Exkurs zur Datierung von Dantes Lebenszeit

Zur Berichtigung der Zeitstellung Dantes gibt es bei uns schon drei Artikel:

Dante – eine neue Datierung

Hardouins Zweifel zu Dante

Weitere Hinweise zur Zeitstellung Dantes

und nach diesem hier noch einen fünften (April 2020): Dantes Zeitstellung in einem Kommentar von 1546

Im ersten Artikel bringe ich eine Abbildung der Totenmaske Dantes:

Totenmaske Dantes

Daß die Echtheit der Totenmaske angezweifelt wird, liegt z.T. daran, daß sie von etwa 1500 AD stammen dürfte, also keineswegs so alt ist, wie sie sein sollte.

Dante, Zeichnung von Luca Signorelli (1450 – 1523)

Die abgeklärten Gesichtszüge der Totenmaske Dantes passen gut zu der lebensstarken Zeichnung, die Luca Signorelli (1450 – 1523) ja wohl von dem lebendigen Dante schuf.

Und nun folgt ein weiterer Hinweis: In Albrecht Dürers Holzschnittzyklus zur Offenbarung des Johannes kommt der Seher Johannes immer wieder vor, stets etwa gleichgestaltet; nur im letzten Bild (auf Blatt XVI) trägt er die Züge Dantes.

Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt aus dem letzten Blatt (XVI).

Dürer, Apokalypse, Blatt XVI: Abgrund (Ausschnitt)

Wenn Dürer der Sehergestalt diese Züge gab, wollte er auf die Himmelsvision in Dantes „Göttlichen Dichtung“ anspielen und ein zeitgenössisches Genie ehren, so wie auch er von den zeitgenössischen Künstlern Italiens hoch geschätzt wurde.

Zum Vergleich hier weitere Köpfe des Sehers im selben Dürer-Zyklus. Zuerst Johannes, wie er neben der Jungfrau Maria als Schreiber seiner Offenbarung erscheint (späteres Titelblatt). Es ist dem Frontispice der Ausgabe von 1511 entnommen und zeigt etwas untypisch den jungen Seher Johannes, der deutlich absticht von dem Greis auf dem letzten Blatt, den ich als Konterfei Dantes ansehe.

Dürer, Apokalypse, Blatt I: Titelblatt (Ausschnitt)

Auf Blatt III erscheint Johannes in anbetender Haltung, fast von hinten; der Kopf im Profil ist im Stil der anderen Johannesköpfe gehalten.

Dürer, Apokalypse, Blatt III: Johannes erblickt die sieben Leuchter (Ausschnitt)

und im Mittelpunkt des folgenden Blattes (IV) ebenfalls im Profil:

Dürer, Apokalypse, Blatt IV: Johannes vor Gott und den Ältesten (Ausschnitt)

Hier auf Blatt X ist er der Prophet, der das Büchlein verschlingen und wiederkehren muß.

Dürer, Apokalypse, Blatt X: Johannes verschlingt das Buch (Ausschnitt)

Die anderen Darstellungen des Sehers in Dürers Holzschnitten sind ebenfalls nicht dem von Blatt XVI vergleichbar, unter sich aber gleichartig.

Etwa wie Blatt XIV, fast gleich dem Johannes auf Blatt IV:

Dürer, Apokalypse, Blatt XIV: Lobgesang der Auserwählten (Ausschnitt)

In diesem Sinne nehme ich an, daß Dürer in dem letzten Bild (Blatt XVI) deutlich auf den Dichter der Göttlichen Komödie anspielen wollte, indem er seinem Johannes hier die Züge Dantes gab.

Und dazu gehört wohl auch, daß genügend Dante-Portraits im Umlauf waren, um ihn treffend wiederzugeben und bei den Betrachtern der Bilder diese Assoziation auch auszulösen.

Was mir ein weiteres Indiz dafür scheint, daß Dantes Lebenszeit noch nicht lange zurücklag, als Dürer diesen Holzschnittzyklus schuf. Eventuell lebte er noch.

Dante Alighieri: Divina Commedia (1307 – 1321) Kupferstich des Frontispiz von Cornelis I. Galle (1576-1650) nach Jan van der Straet, genannt Stradanus (1523-1605)

Hier ein Titelblatt mit Dante (und klein darunter Vergil) von Cornelis Galle d.Ä. um 1595, d.h. schon deutlich später als die „normalen“ Danteportraits und entsprechend fremder, wie zu erwarten, wenn der Dargestellte seit fast einem Jahrhundert nicht mehr lebt; allerdings immer noch charakteristisch.

Als ich mein Buch über die Offenbarung des Johannes schrieb, war mein Blick noch nicht für dermaßen chronologische Feinheiten geschärft. Der Verlag (1993 Hugendubel) hatte dankenswerterweise den Holzschnittzyklus Dürers als Illustrationen dem Buch beigefügt. Beim neuerlichen Nachschlagen in dem Buch sah ich dann plötzlich Dante auf dem letzten Blatt (S. 281).

Nachtrag:

Der Herausgeber der Apokalypse-Holzschnitte, Sepp (1902), schreibt im Kommentar (S. 8) zum letzten Blatt (XVI): „Wir glauben Dante’s Inferno, die Unterwelt des Sängers der Divina Comedia, vor uns zu haben.“ Und weiter : „Aus der Unterwelt erhebt uns Dante an der Seite Beatricens zum Paradiese. Fürwahr! der größte deutsche Maler hat den größten Dichter seit Homer gekannt und gewürdiget, das beweist dieses letzte Bild…“ Dieser leidenschaftliche Ausruf des bejahrten Fachmanns erfolgt erstaunlicherweise gerade zu diesem Blatt, wo Dante neben dem Engel erscheint, was Sepp nicht deutlich sagt, wohl nur ahnend wahrgenommen hat.

Literatur

Sepp, Prof. Dr. I. N. (1902): Die geheime Offenbarung Johannis. 15 Vollbilder nach den Handzeichnungen Albrecht Dürer’s und gleichzeitigem Text nach der Straßburger Ausgabe von Martin Graeff 1502. (Carl Haushalter, München)

Topper, Uwe (1993): Das letzte Buch. Die Bedeutung der Offenbarung des Johannes in unserer Zeit (Hugendubel München)

Und nun (April 2020) im vorigen Sinne weitergedacht: siehe den Artikel : Dantes Zeitstellung in einem Kommentar von 1546

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