanenten Gründen nicht erfahren läßt, ist “nicht mehr als ein schöner Gedanke. Oder ein Glaube.”
Diebitz hat uns ja schon lange mit interessanten Betrachtungen zu diesem Themen beschenkt, ich erinnere an seine Darwinismus-Analyse, die ich folgendermaßen besprach:
Zum Abschluß des Heftes ZS 2005 erkennt Stefan Diebitz „Darwinismus als Ideologie“ (S. 249-256), was Christian Blöss 1988 erfolgreich als Buch vortrug, nun durch Diebitz bereichert um einige Lesefrüchte. Der Beitrag scheint aus einem größeren Zusammenhang herausgerissen zu sein und ist darum stellenweise schwer zu lesen, es fehlt ihm die Einbettung. Nicht alle Zitate des sehr belesenen Autors sind von Belang; z.B. scheint mir Hannah Arendt nich kompetent für diese Thematik, ebensowenig Egon Friedell. Auch die Kritik am Fernsehen ist überflüssig, denn Vergnügen oder Unterhaltung haben kaum Gewicht neben Kant und N. Hartmann. Dies muß prinzipiell gesagt werden, es macht sich als Mode breit, hat aber nur in journalistischer Arbeit einen Stellenwert. Dennoch lohnt es sich, Diebitz zu folgen, weil er wichtige Punkte getroffen hat: Darwinismus ist Glaubenssache, keine wissenschaftliche Theorie. Das hatte Dacqué schon klargestellt. Und daß der Mensch die Hauptlinie ist, der Affe ein Nebenprodukt; man kann es schon aus Platon herauslesen. Den guten alten Muck zu zitieren, ist natürlich erfreulich; dabei sollte man bedenken, daß dieses Spätwerk stark bearbeitet postum erschien und die beiden Herausgeber nicht ordentlich gekennzeichnet haben, wo sie eingriffen; die Kap. 12 und 21 stammen weitgehend nicht von Muck.
Mit Berufung auf N. Hartmann hat Diebitz Wesentliches erkannt, ein brauchbarer Beitrag zum Thema Darwin, das ja in ZS schon reiche Tradition hat. Dabei darf Ernst Haeckel nicht fehlen, der erst den eigentlichen Darwinismus erarbeitete; er bezeichnete ihn als „wissenschaftlichen Glauben“ in seinem Katechismus „Die Welträthsel“ (Bonn 1903, S. 121), unentbehrlich so lange, bis er durch eine bessere Hypothese ersetzt werde, im Gegensatz zum religiösen Aberglauben der Kirchen, der aus „der langen Geistesnacht des christlichen Mittelalters“ (S. 79) in unsere aufgeklärte Zeit herübergeschleppt wurde. Der Gründer des Monismus war sich demnach schon klar darüber – da ist es überfällig, dies noch einmal aufzuzeigen.
Das wär’s für heute. Man beachte, daß Illig eine Neuauflage seines Buches „Die veraltete Vorzeit“ ankündigt, das lange vergriffen war und immer gefragt ist, weil es ja am Anfang der neueren Gedankenketten steht. Hoffentlich ist es nicht so teuer und gelangt auch in den Buchhandel!
Uwe Topper, 22. 8. 2005
Schließlich berichtet Andreas Otte als ferner Beobachter über den diesjährigen Kongreß zum Elektrischen Universum 2017 in Phoenix, Arizona, USA.
Diese physikwissenschaftlichen Treffen, an denen Otte oft teilnahm und selbst Vorträge hielt, sind Anlaufpunkt für einige der gewagtesten pionierhaften Gedankenexperimente, die ich mangels Wissen nicht beurteilen, nur bewundern kann. Dabei geht es nicht nur um Gravitation und ein neues Atom-Modell, sondern auch um mystische Fragen (“Haben Sterne ein Bewußtsein?” S. 479) oder um einen Vergleich von Wettermodellen mit den Stelen von Göbekli Tepe (S. 484). En passant erfährt man einige blitzlichtartige Einsichten, wie z.B. die Unlogik in Einsteins Zeitvorstellung oder die Erkenntnis, daß die Sonne in unserem Klimamodell eine wesentlich größere Rolle (nämlich elektromagnetischer Art) spielt als bisher angenommen (beides S. 480).
Der dritte Konferenztag ist der Weiterführung von Velikovskys Weltbild gewidmet. Und hier geschieht nun etwas, was lange überfällig war: Bill Mullen legt den Fokus (wenn auch kritisch) auf die Arbeiten von Illig und Heinsohn. Andrew Fitts bespricht neben anderen Fortsetzern von Velikovsky Heinsohns Buch “Die Erschaffung der Götter”.
Im “Abschluss” sagt Otte: “stehen wir – wie schon länger – kurz vor der Entdeckung der Weltformel”, wobei der Rezensent nicht weiß, ob das mit Augenzwinkern oder als Prophezeiung verkündet wird. Otte schließt: “Alles in Allem wieder eine sehr gelungene Konferenz, wobei die Berücksichtigung der Chronologie-Kritik als Konferenzthema erfreulich und hoffentlich keine Eintagsfliege ist.”
Mit Empfehlung dieses wichtigen Beitrags ende ich meine Besprechung des Heftes.
Literatur, die kurz erwähnt wurde:
Albrecht, Gisela (1994): Atlantis – streng nach Platon (VFG 4-94)
Billig, Susanne (2017): Die Karte des Piri Re’is (Beck, München)
Bölsche, Wilhelm (1925): Von Drachen und Zauberküsten.
Hamblin, Dora Jane (1973): Türkei, Land der lebenden Legenden (USA, dtsch 1977 und 1988, Lübbe, Berg. Gladbach)
Hapgood, Charles (2002): Die Weltkarten der alten Seefahrer (Verlag 2001, Frankfurt/M; orig. Maps of the Ancient Sea Kings, Philadelphia/ New York 1966)
Heinsohn, Gunnar (1997): Die Erschaffung der Götter. Das Opfer als Ursprung der Religion (Reinbek)
Illig, Heribert (1988): Die veraltete Vorzeit (Frankfurt/M; 2° Mantis, Gräfelfing 2005)
(1989): Piri Reis – Zur Unzeit gefundene Karten (VFG 1, 5; S. 22-24; Gräfelfing)
Müller, Zainab Angelika (2007): ” Zur Gleichsetzung von Ali und Arius und zur Identität der Arianer” in ZS 19 – 3 S. 600 ff (Gräfelfing)
Pearson, Kenneth, und Connor, Patricia (1968): The Dorak Affair (New York)
Topper, Uwe (1977): Das Erbe der Giganten (Walter, Olten; 1978: Lübbe, Berg. Gladbach)
(2016): Das Jahrkreuz (Grabert, Tübingen)
Uwe Topper, Januar 2018